Bayrische Klosterannalen

Aus der früheren Periode erstreckt sich in einer Anzahl bairischer Klöster eine historiographische Tätigkeit in das 14. Jahrhundert hinein und es sind diese Ausläufer der bewegten Zeit der fränkischen und staufischen Kaiser gleichsam als Fortsetzungen großer Anfänge schon größtenteils in den Monumenten herausgegeben. Dahin gehören die Annalen der Prämonstratenser von Windberg und Scheftlarn, ferner Benedictbeuern, Diessen, Undersdorf, Baumburg, Aldersbach, Osterhoven, die Noten von Weltenburg und St. Emmeram zu Regensburg sowie von Prüfening, alles durchaus gleichzeitige und gelegentliche Aufzeichnungen, meist sehr unbedeutender Art für die spätere Hälfte des 13. und für das 14. Jahrhundert*). Zur Signatur des verfallenden Zustandes dieser Klöster dient der Umstand, dass auch die Annalen welche noch im Anfang des 13. Jahrhunderts allgemeinere Nachrichten enthalten, seit der Mitte dieses Jahrhunderts sich fast ausschließlich auf das Lokale beschränken und etwa selbst die Schlacht bei Müldorf nur berühren um zu bemerken, dass ein in der Schlacht gefallener Kriegsmann des Königs in der Kirche zu Undersdorf begraben wurde.

Am stärksten tritt vielleicht das Abbrechen des historischen Sinnes bei den Prämonstratensern hervor. Nur die Annalen von Aldersbach, welche unvermittelt 1273 —1286 dastehen, sind nicht ohne Wert und die von Osterhoven haben über die Jahre 1250 bis 1300 schätzbare Notizen mit den Altaicher Annalen des Abtes Hermann in Verbindung gebracht, und selbständige Fortsetzung bis zum Jahre 1313 daran angeknüpft**). Auch die Fortsetzung der Chronik des Magnus von Reichersberg ist für die Geschichte des Erzbischofs Philipp von Salzburg und für den böhmischen Streit sehr beachtenswert***).


*) W. G. V, § 13, S. 465—471 schon sämtlich besprochen mit Rücksicht auf die Ausgabe in Mon. SS. XVII. Zu Benedictbeuern möchte hinzugefügt werden, dass man aus dem 13. Jahrhundert ein Handschriften verzeichnis der dortigen alten Bibliothek von 247 Werken besitzt. Oberbair. Arch. III, 348.

**) Spätere Notizen bis 1426 und eine Abtreihe bis 1288. M. G. SS. XVII, 537, ed. Wattenbach. Über den Abt Ulrich, 1288 — 1324, als wahrscheinlichen Verfasser oder Veranlasser der Annalen vgl. Böhmer, fontt. II, LV. Für Aldersbach hat man auch aus einem Rechnungsbuche von 1291 — 1362 historische Notizen zusammengestellt in Quellen und Erörterungen zur bayrischen und deutschen Geschichte, Bd. I.

***) Ebend. ed. Wattenbach, S. 530.


Ganz unbedeutend war dagegen, was in Tegernsee geleistet wurde, wo man sich im 14. Jahrhundert einigermaßen mit Lokalgeschichte beschäftigte*). In dem benachbarten Schliersee aber war man um das Jahr 1378 selbst über die Klosterhistorie so unwissend, dass ein phrasenreicher in deutscher Sprache schreibender Mönch dieses Benedictinerstiftes nicht mehr im Stande war eine chronologisch sicher gestellte Abtreihe mit Angabe der Regierungsjahre zu liefern**).

Eine nicht uninteressante Angabe finden wir in der Fortsetzung des Reichersberger Chronicon, wo es heißt, dass in der Chronik von Ranshoven am Inn der Propst dieses Stiftes Eingehendes über die Geifselfahrten mitgeteilt habe, ein Zitat, dessen Bedeutung bis jetzt nicht vollständig aufgeklärt ist. Wenn aber nicht alles täuscht, so besitzen wir in einer von Stefan Leopolder zu Wessobrunn gemachten annalistischen Zusammenstellung nichts anderes, als die dürftigen Reste der Annalen des Propstes Konrad von Ranshoven***), während die Wessobrunner Tradition mehr geneigt war die annalistische Arbeit ihrem Konrad Pozzo zuzuschreiben. Dieser war ein Mönch, welcher sich durch mehrere Stiftungen urkundlich bekannt gemacht hat, im übrigen aber als Pfarrer zu Landsberg und Pyrgen erscheint und überdies der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts angehört, während jener Konrad, auf den eine Marginalnote zum Jahre 1271 sich bezieht, offenbar das Jahr 1308 überlebt haben muss.

*) Oefele, SS. r. b. I, 629 ff. Das Merkwürdigste aus Tegernsee wäre jedenfalls die Mappa mundi des Werinher Scholasticus, wenn es wahr ist, dass dieses die Tabula Peutingeriana sei, die in Wien bewahrt wird. Doch ist darüber mit Sicherheit nichts auszumachen. Vgl. Günther, lit. Anst. Baierns I, 189 über Tegernsee, Leistungen des Benedictinerstiftes; Hefner im Oberbair. Archiv I, 15.

**) Oefele I, p. 377. Die Aufzeichnung trägt das Jahr 1378, allein es lässt sich zweifeln ob mit Hecht, eher möchte man glauben, dass ein C ausgefallen sei.

***) Wattenbach hatte wohl gewiss schon die Vermutung davon, wie wenigstens aus der angeführten Note angenommen werden kann. Stefan Leopolder macht zum Jahre 1195 die Bemerkung: Authorem hujus chronici credo fuisse Conradum Pozzonem etc., wovon aber in seiner Handschrift keine Andeutungen waren. Wenn es zum Jahre 1225 heißt, dass alles folgende von dem Wessobrunner Bruder Konrad herrühre, so ist das offenbar auch Einschub Leopolders. Handschriftlich sicher ist nur die Marginalnote: Qui me scribebat, Conradus nomen habebat. Was ist das für ein Konrad? — Konrad Pozzo hat noch unter dem Abt Konrad Menchinger, also vor 1243, eine testamentarische Verfügung gemacht, kann also nicht den Tod König Albrechts erwähnt haben. Man müsste daher zwei Konrads als Verfasser annehmen. Nun vergleiche man aber die Stelle des Fortsetzers von Reichersberg, wo der Propst Konrad zitiert wird, mit dem Wortlaute zum Jahre 1260 in den angeblichen Wessobrunner Annalen, so ist die fast wörtliche Übereinstimmung des ersten Satzes Bürgschaft genug, dass der Reichersberger Annalist eben diesen Konrad meint, den wir hier haben; nur ist die vollständige Stelle offenbar auch in unserem Leopolderschen Fragment nicht erhalten. Alles dies bei Leutner, Historia mon. Wessof., S. 253 ff. 264 und im Anhang S. 29 ff. Der vermutliche Schluss dieser Annal. Ranshov. passt dann zu dem Todesjahr des Propstes Konrad 1311 aufs Beste. Vgl. W. G. a. a. O.


Der Schriftsteller, der in diesen dürftigen Resten ursprünglich ausführlicher Annalen hervortritt*), benutzte bereits die vollendeten Annalen des Abtes Hermann von Niederaltaich**), so dass auch aus diesem Grunde an Konrad Pozzo als den Verfasser dieser sogenannten Wessobrunner Aufzeichnungen nicht zu denken wäre. Es ist vielmehr kaum zu bezweifeln, dass in Wessobrunn nur ein Auszug von Ranshovener Annalen gemacht worden sei, welche dem Fortsetzer des Magnus von Reichersberg bereits in vollendeter Form vorlagen. Über den Wert der verloren gegangenen originalen Aufzeichnungen Konrads von Ranshoven lässt sich etwas Bestimmtem selbstverständlich nicht mehr angeben***).

*) Die Bürgschaft, dass das Vorliegende bloß ein Fragment der Ranshovener Annalen ist, gibt die Stelle zum Jahre 1278: ut infra invenitur und der Schluss: Albertus rex Romanorum etc. rexit X annos.

**) Herm. Altah., Mon. G. SS. XVII, 395. Otto dux Bawarie novam monetam in Lantshut fabricari iussit circa initium messis mandans ipsos denarios et non alios recipi in toto suo districtu. Wörtlich zum selben Jahre 1253 in den angeblichen Wessobrunner Annalen, wo auch der Tod gemeldet, dann aber natürlich ein allgemeines Urteil beigefügt wird, welches nicht mit Hermann übereinstimmt, aber doch seine Erzählung voraussetzt.

***) Über sonstiges auf Ranshoven Bezügliches Stülz im Notizblatt der W. A. 1854, S. 468.


Allen bedeutenderen Arbeiten, welche im 14. Jahrhundert in den bayrischen Klöstern auf geschichtlichem Gebiete geleistet wurden, liegt indessen das Niederaltaichische Annalenwerk des Abtes Hermann zu Grunde, dessen vielseitige Tätigkeit gewissermaßen ersetzte, was an anderen Orten für Geschichtschreibung zu wünschen übrig war. Denn dieser Abt Hermann hat den Ruhm der Altaicher Annalistik nicht bloß aufrecht erhalten, sondern trotz der schwierigen Stellung, welche die Zeit seinem Kloster brachte, erhöht und vermehrt. Seine Werke, die er teils selbst verfasste, teils anregte, gehören zu den bedeutendsten Quellen der Zeitgeschichte, sowol im Hinblick auf ihren historischen Inhalt, als auch nach Maßgabe des literarischen Einflusses, den sie auf die gleichzeitige und nächstfolgende Generation ausübten*).

*) W. G. 505, wo schon mit Recht bemerkt ist, dass erst durch Jaffés gründliche Untersuchungen Ordnung in die wirre Masse der Schriften, die unter dem Namen Hermanns gehen, gebracht ist. Die ausschließlich benutzbare Ausgabe desselben Mon. G. SS. XVII, 351. Zur Orientierung über die früheren Ausgaben genügt es hier auf den gut gearbeiteten Artikel bei Potthast hinzuweisen, wo die einzelnen Teile richtig von einander geschieden sind. Nur fehlen unter Notae variae noch die Publikationen Chmels in Fontes der Wiener Akad. II, 1, 136 —160 etc., was von Jaffé vollständig angegeben ist sub lit. B. Es sind solche Schriftstücke aus der Wiener Handschrift, welche nur von Chmel gedruckt sind, da es meist Urkunden oder urkundenähnliche Notizen sind. Ferner ist nicht einzusehen, warum die Genealogia Ottonis abgetrennt wurde, da sie ebenfalls aus dem Wiener Codex ist und also zu dem Artikel Hermannus und nicht unter Genealogia zu setzen war, um so mehr als sie sonst als Narratio Altahensis de quorumdam ducum Bavariae Genealogia eingestellt werden müsste; und umgekehrt ist Henricus Stero nicht unter den Artikel zu setzen gewesen, weil sich dadurch leicht wieder ein Irrtum einschleicht. Über die Irrungen, welche in den früheren Publikationen eben dieser Henricus Stero verursachte, hat aber auch schon Böhmer, fontt. II. p. LI und LII übersichtliche Weisung gegeben.

Schon für die frühere Epoche der deutschen Geschichte ist auf die günstige Stellung und die geeignete geographische Lage von Niederaltaich hingewiesen worden und wie sich besonders hier ein lebendiger Sinn für die Kaiser- und Reichsgeschichte herausgebildet habe*). Die mannigfachen Beziehungen des Klosters zu benachbarten und entfernteren dauerten auch im 13. und 14. Jahrhundert noch fort. Ganz bestimmte Zeugnisse des literarischen und geschäftlichen Verkehrs zwischen Niederaltaich und Oberaltaich, Afflighem (Flandern), Cladrub, Hildesheim, Lilienfeld, Prüfening liegen aus der Zeit des 13. Jahrhunderts vor**), und eine Anzahl noch zu nennender Niederaltaicher sind zu Ämtern und Würden in Oberaltaich oder Regensburg oder Oettingen gelangt. Etwa seit dem Auftreten Alberts von Beham scheint die alte kaiserliche Gesinnung des Klosters einer entschieden päpstlichen Richtung Platz gemacht zu haben. Für die Gegner der Staufen, besonders für Heinrich von Bayern und Ottokar von Böhmen, sind die deutlichsten Sympathien in den Annalen jetzt sichtbar.

*) Über die reichsgeschichtliche Auffassung der älteren Niederaltaicher und ihre vorzugsweise kaiserliche Gesinnung vgl. Giesebrecht, über einige ältere Darstellungen der deutschen Kaiserzeit, München 1867, S. 13 ff. In dieser Beziehung nun fand aber im 13. Jahrhundert eine Änderung statt. Für die staufischen Ansprüche und Absichten, oder überhaupt für die Reichssachen ist kein besonderes Interesse mehr vorhanden.

**) Die betreffenden Stellen hat Jaffé in der Praefatio S. 353 und 354, wo sich auch eine Zusammenstellung des in Niederaltaich befindlichen historischen Bücherschatzes findet; doch ist merkwürdiger Weise ein altes Bibliotheksverzeichnis von Niederaltaich, wie etwa das gleichzeitige von Passau, in den zahlreichen Notizen Hermanns nicht vorhanden.


Der gewaltige Schöpfer einer neuen Glanzperiode annalistischer Tätigkeit war, wie es scheint, auch selbst in Niederaltaich erzogen worden. Seine frühesten von ihm beschriebenen Erinnerungen beziehen sich auf Niederaltaich, welches er seit dem Tode des Königs Philipp von Hohenstaufen in endlosen Bedrängnissen besonders durch die Grafen von Bogen gesehen zu haben versichert. Es stimmt dies mit den allgemeinen Verhältnissen unter Kaiser Friedrich, seit dessen Tagen die Klostervögte überall ihre Rechte zu einer territorialen Machtstellung auszunutzen suchten. Nach dieser Seite hin war es daher für die politische Stellung des mächtigen Klosters von fundamentaler Bedeutung, dass es sich nach dem ersehnten Ausgange der Bogener Grafen an die Herzoge von Bayern anschloss, denen die Vogtei — erst dem Otto, dann seinem Sohne Heinrich — zufiel; die alte Reichsverteidigerin, die Abtei von Niederaltaich folgte gewissermaßen dem Zuge der reichsfürstlichen Entwickelung.

Hervorragendster Vertreter dieser geänderten Richtung ist nun Hermann selber. Sein Geburtsjahr ist 1200 oder 1201. Im Jahre 1242 wurde er nach dem Tode des Abtes Ditmar, wenige Monate nachdem Herzog Otto die Vogtei übernahm, zum Abte gewählt. Aber er scheint schon längere Zeit die hervorragendste und einflussreichste Persönlichkeit unter den Mönchen von Niederaltaich gewesen zu sein*). Er wurde zu wiederholten Legationen nach Verona und Rom verwendet und da Abt Ditmar schon einige Zeit vor seinem Tode resignierte, so war die Leitung des Klosters faktisch bereits in Hermanns Hand, als er zum Abte gewählt wurde. Sogleich suchte Hermann den Bischof von Passau, der in jenem Augenblicke eben in Wien weilte, auf und wurde von diesem consecrirt. Auch sonst gab es mancherlei Geschäfte im Herzogtum Österreich, wo das Kloster ansehnliche Besitzungen hatte, die aber zu großer Beschwerde Hermanns in Verfall geraten waren und wo man bereits seit länger Zehnten und Steuern weigerte. Hermann fing daher mit großer Sorgfalt an sogleich die Rechte des Klosters auf diesen Besitzungen zu erheben und verzeichnen zu lassen. Wie denn überhaupt seine Verwaltung ganz vorzugsweise der Restauration der ökonomischen Verhältnisse Niederaltaichs zugewendet war. Mit besonderer Vorliebe hat Hermann seine Notaten über die von ihm selbst gemachten Verbesserungen der Klostergüter, über die ausgeführten Bauten und ähnliches, gleichsam zu einer Chronik seiner eigenen Amtsführung zusammengestellt.

*) Die Urkunden aus Niederaltaich in den Mon. boic. XI. Placidus Haiden, des Klosters Niederaltaich kurze Chronik oder Zeitschriften, Regensburg 1732; über Abt Hermann S. 94 ff.

Den mächtigen Schutz des Herzogs Heinrich von Bayern für das Gedeihen dieser Dinge hat Hermann nicht genug zu rühmen gewusst, und es ist daher natürlich, dass das Kloster sich auf alle Weise mit dem Landesfürsten und Vogt in gutes Einvernehmen zu stellen suchte, wovon auch mancherlei persönliche Berührungen, die zwischen Hermann und Herzog Heinrich stattfanden, Zeugnis geben.

Seine annalistische Tätigkeit begann Hermann, wie er ausdrücklich selbst versichert, erst als Abt, obwol seine Aufzeichnungen bis auf das Jahr 1137 zurückgreifen. Er fand die Geschichtschreibung, wie es scheint, dem alten Ruhme des Klosters nicht mehr entsprechend. Man beschäftigte sich hauptsächlich mit Abschreiben älterer auswärtiger Schriftsteller, vor allem Ekkehards, Ottos von Freising und ähnlicher. Einen mit den Werken dieser Autoren angefüllten Codex hat der neue Abt durch seine eigene Arbeit vervollständigt*). Bis zum Jahre 1146 hielt er sich noch an die Chronik Ottos von Freising, dann sammelte er Urkunden und Nachrichten aus anderen Jahrzeitbüchern, fügte hinzu was etwa in Niederaltaich selbst noch in Erinnerung sein mochte, und begann hierauf, etwa um 1256, die regelmäßige gleichzeitige Eintragung der Ereignisse in seine Annalen von Niederaltaich**). Dass ohne Lob und Tadel berichtet wurde, möchte man weniger dem „der Welt entsagenden Sinne, dass die Tugenden und Fehler der Menschen mehr oder weniger dieselben bleiben“, zuschreiben, als vielmehr den notwendigen Rücksichten, welche die politische Klugheit auf die mächtigen Nachbarn zu nehmen gebot, da ihre Angelegenheiten und ihre Streitigkeiten den vorzugsweise geschichtlichen Inhalt des Annalenwerkes ausmachten. Im übrigen ist der Tadel — im allgemeinen ausgesprochen — über die Bosheit und Laster der Zeit bei keiner passenden Gelegenheit unterdrückt, wenn sich der Geschichtschreiber auch nirgends ein Urteil über die einzelnen Handlungen der Mächtigen erlaubt.

*) Dia vero, que postea continentur ego Hermannus abbas Altah. licet indignus ex diversis chronicis et privilegüs undecunque colligendo cum hiis, que meis temporibus contigerunt, de anno in annum simplici stilo annotare curavi. Es bleibt zu untersuchen wann die Aufschreibung de anno in annum begonnen hat und was unter annotare curavi zu verstehen. Jedenfalls ist nicht etwa zu glauben, dass die zahllosen Aufzeichnungen, die unter Hermanns Namen vorhanden sind, alle von ihm persönlich gemacht wurden, wie ja auch sein Notizbuch die mannigfachsten Hände zeigt.

**) Dass die Aufzeichnungen de anno in annum nicht vor 1256 beginnen dürften, dafür gibt es äußere und innere Anhaltspunkte. Zwischen das Jahr 1236 und 1237 ist eine Geschichte Österreichs unter Herzog Friedrich bis zum Frieden von 1254 eingeschoben, die einem einheitlichen Concept entsprang, also nicht vor 1254 aufgeschrieben ist, — dann folgen die Jahre 1237—1247 sehr kurz, aber bei 1247 heifst es: post obitum Wilhelmi regis und hierauf wird von dem rheinischen Städtebund gesprochen und werden die Paciscenten desselben angeführt. Zum Jahre 1253 werden Ereignisse früherer Jahre erst nachgeholt. Endlich ist bezeichnend, dass seit 1257 die Aufzeichnungen viel ausführlicher werden. Also nicht gleich beim Regierungsantritt wurde die historische Tätigkeit Hermanns begonnen. Es ist dieselbe vielmehr eine Frucht seiner späteren — wohl auch ruhigeren Jahre.


Für die Geschichte König Ottokars von Böhmen ist Hermann fast besser in Betreff der ungarischen, als der salzburgischen Verhältnisse brauchbar. Wenigstens wird den Verwickelungen, die hier durch den Erzbischof Philipp und durch die Beziehungen des Erzstifts zu den bayrischen Herzogen herbeigeführt werden, die geringere Aufmerksamkeit geschenkt, was gewifs nicht zufällig ist. Am liebsten berufen sich die Annalen Hermanns auf Aktenstücke, und teilen dieselben meist in vollständiger Abschrift mit. Gegenständen ökonomischer, geographischer, überhaupt kulturhistorischer Art schenkt man in Niederaltaich kein so lebhaftes Interesse wie in Colmar, — Naturerscheinungen werden meistens nur dann berichtet, wenn sie im Zusammenhang mit den Kriegsereignissen geglaubt werden, wie etwa der berühmte Komet von 1264.

Auch in dem Notizbuche des Abtes Hermann nehmen neben den rein geschäftlichen Aufzeichnungen solche Angelegenheiten weitaus den größten Raum in Anspruch, welche sich auf die politischen Verhältnisse der Nachbarländer beziehen. Die Landfriedensgesetze werden sorgfältig verzeichnet*), Vergleiche und Entscheidungen in Sachen Niederaltaichischer Untertanen oder benachbarter Herren und ähnliches, endlich das schon berührte Verzeichnis der Besitzungen und der Einkünfte des Klosters**) bilden den Hauptinhalt des merkwürdigen Buchs. Auch die Geschichte der Niederaltaicher Vögte hat eigentlich ein praktisches Interesse. Sie will an der Hand der Tatsachen die üble Einflussnahme der älteren Vögte zeigen und die Notwendigkeit beweisen, dass das Kloster mächtigeren Schutzes eines großen Fürsten bedürfe. Ein eigentlich literarisch-historisches Ziel verfolgt im Grunde nur eine Schrift Hermanns, die über die Einrichtung des Klosters Altaich, welche an die vita Godehardtanknüpft und mancherlei Verbesserungen und Zusätze gibt, welche letzteren jedoch von verschiedenen Händen herrühren. Es lässt sich nur sagen, dass unter dem Abt Hermann alle Stellen, die sich auf die Klostergründung und auf die ersten Schicksale Niederaltaichs beziehen, sorgfältig zusammengestellt worden sind, — doch keineswegs wird man eine Behauptung darüber aufstellen können, ob der Abt selbst sich dieser Arbeit unterzogen oder nur die Anregung dazu gegeben habe.

*) Über die Landfrieden vgl. auch Rockinger, Über die älteren bayrischen Landfrieden, besond. Abdruck S. 27 und 38, wo die für Hermann von Altaich so interessante Tatsache konstatiert wird, dass die Landfrieden aus politischen Rücksichten vielfach geändert wurden.

**) Über den Unterschied dieser Verzeichnisse von den sonst vorkommenden Rechnungsbüchern vgl. von Oefele in dem Oberbair. Archiv, 26. Bd., 272 ff.


Es ist auch merkwürdig genug, dass am Ende der Annalen ein Lobredner Hermanns, der von dessen ausgezeichneter mehr als dreißigjähriger Verwaltung des Stiftes redet, und dessen Abdication zum Jahre 1273 mitteilt, gerade auf die Gelehrsamkeit und schriftstellerische Wirksamkeit des Abtes kein Gewicht legt, sondern nur seine praktischen Erfolge im Auge hat. Wenigstens ist darnach gewiss, dass den Zeitgenossen die Bedeutung Hermanns nicht auf dem Gebiete lag, auf welchem der Geschichtschreiber heute sie zu sehen pflegt, auf dem Gebiete der Geschichtsliteratur. Am wenigsten wäre man berechtigt in der Art über Hermanns Beruf zur Geschichtschreibung zu sprechen, wie von Böhmer geschehen ist. Dieser bedeutende Abt hatte unter anderen ein lebendiges Interesse für geschichtliche Erinnerungen und war bestrebt auch dieser glanzvollen alten Richtung seines Klosters neue Antriebe zu Teil werden zu lassen, aber den Grad seines persönlichen Anteils an allen den zahlreichen unter seiner Regierung in Altaich gemachten Aufzeichnungen bestimmen zu wollen: darauf dürfte man wohl verzichten müssen.

Über Hermanns Tod hat Heinrich Steoro, der Capellan des Abtes, eine kurze Notiz mit seiner Namensunterzeichnung gegeben. Bald nach der Abdication verfiel Hermann in so schwere Leiden, dass die Notwendigkeit seines Rücktritts sich nur zu sehr als gerechtfertigt zeigte. Zwei Jahre lebte er noch; dann starb er in seinem 75. Jahre. Als Todestag bezeichnet Heinrich Steoro den 31. Juli 1275. Das Annalenwerk wurde indes in Niederaltaich selbst fortgesetzt, wenn es auch wahrscheinlich ist, dass sich erst 1291, bis wohin die Continuation reicht, eine Hand gefunden, welche mit Sorgfalt diese Nachrichten anschloss. Sie sind durchaus im Geiste des Hauptwerkes abgefasst, und ziehen gerne Aktenstücke heran ohne jedoch den Verhältnissen der nächstgelegenen Länder gleiche Aufmerksamkeit zu schenken. Das Hauptwerk selbst aber wurde von den Schülern und Anhängern Hermanns überall hin verbreitet; nach Regensburg vor allem, wo man eine Fortsetzung der Jahre 1287 — 1301 anschloss, nach St. Udalrich und Afra zu Augsburg, wo die schon früher erwähnten Annalen sich hauptsächlich an den Kern der Niederaltaicher Aufzeichnungen ansetzten, nach Osterhoven, und noch nach anderen Klöstern.*)

Eine selbständige Bedeutung aber nimmt ein von Niederaltaich selbst stammender Canonicus in Regensburg Namens Eberhard- ein, der eine größere Arbeit um das Jahr 1305 vollendete**). Eberhard begann seine historische Tätigkeit nach den Continuatoren der Altaicher Annalen. Aber es scheint, dass diese Continuatoren ihm nicht genügten, und so unternahm er es, dieselben teils umzuschreiben, teils zu ergänzen***). Er führt diese seine Darstellung vom Jahre 1273 bis zum Jahre 1305 und ist besonders in dem letzten Jahrzehent sehr wichtig und lehrreich. Der größte Teil seiner Nachrichten in diesem Zeitraum ist übrigens in Salzburg bekannt und benutzt worden. In den einleitenden Worten zu seiner Schrift bemerkt Eberhard zwar, dass er die Ereignisse in Bayern besonderer Darstellung zuführen wolle, aber in der Tat sind die mannigfaltigsten Begebenheiten naher und ferner Länder hier erzählt. Über das Leben Meister Eberhards sind wir nur aus einer Anzahl wenig Auskunft gebender Urkunden berichtet, — aus denen zu ersehen ist, dass er Chorherr und Archidiakon gewesen im letzten Decennium des 13. und ersten des 14. Jahrhunderts.

*) Im Necrologium Sancti Emmerammi, Mon. Boica XIV, 365, vgl. Arch. für K. österr. Gesch. 28. 123, ist Hermannus Abbas eingetragen beim 5. Angust. Da man doch in Niederaltaich den Todestag sicher wusste, vgl. auch Notae Altah. von Jaffé, so liegt hier ein Beweis vor, dass der Gedächtnistag in den Nekrologien nicht mit dem Todestag übereinstimmen muss. Jener bedeutet eben die kirchliche Wiederholung der nach dem Begräbnis stattgefundenen Seelmessen. Vgl. über den Unterschied von Anniversarien und Nekrologien: Wegele in der Vorrede zur Literatur und Kritik der fränkischen Nekrologien, Nördlingen 1864.

**) Die einzige Ausgabe, aus welcher ein Einblick in die handschriftlichen Verhältnisse zu gewinnen ist, hat ebenfalls Jaffé, SS. XVII, 591 geliefert, wo auch das Verhältnis zu den älteren Ausgaben bezeichnet ist.

***) Die im Eingang gemachte Bemerkung unseres Eberhard: Quia ea, que in patria nostra scilicet Bavaria a tempore electionis Rudolf! Romanorum regis gesta sunt, in multis locis quesivi nec scripta reperi, ego Eberhardus etc. bleibt freilich trotz der Interpretation Jaffés völlig unverständlich, wenn man annimmt, dass doch sowohl die Altaicher wie auch die Regensburger Continuation des Hermann unserem Eberhard vorgelegen habe. Mir schien die umgekehrte Annahme, dass man in Altaich und Regensburg den Eberhard excerpirte, im Ganzen weniger Schwierigkeiten zu machen, doch halte ich inich nicht für berechtigt, gegenüber einer auf handschriftlicher Untersuchung gewonnenen Feststellung, von der Auffassung Jaffés abzuweichen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter