Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter

Von der Mitte des 13. bis zum Ende des 14. Jahrhunderts
Autor: Lorenz, Ottokar (1832-1904) österreichisch-deutscher Historiker und Genealoge, Erscheinungsjahr: 1870
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Deutschland, Geschichte, Historie, Mittelalter, Geschichtsquellen, Klosterleben
Vorwort

Es war ursprünglich meine Absicht, am Schlusse meiner Geschichte des 13. und 14. Jahrhunderts einen Rechenschaftsbericht über die Quellen und insbesondere über die Geschichtsschreiber dieses Zeitraums anzuschließen, indessen hat sich in der gelehrten Welt der Wunsch Ausdruck verschafft, die deutschen Geschichtsquellen der späteren Jahrhunderte des Mittelalters überhaupt und in derselben Weise behandelt zu sehen, wie dies bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts von Wattenbach geschehen ist. An das Werk dieses Mannes eine ähnliche Arbeit anzuknüpfen, hätte jedoch von meiner Seite als eine Verwegenheit gelten müssen, wenn nicht jener die Fortführung abgelehnt und am Schlusse seiner unübertrefflichen Übersicht der deutschen Geschichtsquellen schon die Schwierigkeiten bezeichnet, ja auf die vorläufig noch bestehende Unmöglichkeit hingewiesen hätte, die späteren Epochen der deutschen Quellengeschichte in gleicher Art zu behandeln wie die früheren. Die Arbeit, die ich unternommen habe, bedarf dieses von Wattenbach gestellten Antrags auf Nachsicht und in diesem Sinne wollte ich ihm, der die Wege gewiesen und die Leuchte war — ganz abgesehen von allen persönlichen Gründen herzlicher Verehrung — dies Buch gewidmet haben.

Der Unterschied des Stoffes hat freilich eine Verschiedenheit in der Darstellung notwendig gemacht. Die vornehme und sichere Form, welche Wattenbachs Buch auszeichnet, wurzelt neben der Bestimmtheit des Wissens auch darin, dass wenigstens dem größten Teile nach ganz oder nahezu abgeschlossene Forschungen auf dem Gebiete der Quellenliteratur vorlagen. Bei den späteren Quellen des Mittelalters dagegen fehlen die Vorarbeiten, fehlt vor allem in den meisten Fällen die sichere Kenntnis der handschriftlichen Grundlagen. Die Darstellung dieser so unzulänglich bearbeiteten Schriftsteller und ihrer Werke gestaltete sich daher häufig mehr zu Erwägungen und Untersuchungen über dieselben, und wo man einfachen Aufschluss suchen wollte, wird man meistens nur Anregung und Stoff zu eigener Forschung und anstatt der gewünschten Sicherheit eine Reihe von Möglichkeiten finden. Dass dieser Umstand der ganzen Darstellung eine selbst auf den Stil sich erstreckende Unruhe verlieh, wird man bei der Benutzung des Buches ebenso unangenehm, wie der Verfasser, empfinden.

Vielleicht wäre einem solchen Stoffe gegenüber eine im chronologischen Zusammenhange fortlaufende selbständige Kritik der Schriftsteller und ihrer Werke, wie dergleichen über die Historiographie einiger Spezialgeschichten in musterhafter Weise erschienen ist, mehr am Platze gewesen, allein man wird nicht verkennen, dass auf diese Art der Charakter als Handbuch für die Geschichtsliteratur Deutschlands im späteren Mittelalter gänzlich verloren gegangen wäre, und dass das Werk einen unverhältnismäßigen Umfang erhalten hätte. Nur wo es unerlässlich schien, durfte daher die Form der Berichterstattung verlassen und die freie Abhandlung an die Stelle gesetzt werden. Aber dieser beständige Wechsel von Mitteilung des Bekannten und Geleisteten und von Versuchen Neues festzustellen, hat das Ebenmaß der Darstellung beträchtlich vermindert. Gleichwohl, denke ich, dass gerade in den Teilen des Buches, wo über einzelne Schriftsteller etwas eingehender gesprochen wird, manche handschriftliche Untersuchung angestellt und der Zusammenhang der Quellen unter einander einer erneuerten Prüfung unterzogen werden musste, einiges Beachtenswerte zu Tage gefördert ist. Möchte es Grundlage für weitere monographische Arbeiten werden. In der Beachtung, welche ein Werk in der wissenschaftlichen Entwickelung findet, liegt ja ohnehin der Gradmesser seines Wertes, auch die eigene Vervollkommnung desselben hängt von dem Anteile ab, der ihm gewidmet wird, und daher schien es mir als ein hoch genug gestecktes Ziel, diese Arbeit so weit zu bringen, dass sie der Beachtung nicht unwert und der Verbesserung würdig wäre.

Ich übergebe vorläufig den ersten Teil derselben der Öffentlichkeit und hoffe, dass der zweite Teil, die Geschichtsquellen des 15. Jahrhunderts umfassend, bald nachfolgen wird. Meine Absicht ist es, an der Fortsetzung fleißig zu schaffen, damit so die Geschichtsquellen des gesammten Mittelalters den geschichtlichen Studien zugänglicher gemacht wären. Die selbständige Ausgabe dieser Bearbeitung der Geschichtsquellen, von der Mitte des 13. bis an das Ende des 14. Jahrhunderts, schien jedoch wohl gestattet, da eine innere wissenschaftliche Nötigung, den Stoff bis an das Ende dieses oder jenes Jahrhunderts zu führen, nicht besteht. Zugleich schien es aber erwünscht, mit der Publikation dessen, was ich zu einem gewissen Abschluss gebracht habe, nicht zu zögern, da solche Arbeiten bei der regen Tätigkeit auf dem Gebiete der Geschichte nur allzu rasch veralten. Auch ist mir durch die freundlichsten Aufmunterungen, die ich von den trefflichsten Männern bei meinem Vorhaben erfahren habe, eine Art Ehrenpflicht erwachsen, von dem, was getan ist, endlich etwas sehen zu lassen. Ohnehin muss ich befürchten, dass durch das lange, durch besondere Umstände verschuldete Zögern die freundlichen Erwartungen viel zu hoch gespannt sind.

Die Geschichtsperiode, welche hier behandelt ist, endet der Natur der Sache nach nicht in allen Teilen mit den gleichen Jahreszahlen, schon deshalb nicht, weil das Zusammengehörige nicht von einander getrennt werden durfte. Auch wenn ich die Geschichtsquellen des 15. Jahrhunderts hinzugefügt haben werde, wird an einen gleichzeitigen Abschluss der verschiedenartigen Erscheinungen der Historiographie nicht zu denken sein; doch findet sich dann die einleuchtende Grenze für die mittelalterliche Geschichtsschreibung in dem Auftreten und der Tätigkeit der Humanisten, deren Werke die neue Zeit bezeichnen.
Inhaltsverzeichnis
    Vorwort
  1. Colmarer Annalen und Chronik*)
  2. Straßburg
  3. Aus den schwäbischen Klöstern
  4. Minoriten
  5. Anfänge schweizerischer Geschichtsschreibung
  6. Heinrich von Diessenhoven
  7. Bayrische Klosterannalen
  8. Regensburg und Passau
  9. Geschichte Bayerns und der bayrischen Fürsten
  10. Die fränkischen Bistümer
  11. Erzbistum und Stadt Köln
  12. Levoldus von Northof
  13. Erzbistum Trier
  14. Die Niederlande
  15. Westfalen
  16. Hessen und Thüringen
  17. Meißen und Sachsen
  18. Lateinische und deutsche Gedichte, besonders aus Thüringen und Sachsen
  19. Die braunschweigischen und niedersächsischen Gebiete
  20. Ostsee und Nordsee
  21. Preußen
  22. Alnpeke, Hermann von Wartberg und verwandte Quellen
  23. Schlesien und Polen
  24. Böhmen beim Ausgange der Prschemysliden
  25. Petrus von Zittau
  26. Karl IV. und sein literarischer Kreis
  27. Österreichische Annalistik
  28. Deutsche Dichtung in Österreich
  29. Die steirische Reimchronik
  30. Johann von Victring
  31. Österreichische Fürsten- und Landesgeschichte
  32. Aus ungarischen Geschichtsquellen
  33. Einiges aus italienischen Quellen
  34. Kaiser- und Reichsgeschichte
  35. Politische Schriften
Einleitung

Die Geschichtsschreibung des späteren Mittelalters unterscheidet sich in mehrfacher Beziehung von jener der früheren Jahrhunderte. Ohne dass man behaupten könnte der allgemeine literarische Wert derselben habe sich verringert, steht doch fest, dass die kritische Forschung von den Schriftstellern der späteren Zeit einen weit geringeren Gebrauch machen kann, als von denen der früheren Epochen. Und diese geringere Verwendbarkeit der Geschichtswerke seit der Mitte des 13. Jahrhunderts als Quellen für die Feststellung der tatsächlichen Verhältnisse liegt nicht etwa bloß in dem Umstande, dass das urkundliche Material an Umfang und Bedeutung in den späteren Jahrhunderten des Mittelalters zugenommen hat, es ist vielmehr der Charakter der Geschichtschreiber selbst, der, um es kurz zu bezeichnen, ihre Autorität schmälert. Es sind selten Männer von hervorragender weltlicher oder geistlicher Stellung, die sich selbst und unmittelbar mit der Aufzeichnung der Ereignisse ihrer Zeit befassen. In der Laienwelt herrschen unter den Geschichtschreibern der niedere Ritterstand, bald auch die bürgerlichen Kreise der emporgekommenen Städte vor, unter den Geistlichen bemächtigen sich die Bettelorden vorzugsweise der Geschichtschreibung. Es sind wenig vornehme Männer und vielleicht noch weniger vornehme Geister darunter. Sie stehen den Ereignissen nur in seltenen Fällen persönlich nahe genug, um Zeitgeschichte mit hinreichender Sicherheit schreiben zu können; größere Perioden der Vergangenheit aber zusammenzufassen, dazu fehlt es ihnen zwar nicht an Mut, doch häufig an Gelehrsamkeit.

Überhaupt hat sich die Richtung der Historiographie wesentlich geändert. Das Interesse für die historischen Ereignisse ist ein allgemeineres, verbreiteteres geworden. Zahlreiche Kreise der Laienwelt begannen eine größere Anteilnahme an den historischen Schriften zu nehmen; die Richtung ist eine popularisierende. Immer mehr dringt die Muttersprache in diese Literatur ein, und Klosterchroniken sonst nur dem lateinisch sprechenden Mönch verständlich, werden in deutscher Sprache fortgesetzt. Vers und Reim bemächtigen sich des historischen Stoffes und tun das beste, um die Kenntnis der Geschichte weiten Kreisen von Zuhörern zu eröffnen. Nicht ohne polemisches Bewusstsein wenden sich diese historischen Dichter gegen ihre Vorfahren, denen sie vorwerfen die Welt mit Fabeln überhäuft zu haben, und die Poesie der Heldengedichte wird der Prosa der Reimchroniken nachgesetzt. Aber freilich geht auch unmerklich durch das Medium dieser historischen Dichter ein Teil der nüchternen Geschichtswahrheit verloren, und der größere Zuhörerkreis gibt keine größere Gewähr für die historische Treue der Erzählung.

Damit steht noch ein anderes im Zusammenhang. Die populäre, die Masse des Volkes oder doch der Standesgenossen ins Auge fassende Richtung nimmt natürlich auch auf die Wahl des Stoffes Einfluss. Vielleicht eben deshalb weil ein größeres Publikum herangezogen wurde, musste der Inhalt der historischen Werke lokal beschränkt werden. Die Leser und Hörer, welche durch historische Schilderungen angeregt werden, und ihr Herz daran erfreuen wollten, interessierten sich fast ausschließlich für ihre Landesgeschichten und für die, wenn auch schlecht verbürgten Historien der engeren Vaterländer. Dem entsprechend sieht man nun die territoriale Auffassung der Geschichte überall vorherrschen. Auch wer seine Bücher, wie Jacob von Guise mit den Geschichten und Ereignissen aller Welt anfüllt, und eine noch immer fast rätselhafte Masse von Gelehrsamkeit zusammenträgt, zieht es doch vor das engere Vaterland als den Mittelpunkt der Welt zu schildern, und füllt die Lücken in dem Zusammenhang der Landesgeschichte mit der des alten Testaments und des römischen Weltreichs durch die buntesten Erfindungen und Fabeln aus.

...