Schwester Anne Vorhtlin von Nürnberg

Eine Schwester hieß Anne Vorhtlin von Nürnberg, die war eine getreue Dienerin Gottes und hatte eine sieche Schwester, der diente sie mit großer Geduld. Sie tat die Schwersten Ämter mit großem Fleiß und war dazu eine geminnte Dulderin; sie trug ein härenes Hemde und vergoß oft ihr Blut um die Minne unseres Herrn.

So einer Gottes Joch trägt, dem macht er es gern süß und leicht. Also geschah es an der guten Frau; als sie erst vierzehn Jahre alt war, da erschien ihr unser Herr in seiner Auferstehung am Ostertag. Diese Gabe seiner göttlichen Müdigkeit teilte er ihr mit, so dass nimmer kein Ostertag verging bis an ihren Tod, wo er ihr nicht allweg irgendwelche besonderen Gnaden tat.


Zu Aller-Engel-Nacht, da sah sie unter der Mette in einem geistlichen Gesicht: wie man die Antiphone „Factum est silencium“ sang, kam eine große Schar Engel in weißen Kleidern und standen bei der Schwesterngemeinschaft und sangen einen so süßen Sang, der über der Menschen Sinne ging.

Eines andern Tages unter der Komplet erschien ihr unser Herre, wie er war um dreißig Jahre, und zeigte ihr sein minnigliches Antlitz; davon gewann sie unaussprechliche Süßigkeit.

Danach, in einer Christnacht, nach der Mette lag sie vor einem Altar und sah das minnigliche Kind auf hartem Heu liegen, das hatte sein zartes Leiblein so zerstochen, dass es rote Wundmale hatte. Wieder einmal war sie in ihrem Gebet, da sah sie ihn abermals in seiner minniglichen Kindheit, und er hatte schon Gewändlein an und spielte vor ihr gar lieblich. Da ward ihr Herz vor Minne brennend, und sie gedachte: „Und hätt' ich dich, ich äß dich auf vor rechter Lieb.“ Da antwortete es ihren Gedanken und stellte sich gar trotzig und sprach: „Ich laß mich nicht also essen!“ Und tat ihr die inneren Sinne auf und gab ihr zu verstehen, dass er damit die Heiligkeit der Sakramente meinte.

Eines Tages war sie im Chor in ganzer Innerlichkeit; da erschien er ihr in seiner herrlichen Auferstehung. Am dritten Tag danach erschienen ihr drei Herren, die umgab ein einziges himmlisches Gewand, so dass eine Person daraus ward und zeigte ihr damit seine hochgelobte Dreifaltigkeit. Da goss er in die den Strom der göttlichen Süßigkeit; der wahrte in ihrem Herzen dreißig Tage.

Da sie war um fünfzig Jahre, wurde sie zu einer Priorin erwählt. Da zeigte sich unser Herr wieder als der, der seine Geminnten nie verließ, und sprach diese gnadenreichen Worte zu ihr: „Ich will bei dir sein in allen deinen Sorgen und will dich beschirmen vor allen deinen Feinden und will dich mit Ehren lösen.“ In der Zeit ging sie viel Unmut des Amtes wegen an. Wie sie da eines Tages in ihrem Gebet war, sprach sie zu unserm Herrn: „Ach, Herre, dass du mir so Gutes gelobt hast und dass ich nun so elendiglich leide!“ Da sprach unser Herr: „Ich hab' dich nie keine Weile verlassen, ich habe alleweg bei dir geweilt.“ Sie hob ihre Augen auf und blickte ihn an; da war er in der Schöne, wie er um dreißig Jahre war, und tat drei Schritte voran und sprach: „Du musst in meine Fußtritte kommen.“

Wieder einmal vor etlichen Jahren hatte sie an einem Ostertag wahrgenommen, wie die natürliche Sonne glänzte; da sah sie unsern Herrn in den Wolken und er hatte die Fahne in der Hand und Maria Magdalena kniete vor ihm, und die Sonne spielte um ihn.

Als sie so siech daniederlag, die sechs Tage vor ihrem Tod, las sie die schönsten Verse, die im Psalter waren. Als man da zu ihr sagte, das werde ihr weh tun, sprach sie: „Ich kann es nicht lassen, mir ist gar nicht weh.“

Eines Tages war sie in ihrem Gebet und opferte während der Stillmesse unserm Herrn ihr Leiden auf. Da erschien er ihr in eines Jünglings Gestalt und sprach zu ihr: „Geh in das Siechenhaus, so will ich zu dir kommen und alle deine Sachen wohl ausrichten.“ Als sie nun in das Siechenhaus kam, da ergriff sie eine natürliche Krankheit, die wahrte bis an den sechsten Tag. Vor ihrem Tode gab man ihr unseres Herrn Leichnam; da erschien er ihr abermals in der Auferstehung.

Ehe ihre Seele von ihrem Leib schied, hörte eine bewährte Schwester, als ob ein großes Heer aufbräche mit mancherlei süßem Saitenspiel. Da ward ihr zu verstehen gegeben, es wäre Achacius mit seinem Heer und der wollte bei ihrem Ende sein. Diese Schwester konnte sich nicht enthalten, sie reckte ihre Hände auf und sprach: „Ach, Herre, was Freuden in deinem Hause sind!“ Dann verschied jene mit einem heiligen Ende.

Ein Bruder hieß Gotfrit. Dem ward kundgetan, es sollte seiner Enkel einer zu unserer Gemeinschaft kommen: „Derselbe Mensch wird dessen würdig sein, dass er der Märtyrer Lohn empfangen soll.“ Diese Dinge tat er dem Konvent vor seinem Tode kund. Es geschah dann also, dass der Konvent einen seiner Enkel aufnahm, ziemlich viele Jahre nach seinem Tod; dieser Enkel hieß Bruder Rüdiger und war ein mit allen Tugenden wohl gezierter Mensch, und alle, die seinen Wandel sahen, wurden dadurch gebessert; und sonderlich gab man ihm das Zeugnis, dass er ein reiner Krieger war. Als er das achte Jahr bei uns gewohnt hatte, begann ein übeltätiger Mann mit dem Kloster um ein Erbe zu kriegen. Der sprach zu ihm, dass er die Priorin heißen sollte, ihm das Gut zu geben: „tut sie das nicht, so gehst du fürbaß ohne Schutz zu mir.“ Da sagte er es der Priorin; da gebot sie ihm bei geziemendem Gehorsam, dass er tue, was er zu schaffen habe und es mit seinem Willen nicht zuließe. In diesen Gehorsam ergab er sich williglich, und kürzlich danach schlug jener ihn zu Tod, da er an einem Sonntag zur Messe gehen wollte. Das Grab, darin er lag, das hat seitdem wie ein Spezereiladen geduftet. Dies Zeugnis gibt mancher Mensch, weltlich und geistlich.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsches Nonnenleben