Fortsetzung 1
Die Nazarener lassen sich in zwei Gruppen betrachten. Von jeder Gruppe gehen besondere Entwicklungen der deutschen Gedankenmalerei im neunzehnten Jahrhundert aus. In der ersten stehen im wesentlichen die ruhigen und kühlen Naturen, die unproblematischen, langlebigen Künstler, in denen die Kunstliebe mit ruhiger Glut fortbrennt. Sie sind vor allem die Vertreter des Konventionellen in dieser Gedankenkunst. In der zweiten Gruppe findet man dagegen mehr die leidenschaftlich-problematischen Lebensdenker, die faustisch Ruhelosen, die sich romantisch zu tieferer Mystik sehnen, und auch die Pathologischen, die mit frühem Tod die innere Erregung bezahlen mussten. Wo in der ersten Gruppe das künstlerisch Wertvolle erzielt wurde, da geschah es kraft einer ruhigen Innigkeit des Gefühls, kraft einer gemütsheiteren nazarenischen Selbstbeschaulichkeit; innerhalb der zweiten Gruppe war die Kunstidee aber mehr modern gerichtet und mehr unkonventionell. Von entschiedenen Nazarenergedanken ausgehend, drangen hier die Künstler in der Folge zu einer selbständigeren Naturanschauung, zu einem philosophisch befreiten Gottgefühl vor und riefen eine Nachfolge ins Leben, die der Zeit pionierend voranzugehen strebte.
Innerhalb der ersten Gruppe erklingen die am meisten genannten Namen der nazarenischen Brüderschaften. Da ist vor allem Johann Friedrich Overbeck, der ernste Niederdeutsche, der in der Wiener Fügerschule die Malerei erlernen wollte und dessen neuartige, fromm-romantische Eklektizistenneigungen, mit dem Grundton des Volks- und Heimatskünstlerischen, in dem Milieu barocker Handwerksmäßigkeit so revolutionär wirkten, dass er von der Akademie verwiesen wurde, der dann in Rom Genossen wie Veit, Führich, Wilhelm Schadow und Cornelius zu sich hinzog, mit ihnen die bekannte Klosterbrüderschaft von San Isidoro bildete und mit ihrer Hilfe dem Nazarenertum in der Casa Bartholdy sodann das wichtigste Denkmal schuf; der ganz unter der Diktatur seiner Ideen stehend, zum Katholizismus übertrat und in seinem Bekenntnisbild ,,Triumph der Religion in den Künsten" ein Werk schuf, dessen malerischer Dogmatismus nicht nur ihn, sondern die ganze Schule charakterisiert; der sich an Raffael erzog und dessen formalistisch glatte Bilder in Reproduktionen noch heute um ihrer reinlich dekorativen Indifferenz willen in katholischen Häusern heimisch sind; dessen Arbeiten in der Casa Bartholdy dann aber auch wieder eine gewisse unterdrückte Originalität haben, eine Stilkraft, der in einer anderen Kunstzone vielleicht überraschende Früchte gereift wären. Neben dieser im Innern kühlen Natur steht Wilhelm Schadow, ein, trotz vielen vom prachtvollen Vater äußerlich übernommenen Wesenszügen, künstlerisch fast physiognomieloser Konvertit und Prinzipienmensch, ein diplomatisch kluger Akademiebeherrscher, ein um seines mehr räsonierenden als produktiven Kunstgefühls, um seines Opportunismus willen vielgesuchter Lehrer in Berhn und Düsseldorf, und darum der einflussreiche Verbreiter der nazarenischen Gedankenmalerei über ganz Deutschland und der Vater der sentimentalen Düsseldorfer Romantik. Es treten sodann die beiden Brüder Schnorr von Carolsfeld hinzu, die, ebenso wie der empfindungsreiche Pforr, wie Führich, Steinle und Overbeck von Wien ausgingen. Der bedeutendere der Brüder, Julius, hat früh schon durch die Bearbeitung deutscher Sagenmotive und historischer Stoffe die spätere Entwickelung des Nazarenertums zur Geschichtsmalerei angekündigt. Und es wird der Geist des Nazarenertums durch das Künstlerleben dieser beiden Brüder auch insofern gut charakterisiert, als Julius im Gegensatz zu seinem Bruder Ludwig Protestant blieb und sogar einen protestantisch betonten ,,Luther in Worms" malte, ohne doch weniger ein Nazarener zu sein als irgendeiner seiner römischen Genossen, mit denen zusammen er die Villa Massini ausgemalt hatte. Sodann ist Philipp Veit zu nennen, der Enkel Moses Mendelssohns und der Stiefsohn Friedrich Schlegels, der von der jüdischen zur katholischen Kirche feierlich übertrat, ebenfalls an den Programmfresken der Casa Bartholdy malte und sich in der Folge durch gesinnungstüchtige Bekenntnisbilder hervorzutun wusste. Es erscheint in dieser Gruppe der eine sündenfreie Lebensharmonie anstrebende, alles Unlautere gelassen abwehrende Joseph von Führich, seiner natürlichen Malerbegabung nach vielleicht der Talentvollste von allen, ein Dürerzögling, der in den Jahren seines Werdens der Wiener Akademie als schädlicher Revolutionär galt und der später, in seiner Eigenschaft als Professor dieser selben Akademie und als Beherrscher der österreichischen Kunst seinerseits durchaus reaktionär erschien gegenüber den Wirklichkeitsbestrebungen Waldmüllers. Der Name des geistvollen und empfindungsreichen Frankfurters Olivier, dessen Liebe vor allem der Landschaft galt, ist zu nennen, und es ist auf Erwin Speckters zartes Raffaelitentum zu verweisen; es ist an Eduard von Steinle zu erinnern, der die Religionsmalerei nach der Seite des Märchens und der Geschichte mit reinlicher Ideologie erweiterte; und es gehören zu dieser Gruppe dann auch die den Deutschen zu teuren Gestalten gewordenen Meister Moritz von Schwind und Ludwig Richter. Diese beiden haben sich dem lebendigen Leben der Nation am meisten von allen ihren Genossen genähert, weil sie sich im wesentlichen darauf beschränkten, Illustratoren und Zeichner zu sein, weil sie dem Ehrgeiz zur Freskomalerei nicht ihr Bestes opferten und das zur Wirkung zu bringen wussten, was in den Bildern aller Nazarener heute noch am stärksten wirkt: das fromm Kindliche. Selbstbeschränkung hat diese beiden über die großen Ansprüche ihrer Genossen erhoben und hat ihre Gedankenkünste mit unmittelbaren Anschauungswerten bereichert. Als Gestalter des Märchens, der Sage, der Idylle und als Erzähler mit dem Zeichenstift stehen sie unsterblich da in der deutschen Kunst — freilich nur in dieser — , weil sie dem Mythos märchenselig das Kindliche abgewonnen haben, weil sie allein es verstanden, in die trockenen Begriffskünste der Nazarener den Humor zu bringen, als etwas Unmittelbares und Gegenwärtiges. Ihre herzliche Fröhlichkeit unterscheidet sich so wohltätig von dem künstlich getragenen Ernst ihrer Genossen in Rom, dass sie scheinbar gar nicht zu ihnen gehören. Sie gehören aber doch dazu. Die Grenze der Gedankenkunst haben beide nicht überschritten, Sie haben sich der Grenze lebendiger Anschauung oft genähert; aber ihre Kunst ist auf keinem Punkte ganz vom Stoff zu trennen. Von selten des Stoffes sind sie lebendigere Geister, empfindungsvollere Herzen; aber auch sie bleiben von selten der Form fast immer mehr oder weniger abhängig vom Eklektizismus der Zeit, beziehe sich dieser nun auf Raffael oder Dürer, auf Michelangelo oder Holbein.
Der einflussreichste dieser ganzen Gruppe, ein Künstler, der alle Konventionalismen der Nazarener in einer gewissen großartigen Weise zusammengefasst hat, ist Peter von Cornelius, der ,,Begründer des neuen deutschen Monumentalstils". Er steht beispielhaft da für einen groß wollenden Irrtum der ganzen neueren deutschen Kunst. In das allzu gleichmäßige und schläfrige Nazarenertum brachte er das Temperament. Ein literarisch erregtes Temperament; dessen Werkzeug die Idee war und dessen Freskowille niemals über den Karton eigentlich hinauskam. Cornelius hat dem Nazarenertum ein Kampfelement hinzugefügt und ihm dadurch das Innige und Kindliche genommen; er hat das Prinzip der Ideenmalerei mit cholerischer Kühnheit in den Streit der Meinungen hinausgestellt und einen glänzenden äußeren Sieg errungen, der heute noch nachwirkt. Der raffaelitischen Schönheitssäuselei hat er theatralisch lebendigere Gebärden gesellt, und was sich bei seinen Genossen lyrisch hieratisch gab, hat er in gewisser Weise dramatisiert. Eine außerordentliche Persönlichkeit, ein starkes Temperament! Ein Rattenfänger, der viele Schüler und Gläubige um sich zu sammeln wusste, und ein Resümist, der das Streben vieler mit monumentalischer Didaktik zusammenfasste. Ein Begeisterter, so ganz ohne Sinnlichkeit, dass seine Kunst geschlechtslos anmutet; ein Genie innerhalb des ewig grauen Intellektualismus, ein Formalist, dem das Auge nur ein Organ des kritischen Vergleichens war, ein Raffaelit, den Raffael nicht eine Stunde in seiner heiter sinnlichen Gegenwart geduldet hätte, und einer jener Überzeugunsgtyrannen, wie die weltblinde Kulturtendenz sie schafft. In Cornelius erreichte die abstrakte Idee des Nazarenertums eine höchste Möglichkeit. Darum steht sein Werk auch programmatisch heute noch da. In seiner Kunst gipfelt die ganze deutsche Gedankenmalerei.
Von Cornelius und von seiner Gruppe aus hat sich die Ideenkunst in den nächsten Jahrzehnten logisch dann fortentwickelt. In dieser gesinnungsstrengen Legenden- und Bekenntnismalerei wurzelt die deutsche Geschichtsmalerei. Es ist falsch, Nazarenertum und Historienmalerei in der Kunstgeschichte als zweierlei zu behandeln und vor den Werken der Geschichtsmaler von einem Sieg des Realismus zu sprechen. Denn der Geist blieb mit sich selbst in Übereinstimmung, wenn die Stoffe sich auch änderten. Als die Ziele nationaler Einigung vor dem reaktionär gefesselten Deutschland immer deutlicher aufzutauchen begannen, änderte sich naturgemäß auch die Meinung über den nationalen Mythos: an Stelle des religiösen trat der historische Stoffbegriff. Episoden aus der Geschichte zu malen und sich dabei der großen dramatischen Poesie zu bedienen, das erschien den Menschen um 1848 ebenso unzweifelhaft als der rechte Idealismus, wie es den Menschen um 1820 bedeutend erschien, religiöse Stoffe darzustellen. Der Trieb zum Katholizismus, zum Puritanismus ging vorüber, und es trat an seine Stelle die Lust an der nationalen Geschichte, als ein anderer Versuch, die Legende neu zu beleben und der Malerei ideale Stoffquellen zu erschließen. Waren die Ideen der Malerei während einiger Jahrzehnte reaktionär gewesen, so wurden sie nun liberal. Dass dieser Stoffwandel auch auf die äußeren Formen der Malerei wirken musste, war eine notwendige Folge. Mit der verblasenen, illuminierten Kartonmanier der Nazarener konnte der Maler von Geschichtsvorgängen, die dem Betrachter realistisch nahegebracht werden sollten, natürlich nichts beginnen, er brauchte eine Darstellungsweise, die den Schein greifbarer Wirklichkeit gab. Dem Wesen nach aber war nichts geändert. Die Geschichtsmalerei ist ebenso eine Art der Gedankenkunst, wie die Religionsmalerei es ist, weil auch jetzt noch der Stoff, die Idee, die das eigentlich Künstlerische bestimmende Hauptsache war. Darum geriet auch diese ,,moderne" Darstellungsweise ins Akademische. Die Natur wurde ebenso wie früher nicht um ihrer Schönheit, ihrer Fülle und ihres Duftes willen gemalt, sondern sie diente auch jetzt wieder. Diente, um gedachte und allegorisch gemeinte Vorgänge wahrscheinlich erscheinen zu lassen.
Kaulbachs Wandbilder sind nicht weniger Produkte deutscher Gedankenmalerei, als die Kartons von Cornelius es sind. Kaulbachs Farbe und Malerei ändern daran nichts. Delacroix gab zur selben Zeit wahrhafte Malerei, trotz seiner Geschichtsromantik; Kaulbach gab Geschichtsromantik an sich und ihrer selbst wegen. Jenem geriet die bedeutende, die bleibende Kunstform, die in sich selber ihr Daseinsrecht trägt und ein Produkt der Anschauungskraft ist; diesem gelang formal nur das akademisch Zulängliche, weil alles Angeschaute ihm nur Mittel war. Es ist ein verkapptes Nazarenertum in den Historien Kaulbachs sowohl wie in denen Lessings, Bendemanns und aller der anderen. Dass Lessing antikatholische Husbilder malte, spricht nicht im geringsten dagegen; das Protestantische ist in diesem Falle so zufällig, wie es vorher das Katholische war. Entscheidend ist, dass wieder eine sterbliche Stoffidee an erster Stelle steht. Wie diese beschaffen ist, interessierte eigentlich nur die Zeitgenossen; diese freilich bis zum Fanatismus. Selbst die sinnlich flackernde Kunst Makarts muss man darum, so paradox es manchem scheinen mag, als ein spätes, dekorativ und erotisch gewordenes Nazarenertum bezeichnen. Denn auch hier noch herrscht der Stoffgedanke, trotzdem der orientalisch üppige Wiener ihn in ein kostbar funkelndes Prachtgewand aus den Werkstätten Veroneses zu kleiden wusste. Vergleicht man Makart mit Cornelius, so hat sich die Zeitgesinnung allerdings entscheidend geändert; nicht geändert aber hat sich die Grundanschauung von dem, was künstlerisch sei. Es sind immer noch Bekenntnisbilder. Dass nun der Lebensgenuss bekannt wird wie früher die Askese, dass dort das Edle vorherrscht und hier das Gemeine, ändert im höchsten künstlerischen Sinn nichts. Auf dem Wege, den Mythos in der Geschichte zu finden, war Makarts starkes dekoratives Talent nun, mit Hilfe der von Belgien importierten Mallehren, dahin gekommen, die Geschichte zu theatralisieren. Szenisch war die Stoffidee ja schon bei Cornelius und Kaulbach; war sie bei diesen aber sozusagen noch Passionsspiel gewesen, so wurde sie auf der Bühne der Makartschen Malerei zum weltlichen Ausstattungsstück. Den Glanz des Farbenlacks darf man nicht für ein lebendig malerisches Anschauungsergebnis halten, nicht für dasselbe, was Farbe und Malerei bei Tintoretto und Veronese sind. Makarts Malerei ist ganz und gar dekorativ, das heißt: kunstgewerblich äußerlich. Dass das Kunstgewerbliche in einer bewunderungswürdigen Weise Selbstzweck geworden ist, erhöht den inneren Wert dieser Malerei nicht. Es ist immer noch Eklektizismus, Form und Kunst aus zweiter und dritter Hand. Und die Sinnlichkeit, die brünstige Modellerotik widerspricht auch nicht dem Wesen der Gedankenmalerei. Askese und Perversion haben von jeher nahe beieinander gelegen. Und ob eine Malerei die Sinnenabtötung gedanklich verherrlicht oder den Sinnengenuss, das macht vom Standpunkt guter Malerei aus nicht viel Unterschied. Ja, es ist auch nichts grundsätzlich anderes gewesen, wenn sich später noch ein Maler wie Gabriel Max von der sinnlichen Geschichts- und Literaturmalerei der Makart und Piloty wieder abwandte, um sich von neuem, nun mit okkultistischen Tendenzen, der Religionsmalerei zuzuwenden. Denn wieder herrscht nur der Gedanke. Er heißt jetzt sentimentalisierter Spiritismus, es hat sich die Idee wissenschaftlich modernisiert. Auch in diesem Falle ist wie in der ganzen Gedankenmalerei die Form im tieferen Sinne tot, ist akademisch konventionell, eklektizistisch gewonnen oder auch naturalistisch subaltern. Hier berühren sich formalistischer Eklektizimus und photographischer Naturalismus, die sich gar nicht so fernstehen, wie es scheinen mag, weil beide aus einer Wurzel, aus der Urkraft lebendig anzuschauen, hervorwachsen. Und auch in einer Malergestalt, wie der des Düsseldorfers Eduard von Gebhardt, setzt sich das Nazarenertum modern naturalistisch fort. Fruchtbarer aber ist es durch die Metamorphose des Naturalismus nicht geworden. Gebhardt ist ein Künstler, ehrwürdig durch seinen Mannesernst und durch die Lauterkeit seines Wesens. Aber nicht elementarische Anschauungskraft und Eindrucksfülle ist in seiner Malerei, sondern akademisch gefestigter und puritanisch gefärbter Begriffseifer. Sogar der Bedingtheit Uhdes gegenüber wirkt Gebhardt noch trocken, dürr und ganz unmusikalisch. Das von ihm dargestellte Leben hat keine Höhen, weil es nicht Tiefen kennt ; die ganze Natur steht im Atelier Modell und wirkt darum in allen Teilen modellern, Gebhardt ist eine zu bürgerlich ordentliche Natur, um ein großer Maler des Religiösen sein zu können. Wer Christus und seine auch heute noch lebende Urgemeinde malen will, muss die Himmel und Höllen des Lebens in sich tragen, wie Rembrandt es tat; er darf nicht ein Gerechter zu sein streben, sondern muss ein menschlich Allzumenschlicher sein. Gebhardt aber ist ein protestantischer Eiferer. Er wirkt fast wie ein Heilsarmee-General. Es ist begrifflich Fanatisiertes in ihm ; und darum keine Fülle, kein höherer Schwung. Seine Romantik ist Pastorenromantik. Ihm fehlt der Blick fürs Ganze; jedes Ding ist einzeln gesehen und studiert, jedes Bild ist ein Begriffsmosaik, ist Genre im schlechten Sinne. Gebhardt malt im Geiste der alten Historienmalerei ,,Charakterköpfe" und ,,studiert" leidenschaftliche Gesichtsausdrücke. Seine Kunst mutet an wie ein verspätetes Produkt der aufgewärmten deutschen Renaissance, wie sie nach 1870 verstanden wurde; sie geht in Gretchentracht einher und malt die edle deutsche Hausfrau. Eigentümlich ist ihr kaum etwas anderes, als ein hysterischer bäuerlicher Zug. Aber doch ist sie dann unselbständig in einer gewissen selbständigen Weise; sie ist es ohne jeden Betrug, ohne Mätzchen und Retuschen. Sie ist ehrlich in all ihrer trockenen Hagerkeit. Hinter ihr steht eine exemplarische Professorennatur, vor der man eine unbedingte menschliche Wertschätzung empfindet. Aber es ist Gedankenkunst durch und durch, und insofern unterscheidet sie sich nicht wesentlich von dem, was um 1820 im Kloster San Isidoro in Rom gemalt wurde.
Merkmale künstlerischer Hysterie sind in der schon erwähnten zweiten Gruppe deutscher Gedankenmaler anzutreffen; es sind Begleiterscheinungen jeder fanatisch betriebenen Ideenkunst. Zugleich aber tritt uns aus dieser Gruppe Geniales und Ursprüngliches entgegen. Lässt sich das Malergeschlecht der Overbeck, Veit, Cornelius und Genossen am anschaulichsten durch die Gestalt eines asketisch hageren, würdigen alten Mannes darstellen, so tritt einem dieses zweite Künstlergeschlecht in der Gestalt eines schönen, blassen Jünglings mit sehnsüchtig blickenden Augen entgegen. Wie es denn auch nicht Zufall ist, dass man in dieser Gruppe fast alle die jung Gestorbenen, die problematisch Ringenden antrifft. War das Künstlerleben jener anderen ein Zurückweichen vor der Zeit, so wurde diesen ihr Nazarenertum zu einem Mittel, moderne Weltanschauung zu erringen. Um Weltanschauung ging es hier ebenso wie dort. Aber auf der einen Seite war es eine rückgewandte Weltanschauung und auf der andern Seite eine vorwärtsdringende. Darum wurde bei den Lebendigeren zur erlebten Mystik, was bei den Konventionellen dogmatisch erstarrte; und darum wurde dort auch viel energischer um die eigentlich malerischen Probleme gerungen. Denn etwas wahrhaft Lebendiges lässt sich immer auch nur durch etwas Lebendiges ausdrücken. Das Weltanschauungsproblem, um das diese Künstler sich bemühten, mit wenigen Worten deutlich darzustellen, ist nun allerdings fast unmöglich. Es bestand, kurz gesagt, darin, dass auch diese Künstler das von der Aufklärung schwer bedrohte religiöse Bewusstsein nicht aus der Hand geben mochten, dass sie aber als lebendig Empfindende zugleich vor der Aufgabe standen, das Christliche, im Einklang mit der Denkart der Zeit, zu vertiefen. Dieses konnte im neunzehnten Jahrhundert nur so geschehen, dass dem christlichen Weltgefühl mehr und mehr eine pantheistische, eine naturphilosophische Bedeutung gegeben wurde. Der religiöse Pantheismus der Zeit wurde in die katholisch gefärbten Empfindungen unmerklich hineingetragen, und es entstand daraus in der Folge dann eine Art von Naturreligion, die für die Weltanschauungsbemühungen des neunzehnten Jahrhunderts aufs höchste charakteristisch ist.
Nicht zufällig hat sich dieser vage Weltbegriff vor allem der Landschaftsmalerei bemächtigt. Denn im Landschaftsgefühl musste er zumeist Nahrung finden. Was auf jener andern Seite zur Geschichtsromantik sich entwickelte, das wurde hier zur Naturromantik. Diese aber ist der Entwickelung des rein Malerischen von vornherein günstiger. Suchte man drüben den großen mythischen Stoff in der Religion oder in der Geschichte, so suchte man hier unmittelbar in der Natur das Mythische. Und das setzte dem Eklektizismus gewisse Grenzen.
Lehrreich ist in diesem Bezug die Entwickelung des Landschaftsgefühls, wie sie durch die Namen Koch, Preller, Rottmann, Schirmer und Böcklin bezeichnet wird. Charakteristisch ist es schon, dass der Tiroler Josef Anton Koch, der in Italien viele Schüler und Bewunderer um sich versammelte, nicht wie Overbeck und dessen Genossen von Raffael und den Präraffaeliten herkam, sondern von Dürer und Breughel, von Poussin, Claude Lorrain und Carstens. Das will sagen: er stand nicht so ausschließlich unter der Herrschaft einer Kulturidee und mehr unter dem Einfluss lebendiger Kunstanschauung; denn Poussin und Breughel sind nicht so sehr wie Raffael allgemeine Kulturbegriffe, sondern einzelne vorbildliche Maler. Da Koch die bedeutende, die mythisch belebte Landschaft malte, so gelangte er folgerichtig zur Darstellung einer heroischen Natur, die würdig ist, dass sich große Begebenheiten darin abspielen. Er schuf die deutsche Begriffslandschaft. Aber während er es tat, musste er die italienischen Gefilde und die Tiroler Berge doch wenigstens aufmerksam anschauen, er konnte das Heroische nicht willkürlich in die Natur hineinlügen, sondern musste es aus ihr herausholen. Um so mehr, als der Landschafter in der Kunstgeschichte bei weitem nicht die Hilfe fand, wie der Heiligenmaler. Dieses hat seine Landschaftskunst bis zu gewissen Graden naturalisiert, trotzdem der Nazarener sie mit begrifflich gemeinten Staffagen bevölkerte und trotzdem er mit kartonmäßiger Härte immer nur die Knochen und Konstruktionsformen der Natur darstellte. Der nach außen raue, im Innern aber sehr weiche Tiroler erhebt sich darum in einigen seiner Schweizer und Sabiner Berglandschaften zu einem ausdrucksvollen Pathos; es fließen in seinen Berglinien hier und da Melodien, die über das langweilige Respondieren der Legendenmaler hell hinausklingen, und es beginnt in den besten seiner Werke der Raum geheimnisvoll zu leben. Mit kindlicher Begrifflichkeit sind dann zwar alttestamentarische oder ossianhafte Staffagen in die Landschaften gemalt; aber es könnten durch viele dieser steinigen Gefilde auch schon Böcklinische Zentauren traben. Das will sagen, dass das gewollt Heroische dieser Landschaftsschilderung mit natürlicher Naturmystik vertieft worden ist, dass in dem entschiedenen Archaismus moderne Gesinnung anklingt. Das ist übrigens ähnlich so in den Landschaftsschilderungen anderer, von Koch beeinflusster Nazarener. Auch die Landschaften Führichs und Pforrs, um nur zwei der Talentvollsten zu nennen, sind von einem ernsten musikalischen Gefühl erfüllt, das dem heutigen Betrachter noch lebensvoll entgegenklingt. Und wenn Olivier, Kaspar David Friedrich und andere in der Folge wertvolle Anschauungselemente in ihre nazarenische Landschaftskunst hineingetragen haben, so verdanken auch sie es bis zu gewissen Graden der an den Namen Kochs geknüpften Landschaftsgesinnung. Nicht als ob Koch weniger Gedankenmaler gewesen wäre als Overbeck etwa. Aber da seine Kunst ihn zwang, die abstrakten Begriffe im unmittelbaren Verkehr mit der Natur, zu gewissen Teilen wenigstens, in Anschauungen zu verwandeln, so gerieten ihm diese Anschauungen in demselben Maße originell, wie sein christlich-schwärmendes Lebensgefühl es war. Eine originelle Persönlichkeit aber war der knorrige sentimentalische Tiroler zweifellos. Darum hat Koch auf die deutsche Landschaftskunst entschieden eingewirkt. Von ihm kommt zum Beispiel Preller in derselben Weise etwa her, wie die Romantiker der Historienmalerei von den Heiligenmalern herkommen. Preller, ein Schüler Kochs und der Antwerpener Akademie zugleich, wusste mit Hilfe der virtuosen malerischen Lehren Belgiens des Nazareners knochige Härten zu mildern, wusste das starr Heroische mit dem Duft — um nicht zu sagen: Parfüm — einer gefällig sinnlicheren Romantik zu umgeben und das Puritanische theatralisch zu versinnlichen. Man darf nicht eigentlich sagen, dass er die konstruktive Landschaft Kochs malerisch gemacht hat, denn es lebt in Kochs Trockenheit oft mehr malerischer Instinkt, als in Prellers gefälliger Weichheit; aber dem Kartonmäßigen Kochs hat er doch allgemeinverständliche dekorative Werte hinzugefügt. Das hat ihn und seine mit Hilfe von Studienreisen nach Italien, Griechenland, Rügen und Norwegen geschaffene homerische Landschaftskunst populär gemacht. Es liegt aller Begriffskunst ja das Dekorative nahe, weil dieses ein Schönes ist, das nicht unmittelbar lebendig angeschaut zu werden braucht, sondern das in halb kunstgewerblicher Weise im Atelier der ,,Idee" hinzugefügt werden kann. Den deutlichsten Beweis für diese Zusammengehörigkeit bietet die englische Präraffaelitenkunst, aus deren Begrifflichkeiten sich ein umfassendes modernes Kunstgewerbe entwickeln konnte. In ähnlicher Weise, wie Cornelius in Kaulbach und fernerhin in Piloty und Makart malerisch wurde, ist die nazarenische Landschaftskunst Kochs bei Preller, Lessing, Rottmann, Schirmer usw. dekorativ geworden. Bei jedem in einer persönlichen Weise, aber immer doch, ohne aus dem Kreis der Gedankenmalerei herauszutreten. Auch die nazarenische Weltanschauung wurde sozusagen bei diesen Nachfolgern dekorativ. Man spürt es schon in Lessingschen, Schirmerschen und Rottmannschen Bildertiteln, wie zum Beispiel ,,Die tausendjährige Eiche", ,,Kreuzritter unter Eichen", „Das Schlachtfeld von Marathon" usw. Auf der Suche nach dem Mythos, nach nationalen oder allgemein menschlichen Heroenstoffen geraten die Landschaftsmaler in die deutschen Eichenwälder, in das Landschaftsmilieu der homerischen Welt und zu einer Art von Schicksalstragödie, ausgedrückt in der Landschaft durch Staffage, Gewitter, Brand, Sturm und alle möglichen Elementarereignisse. Man geriet aufs Theater; es entstand eine dramatisch-sentimentale Landschaftsmalerei. Die Naturtheatralik hob Arnold Böcklin dann auf seine festen Schweizerschultern und trug sie moderneren Gedanken noch entgegen. In diesem Bezug weist der Tiroler Koch entschieden zu dem Schweizer hinüber, der sechzig Jahre später geboren wurde, der fromme Katholik reicht dem Naturphilosophen und Pantheisten die Hand, und neben dem christlich determinierten Begriffsklassizismus Kochs steht der malerisch bereicherte Begriffsimpressionismus Böcklins.
Ein dieser Entwicklung parallel laufender Gedankengang des neunzehnten Jahrhunderts wird deutlich, wenn man an eine Namenfolge etwa wie Carstens, Genelli, Marées, Klinger denkt. Wenn jene Landschafter ihre Begriffsmystik in die dargestellte Natur hineinzugeheimnissen wussten, so haben es diese Bildner des menschlichen Körpers verstanden, dieselbe naturphilosophische Mystik in die Erscheinung des Aktes zu legen. Dass sie es mehr als Klassizisten taten, stellt sie nicht außerhalb der Entwickelungsreihe. Da diese Künstler mit einem mehr plastisch denkenden Talente gesegnet waren, im Gegensatz zu den Corneliusnaturen, da sie also von vornherein auch mehr als jene anschauungsbedürftig waren, so verzichteten sie von vornherein auf die Darstellung von Hergängen, von Handlungen und biblisch-historischen Situationen. Sie beschränkten sich auf die Darstellung von Körpern und machten sich damit zur Hälfte wenigstens frei von der ,,Idee". Da aber auch sie voll waren von dem Gedankentrieb nach heroischer Gestaltung und mythenschwerer Bedeutung, so wurde auch hier wieder das Modell zum Spiegel ihres Wollens, und es erscheinen die zwecklos im Raum wandelnden oder ruhenden Körper von einer gewissen ursprünglichen Liniengewalt umflossen. Der Begriff regiert auch hier noch, darum ist alles Zeichnung und Kartonstil. Aber es brauchten nur, wie bei Marées — oder auch wie bei Feuerbach — , unmittelbare malerische Anschauungskräfte hinzuzukommen, und gleich stieg die Gedankenkunst auch zu einem höheren Monumentalstil empor. Es blickt über das im ganzen recht temperamentlose Nazarenertum der römischen Bruderschaft Asmus Jakob Carstens wie ein gefangener Löwe fast herüber. Dieser Schleswiger mit dem grüblerischen Hebbeltemperament, dieser sich faustisch mühende Autodidakt hatte selbst etwas von dem Heroentum in sich, das er darzustellen strebte. Auch bei ihm wurde alles zur Idee; aber in diesem Falle war es mehr die Zeit, das schwere persönliche Schicksal, was den Künstler zu Ideenkonstruktionen trieb. In Carstens hat sich freilich das Nazarenertum mit allen seinen Schwächen schon angekündigt; doch daneben lebte in diesem Mann noch ein echter, antikisch großer Sinn für Stil. In ihm war Leidenschaft; darum erscheint der Eklektizismus bei ihm mehr wie ein Mittel, nicht wie Selbstzweck. Er dachte groß, weil er infolge innerer und äußerer Hemmungen nicht groß handeln konnte. Darum blieb er immer nur ein Künstler der Konzeption; darum blieb er selbst bei den nächsten Nachfolgern unverstanden, bis Genelli das Erbe zum Teil wenigstens aufnahm. Wieder nur ein Umrisszeichner; aber auch einer, der sich über die Begriffsmaler seiner Zeit emporreckt, weil er seine auf Größe gerichteten Gedanken unmittelbar in den nackten Körper hineinlegte und diesen so zum Gefäß eines großen Willens machte. Wobei es dann nicht ausbleiben konnte, dass sich der Geist den Körper bildete, wie er ihn brauchte. Dass der hier obwaltende Zwang zu lebendigerer Anschauung auch eine gewisse Naturalisation der Stoffe dann zur Folge haben musste, beweisen schon die Titel einiger Zyklen von Zeichnungen: ,,Aus dem Leben eines Wüstlings", „Aus dem Leben eines Künstlers". Hier berührt sich der Carstenssche, der Klingersche Geist — der in Deutschland unsterblich ist — von ferne mit dem an holländischer Kunst gereiften Hogarthschen Geist und sogar mit der künstlerisch gekonnten Gedankenkunst Goyas. Wie sich denn immer und überall alle Gedankenkunst von irgendeiner Seite berührt.
Innerhalb der ersten Gruppe erklingen die am meisten genannten Namen der nazarenischen Brüderschaften. Da ist vor allem Johann Friedrich Overbeck, der ernste Niederdeutsche, der in der Wiener Fügerschule die Malerei erlernen wollte und dessen neuartige, fromm-romantische Eklektizistenneigungen, mit dem Grundton des Volks- und Heimatskünstlerischen, in dem Milieu barocker Handwerksmäßigkeit so revolutionär wirkten, dass er von der Akademie verwiesen wurde, der dann in Rom Genossen wie Veit, Führich, Wilhelm Schadow und Cornelius zu sich hinzog, mit ihnen die bekannte Klosterbrüderschaft von San Isidoro bildete und mit ihrer Hilfe dem Nazarenertum in der Casa Bartholdy sodann das wichtigste Denkmal schuf; der ganz unter der Diktatur seiner Ideen stehend, zum Katholizismus übertrat und in seinem Bekenntnisbild ,,Triumph der Religion in den Künsten" ein Werk schuf, dessen malerischer Dogmatismus nicht nur ihn, sondern die ganze Schule charakterisiert; der sich an Raffael erzog und dessen formalistisch glatte Bilder in Reproduktionen noch heute um ihrer reinlich dekorativen Indifferenz willen in katholischen Häusern heimisch sind; dessen Arbeiten in der Casa Bartholdy dann aber auch wieder eine gewisse unterdrückte Originalität haben, eine Stilkraft, der in einer anderen Kunstzone vielleicht überraschende Früchte gereift wären. Neben dieser im Innern kühlen Natur steht Wilhelm Schadow, ein, trotz vielen vom prachtvollen Vater äußerlich übernommenen Wesenszügen, künstlerisch fast physiognomieloser Konvertit und Prinzipienmensch, ein diplomatisch kluger Akademiebeherrscher, ein um seines mehr räsonierenden als produktiven Kunstgefühls, um seines Opportunismus willen vielgesuchter Lehrer in Berhn und Düsseldorf, und darum der einflussreiche Verbreiter der nazarenischen Gedankenmalerei über ganz Deutschland und der Vater der sentimentalen Düsseldorfer Romantik. Es treten sodann die beiden Brüder Schnorr von Carolsfeld hinzu, die, ebenso wie der empfindungsreiche Pforr, wie Führich, Steinle und Overbeck von Wien ausgingen. Der bedeutendere der Brüder, Julius, hat früh schon durch die Bearbeitung deutscher Sagenmotive und historischer Stoffe die spätere Entwickelung des Nazarenertums zur Geschichtsmalerei angekündigt. Und es wird der Geist des Nazarenertums durch das Künstlerleben dieser beiden Brüder auch insofern gut charakterisiert, als Julius im Gegensatz zu seinem Bruder Ludwig Protestant blieb und sogar einen protestantisch betonten ,,Luther in Worms" malte, ohne doch weniger ein Nazarener zu sein als irgendeiner seiner römischen Genossen, mit denen zusammen er die Villa Massini ausgemalt hatte. Sodann ist Philipp Veit zu nennen, der Enkel Moses Mendelssohns und der Stiefsohn Friedrich Schlegels, der von der jüdischen zur katholischen Kirche feierlich übertrat, ebenfalls an den Programmfresken der Casa Bartholdy malte und sich in der Folge durch gesinnungstüchtige Bekenntnisbilder hervorzutun wusste. Es erscheint in dieser Gruppe der eine sündenfreie Lebensharmonie anstrebende, alles Unlautere gelassen abwehrende Joseph von Führich, seiner natürlichen Malerbegabung nach vielleicht der Talentvollste von allen, ein Dürerzögling, der in den Jahren seines Werdens der Wiener Akademie als schädlicher Revolutionär galt und der später, in seiner Eigenschaft als Professor dieser selben Akademie und als Beherrscher der österreichischen Kunst seinerseits durchaus reaktionär erschien gegenüber den Wirklichkeitsbestrebungen Waldmüllers. Der Name des geistvollen und empfindungsreichen Frankfurters Olivier, dessen Liebe vor allem der Landschaft galt, ist zu nennen, und es ist auf Erwin Speckters zartes Raffaelitentum zu verweisen; es ist an Eduard von Steinle zu erinnern, der die Religionsmalerei nach der Seite des Märchens und der Geschichte mit reinlicher Ideologie erweiterte; und es gehören zu dieser Gruppe dann auch die den Deutschen zu teuren Gestalten gewordenen Meister Moritz von Schwind und Ludwig Richter. Diese beiden haben sich dem lebendigen Leben der Nation am meisten von allen ihren Genossen genähert, weil sie sich im wesentlichen darauf beschränkten, Illustratoren und Zeichner zu sein, weil sie dem Ehrgeiz zur Freskomalerei nicht ihr Bestes opferten und das zur Wirkung zu bringen wussten, was in den Bildern aller Nazarener heute noch am stärksten wirkt: das fromm Kindliche. Selbstbeschränkung hat diese beiden über die großen Ansprüche ihrer Genossen erhoben und hat ihre Gedankenkünste mit unmittelbaren Anschauungswerten bereichert. Als Gestalter des Märchens, der Sage, der Idylle und als Erzähler mit dem Zeichenstift stehen sie unsterblich da in der deutschen Kunst — freilich nur in dieser — , weil sie dem Mythos märchenselig das Kindliche abgewonnen haben, weil sie allein es verstanden, in die trockenen Begriffskünste der Nazarener den Humor zu bringen, als etwas Unmittelbares und Gegenwärtiges. Ihre herzliche Fröhlichkeit unterscheidet sich so wohltätig von dem künstlich getragenen Ernst ihrer Genossen in Rom, dass sie scheinbar gar nicht zu ihnen gehören. Sie gehören aber doch dazu. Die Grenze der Gedankenkunst haben beide nicht überschritten, Sie haben sich der Grenze lebendiger Anschauung oft genähert; aber ihre Kunst ist auf keinem Punkte ganz vom Stoff zu trennen. Von selten des Stoffes sind sie lebendigere Geister, empfindungsvollere Herzen; aber auch sie bleiben von selten der Form fast immer mehr oder weniger abhängig vom Eklektizismus der Zeit, beziehe sich dieser nun auf Raffael oder Dürer, auf Michelangelo oder Holbein.
Der einflussreichste dieser ganzen Gruppe, ein Künstler, der alle Konventionalismen der Nazarener in einer gewissen großartigen Weise zusammengefasst hat, ist Peter von Cornelius, der ,,Begründer des neuen deutschen Monumentalstils". Er steht beispielhaft da für einen groß wollenden Irrtum der ganzen neueren deutschen Kunst. In das allzu gleichmäßige und schläfrige Nazarenertum brachte er das Temperament. Ein literarisch erregtes Temperament; dessen Werkzeug die Idee war und dessen Freskowille niemals über den Karton eigentlich hinauskam. Cornelius hat dem Nazarenertum ein Kampfelement hinzugefügt und ihm dadurch das Innige und Kindliche genommen; er hat das Prinzip der Ideenmalerei mit cholerischer Kühnheit in den Streit der Meinungen hinausgestellt und einen glänzenden äußeren Sieg errungen, der heute noch nachwirkt. Der raffaelitischen Schönheitssäuselei hat er theatralisch lebendigere Gebärden gesellt, und was sich bei seinen Genossen lyrisch hieratisch gab, hat er in gewisser Weise dramatisiert. Eine außerordentliche Persönlichkeit, ein starkes Temperament! Ein Rattenfänger, der viele Schüler und Gläubige um sich zu sammeln wusste, und ein Resümist, der das Streben vieler mit monumentalischer Didaktik zusammenfasste. Ein Begeisterter, so ganz ohne Sinnlichkeit, dass seine Kunst geschlechtslos anmutet; ein Genie innerhalb des ewig grauen Intellektualismus, ein Formalist, dem das Auge nur ein Organ des kritischen Vergleichens war, ein Raffaelit, den Raffael nicht eine Stunde in seiner heiter sinnlichen Gegenwart geduldet hätte, und einer jener Überzeugunsgtyrannen, wie die weltblinde Kulturtendenz sie schafft. In Cornelius erreichte die abstrakte Idee des Nazarenertums eine höchste Möglichkeit. Darum steht sein Werk auch programmatisch heute noch da. In seiner Kunst gipfelt die ganze deutsche Gedankenmalerei.
Von Cornelius und von seiner Gruppe aus hat sich die Ideenkunst in den nächsten Jahrzehnten logisch dann fortentwickelt. In dieser gesinnungsstrengen Legenden- und Bekenntnismalerei wurzelt die deutsche Geschichtsmalerei. Es ist falsch, Nazarenertum und Historienmalerei in der Kunstgeschichte als zweierlei zu behandeln und vor den Werken der Geschichtsmaler von einem Sieg des Realismus zu sprechen. Denn der Geist blieb mit sich selbst in Übereinstimmung, wenn die Stoffe sich auch änderten. Als die Ziele nationaler Einigung vor dem reaktionär gefesselten Deutschland immer deutlicher aufzutauchen begannen, änderte sich naturgemäß auch die Meinung über den nationalen Mythos: an Stelle des religiösen trat der historische Stoffbegriff. Episoden aus der Geschichte zu malen und sich dabei der großen dramatischen Poesie zu bedienen, das erschien den Menschen um 1848 ebenso unzweifelhaft als der rechte Idealismus, wie es den Menschen um 1820 bedeutend erschien, religiöse Stoffe darzustellen. Der Trieb zum Katholizismus, zum Puritanismus ging vorüber, und es trat an seine Stelle die Lust an der nationalen Geschichte, als ein anderer Versuch, die Legende neu zu beleben und der Malerei ideale Stoffquellen zu erschließen. Waren die Ideen der Malerei während einiger Jahrzehnte reaktionär gewesen, so wurden sie nun liberal. Dass dieser Stoffwandel auch auf die äußeren Formen der Malerei wirken musste, war eine notwendige Folge. Mit der verblasenen, illuminierten Kartonmanier der Nazarener konnte der Maler von Geschichtsvorgängen, die dem Betrachter realistisch nahegebracht werden sollten, natürlich nichts beginnen, er brauchte eine Darstellungsweise, die den Schein greifbarer Wirklichkeit gab. Dem Wesen nach aber war nichts geändert. Die Geschichtsmalerei ist ebenso eine Art der Gedankenkunst, wie die Religionsmalerei es ist, weil auch jetzt noch der Stoff, die Idee, die das eigentlich Künstlerische bestimmende Hauptsache war. Darum geriet auch diese ,,moderne" Darstellungsweise ins Akademische. Die Natur wurde ebenso wie früher nicht um ihrer Schönheit, ihrer Fülle und ihres Duftes willen gemalt, sondern sie diente auch jetzt wieder. Diente, um gedachte und allegorisch gemeinte Vorgänge wahrscheinlich erscheinen zu lassen.
Kaulbachs Wandbilder sind nicht weniger Produkte deutscher Gedankenmalerei, als die Kartons von Cornelius es sind. Kaulbachs Farbe und Malerei ändern daran nichts. Delacroix gab zur selben Zeit wahrhafte Malerei, trotz seiner Geschichtsromantik; Kaulbach gab Geschichtsromantik an sich und ihrer selbst wegen. Jenem geriet die bedeutende, die bleibende Kunstform, die in sich selber ihr Daseinsrecht trägt und ein Produkt der Anschauungskraft ist; diesem gelang formal nur das akademisch Zulängliche, weil alles Angeschaute ihm nur Mittel war. Es ist ein verkapptes Nazarenertum in den Historien Kaulbachs sowohl wie in denen Lessings, Bendemanns und aller der anderen. Dass Lessing antikatholische Husbilder malte, spricht nicht im geringsten dagegen; das Protestantische ist in diesem Falle so zufällig, wie es vorher das Katholische war. Entscheidend ist, dass wieder eine sterbliche Stoffidee an erster Stelle steht. Wie diese beschaffen ist, interessierte eigentlich nur die Zeitgenossen; diese freilich bis zum Fanatismus. Selbst die sinnlich flackernde Kunst Makarts muss man darum, so paradox es manchem scheinen mag, als ein spätes, dekorativ und erotisch gewordenes Nazarenertum bezeichnen. Denn auch hier noch herrscht der Stoffgedanke, trotzdem der orientalisch üppige Wiener ihn in ein kostbar funkelndes Prachtgewand aus den Werkstätten Veroneses zu kleiden wusste. Vergleicht man Makart mit Cornelius, so hat sich die Zeitgesinnung allerdings entscheidend geändert; nicht geändert aber hat sich die Grundanschauung von dem, was künstlerisch sei. Es sind immer noch Bekenntnisbilder. Dass nun der Lebensgenuss bekannt wird wie früher die Askese, dass dort das Edle vorherrscht und hier das Gemeine, ändert im höchsten künstlerischen Sinn nichts. Auf dem Wege, den Mythos in der Geschichte zu finden, war Makarts starkes dekoratives Talent nun, mit Hilfe der von Belgien importierten Mallehren, dahin gekommen, die Geschichte zu theatralisieren. Szenisch war die Stoffidee ja schon bei Cornelius und Kaulbach; war sie bei diesen aber sozusagen noch Passionsspiel gewesen, so wurde sie auf der Bühne der Makartschen Malerei zum weltlichen Ausstattungsstück. Den Glanz des Farbenlacks darf man nicht für ein lebendig malerisches Anschauungsergebnis halten, nicht für dasselbe, was Farbe und Malerei bei Tintoretto und Veronese sind. Makarts Malerei ist ganz und gar dekorativ, das heißt: kunstgewerblich äußerlich. Dass das Kunstgewerbliche in einer bewunderungswürdigen Weise Selbstzweck geworden ist, erhöht den inneren Wert dieser Malerei nicht. Es ist immer noch Eklektizismus, Form und Kunst aus zweiter und dritter Hand. Und die Sinnlichkeit, die brünstige Modellerotik widerspricht auch nicht dem Wesen der Gedankenmalerei. Askese und Perversion haben von jeher nahe beieinander gelegen. Und ob eine Malerei die Sinnenabtötung gedanklich verherrlicht oder den Sinnengenuss, das macht vom Standpunkt guter Malerei aus nicht viel Unterschied. Ja, es ist auch nichts grundsätzlich anderes gewesen, wenn sich später noch ein Maler wie Gabriel Max von der sinnlichen Geschichts- und Literaturmalerei der Makart und Piloty wieder abwandte, um sich von neuem, nun mit okkultistischen Tendenzen, der Religionsmalerei zuzuwenden. Denn wieder herrscht nur der Gedanke. Er heißt jetzt sentimentalisierter Spiritismus, es hat sich die Idee wissenschaftlich modernisiert. Auch in diesem Falle ist wie in der ganzen Gedankenmalerei die Form im tieferen Sinne tot, ist akademisch konventionell, eklektizistisch gewonnen oder auch naturalistisch subaltern. Hier berühren sich formalistischer Eklektizimus und photographischer Naturalismus, die sich gar nicht so fernstehen, wie es scheinen mag, weil beide aus einer Wurzel, aus der Urkraft lebendig anzuschauen, hervorwachsen. Und auch in einer Malergestalt, wie der des Düsseldorfers Eduard von Gebhardt, setzt sich das Nazarenertum modern naturalistisch fort. Fruchtbarer aber ist es durch die Metamorphose des Naturalismus nicht geworden. Gebhardt ist ein Künstler, ehrwürdig durch seinen Mannesernst und durch die Lauterkeit seines Wesens. Aber nicht elementarische Anschauungskraft und Eindrucksfülle ist in seiner Malerei, sondern akademisch gefestigter und puritanisch gefärbter Begriffseifer. Sogar der Bedingtheit Uhdes gegenüber wirkt Gebhardt noch trocken, dürr und ganz unmusikalisch. Das von ihm dargestellte Leben hat keine Höhen, weil es nicht Tiefen kennt ; die ganze Natur steht im Atelier Modell und wirkt darum in allen Teilen modellern, Gebhardt ist eine zu bürgerlich ordentliche Natur, um ein großer Maler des Religiösen sein zu können. Wer Christus und seine auch heute noch lebende Urgemeinde malen will, muss die Himmel und Höllen des Lebens in sich tragen, wie Rembrandt es tat; er darf nicht ein Gerechter zu sein streben, sondern muss ein menschlich Allzumenschlicher sein. Gebhardt aber ist ein protestantischer Eiferer. Er wirkt fast wie ein Heilsarmee-General. Es ist begrifflich Fanatisiertes in ihm ; und darum keine Fülle, kein höherer Schwung. Seine Romantik ist Pastorenromantik. Ihm fehlt der Blick fürs Ganze; jedes Ding ist einzeln gesehen und studiert, jedes Bild ist ein Begriffsmosaik, ist Genre im schlechten Sinne. Gebhardt malt im Geiste der alten Historienmalerei ,,Charakterköpfe" und ,,studiert" leidenschaftliche Gesichtsausdrücke. Seine Kunst mutet an wie ein verspätetes Produkt der aufgewärmten deutschen Renaissance, wie sie nach 1870 verstanden wurde; sie geht in Gretchentracht einher und malt die edle deutsche Hausfrau. Eigentümlich ist ihr kaum etwas anderes, als ein hysterischer bäuerlicher Zug. Aber doch ist sie dann unselbständig in einer gewissen selbständigen Weise; sie ist es ohne jeden Betrug, ohne Mätzchen und Retuschen. Sie ist ehrlich in all ihrer trockenen Hagerkeit. Hinter ihr steht eine exemplarische Professorennatur, vor der man eine unbedingte menschliche Wertschätzung empfindet. Aber es ist Gedankenkunst durch und durch, und insofern unterscheidet sie sich nicht wesentlich von dem, was um 1820 im Kloster San Isidoro in Rom gemalt wurde.
Merkmale künstlerischer Hysterie sind in der schon erwähnten zweiten Gruppe deutscher Gedankenmaler anzutreffen; es sind Begleiterscheinungen jeder fanatisch betriebenen Ideenkunst. Zugleich aber tritt uns aus dieser Gruppe Geniales und Ursprüngliches entgegen. Lässt sich das Malergeschlecht der Overbeck, Veit, Cornelius und Genossen am anschaulichsten durch die Gestalt eines asketisch hageren, würdigen alten Mannes darstellen, so tritt einem dieses zweite Künstlergeschlecht in der Gestalt eines schönen, blassen Jünglings mit sehnsüchtig blickenden Augen entgegen. Wie es denn auch nicht Zufall ist, dass man in dieser Gruppe fast alle die jung Gestorbenen, die problematisch Ringenden antrifft. War das Künstlerleben jener anderen ein Zurückweichen vor der Zeit, so wurde diesen ihr Nazarenertum zu einem Mittel, moderne Weltanschauung zu erringen. Um Weltanschauung ging es hier ebenso wie dort. Aber auf der einen Seite war es eine rückgewandte Weltanschauung und auf der andern Seite eine vorwärtsdringende. Darum wurde bei den Lebendigeren zur erlebten Mystik, was bei den Konventionellen dogmatisch erstarrte; und darum wurde dort auch viel energischer um die eigentlich malerischen Probleme gerungen. Denn etwas wahrhaft Lebendiges lässt sich immer auch nur durch etwas Lebendiges ausdrücken. Das Weltanschauungsproblem, um das diese Künstler sich bemühten, mit wenigen Worten deutlich darzustellen, ist nun allerdings fast unmöglich. Es bestand, kurz gesagt, darin, dass auch diese Künstler das von der Aufklärung schwer bedrohte religiöse Bewusstsein nicht aus der Hand geben mochten, dass sie aber als lebendig Empfindende zugleich vor der Aufgabe standen, das Christliche, im Einklang mit der Denkart der Zeit, zu vertiefen. Dieses konnte im neunzehnten Jahrhundert nur so geschehen, dass dem christlichen Weltgefühl mehr und mehr eine pantheistische, eine naturphilosophische Bedeutung gegeben wurde. Der religiöse Pantheismus der Zeit wurde in die katholisch gefärbten Empfindungen unmerklich hineingetragen, und es entstand daraus in der Folge dann eine Art von Naturreligion, die für die Weltanschauungsbemühungen des neunzehnten Jahrhunderts aufs höchste charakteristisch ist.
Nicht zufällig hat sich dieser vage Weltbegriff vor allem der Landschaftsmalerei bemächtigt. Denn im Landschaftsgefühl musste er zumeist Nahrung finden. Was auf jener andern Seite zur Geschichtsromantik sich entwickelte, das wurde hier zur Naturromantik. Diese aber ist der Entwickelung des rein Malerischen von vornherein günstiger. Suchte man drüben den großen mythischen Stoff in der Religion oder in der Geschichte, so suchte man hier unmittelbar in der Natur das Mythische. Und das setzte dem Eklektizismus gewisse Grenzen.
Lehrreich ist in diesem Bezug die Entwickelung des Landschaftsgefühls, wie sie durch die Namen Koch, Preller, Rottmann, Schirmer und Böcklin bezeichnet wird. Charakteristisch ist es schon, dass der Tiroler Josef Anton Koch, der in Italien viele Schüler und Bewunderer um sich versammelte, nicht wie Overbeck und dessen Genossen von Raffael und den Präraffaeliten herkam, sondern von Dürer und Breughel, von Poussin, Claude Lorrain und Carstens. Das will sagen: er stand nicht so ausschließlich unter der Herrschaft einer Kulturidee und mehr unter dem Einfluss lebendiger Kunstanschauung; denn Poussin und Breughel sind nicht so sehr wie Raffael allgemeine Kulturbegriffe, sondern einzelne vorbildliche Maler. Da Koch die bedeutende, die mythisch belebte Landschaft malte, so gelangte er folgerichtig zur Darstellung einer heroischen Natur, die würdig ist, dass sich große Begebenheiten darin abspielen. Er schuf die deutsche Begriffslandschaft. Aber während er es tat, musste er die italienischen Gefilde und die Tiroler Berge doch wenigstens aufmerksam anschauen, er konnte das Heroische nicht willkürlich in die Natur hineinlügen, sondern musste es aus ihr herausholen. Um so mehr, als der Landschafter in der Kunstgeschichte bei weitem nicht die Hilfe fand, wie der Heiligenmaler. Dieses hat seine Landschaftskunst bis zu gewissen Graden naturalisiert, trotzdem der Nazarener sie mit begrifflich gemeinten Staffagen bevölkerte und trotzdem er mit kartonmäßiger Härte immer nur die Knochen und Konstruktionsformen der Natur darstellte. Der nach außen raue, im Innern aber sehr weiche Tiroler erhebt sich darum in einigen seiner Schweizer und Sabiner Berglandschaften zu einem ausdrucksvollen Pathos; es fließen in seinen Berglinien hier und da Melodien, die über das langweilige Respondieren der Legendenmaler hell hinausklingen, und es beginnt in den besten seiner Werke der Raum geheimnisvoll zu leben. Mit kindlicher Begrifflichkeit sind dann zwar alttestamentarische oder ossianhafte Staffagen in die Landschaften gemalt; aber es könnten durch viele dieser steinigen Gefilde auch schon Böcklinische Zentauren traben. Das will sagen, dass das gewollt Heroische dieser Landschaftsschilderung mit natürlicher Naturmystik vertieft worden ist, dass in dem entschiedenen Archaismus moderne Gesinnung anklingt. Das ist übrigens ähnlich so in den Landschaftsschilderungen anderer, von Koch beeinflusster Nazarener. Auch die Landschaften Führichs und Pforrs, um nur zwei der Talentvollsten zu nennen, sind von einem ernsten musikalischen Gefühl erfüllt, das dem heutigen Betrachter noch lebensvoll entgegenklingt. Und wenn Olivier, Kaspar David Friedrich und andere in der Folge wertvolle Anschauungselemente in ihre nazarenische Landschaftskunst hineingetragen haben, so verdanken auch sie es bis zu gewissen Graden der an den Namen Kochs geknüpften Landschaftsgesinnung. Nicht als ob Koch weniger Gedankenmaler gewesen wäre als Overbeck etwa. Aber da seine Kunst ihn zwang, die abstrakten Begriffe im unmittelbaren Verkehr mit der Natur, zu gewissen Teilen wenigstens, in Anschauungen zu verwandeln, so gerieten ihm diese Anschauungen in demselben Maße originell, wie sein christlich-schwärmendes Lebensgefühl es war. Eine originelle Persönlichkeit aber war der knorrige sentimentalische Tiroler zweifellos. Darum hat Koch auf die deutsche Landschaftskunst entschieden eingewirkt. Von ihm kommt zum Beispiel Preller in derselben Weise etwa her, wie die Romantiker der Historienmalerei von den Heiligenmalern herkommen. Preller, ein Schüler Kochs und der Antwerpener Akademie zugleich, wusste mit Hilfe der virtuosen malerischen Lehren Belgiens des Nazareners knochige Härten zu mildern, wusste das starr Heroische mit dem Duft — um nicht zu sagen: Parfüm — einer gefällig sinnlicheren Romantik zu umgeben und das Puritanische theatralisch zu versinnlichen. Man darf nicht eigentlich sagen, dass er die konstruktive Landschaft Kochs malerisch gemacht hat, denn es lebt in Kochs Trockenheit oft mehr malerischer Instinkt, als in Prellers gefälliger Weichheit; aber dem Kartonmäßigen Kochs hat er doch allgemeinverständliche dekorative Werte hinzugefügt. Das hat ihn und seine mit Hilfe von Studienreisen nach Italien, Griechenland, Rügen und Norwegen geschaffene homerische Landschaftskunst populär gemacht. Es liegt aller Begriffskunst ja das Dekorative nahe, weil dieses ein Schönes ist, das nicht unmittelbar lebendig angeschaut zu werden braucht, sondern das in halb kunstgewerblicher Weise im Atelier der ,,Idee" hinzugefügt werden kann. Den deutlichsten Beweis für diese Zusammengehörigkeit bietet die englische Präraffaelitenkunst, aus deren Begrifflichkeiten sich ein umfassendes modernes Kunstgewerbe entwickeln konnte. In ähnlicher Weise, wie Cornelius in Kaulbach und fernerhin in Piloty und Makart malerisch wurde, ist die nazarenische Landschaftskunst Kochs bei Preller, Lessing, Rottmann, Schirmer usw. dekorativ geworden. Bei jedem in einer persönlichen Weise, aber immer doch, ohne aus dem Kreis der Gedankenmalerei herauszutreten. Auch die nazarenische Weltanschauung wurde sozusagen bei diesen Nachfolgern dekorativ. Man spürt es schon in Lessingschen, Schirmerschen und Rottmannschen Bildertiteln, wie zum Beispiel ,,Die tausendjährige Eiche", ,,Kreuzritter unter Eichen", „Das Schlachtfeld von Marathon" usw. Auf der Suche nach dem Mythos, nach nationalen oder allgemein menschlichen Heroenstoffen geraten die Landschaftsmaler in die deutschen Eichenwälder, in das Landschaftsmilieu der homerischen Welt und zu einer Art von Schicksalstragödie, ausgedrückt in der Landschaft durch Staffage, Gewitter, Brand, Sturm und alle möglichen Elementarereignisse. Man geriet aufs Theater; es entstand eine dramatisch-sentimentale Landschaftsmalerei. Die Naturtheatralik hob Arnold Böcklin dann auf seine festen Schweizerschultern und trug sie moderneren Gedanken noch entgegen. In diesem Bezug weist der Tiroler Koch entschieden zu dem Schweizer hinüber, der sechzig Jahre später geboren wurde, der fromme Katholik reicht dem Naturphilosophen und Pantheisten die Hand, und neben dem christlich determinierten Begriffsklassizismus Kochs steht der malerisch bereicherte Begriffsimpressionismus Böcklins.
Ein dieser Entwicklung parallel laufender Gedankengang des neunzehnten Jahrhunderts wird deutlich, wenn man an eine Namenfolge etwa wie Carstens, Genelli, Marées, Klinger denkt. Wenn jene Landschafter ihre Begriffsmystik in die dargestellte Natur hineinzugeheimnissen wussten, so haben es diese Bildner des menschlichen Körpers verstanden, dieselbe naturphilosophische Mystik in die Erscheinung des Aktes zu legen. Dass sie es mehr als Klassizisten taten, stellt sie nicht außerhalb der Entwickelungsreihe. Da diese Künstler mit einem mehr plastisch denkenden Talente gesegnet waren, im Gegensatz zu den Corneliusnaturen, da sie also von vornherein auch mehr als jene anschauungsbedürftig waren, so verzichteten sie von vornherein auf die Darstellung von Hergängen, von Handlungen und biblisch-historischen Situationen. Sie beschränkten sich auf die Darstellung von Körpern und machten sich damit zur Hälfte wenigstens frei von der ,,Idee". Da aber auch sie voll waren von dem Gedankentrieb nach heroischer Gestaltung und mythenschwerer Bedeutung, so wurde auch hier wieder das Modell zum Spiegel ihres Wollens, und es erscheinen die zwecklos im Raum wandelnden oder ruhenden Körper von einer gewissen ursprünglichen Liniengewalt umflossen. Der Begriff regiert auch hier noch, darum ist alles Zeichnung und Kartonstil. Aber es brauchten nur, wie bei Marées — oder auch wie bei Feuerbach — , unmittelbare malerische Anschauungskräfte hinzuzukommen, und gleich stieg die Gedankenkunst auch zu einem höheren Monumentalstil empor. Es blickt über das im ganzen recht temperamentlose Nazarenertum der römischen Bruderschaft Asmus Jakob Carstens wie ein gefangener Löwe fast herüber. Dieser Schleswiger mit dem grüblerischen Hebbeltemperament, dieser sich faustisch mühende Autodidakt hatte selbst etwas von dem Heroentum in sich, das er darzustellen strebte. Auch bei ihm wurde alles zur Idee; aber in diesem Falle war es mehr die Zeit, das schwere persönliche Schicksal, was den Künstler zu Ideenkonstruktionen trieb. In Carstens hat sich freilich das Nazarenertum mit allen seinen Schwächen schon angekündigt; doch daneben lebte in diesem Mann noch ein echter, antikisch großer Sinn für Stil. In ihm war Leidenschaft; darum erscheint der Eklektizismus bei ihm mehr wie ein Mittel, nicht wie Selbstzweck. Er dachte groß, weil er infolge innerer und äußerer Hemmungen nicht groß handeln konnte. Darum blieb er immer nur ein Künstler der Konzeption; darum blieb er selbst bei den nächsten Nachfolgern unverstanden, bis Genelli das Erbe zum Teil wenigstens aufnahm. Wieder nur ein Umrisszeichner; aber auch einer, der sich über die Begriffsmaler seiner Zeit emporreckt, weil er seine auf Größe gerichteten Gedanken unmittelbar in den nackten Körper hineinlegte und diesen so zum Gefäß eines großen Willens machte. Wobei es dann nicht ausbleiben konnte, dass sich der Geist den Körper bildete, wie er ihn brauchte. Dass der hier obwaltende Zwang zu lebendigerer Anschauung auch eine gewisse Naturalisation der Stoffe dann zur Folge haben musste, beweisen schon die Titel einiger Zyklen von Zeichnungen: ,,Aus dem Leben eines Wüstlings", „Aus dem Leben eines Künstlers". Hier berührt sich der Carstenssche, der Klingersche Geist — der in Deutschland unsterblich ist — von ferne mit dem an holländischer Kunst gereiften Hogarthschen Geist und sogar mit der künstlerisch gekonnten Gedankenkunst Goyas. Wie sich denn immer und überall alle Gedankenkunst von irgendeiner Seite berührt.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsche Maler und Zeichner im Neunzehnten Jahrhundert - Die Nazarener
029 Hahn und Hühner. Hans Thoma (1839-1924)
030 Blumenstrauß. Hans Thoma (1839-1924)
031 Selbstbildnis. Anselm Feuerbach (1829-1880)
032 Bildnis der Stiefmutter des Künstlers. Anselm Feuerbach (1829-1880)
033 Medea. Anselm Feuerbach (1829-1880)
034 Virginia (Nanna). Anselm Feuerbach (1829-1880)
036 Doppelbildnis von Lenbach und Marées. Anselm Feuerbach (1829-1880)
037 Sankt Hubertus. Hans von Marées (1837-1887)
038 Studie zu den Ruderern der Neapeler Fresken. Hans von Marées (1837-1887)
039 Abendliche Waldszene. Hans von Marées (1837-1887)
040 Bismarckdenkmal in Bremen. Adolf Hildebrand (1847-1921)
041 Bildnisbüste Frau Fiedlers. Adolf Hildebrand (1847-1921)
042 Wasserträger. Adolf Hildebrand (1847-1921)
043 Mädchenbildnis. Franz Krüger (1797-1857)
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