Fortsetzung 2

Die Mission dieser deutschen Gedankenmalerei, welche Lebensideen immer ihr auch zugrunde lagen, hat im neunzehnten Jahrhundert darin bestanden, den Sinn für die hohe Monumentalmalerei lebendig zu erhalten. Das ist ihre historische Rechtfertigung. Die Gedankenmaler haben immer wieder daran erinnert, dass zur höchsten Kunstkultur auch ein Monumentalstil gehört und dass dieser ohne große und bedeutende Stoffe nicht entstehen und dauern kann. Der Jahrhundertirrtum dieser edelgesinnten Künstler besteht darin, dass sie intellektuell und tendenzvoll das wollten, was historische Voraussetzung hätte sein müssen, dass sie, nicht eben blöde, von sich und von der Zeit höchste Kunstkultur gefordert haben, ohne zu fragen, ob die Vorbedingungen dafür auch gegeben seien, dass sie die selbstgesetzte Aufgabe vom falschen Punkte aus angegriffen haben, eine bürgerliche Kunsthöhe wie die der alten Niederländer nicht für genügend gehalten und ihren Eklektizismus mit höherer Schöpferkraft verwechselt haben. Ihr reines und großes Wollen ist schlecht vom Können bedient worden; darum haben sie im ganzen nur ein Monumentalschema schaffen können. Da sie die eigentlich bildenden Anschauungskräfte haben verkümmern lassen, sind sie niemals zu jenem ganz an die Kunstform geknüpften Monumentalen vorgedrungen, das ebenso in einem Bild von einem Quadratfuß Größe sein kann, wie in einem riesenhaften Fresko. Sie sind weit hinter ihren Vorbildern zurückgeblieben, weil sie von diesen nicht das unlernbare Geheimnis der Formzusammenhänge übernehmen konnten, weil sie nicht wie diese ihre Lebensempfindungen unmittelbar in Melodie und Rhythmus zu bringen wussten, weil sie nicht mit dem Raum dichten, in Linien singen und mit Farben und Formen dramatisch komponieren konnten. Das Ursprüngliche tritt immer nur zaghaft und wie nebenbei hervor. Es kündigt sich nicht ohne Größe an in dem Lünettenbild ,,Die sieben mageren Jahre" der Casa Bartholdy von Overbeck, es flackert hier und da auf in Arbeiten von Carstens und Runge, von Koch, Rethel, Führich, Genelli und in einer neuen ergreifenden Weise dann bei Böcklin; immer aber mehr oder weniger von den Stoffideen gefesselt und darum dem Stileklektizismus unfrei unterworfen. Im ganzen scheidet es gerade die Arbeiten der Raffaeliten und Präraffaeliten von den Werken Raffaels und seiner Vorgänger, dass bei diesem auf kleinstem Räume das ursprünglich Monumentale ist und dass man es bei jenen in den größten Kompositionen nicht findet. Im Italien der Renaissance hat ein großes Geschlecht jegliches Ding groß angeschaut; im Deutschland des neunzehnten Jahrhunderts aber hat ein Geschlecht von mittlerem Wuchs nur groß zu denken gesucht. Dieses Denken eben hat die deutsche Gedankenmalerei zu einer kränklichen Kulturpflanze gemacht. Lebendige Monumentalmalerei ist nur dort, wo sie einerseits aus dem lebendigen Mythos ihre Stoffe schöpfen und wo sie sich andererseits Seite an Seite mit einer Baukunst organisch entwickeln kann. Im Deutschland des neunzehnten Jahrhunderts ist keines von beiden der Fall gewesen. Darum ist die Gedankenmonumentalität zum größten Teil ins Museum geraten, ist zur Museumskunst geworden und wirkt als solche achtungswert langweilig. Es fehlt der Duft innerer Notwendigkeit. Der Stil ist nicht gewachsen, die Wunder des Raumes sind nicht malerisch gefühlt, die Primitivität stammt aus der Tendenz, nicht aus einem natürlichen Erstaunen. Schon der Begriff Staffage, der in dieser Malerei immer wieder da ist, spricht gegen die innere Einheit. Selbst noch die von den Gedankenmalern so heftig bekämpften Dekorationsmaler des abklingenden Barock hatten mehr echten Monumentalsinn, wenn auch zur Routine entartet, als ihre Verächter. Diese Routiniers dachten wenigstens wie echte Wandmaler aus der Technik, aus den Materialwirkungen heraus, was immer der Beweis natürlicher Talentkraft ist. Den deutschen Gedankenmalern dagegen ist eine ganz unkünstlerische Geringschätzung des Materials und der Technik eigen. Sie beherrschen das Lernbare des Malhandwerks in akademischer Weise, und es gelingt ihnen alles, was dem Fleiß und der Gewissenhaftigkeit gelingt; aber sie leben nicht im Technischen, sie empfinden nicht vom Material aus. Diese sind ihnen nur Mittel, nicht Teile eines untrennbaren Kunstganzen. Auch dadurch, dass im Verlauf eines sich vom Christlichen zum Naturphilosophischen wandelnden Weltgefühls durch Böcklin das charakteristisch Groteske in die Monumentalphantasie gebracht wurde, ist die Lösung nicht geschaffen worden. Dadurch ist das Ideenhafte nur noch mehr illustrativ geworden. Der Kunststoff ist durch dieses Verfahren aufs interessanteste bereichert worden, nicht so aber die Kunstform. Zu einer wahrhaft lebendigen und bleibenden Schönheit, zu einer Malkunst voller natürlicher Größe und Leidenschaft hat sich die deutsche Gedankenmalerei nur erhoben, wenn sie, wie in den besten Werken Feuerbachs oder Marées', die Hälfte der Tendenz hat fahren lassen, um mit hingegebenem Gefühl von der unmittelbaren Anschauung, vom Erlebnis des Auges auszugehen. Nur dann sind Bilder entstanden, vor denen der Betrachter nicht groß denkt, weil der ,,große" Stoff ihn dozierend dazu verführt, sondern weil die architektonisch und malerisch gebändigte Gewalt des Raumes auf ihn wirkt, weil das Bleibende im Wechselnden vom Maler aus der Gotteswelt genial herausgelesen worden ist und weil die Gedanken auf lebensstarker Sinnlichkeit einherreiten. Dennoch: historisch ist die deutsche Gedankenmalerei auch von Seiten ihres großen Wollens legitimiert. Dass der Kulturwille mit einer ungünstigen Zeit- und Volksdisposition zusammengetroffen oder von ihr als Korrelat erzeugt worden ist, dass er sich tyrannisch die Herrschaft angemaßt hat, ist ein Unglück. Ein spezifisch deutsches Unglück, dessen Ursachen und Folgen zu erkennen der Anfang aller modernen Kunstbildung sein sollte.

Ihre feinsten Werte hat die Gedankenkunst, wie schon dargelegt worden ist, in der Landschaft und im Porträt erzeugt. Da es durchweg sehr ernsthafte und geistreich gemütvolle Persönlichkeiten waren, die vor das Naturobjekt traten, so haben sie in der Natur — es ist immer so — diese Eigenschaften wie in einem Seelenspiegel wiedergefunden. Was die Landschaftsanschauung der Nazarener und ihrer Nachfolger liebenswürdig macht, das ist die Wahrnehmung, wie die Naturliebe sich bis zu religiöser Innigkeit steigert. Die Nazarener vor allem haben jedes Grashälmchen, jedes magere Bäumchen, jede Gebirgslinie mit gleicher Andacht geliebt. Dadurch ist ihre Darstellungsweise ins Graphische geraten. Es ist dadurch aber auch so viel echte Empfindung hineingekommen, dass dem Betrachter noch heute kindisch froh vor den genauen, an Gegenständen so reichen Landschaftsschildereien zumute wird. Freilich sieht man immer eine ,,nature en dimanche", erlebt eine systemvolle Reinigung von allem ,,Zufälligen" nach feststehenden Prinzipien; trotzdem hat sich in vielen Fällen der Klang wahrer Empfindung erhalten. In den Arbeiten Führichs und Fohrs zum Beispiel, oder bei dem feinen Olivier. Kochs Naturgefühl wirkt heute noch hier und da mit starkem Nachdruck, Schwind und Richter wissen den Lebenden noch zu entzücken, und wir erkennen uns selbst dann sehr deutlich schon in den Landschaften K. D. Friedrichs, Wasmanns, Rohdens und anderer ihrer Art. Freilich ist es hauptsächlich das Zarte und Reinliche, das Rührende, Idyllische und Romantische, was zum Betrachter aus dieser Landschaftskunst spricht, trotz aller Felsgründe, trotz aller heroischen Architektonik. Selbst bei Böcklin ist das, was über alle Tendenz hinwegwirkt, nicht das monumentale Wollen, sondern die Stimmung des heroisch gemeinten Naturidylls.


Die Bildniskunst innerhalb der Grenzen deutscher Gedankenmalerei steht durchweg auf dem Niveau handwerklicher Solidität mit einer entschiedenen Neigung zum Konventionellen. Zuweilen aber entsteht auch das Außerordentliche. Temperamentskraft im höheren Sinne ist nie entwickelt worden; aber eine große Wahrhaftigkeit im Verein mit gut entwickelten Zeichnerfähigkeiten haben doch bei aller Aristokratenreinlichkeit, bei aller Glätte und Idealisierung Züge von ernsthafter Charakterisierungskraft in diese bürgerliche Porträtmalerei gebracht. Es handelt sich immer mehr um Zeichnungen als um Malereien, auch in diesem Fall; die Kreuzung von eklektizistisch gewonnener Stilform und unmittelbar angeschauter Naturform hat sich aber gerade innerhalb dieses zeichnerischen Stils als fruchtbar erwiesen. Bildnisse, wie das der Freifrau von Bernus von Veit, wie die Hamburger Bürgersleute von Oldach, wie die Zeichnungen von Wasmann, oder gar wie die Porträts Feuerbachs und Maries', sind bis heute, nach einer Seite wenigstens, nicht übertroffen, ja, nicht einmal erreicht worden. Hätten die Gedankenmaler diese Kunst mehr noch kultiviert und sie nicht nur nebenbei betrieben, so hätten wir im Anfange des neunzehnten Jahrhunderts eine Malkultur bei uns aufblühen sehen. Da das Hauptgewicht aber auf anderes gelegt wurde, so mussten auch diese Ansätze von Jahrzehnt zu Jahrzehnt mehr im Akademischen untergehen.

Zieht man die Summe dieses Jahrhunderts deutscher Gedankenmalerei und betrachtet man im Gegensatz dazu die in den letzten Jahrzehnten mächtig erstarkte Strömung der auf Wirklichkeitsanschauung unmittelbar gegründeten Malerei, so ist auch jetzt noch nicht Hoffnung, dass beide Strömungen, die vereint erst eine wahrhaft große nationale Malerei geben können, zusammenfließen. Immer kämpfen noch sinnliches Lebensgefühl und doktrinärer Lebensbegriff. Es weist dieser Kunstkampf aber letzten Endes auf einen tieferen Streit um moderne Weltanschauungsprobleme überhaupt, und mit diesem erst kann er entschieden werden. Im deutschen Volke wird die Sehnsucht nach dem Mythos, nach dem großen Stoffe niemals schlafen gehen; und wenn ihr das Leben selbst nicht Erfüllung bringt, so wird stets zu einer Form des Eklektizismus gegriffen werden. Das deutsche Nazarenertum wird sich in immer neuen Formen fort und fort entwickeln, bis eine große Zeitgesinnung wieder mythenbildende Phantasie entfaltet, bis sich neben der Monumentalsehnsucht eine große neue Baukunst entfaltet und ursprüngliche Bildungskräfte aus der unmittelbaren Anschauung emporkeimen. Wann dieses geschehen wird, ob es überhaupt geschehen kann: das ist noch ganz dunkel. Die Overbecks sind gestorben, aber die Klingernaturen sind gekommen ; diese werden sterben, und es werden neue Gedankenkünstler kommen, die als solche nicht gleich erkannt werden können, die es aber nicht weniger sein werden als jene. Alles, was wir dagegen tun können, ist: zu lernen, wie unendlich wichtig in der Malerei die Anschauung ist und dass ein sinnlich Empfundenes stets das Primäre in jedem Kunstwerk sein muss, dass das geringste Können immer viel mehr ist, als das bedeutendste Wollen. Kein Volk kann wider sein Schicksal; aber es kann der Notwendigkeit die beste Seite abgewinnen. Es fragt sich, ob die Deutschen des zwanzigsten Jahrhunderts fähig sein werden, den Akzent zu verlegen; fähig, nicht mehr den Gedanken in der Kunst für das Primäre zu halten, sondern das lebendig Angeschaute, und ob sie, ohne den Dualismus der Malerei schon aufheben zu können, der Wirklichkeitskunst nun jene Herrschaft übertragen wollen, die so lange die Gedankenkunst innegehabt hat. Entschließen sich die Deutschen zu einer neuen Macht Verteilung in diesem Sinne, ändern sie das Verhältnis von Begriff und Anschauung dergestalt, dass das Unmittelbare mehr gilt als das Mittelbare, so wird das zwanzigste Jahrhundert eine moderne Malerei hervorbringen, die mehr Kulturwert hat, als der ganze hochgesinnte Eklektizismus des neunzehnten Jahrhunderts; eine Malerei, die dem unsterblichen Gedankenstreben der deutschen Kunst dann erst ganz sichere Stufen zu den Höhen eines künftigen hohen Ideals zu schlagen weiß.
044 Innenraum mit der Schwester des Künstlers. Adolph von Menzel (1815-1905)

044 Innenraum mit der Schwester des Künstlers. Adolph von Menzel (1815-1905)

045 Das Balkonzimmer. Adolph von Menzel (1815-1905)

045 Das Balkonzimmer. Adolph von Menzel (1815-1905)

046 Das Theater Gymnase. Adolph von Menzel (1815-1905)

046 Das Theater Gymnase. Adolph von Menzel (1815-1905)

047 Die Netzflickerinnen. Max Liebermann (1847-1935)

047 Die Netzflickerinnen. Max Liebermann (1847-1935)

048 Kanal in Leyden. Max Liebermann (1847-1935)

048 Kanal in Leyden. Max Liebermann (1847-1935)

049 Dünenlandschaft. Max Liebermann (1847-1935)

049 Dünenlandschaft. Max Liebermann (1847-1935)

050 Judengasse in Amsterdam. Max Liebermann (1847-1935)

050 Judengasse in Amsterdam. Max Liebermann (1847-1935)

051 Reiter am Meer. Max Liebermann (1847-1935)

051 Reiter am Meer. Max Liebermann (1847-1935)

052 Studie zum Bildnis des Bürgermeisters Petersen. Max Liebermann (1847-1935)

052 Studie zum Bildnis des Bürgermeisters Petersen. Max Liebermann (1847-1935)

053 Dame auf dem Kanapee (genannt -Die Kokotte-). Wilhelm Leibl (1844-1900)

053 Dame auf dem Kanapee (genannt -Die Kokotte-). Wilhelm Leibl (1844-1900)

054 Bildnis des Herrn Dr. Rauert. Wilhelm Leibl (1844-1900)

054 Bildnis des Herrn Dr. Rauert. Wilhelm Leibl (1844-1900)

055 Drei Frauen in der Kirche. Wilhelm Leibl (1844-1900)

055 Drei Frauen in der Kirche. Wilhelm Leibl (1844-1900)

057 Bäuerin. Wilhelm Leibl (1844-1900)

057 Bäuerin. Wilhelm Leibl (1844-1900)

alle Kapitel sehen