Über die Prostitution im Allgemeinen
„Jeder Mensch ist von der Natur verpflichtet, die Triebe und Kräfte, welche sie in ihn gelegt hat, ihrer Bestimmung gemäß auszubilden und zu benutzen. Jeder in einer Staatsgesellschaft lebende, von ihren Vorteilen partizipierende Mensch ist demgemäß auch schuldig, nach seinen Kräften zum gemeinen Besten beizutragen und die in ihn gelegten Triebe unter den Bedingungen zur Reife zu bringen, welche die gesellschaftliche Verbindung notwendig macht. Weil aber. die äußere Sicherheit und der innere Wohlstand eines Staatsverbandes von einer so zahlreichen Volksmenge abhängig ist, als derselbe von seinen eigenen Naturgütern oder durch seine Mittel, die Bedürfnisse von Auswärtigen einzutauschen, ernähren kann: so folgt hieraus auch die Verpflichtung eines jeden Einzelnen, den Zeugungstrieb zu entwickeln und sein Geschlecht fortzupflanzen.
Schon das Beispiel der in seinen Organen entwickelteren Tierwelt führt im Allgemeinen auf eine ausschließliche Vereinigung der beiden Geschlechter hin auf die Dauer der Zeugungs- und Geburtsperiode. Die Permanenz der in der Menschennatur liegenden Geschlechtstriebe begründet, nach analogischen Prinzipien, diese Vereinigung auf unbestimmte Zeit, also auf die Dauer eines ganzen Lebens, weil die Geschlechtstriebe einen integrierenden Teil der Funktionen des animalischen Lebens ausmachen. Eine Ausnahme würde nach dem Naturgesetz nur dann eintreten, wenn die Geschlechtstriebe früher erweislich erlöschen, also im Falle der Impotenz.
Jene dauernde Vereinigung zur Fortpflanzung des Geschlechts ist die Ehe, die „individua vitae consutudo“, wie sie der Römer nennt. Aus der Ehe entspringt die Familie, welche die Mutter des Staats ist, indem die Glieder der Familie mit ihrem Leben auch anfangen, Mitglieder des Staatsvereins zu sein.
Die Zeugung außer der Ehe begründet keine Familienrechte: zur Erlangung solcher hat für unehelich Geborene das Gesetz später künstliche Formen erfunden.
Der Staat ist also am besten bestellt, wo die meisten Menschen in der Ehe leben und leben können: die Ehe ist mithin durch den Wohlstand des Staates bedingt, weil natürlich die Familie größere Bedürfnisse hat, als der Einzelne, und daher ist der Staat der wohlhabendste und — weil aus dem materiellen Wohl auch das moralische Wohl erwächst — der am besten situierte, wo die meisten Eben verhältnismäßig angetroffen werden. Dagegen ist der Staat materiell verarmt und sittlich verwahrlost, wo die wenigsten Ehen im Verhältnis gefunden werden. Daher ist
Die Erhaltung und Förderung des allgemeinen Wohlstandes
und die damit in Verbindung stehende Beförderung der Ehen eine der ersten Pflichten des Staats.
Vielmännerei ist nirgends als naturgemäß gefunden worden, — nur in Indien gab es im Altertum das Institut der Polyandrie, — und schon Aristoteles verwirft es in seiner Republik deshalb, weil die Kinder einen Vater haben müssen, durch welchen der bestimmt wird. Polygamie andrerseits — wenn auch naturgemäßer — schwächt die Zeugungskraft beider Geschlechter und führt zu Ausschweifungen, welche den Menschen, als ein vernünftiges Wesen, unter die vernunftlose Tierwelt versetzen.
Es bleibt daher nur die Monogamie als das Verhältnis übrig, welches die Geschlechtstriebe ihrem Zwecke am gemäßesten entwickelt und zugleich mit dem in jedes Menschen Brust liegenden, durch Erziehung zum Bewusstsein gerufenen Sittengesetz in Einklang bringt.“
So ist die gewöhnliche Deduktion, um die Monogamie naturphilosophisch zu beweisen. Dagegen ist Nichts zu jagen. Erfahrung und Geschichte lehren aber, dass es nur wenige Menschen gibt, die nicht einen oder mehrere Triebe und Neigungen über die durch die Moralgesetze oder die Rücksicht auf praktische Verhältnisse vorgeschriebenen Schranken hinaus befriedigt hätten. So ist es namentlich mit dem Geschlechtstriebe — der nach den Bedürfnissen des Magens zu den unwiderstehlichsten von jeher gehört hat — gewesen. Der außereheliche Beischlaf hat zu allen Zeiten stattgefunden und wird stattfinden, so lange Menschen bloß Menschen und keine Heiligen sind. Eben so hat das unsittliche Weib — durch Sinnlichkeit überreizt, oder zum Erwerbe gedrängt ihre Reize von jeher verkauft, und dies wird fortdauern, so lange die Erde steht, selbst wenn die Weiber sich emanzipiert haben. Dieses Feilbieten des zweiten Geschlechts ist es, was wir Prostitution oder Preisgebung gegen Endgeld nennen. So wie wir gesehen haben, dass da der meiste materielle und moralische Wohlstand herrscht, wo die Ehe gedeiht, also selbstredend die Prostitution unterdrückt wird: so ist es andrerseits das Zeichen der Verarmung und des sittlichen Verfalls, wo die Ehen sich mindern und, in natürlicher Konsequenz, da der Geschlechtstrieb einen Ausweg suchen muss, die Prostitution zunimmt. Es ist also die Aufgabe der bürgerlichen Gesellschaft, in sich selbst einen Zustand zu erhalten, oder, wenn er nicht vorhanden ist, herbeizuführen, wo die Ehen zunehmen und die Prostitution sich vermindert.
Da Nichts in der Welt jemals den Gipfel der Vollkommenheit erreicht, wie ihn der Philosoph auf der Höhe der Abstraktion denkt, so kann und wird auch die Prostitution nie aufhören, sie kann nur abnehmen.
Schon in der Kindheit der Welt finden wir die unerlaubte Geschlechtslust. Zwar hat Moses über die Prostitution kein ausdrückliches Gesetz erlassen, denn er sagt nur, — 5. Buch Moses 22, 21. — dass die Dirne, welche in des Vaters Hause— intra lares et penatez — defloriert ward und von der es sich nach ihrer Verheiratung ergab, dass sie keine „Jungfrau“ mehr war, eine Torheit in Israel“ begangen habe und deshalb gesteinigt werden müsse. Allein wir müssen doch annehmen, — obschon jenes Gesetz nur bezüglich der Heiligkeit der Ehe und der dem Vater und Verlobten schuldigen Achtung erlassen ward, — dass Moses die Prostitution gewiss als eine Sünde gegen den Gott der Juden betrachtet hat, da er sich schon über den außerehelichen Beischlaf in vielen Stellen so streng ausspricht. So z. B. 1. Mos. Cap. 34 wird die Schwächung der Dina, einer Tochter der Lea, durch Sichem, Hemors, des Hethiters Sohn, ebenfalls „eine Torheit in Israel“ genannt, welche mit einem Blutbade endigte, welches Jakobs Söhne gegen ihren Vater mit den Worten entschuldigten: „Sollten sie denn mit unserer Schwester, als mit einer Hure handeln?“
Es ist und kann nicht meine Absicht sein, eine Geschichte der Prostitution und Syphilis der alten und neuen Zeit, oder der Stadt Berlin in specie zu schreiben. Ich beschränke mich lediglich auf das praktische Element, wozu hier allgemeine Umrisse genügen. Drei Stadien in der Geschichte der Prostitution sind es, worin dieselbe ihre Höhepunkte erreicht zu haben schien, die aber jedesmal von großem sittlichen Verfall und Einsturz der Verhältnisse des gesamten bürgerlichen Lebens begleitet waren.
Zuerst in dem griechischen Altertum die Zeit der Siege Alexanders. Als er die Frauen des geschlagenen Darius, wie glaubwürdige Geschichtsschreiber versichern, auf seinen verweichlichten thorus führte, hatte der Hetärismus in Griechenland — welcher weiter nichts ist, als die bis zur höchsten Raffinerie getriebene Prostitution — seinen Gipfel erreicht. Der Hauptsitz war Corinth. Kurz nachher erfolgte der Untergang des eigentlichen hellenischen Altertums. Ein zweites Stadium eines so verwerflichen Übels bilden die Schwelgereien des Lucullus und Antonius, die Entsittlichung der ganzen römischen Welt, welche eigentlich schon mit der republikanischen Verfassung unterging. Jene Demoralisation zieht sich — mit Abwechselungen — durch die Kaiserzeit hin und war unter der Mätressen- und Libertinenwirtschaft des schwachen Claudius auf ihrem Kulminationspunkte angelangt. Das dritte Stadium ist das Zeitalter der letzten Könige aus dem Hause der Valois, unter Katharina, der Mediceerin, und ihrem italienischen Hofstaate, wo die Sittenverderbnis, vom Hofe ausgehend, sich über alle Klassen der Gesellschaft verbreitete, und nur in dem schroffen Calvinismus der Hugenotten einen schwachen Widerstandspunkt fand. Der alte französische Königsstaat ging unter, auf seinen Trümmern baute Ludwig XIV. seinen Gedankenstaat, welchem er aber doch keinen Halt für die Zukunft zu geben vermocht hat, da die Sittenverderbnis die Pfeiler der Gesellschaft bereits zerfressen hatte.
Zwar hat das Christentum durch seine reine und geläuterte Moral, welche von keiner Sekte, keinem System und in keinem Jahrhundert angefochten worden, und welche daher seine starke Seite ist, eine andere Auffassung der Lebensverhältnisse, also auch der wechselseitigen Beziehungen zwischen Mann und Weib gelehrt. „Reinigkeit des Herzens, des Sinnes, des Handelns“ sind die Gebote des Stifters, die er mit seinem Tode besiegelte. Aber dennoch scheint es, als ob in der sogenannten apostolischen Zeit, welche man der Gegenwart zum Muster und zur Nacheiferung aufzustellen so angelegentlich bemüht ist, — die christlichen Moralgesetze in Bezug auf die Geschlechtsverhältnisse sehr ärgerlich und gröblich verletzt worden sind, was man sich nur als unverkennbare Spuren von den früheren Gewohnheiten der heidnischen Anhänger der neuen Lehre erklären kann. So eifern Paulus und Petrus gegen alle ihre Gemeinden, namentlich in Kleinasien und besonders zu Corinth, über fleischliche Ausschweifungen, ja Paulus erteilt auch seinen Delegaten, Timotheus in Ephesus und Titus in Kreta, die strengsten Verhaltungsregeln — cfr. Römer 13, 13. 1 Corinth. 5, 1. 9. 6, 9. 7, 2. Galat. 5, 19. Coloff. 3, 5. Ephes. 5, 3. 1 Thessalon. 4, 3. 1 Timoth. 5, 15. Tit. 1, 8. 2, 5. 6. 1 Petr. 2, 11. 2 Petr. 2, 14. Jacob. 4, 4. Hebr. 13, 4. Nur eine Gemeinde belobt Paulus ihrer Tugend wegen, — dies sind die Philippenser. —
Fassen wir die Stellung der Gesetzgebung zur Prostitution ins Auge, so finden wir, dass Gesetze dagegen so wenig ausgerichtet haben und überhaupt ausrichten können, als z. B. ein Gesetz gegen das Spiel oder die Trunkenheit ausrichten kann. Hier kann nur eine höhere Macht entscheiden, unter welcher sich der Riese Gesetz ebenfalls beugen muss, — das ist die öffentliche Moral. Daher sind diejenigen Gesetzgebungen in praxi immer am meisten glücklich gewesen, welche die Prostitution — dieselbe als ein notwendiges Übel ansehend — duldeten und sich nur auf gewisse Beschränkungen und Vorsichtsmaßregeln reduzierten, um der sittlichen Verwilderung möglichst einen Damm entgegenzusetzen oder die mit der Prostitution verbundenen syphilitischen Krankheiten möglichst zu isolieren und der weitern Ansteckung vorzubeugen. Fangen wir bei den Römern an.
Die alte Zeit der Republik war sittenstreng und durch das Institut der Zensoren geschützt. Unter der Kaiserregierung ward die Prostitution erlaubt und die Bordelle gesetzlich toleriert (fornices, lupanaria, — letztere um deswillen so geheißen, weil eine Wölfin [lupa] das Aushängeschild jener Häuser in der suburra — der Königsmauer Roms — war, um an den Ursprung der Stadt und die Fabel von der Wölfin zu erinnern).
Doch waren die feilen Weiber für ehrlos erklärt (infames), und zeichneten sich durch eine besonders vorgeschriebene Tracht vor den römischen Matronen aus; daher werden sie auch classis secunda (zweite Klasse! —) genannt.
Jene Prostituierten selbst nannte man meretrices, und noch schimpflicher: scorta, ihr Wirt wird leno (Kuppler) und caupo (Kneipier) genannt.
Selbst die edleren, gesitteten Römer waren von dem Nutzen jener Institute für Wüstlinge überzeugt, wie Horaz in seinen Satyren 1, 2, 31 ff. vom Cato sagt:
„Als ein bekannter Mann einmal aus einem Bordell kam, rief ihm der weise Cato zu: Bravo, das ist rechtschaffen. Wird ein junger Mann von böser Lust geplagt, so mag er billig hier absteigen, und nicht die Eheweiber Anderer besudeln.“
Die strengen Sitten der alten Deutschen, so wie die Verordnungen der Kirche verdammen gleichmäßig den außerehelichen Beischlaf, das Konkubinat und die öffentliche Preisgebung, welches Alles in Rom erlaubt war. Bekannt sind daher die Kirchenbußen, welche jede Geschwächte vor dem Altar, bei ihrem ersten Kirchgange, tun musste, und welche später in eine Geldabgabe an das Kirchenärarium (die sog. Hurenbrüche) verwandelt wurden.
Doch war der Einfluss des römischen Rechts auch in Deutschland so überwiegend, dass Carl V. in seiner peinlichen Gerichtsordnung keine Strafe auf die Prostitution setzte, obschon er in den Artikeln 116 — 123 die übrigen fleischlichen Verbrechen sehr speziell und streng abhandelte. Ja Carl ging nach dem Muster des römischen Rechts so weit, dass er — im Art. 119 — zur Konstituierung des Begriffs sträflicher Notzucht verlangte, dass die Beleidigte eine unverleumdete d. h. unbescholtene Ehefrau, Witwe oder Jungfrau sei.
Daher ward wohl in den meisten deutschen Territorien die Prostitution durch besondere Polizeiverordnungen verpönt und mit Gefängnis, Strafarbeit, Gassenkehren, Aushauen oder Orts- und Landesverweisung geahndet, ein allgemeines Gesetz deshalb ward jedoch in Deutschland nie promulgiert. Daher darf man sich auch nicht wundern, dass bei Kirchensynoden und Reichsversammlungen (z. B. auf dem Kostnitzer Concil 1415) Tausende „fahrender Dirnen“ den heiligen Vätern nachzogen und in der unter Kaisers und des heiligen Reichs Freiheiten gestellten Stadt ihr Heil versuchten.
Schreckenvoll wird aber erst die Prostitution durch das Auftreten der Syphilis, welche sich aus der Insel Cuba — durch die Vermischung der Europäer mit den Indianern — herschreibt, und bei den Zügen Carls VIII. zur Eroberung Neapels durch die Spanier den französischen Truppen mitgeteilt ward, unter welchen sie damals pestartig wütete und sich später unter dem Namen der Trousse-galante im dreißigjährigen Kriege den deutschen Heeren mitteilte. Hat nun auch die Syphilis, wie alle pestartigen Übel, als Typhus, Skorbut, Cholera, im Laufe der Zeit an Intensität verloren und haben sich ihre Elemente, bei einer vernünftigen Behandlung, mehr zu einem lokalen Leiden herabgestimmt, so fordert sie dennoch und immerfort viele Opfer, und nagt, langsam aber mörderisch, an dem gesunden Blut und Mark nicht bloß der jetzigen, sondern schon der künftigen Generation.
Namentlich war es aber die Rücksicht, die Folgen der Syphilis möglichst zu paralysieren, welche in den größeren Städten Deutschlands, — mit Ausnahme von Wien und Dresden, — wo es der priesterliche Einfluss verhinderte, — zur Überwachung und mithin zur Toleration der nach bestimmten Polizeigesetzen zu betreibenden Prostitution aufforderte. Um so mehr ist es erklärlich, dass kein Reichsgesetz dagegen erging, während doch das als viel weniger verderblich anzusehende Konkubinat, d. h. das geschlechtliche Zusammenleben oder die faktische Ehe ohne priesterliche Einsegnung, durch die Reichspolizei-Ordnungen von 1530, Tit. 30, von 1548, Tit. 25, und von 1577, Tit. 26, bei Strafe im ganzen Reiche verboten ward.
Das allgemeine preußische Landrecht — gültig vom 1. Juni 1794 — verbietet den außerehelichen Beischlaf und das Konkubinat nicht. Erst durch eine Kabinetts-Order vom 4. Oktober 1810 ist das Konkubinat verboten und, jedoch nur nach ministeriellen Bestimmungen, durch die Ortspolizei zu stören:
1) wenn dadurch ein öffentliches Ärgernis gegeben wird (wann dies der Fall sei, ist aber nirgends gesagt! — daher wird dieser Passus von den Geistlichen beliebig interpretiert);
2) wenn Ehehindernisse unter den Conkumbenten obwalten (z. B. zu nahe Blutsverwandtschaft, Adoption, Altersunreife, richterliches Verbot u. s. w.).
Dies gilt aber nicht allein vom Konkubinat, denn wenn ein öffentliches Ärgernis gegeben, wird, oder wenn Ehehindernisse vorwalten, ist der außereheliche Beischlaf gewiss auch unerlaubt, — wenigstens in den meisten Fällen, wo er bei zu nahen Verwandten, zwischen Vormund und Mündel u. s. w. schon ohne koinzidierendes Konkubinat Kriminalstrafen nach sich zieht.
Für Berlin besteht eine lokalpolizeiliche Vorschrift, wonach bestrafte und unter Polizeiaufsicht gestellte Personen überhaupt nicht gemeinschaftlich oder Einer bei dem Andern in Schlafstellen liegen, Personen verschiedenen Geschlechts auch nicht im Konkubinat leben sollen: dieses Polizeigesetz ist jedoch illusorisch, da es im praktischen Leben durch einen vorgespiegelten Aftermietskontrakt umgangen wird, gegen welchen die Polizei Nichts einwenden kann.
In Betreff der gewerbsmäßigen Prostitution (des Corpore quaestum facere) verordnet das Landrecht II., 20, §. 1023, 1024, dass liederliche Dirnen, welche mit ihrem Körper ein Gewerbe treiben wollen, sich in die unter Aufsicht des Staats geduldeten öffentlichen Häuser begeben müssen, widrigenfalls sie, bei erwiesener Preisgebung, das erste Mal verwarnt, in der Folge aber mit dreimonatlicher Zuchthausstrafe belegt und nach Ablauf derselben so lange in einem Arbeitshause detiniert werden sollen, bis sie Lust und Gelegenheit zu einem ehrlichen Fortkommen zeigen. Ich übergehe hier mit Recht das Bordellreglement für Berlin vom 2. Februar 1792 und das nach dem Muster anderer großen Städte ergänzte neue Reglement von 1835, da die Verhältnisse aufgehört haben, worauf sich diese Anordnungen bezogen. Genug, die Prostitution in Berlin sollte mit dem 1. Januar 1846 aufhören, die Bordelle wurden geschlossen und aufgeräumt. Ich finde aber kein Strafgesetz, wenn eine Dirne sich jetzt privatim prostituieren lässt. Denn die alleg. §. 1023, 1024 treffen nicht mehr, zu, weil die Supposition weggefallen ist, „dass die Dirnen unter Aufsicht des Staats ihr Gewerbe treiben können und dürfen.“ Meines Erachtens kann daher kein preußischer Richter eine seit dem 1. Januar 1846 Prostituierte strafen. In Berlin ist es freilich anders. Hier kognosziert die Polizei über die Prostituierten, und straft sie nach wie vor, nach jenen Paragraphen. Dagegen gibt es kein Rechtsmittel, und die einmal Verurteilte — was, dem Landrecht entgegen, nach ministeriellen Anordnungen auch ohne vorherige Warnung geschieht — wird nach dem Arbeitshause — nicht nach dem vom Gericht dependierenden Zuchthause — gebracht, wo sie nach Ablauf der drei Strafmonate beliebig detiniert wird und wo nur die Administration des Arbeitshauses über die einstige Entlassung verfügt.
Hiernach sind die Dirnen, wie im alten Rom, infames, oder, wenn man will, rechtlos, weil über sie kein Richterspruch, sondern nur der gewaltige Wille der Polizei oder der Inspektion des Arbeitshauses entscheidet.
Wenn nun die Prostitution ein historisch fortgeerbtes sittliches Übel ist, so fragen wir doch mit Recht, warum ist sie in der letzten Zeit, namentlich in Frankreich und England, und auch bei uns, zu einer so furchtbaren Höhe gestiegen? Die Grundursache habe ich schon angedeutet, sie liegt in der allgemein zunehmenden Verarmung und Nahrungslosigkeit, — im Pauperismus. Durch einen fast länger als 30 Jahre dauernden europäischen Frieden ist die Bevölkerung weit über die Verhältnisse und die früher als angemessen erschienene Verkeilung der Nationalgüter hinaus gewachsen, durch die täglich sich in großartigere Formen gestaltende Industrie, durch die Benutzung der Dampf-Kräfte, und durch den Handelsverkehr im Großen hat sich der Erwerb monopolisiert, das Vermögen liegt bei Einzelnen zu Ungeheuern Summen aufgehäuft, während die Menge hungert und friert, der Mittelzustand zwischen Reich und Arm — jener altdeutsche Bürgerkern, — verschwindet zusehends und mit reißender Schnelle, wir erhalten bloß Nairen und Parias, ganz so, wie es schon in England ist, wo 10 Prozent der Bevölkerung aus den Armenfonds erhalten werden müssen, und die Folgen dieses Notstandes sind, — täglich zunehmend, sittliches Elend, Verbrechen, Prostitution.
Bei der Betrachtung dieser, unsern gesellschaftlichen Zustand mit Zerstörung bedrohenden Faktoren macht sich der Verfasser „der Prostitution und ihrer Opfer“ Seite 76 ff. einer merkwürdigen unlogischen Begriffsbestimmung schuldig, indem er Proletariat, Verbrechen und Prostitution als koordinierte und in gegenseitiger Wechselwirkung stehende Verhältnisse darstellt. Dies ist unrichtig. Pauperismus, Verarmung, Proletariat sind identische Begriffe. Die proletarii oder capite censi waren in Rom die letzte Classe der Bevölkerung, welche keine Abgaben zahlte, — die Armen. Die Verarmung allein, d. h. der Mangel eines Staats an Nahrungsquellen, um allen seinen Gliedern einen zu ihrer Wohlfahrt hinreichenden Erwerb zu gewähren, ist lediglich die Grundlage aller dieser andern Übel.
Aus der Verarmung entspringt
Entsittlichung,
— denn es gehört viel stoische Tugend dazu, um bei hungerndem Magen und klappernden Zähnen das siebente Gebot pünktlich zu erfüllen, — daher
Verbrechen,
Preisgebung, und
Selbstmord.
Alle bisher hiergegen angewandten Mittel sind entweder Palliativen auf kurze Zeit gewesen, oder hohle und leere Redensarten geblieben, wie die „Lokal-Vereine für das Wohl der arbeitenden Klassen“, welche sich mit so großem Bombast zu ihrer Zeit ankündigten. Ja, die angewandten Mittel sind geradezu schädliche, wie das kostspielige Armenwesen. Was hilft es, dem Bettler auf heut eine Gabe zu reichen, wenn er morgen doch wiederkommen muss? Hilfe ist nötig, aber keine Unterstützung, Hilfe für die Dauer, aber keine augenblickliche Befriedigung bald wiederkehrenden Mangels. Dies kann nur geschehen, indem die Arbeit organisiert wird, d. h. indem die Erwerbsquellen des Staats ihren Ertrag dergestalt ausströmen lassen, dass dadurch der arbeitsfähige Teil der Bewohner für den Aufwand seiner Kraft verhältnismäßig so entschädigt wird, dass Jeder nicht bloß sich und die Seinigen erhalten, sondern auch noch pro rata den Unterhalt des nicht arbeitsfähigen Teils (Hospitäler, Krankenanstalten, Waisen- und Findelhäuser u. s. w., aber keine Pfründen und Sinekuren) übernehmen kann.
Es ist schwer, auf dieses Thema — das wichtigste in der Zeitgeschichte — nur einigermaßen einzugehen, ohne nicht von vorn herein von den beatis possidentibus mit den hämischen Worten: „Sozialist, Kommunist,“ abgefertigt zu werden, Worte, deren Bedeutung Die gar nicht kennen, welche am meisten darüber herziehen. Doch wir wollen uns nicht irre machen lassen. Die Erde hat — dies ist geometrisch und ökonomisch richtig, — ja der preußische Staat selbst hat bei weitem mehr tragfähiges Land, als zur Ernährung der Einwohner erforderlich ist. Warum kolonisiert man nicht die Armen im Vaterlande, anstatt sie nach Texas oder der Mosquitoküste oder den Ufern des Ohio auswandern zu lassen? Der eigentliche Proletarier wandert doch nicht aus, er ist zu arm oder schon gegen sein Schicksal abgestumpft, die Exilanten ziehen bloß die ungewisse Fremde der gewissen Verarmung vor, welche früher oder später nach dem bisherigen Gange der Dinge sie im Vaterlande trifft.
Durch Gesetze lässt sich dem Umsichgreifen des Proletariats noch weniger begegnen. Wir sehen dies an der lange beratenen Gewerbeordnung vom 7. Januar 1845, nach ihrer 1 ½ jährigen Gültigkeit. Sie hat Beschränkungen in gewerblicher Hinsicht gebracht, auf den Pauperismus ist sie ohne Einfluss geblieben.
Eine Perfidie ist es aber, wenn man sagt, die gesunkene Frömmigkeit ist Schuld an diesem Notstande. „Werdet fromm, wie die Väter,“ — sprechen jene heuchlerischen Weltverbesserer, — „und der Himmel wird die Plage von Euch nehmen.“ Wahre Religiosität, — wer möchte so frech sein, frage ich, hiergegen zu opponieren, — also wahre, echte Religiosität, gepaart mit der reinen und aufopfernden, alle Menschen gleichmäßig umfassenden Bruderliebe ist der Höhepunkt, die Krone des Lebens, und bedingt die körperliche und geistige Wohlfahrt nicht bloß eines lebenden Geschlechts, sondern auch seiner künftigen Generationen. Aber, wie kann die Frömmigkeit einen hungernden Magen kurieren? Die Zeiten der Wunder sind vorbei. Oder sind etwa diejenigen sehr Wohlhabenden fromm zu nennen, welche sagen, „für die Armen sei eben jene von Jugend auf angewöhnte Not und Entbehrung ein schützender Pelz, eine Schwielenhaut, ein wohltätiger Callus, welcher sie gegen die Schläge des Schicksals unempfindlich mache,“ und daher verlangen, dass man die Armen in dem Glauben aufwachsen lassen müsse, es könne nicht anders sein, weil sie einmal als Sünder geboren und durch den Zorn Gottes zu Leid und Entbehrung in diesem Leben verdammt seien, wofür sie in jenem Leben entschädigt werden sollten? Ist das Frömmigkeit? Ist das christliche Menschen- und Bruderliebe? Nein, es ist der höchste Grad des Eigennutzes und der Selbstsucht, welche sich aber sehr listig hinter der Maske der Frömmelei verkriecht. Also, ihr angeblich Frommen, ihr wollt ein „Irland“ in unserm Vaterlande gründen und ihr wollt jene unglücklichen Proletarier verdummen, damit sie nicht rufen und klagen und von euch fordern, ihr sollt ihnen wenigstens Menschenrechte — ich spreche nicht von Bruderrechten — geben! Sehet Russland, das grausame, gefühllose, verschrieene Russland. Seine Proletarier und Leibeigenen hatten bisher nur ein tierisches Leben, aber sie hatten Nahrung, und leset ihr nicht, wie Russlands Kaiser — dessen großes Reich noch lange nicht so sichtbar vom Pauperismus angefressen ist — schon seit Jahren seine Augen auf Hebung der materiellen und moralischen Wohlfahrt seines Volks richtet? Kennt ihr nicht seine Gesetze? Der Kaiser ist weise, denn, indem er dem Proletariat zuvorkommt, verhindert er am gewissesten, dass es einmal sich in die Höhe schwinge und die Banden der Gesellschaft sprenge. Also, noch einmal, nicht von innen heraus, sondern von außen her muss die Hilfe kommen: aus dem materiellen Wohl sich das sittliche Heil entwickeln.
England spekulierte zuerst auf Mittel gegen die Armut. Es erfand die Beschäftigungshäuser (Workhouses), allein die Einrichtung verfehlt ihren Zweck. Die Armen werden zu schlecht gehalten, zu übermäßig angestrengt, der Vater von der Mutter, die Mutter von den Kindern getrennt, und es fehlt nur noch die Isolierung in der pennsylvanischen Zelle, um den Armen härter zu strafen, als den Verbrecher. Dies ist auch nach dem preußischen Gesetz vom 6. Januar 1843 der Fall; dasselbe ist schon zu oft öffentlich besprochen worden, daher habe ich darüber Nichts mehr zu sagen.
Die Unzulänglichkeit aller Versuche, der steigenden Verarmung und ihren Folgen entgegen zu wirken, reizte spekulative Köpfe zum Nachdenken. Es entstanden noch nicht dagewesene Theorien, und Grundsätze wurden aufgestellt, welche das alte, lethargische Europa in Schrecken setzten, bei dem leisesten Gedanken an eine mögliche Realisierung solcher Prinzipien. Es waren der St. Simonismus, der Sozialismus, der Kommunismus. Ich setze die Theorien als bekannt voraus. Der St. Simonismus machte sich lächerlich und musste nach Asien flüchten, um dort die freie Frau zu suchen. Auf seinen Trümmern steht das Gebäude des Kommunismus, beide sind gleich verwerflich, weil sie das Besitzrecht negieren, welches die Basis eines Rechtsstaates ist. Hierdurch unterscheiden sie sich vom Sozialismus, welcher den Besitz beibehält. Fourier, der Stifter dieses Systems, an welches er die Arbeit eines Lebens setzte, ist gewiss ein origineller, tiefdenkender Geist, und, obschon seine Phalansteren in der Wirklichkeit unausführbar sind und die gehofften Lichtkronen nie die Polargefilde beglücken werden, so ist doch nicht zu verkennen, dass ihm die Welt jene großen und inhaltsschweren Wahrheiten verdankt, welche die neuern Sozialisten spezialisiert und verarbeitet haben. Allein alle diese Systeme sind nur Theorien, eine praktische Möglichkeit derselben führt zugleich die Auflösung aller bisherigen Verhältnisse und Einrichtungen mit sich.
Wenn es nach allem Diesen noch bisher nicht gelungen ist, ein Radikalmittel gegen den steigenden Pauperismus in Anwendung zu bringen und sonach die große soziale Reform noch zu erwarten steht: so folgt daraus von selbst, dass jene Verarmung und ihre Begleiter, Verbrechen und Prostitution, noch im Fortschreiten sind. Wir wenden uns daher wieder zu unserm Thema, zur Prostitution in Berlin, welcher in folgerechter Anwendung der ausgesprochenen allgemeinen Ansichten nur die Prognose des Zunehmens gestellt werden kann, bis endlich die Mittel gefunden sind, deren wir bedürfen.
Die Hebel der Prostitution sind hiernach
Armut,
und aus ihr entspringend
vernachlässigte sittliche Bildung,
böses Beispiel,
überwiegende Sinnlichkeit,
und wenn wir hierzu noch
die Verführung und
den Hang zum Luxus und Wohlleben,
welche beide wieder auf eine schlechte Jugenderziehung zurückführen, hinzunehmen, so dürften die moralischen Ursachen erschöpft sein, welche das Weib im Allgemeinen zur feilen Dirne machen.
Schon das Beispiel der in seinen Organen entwickelteren Tierwelt führt im Allgemeinen auf eine ausschließliche Vereinigung der beiden Geschlechter hin auf die Dauer der Zeugungs- und Geburtsperiode. Die Permanenz der in der Menschennatur liegenden Geschlechtstriebe begründet, nach analogischen Prinzipien, diese Vereinigung auf unbestimmte Zeit, also auf die Dauer eines ganzen Lebens, weil die Geschlechtstriebe einen integrierenden Teil der Funktionen des animalischen Lebens ausmachen. Eine Ausnahme würde nach dem Naturgesetz nur dann eintreten, wenn die Geschlechtstriebe früher erweislich erlöschen, also im Falle der Impotenz.
Jene dauernde Vereinigung zur Fortpflanzung des Geschlechts ist die Ehe, die „individua vitae consutudo“, wie sie der Römer nennt. Aus der Ehe entspringt die Familie, welche die Mutter des Staats ist, indem die Glieder der Familie mit ihrem Leben auch anfangen, Mitglieder des Staatsvereins zu sein.
Die Zeugung außer der Ehe begründet keine Familienrechte: zur Erlangung solcher hat für unehelich Geborene das Gesetz später künstliche Formen erfunden.
Der Staat ist also am besten bestellt, wo die meisten Menschen in der Ehe leben und leben können: die Ehe ist mithin durch den Wohlstand des Staates bedingt, weil natürlich die Familie größere Bedürfnisse hat, als der Einzelne, und daher ist der Staat der wohlhabendste und — weil aus dem materiellen Wohl auch das moralische Wohl erwächst — der am besten situierte, wo die meisten Eben verhältnismäßig angetroffen werden. Dagegen ist der Staat materiell verarmt und sittlich verwahrlost, wo die wenigsten Ehen im Verhältnis gefunden werden. Daher ist
Die Erhaltung und Förderung des allgemeinen Wohlstandes
und die damit in Verbindung stehende Beförderung der Ehen eine der ersten Pflichten des Staats.
Vielmännerei ist nirgends als naturgemäß gefunden worden, — nur in Indien gab es im Altertum das Institut der Polyandrie, — und schon Aristoteles verwirft es in seiner Republik deshalb, weil die Kinder einen Vater haben müssen, durch welchen der bestimmt wird. Polygamie andrerseits — wenn auch naturgemäßer — schwächt die Zeugungskraft beider Geschlechter und führt zu Ausschweifungen, welche den Menschen, als ein vernünftiges Wesen, unter die vernunftlose Tierwelt versetzen.
Es bleibt daher nur die Monogamie als das Verhältnis übrig, welches die Geschlechtstriebe ihrem Zwecke am gemäßesten entwickelt und zugleich mit dem in jedes Menschen Brust liegenden, durch Erziehung zum Bewusstsein gerufenen Sittengesetz in Einklang bringt.“
So ist die gewöhnliche Deduktion, um die Monogamie naturphilosophisch zu beweisen. Dagegen ist Nichts zu jagen. Erfahrung und Geschichte lehren aber, dass es nur wenige Menschen gibt, die nicht einen oder mehrere Triebe und Neigungen über die durch die Moralgesetze oder die Rücksicht auf praktische Verhältnisse vorgeschriebenen Schranken hinaus befriedigt hätten. So ist es namentlich mit dem Geschlechtstriebe — der nach den Bedürfnissen des Magens zu den unwiderstehlichsten von jeher gehört hat — gewesen. Der außereheliche Beischlaf hat zu allen Zeiten stattgefunden und wird stattfinden, so lange Menschen bloß Menschen und keine Heiligen sind. Eben so hat das unsittliche Weib — durch Sinnlichkeit überreizt, oder zum Erwerbe gedrängt ihre Reize von jeher verkauft, und dies wird fortdauern, so lange die Erde steht, selbst wenn die Weiber sich emanzipiert haben. Dieses Feilbieten des zweiten Geschlechts ist es, was wir Prostitution oder Preisgebung gegen Endgeld nennen. So wie wir gesehen haben, dass da der meiste materielle und moralische Wohlstand herrscht, wo die Ehe gedeiht, also selbstredend die Prostitution unterdrückt wird: so ist es andrerseits das Zeichen der Verarmung und des sittlichen Verfalls, wo die Ehen sich mindern und, in natürlicher Konsequenz, da der Geschlechtstrieb einen Ausweg suchen muss, die Prostitution zunimmt. Es ist also die Aufgabe der bürgerlichen Gesellschaft, in sich selbst einen Zustand zu erhalten, oder, wenn er nicht vorhanden ist, herbeizuführen, wo die Ehen zunehmen und die Prostitution sich vermindert.
Da Nichts in der Welt jemals den Gipfel der Vollkommenheit erreicht, wie ihn der Philosoph auf der Höhe der Abstraktion denkt, so kann und wird auch die Prostitution nie aufhören, sie kann nur abnehmen.
Schon in der Kindheit der Welt finden wir die unerlaubte Geschlechtslust. Zwar hat Moses über die Prostitution kein ausdrückliches Gesetz erlassen, denn er sagt nur, — 5. Buch Moses 22, 21. — dass die Dirne, welche in des Vaters Hause— intra lares et penatez — defloriert ward und von der es sich nach ihrer Verheiratung ergab, dass sie keine „Jungfrau“ mehr war, eine Torheit in Israel“ begangen habe und deshalb gesteinigt werden müsse. Allein wir müssen doch annehmen, — obschon jenes Gesetz nur bezüglich der Heiligkeit der Ehe und der dem Vater und Verlobten schuldigen Achtung erlassen ward, — dass Moses die Prostitution gewiss als eine Sünde gegen den Gott der Juden betrachtet hat, da er sich schon über den außerehelichen Beischlaf in vielen Stellen so streng ausspricht. So z. B. 1. Mos. Cap. 34 wird die Schwächung der Dina, einer Tochter der Lea, durch Sichem, Hemors, des Hethiters Sohn, ebenfalls „eine Torheit in Israel“ genannt, welche mit einem Blutbade endigte, welches Jakobs Söhne gegen ihren Vater mit den Worten entschuldigten: „Sollten sie denn mit unserer Schwester, als mit einer Hure handeln?“
Es ist und kann nicht meine Absicht sein, eine Geschichte der Prostitution und Syphilis der alten und neuen Zeit, oder der Stadt Berlin in specie zu schreiben. Ich beschränke mich lediglich auf das praktische Element, wozu hier allgemeine Umrisse genügen. Drei Stadien in der Geschichte der Prostitution sind es, worin dieselbe ihre Höhepunkte erreicht zu haben schien, die aber jedesmal von großem sittlichen Verfall und Einsturz der Verhältnisse des gesamten bürgerlichen Lebens begleitet waren.
Zuerst in dem griechischen Altertum die Zeit der Siege Alexanders. Als er die Frauen des geschlagenen Darius, wie glaubwürdige Geschichtsschreiber versichern, auf seinen verweichlichten thorus führte, hatte der Hetärismus in Griechenland — welcher weiter nichts ist, als die bis zur höchsten Raffinerie getriebene Prostitution — seinen Gipfel erreicht. Der Hauptsitz war Corinth. Kurz nachher erfolgte der Untergang des eigentlichen hellenischen Altertums. Ein zweites Stadium eines so verwerflichen Übels bilden die Schwelgereien des Lucullus und Antonius, die Entsittlichung der ganzen römischen Welt, welche eigentlich schon mit der republikanischen Verfassung unterging. Jene Demoralisation zieht sich — mit Abwechselungen — durch die Kaiserzeit hin und war unter der Mätressen- und Libertinenwirtschaft des schwachen Claudius auf ihrem Kulminationspunkte angelangt. Das dritte Stadium ist das Zeitalter der letzten Könige aus dem Hause der Valois, unter Katharina, der Mediceerin, und ihrem italienischen Hofstaate, wo die Sittenverderbnis, vom Hofe ausgehend, sich über alle Klassen der Gesellschaft verbreitete, und nur in dem schroffen Calvinismus der Hugenotten einen schwachen Widerstandspunkt fand. Der alte französische Königsstaat ging unter, auf seinen Trümmern baute Ludwig XIV. seinen Gedankenstaat, welchem er aber doch keinen Halt für die Zukunft zu geben vermocht hat, da die Sittenverderbnis die Pfeiler der Gesellschaft bereits zerfressen hatte.
Zwar hat das Christentum durch seine reine und geläuterte Moral, welche von keiner Sekte, keinem System und in keinem Jahrhundert angefochten worden, und welche daher seine starke Seite ist, eine andere Auffassung der Lebensverhältnisse, also auch der wechselseitigen Beziehungen zwischen Mann und Weib gelehrt. „Reinigkeit des Herzens, des Sinnes, des Handelns“ sind die Gebote des Stifters, die er mit seinem Tode besiegelte. Aber dennoch scheint es, als ob in der sogenannten apostolischen Zeit, welche man der Gegenwart zum Muster und zur Nacheiferung aufzustellen so angelegentlich bemüht ist, — die christlichen Moralgesetze in Bezug auf die Geschlechtsverhältnisse sehr ärgerlich und gröblich verletzt worden sind, was man sich nur als unverkennbare Spuren von den früheren Gewohnheiten der heidnischen Anhänger der neuen Lehre erklären kann. So eifern Paulus und Petrus gegen alle ihre Gemeinden, namentlich in Kleinasien und besonders zu Corinth, über fleischliche Ausschweifungen, ja Paulus erteilt auch seinen Delegaten, Timotheus in Ephesus und Titus in Kreta, die strengsten Verhaltungsregeln — cfr. Römer 13, 13. 1 Corinth. 5, 1. 9. 6, 9. 7, 2. Galat. 5, 19. Coloff. 3, 5. Ephes. 5, 3. 1 Thessalon. 4, 3. 1 Timoth. 5, 15. Tit. 1, 8. 2, 5. 6. 1 Petr. 2, 11. 2 Petr. 2, 14. Jacob. 4, 4. Hebr. 13, 4. Nur eine Gemeinde belobt Paulus ihrer Tugend wegen, — dies sind die Philippenser. —
Fassen wir die Stellung der Gesetzgebung zur Prostitution ins Auge, so finden wir, dass Gesetze dagegen so wenig ausgerichtet haben und überhaupt ausrichten können, als z. B. ein Gesetz gegen das Spiel oder die Trunkenheit ausrichten kann. Hier kann nur eine höhere Macht entscheiden, unter welcher sich der Riese Gesetz ebenfalls beugen muss, — das ist die öffentliche Moral. Daher sind diejenigen Gesetzgebungen in praxi immer am meisten glücklich gewesen, welche die Prostitution — dieselbe als ein notwendiges Übel ansehend — duldeten und sich nur auf gewisse Beschränkungen und Vorsichtsmaßregeln reduzierten, um der sittlichen Verwilderung möglichst einen Damm entgegenzusetzen oder die mit der Prostitution verbundenen syphilitischen Krankheiten möglichst zu isolieren und der weitern Ansteckung vorzubeugen. Fangen wir bei den Römern an.
Die alte Zeit der Republik war sittenstreng und durch das Institut der Zensoren geschützt. Unter der Kaiserregierung ward die Prostitution erlaubt und die Bordelle gesetzlich toleriert (fornices, lupanaria, — letztere um deswillen so geheißen, weil eine Wölfin [lupa] das Aushängeschild jener Häuser in der suburra — der Königsmauer Roms — war, um an den Ursprung der Stadt und die Fabel von der Wölfin zu erinnern).
Doch waren die feilen Weiber für ehrlos erklärt (infames), und zeichneten sich durch eine besonders vorgeschriebene Tracht vor den römischen Matronen aus; daher werden sie auch classis secunda (zweite Klasse! —) genannt.
Jene Prostituierten selbst nannte man meretrices, und noch schimpflicher: scorta, ihr Wirt wird leno (Kuppler) und caupo (Kneipier) genannt.
Selbst die edleren, gesitteten Römer waren von dem Nutzen jener Institute für Wüstlinge überzeugt, wie Horaz in seinen Satyren 1, 2, 31 ff. vom Cato sagt:
„Als ein bekannter Mann einmal aus einem Bordell kam, rief ihm der weise Cato zu: Bravo, das ist rechtschaffen. Wird ein junger Mann von böser Lust geplagt, so mag er billig hier absteigen, und nicht die Eheweiber Anderer besudeln.“
Die strengen Sitten der alten Deutschen, so wie die Verordnungen der Kirche verdammen gleichmäßig den außerehelichen Beischlaf, das Konkubinat und die öffentliche Preisgebung, welches Alles in Rom erlaubt war. Bekannt sind daher die Kirchenbußen, welche jede Geschwächte vor dem Altar, bei ihrem ersten Kirchgange, tun musste, und welche später in eine Geldabgabe an das Kirchenärarium (die sog. Hurenbrüche) verwandelt wurden.
Doch war der Einfluss des römischen Rechts auch in Deutschland so überwiegend, dass Carl V. in seiner peinlichen Gerichtsordnung keine Strafe auf die Prostitution setzte, obschon er in den Artikeln 116 — 123 die übrigen fleischlichen Verbrechen sehr speziell und streng abhandelte. Ja Carl ging nach dem Muster des römischen Rechts so weit, dass er — im Art. 119 — zur Konstituierung des Begriffs sträflicher Notzucht verlangte, dass die Beleidigte eine unverleumdete d. h. unbescholtene Ehefrau, Witwe oder Jungfrau sei.
Daher ward wohl in den meisten deutschen Territorien die Prostitution durch besondere Polizeiverordnungen verpönt und mit Gefängnis, Strafarbeit, Gassenkehren, Aushauen oder Orts- und Landesverweisung geahndet, ein allgemeines Gesetz deshalb ward jedoch in Deutschland nie promulgiert. Daher darf man sich auch nicht wundern, dass bei Kirchensynoden und Reichsversammlungen (z. B. auf dem Kostnitzer Concil 1415) Tausende „fahrender Dirnen“ den heiligen Vätern nachzogen und in der unter Kaisers und des heiligen Reichs Freiheiten gestellten Stadt ihr Heil versuchten.
Schreckenvoll wird aber erst die Prostitution durch das Auftreten der Syphilis, welche sich aus der Insel Cuba — durch die Vermischung der Europäer mit den Indianern — herschreibt, und bei den Zügen Carls VIII. zur Eroberung Neapels durch die Spanier den französischen Truppen mitgeteilt ward, unter welchen sie damals pestartig wütete und sich später unter dem Namen der Trousse-galante im dreißigjährigen Kriege den deutschen Heeren mitteilte. Hat nun auch die Syphilis, wie alle pestartigen Übel, als Typhus, Skorbut, Cholera, im Laufe der Zeit an Intensität verloren und haben sich ihre Elemente, bei einer vernünftigen Behandlung, mehr zu einem lokalen Leiden herabgestimmt, so fordert sie dennoch und immerfort viele Opfer, und nagt, langsam aber mörderisch, an dem gesunden Blut und Mark nicht bloß der jetzigen, sondern schon der künftigen Generation.
Namentlich war es aber die Rücksicht, die Folgen der Syphilis möglichst zu paralysieren, welche in den größeren Städten Deutschlands, — mit Ausnahme von Wien und Dresden, — wo es der priesterliche Einfluss verhinderte, — zur Überwachung und mithin zur Toleration der nach bestimmten Polizeigesetzen zu betreibenden Prostitution aufforderte. Um so mehr ist es erklärlich, dass kein Reichsgesetz dagegen erging, während doch das als viel weniger verderblich anzusehende Konkubinat, d. h. das geschlechtliche Zusammenleben oder die faktische Ehe ohne priesterliche Einsegnung, durch die Reichspolizei-Ordnungen von 1530, Tit. 30, von 1548, Tit. 25, und von 1577, Tit. 26, bei Strafe im ganzen Reiche verboten ward.
Das allgemeine preußische Landrecht — gültig vom 1. Juni 1794 — verbietet den außerehelichen Beischlaf und das Konkubinat nicht. Erst durch eine Kabinetts-Order vom 4. Oktober 1810 ist das Konkubinat verboten und, jedoch nur nach ministeriellen Bestimmungen, durch die Ortspolizei zu stören:
1) wenn dadurch ein öffentliches Ärgernis gegeben wird (wann dies der Fall sei, ist aber nirgends gesagt! — daher wird dieser Passus von den Geistlichen beliebig interpretiert);
2) wenn Ehehindernisse unter den Conkumbenten obwalten (z. B. zu nahe Blutsverwandtschaft, Adoption, Altersunreife, richterliches Verbot u. s. w.).
Dies gilt aber nicht allein vom Konkubinat, denn wenn ein öffentliches Ärgernis gegeben, wird, oder wenn Ehehindernisse vorwalten, ist der außereheliche Beischlaf gewiss auch unerlaubt, — wenigstens in den meisten Fällen, wo er bei zu nahen Verwandten, zwischen Vormund und Mündel u. s. w. schon ohne koinzidierendes Konkubinat Kriminalstrafen nach sich zieht.
Für Berlin besteht eine lokalpolizeiliche Vorschrift, wonach bestrafte und unter Polizeiaufsicht gestellte Personen überhaupt nicht gemeinschaftlich oder Einer bei dem Andern in Schlafstellen liegen, Personen verschiedenen Geschlechts auch nicht im Konkubinat leben sollen: dieses Polizeigesetz ist jedoch illusorisch, da es im praktischen Leben durch einen vorgespiegelten Aftermietskontrakt umgangen wird, gegen welchen die Polizei Nichts einwenden kann.
In Betreff der gewerbsmäßigen Prostitution (des Corpore quaestum facere) verordnet das Landrecht II., 20, §. 1023, 1024, dass liederliche Dirnen, welche mit ihrem Körper ein Gewerbe treiben wollen, sich in die unter Aufsicht des Staats geduldeten öffentlichen Häuser begeben müssen, widrigenfalls sie, bei erwiesener Preisgebung, das erste Mal verwarnt, in der Folge aber mit dreimonatlicher Zuchthausstrafe belegt und nach Ablauf derselben so lange in einem Arbeitshause detiniert werden sollen, bis sie Lust und Gelegenheit zu einem ehrlichen Fortkommen zeigen. Ich übergehe hier mit Recht das Bordellreglement für Berlin vom 2. Februar 1792 und das nach dem Muster anderer großen Städte ergänzte neue Reglement von 1835, da die Verhältnisse aufgehört haben, worauf sich diese Anordnungen bezogen. Genug, die Prostitution in Berlin sollte mit dem 1. Januar 1846 aufhören, die Bordelle wurden geschlossen und aufgeräumt. Ich finde aber kein Strafgesetz, wenn eine Dirne sich jetzt privatim prostituieren lässt. Denn die alleg. §. 1023, 1024 treffen nicht mehr, zu, weil die Supposition weggefallen ist, „dass die Dirnen unter Aufsicht des Staats ihr Gewerbe treiben können und dürfen.“ Meines Erachtens kann daher kein preußischer Richter eine seit dem 1. Januar 1846 Prostituierte strafen. In Berlin ist es freilich anders. Hier kognosziert die Polizei über die Prostituierten, und straft sie nach wie vor, nach jenen Paragraphen. Dagegen gibt es kein Rechtsmittel, und die einmal Verurteilte — was, dem Landrecht entgegen, nach ministeriellen Anordnungen auch ohne vorherige Warnung geschieht — wird nach dem Arbeitshause — nicht nach dem vom Gericht dependierenden Zuchthause — gebracht, wo sie nach Ablauf der drei Strafmonate beliebig detiniert wird und wo nur die Administration des Arbeitshauses über die einstige Entlassung verfügt.
Hiernach sind die Dirnen, wie im alten Rom, infames, oder, wenn man will, rechtlos, weil über sie kein Richterspruch, sondern nur der gewaltige Wille der Polizei oder der Inspektion des Arbeitshauses entscheidet.
Wenn nun die Prostitution ein historisch fortgeerbtes sittliches Übel ist, so fragen wir doch mit Recht, warum ist sie in der letzten Zeit, namentlich in Frankreich und England, und auch bei uns, zu einer so furchtbaren Höhe gestiegen? Die Grundursache habe ich schon angedeutet, sie liegt in der allgemein zunehmenden Verarmung und Nahrungslosigkeit, — im Pauperismus. Durch einen fast länger als 30 Jahre dauernden europäischen Frieden ist die Bevölkerung weit über die Verhältnisse und die früher als angemessen erschienene Verkeilung der Nationalgüter hinaus gewachsen, durch die täglich sich in großartigere Formen gestaltende Industrie, durch die Benutzung der Dampf-Kräfte, und durch den Handelsverkehr im Großen hat sich der Erwerb monopolisiert, das Vermögen liegt bei Einzelnen zu Ungeheuern Summen aufgehäuft, während die Menge hungert und friert, der Mittelzustand zwischen Reich und Arm — jener altdeutsche Bürgerkern, — verschwindet zusehends und mit reißender Schnelle, wir erhalten bloß Nairen und Parias, ganz so, wie es schon in England ist, wo 10 Prozent der Bevölkerung aus den Armenfonds erhalten werden müssen, und die Folgen dieses Notstandes sind, — täglich zunehmend, sittliches Elend, Verbrechen, Prostitution.
Bei der Betrachtung dieser, unsern gesellschaftlichen Zustand mit Zerstörung bedrohenden Faktoren macht sich der Verfasser „der Prostitution und ihrer Opfer“ Seite 76 ff. einer merkwürdigen unlogischen Begriffsbestimmung schuldig, indem er Proletariat, Verbrechen und Prostitution als koordinierte und in gegenseitiger Wechselwirkung stehende Verhältnisse darstellt. Dies ist unrichtig. Pauperismus, Verarmung, Proletariat sind identische Begriffe. Die proletarii oder capite censi waren in Rom die letzte Classe der Bevölkerung, welche keine Abgaben zahlte, — die Armen. Die Verarmung allein, d. h. der Mangel eines Staats an Nahrungsquellen, um allen seinen Gliedern einen zu ihrer Wohlfahrt hinreichenden Erwerb zu gewähren, ist lediglich die Grundlage aller dieser andern Übel.
Aus der Verarmung entspringt
Entsittlichung,
— denn es gehört viel stoische Tugend dazu, um bei hungerndem Magen und klappernden Zähnen das siebente Gebot pünktlich zu erfüllen, — daher
Verbrechen,
Preisgebung, und
Selbstmord.
Alle bisher hiergegen angewandten Mittel sind entweder Palliativen auf kurze Zeit gewesen, oder hohle und leere Redensarten geblieben, wie die „Lokal-Vereine für das Wohl der arbeitenden Klassen“, welche sich mit so großem Bombast zu ihrer Zeit ankündigten. Ja, die angewandten Mittel sind geradezu schädliche, wie das kostspielige Armenwesen. Was hilft es, dem Bettler auf heut eine Gabe zu reichen, wenn er morgen doch wiederkommen muss? Hilfe ist nötig, aber keine Unterstützung, Hilfe für die Dauer, aber keine augenblickliche Befriedigung bald wiederkehrenden Mangels. Dies kann nur geschehen, indem die Arbeit organisiert wird, d. h. indem die Erwerbsquellen des Staats ihren Ertrag dergestalt ausströmen lassen, dass dadurch der arbeitsfähige Teil der Bewohner für den Aufwand seiner Kraft verhältnismäßig so entschädigt wird, dass Jeder nicht bloß sich und die Seinigen erhalten, sondern auch noch pro rata den Unterhalt des nicht arbeitsfähigen Teils (Hospitäler, Krankenanstalten, Waisen- und Findelhäuser u. s. w., aber keine Pfründen und Sinekuren) übernehmen kann.
Es ist schwer, auf dieses Thema — das wichtigste in der Zeitgeschichte — nur einigermaßen einzugehen, ohne nicht von vorn herein von den beatis possidentibus mit den hämischen Worten: „Sozialist, Kommunist,“ abgefertigt zu werden, Worte, deren Bedeutung Die gar nicht kennen, welche am meisten darüber herziehen. Doch wir wollen uns nicht irre machen lassen. Die Erde hat — dies ist geometrisch und ökonomisch richtig, — ja der preußische Staat selbst hat bei weitem mehr tragfähiges Land, als zur Ernährung der Einwohner erforderlich ist. Warum kolonisiert man nicht die Armen im Vaterlande, anstatt sie nach Texas oder der Mosquitoküste oder den Ufern des Ohio auswandern zu lassen? Der eigentliche Proletarier wandert doch nicht aus, er ist zu arm oder schon gegen sein Schicksal abgestumpft, die Exilanten ziehen bloß die ungewisse Fremde der gewissen Verarmung vor, welche früher oder später nach dem bisherigen Gange der Dinge sie im Vaterlande trifft.
Durch Gesetze lässt sich dem Umsichgreifen des Proletariats noch weniger begegnen. Wir sehen dies an der lange beratenen Gewerbeordnung vom 7. Januar 1845, nach ihrer 1 ½ jährigen Gültigkeit. Sie hat Beschränkungen in gewerblicher Hinsicht gebracht, auf den Pauperismus ist sie ohne Einfluss geblieben.
Eine Perfidie ist es aber, wenn man sagt, die gesunkene Frömmigkeit ist Schuld an diesem Notstande. „Werdet fromm, wie die Väter,“ — sprechen jene heuchlerischen Weltverbesserer, — „und der Himmel wird die Plage von Euch nehmen.“ Wahre Religiosität, — wer möchte so frech sein, frage ich, hiergegen zu opponieren, — also wahre, echte Religiosität, gepaart mit der reinen und aufopfernden, alle Menschen gleichmäßig umfassenden Bruderliebe ist der Höhepunkt, die Krone des Lebens, und bedingt die körperliche und geistige Wohlfahrt nicht bloß eines lebenden Geschlechts, sondern auch seiner künftigen Generationen. Aber, wie kann die Frömmigkeit einen hungernden Magen kurieren? Die Zeiten der Wunder sind vorbei. Oder sind etwa diejenigen sehr Wohlhabenden fromm zu nennen, welche sagen, „für die Armen sei eben jene von Jugend auf angewöhnte Not und Entbehrung ein schützender Pelz, eine Schwielenhaut, ein wohltätiger Callus, welcher sie gegen die Schläge des Schicksals unempfindlich mache,“ und daher verlangen, dass man die Armen in dem Glauben aufwachsen lassen müsse, es könne nicht anders sein, weil sie einmal als Sünder geboren und durch den Zorn Gottes zu Leid und Entbehrung in diesem Leben verdammt seien, wofür sie in jenem Leben entschädigt werden sollten? Ist das Frömmigkeit? Ist das christliche Menschen- und Bruderliebe? Nein, es ist der höchste Grad des Eigennutzes und der Selbstsucht, welche sich aber sehr listig hinter der Maske der Frömmelei verkriecht. Also, ihr angeblich Frommen, ihr wollt ein „Irland“ in unserm Vaterlande gründen und ihr wollt jene unglücklichen Proletarier verdummen, damit sie nicht rufen und klagen und von euch fordern, ihr sollt ihnen wenigstens Menschenrechte — ich spreche nicht von Bruderrechten — geben! Sehet Russland, das grausame, gefühllose, verschrieene Russland. Seine Proletarier und Leibeigenen hatten bisher nur ein tierisches Leben, aber sie hatten Nahrung, und leset ihr nicht, wie Russlands Kaiser — dessen großes Reich noch lange nicht so sichtbar vom Pauperismus angefressen ist — schon seit Jahren seine Augen auf Hebung der materiellen und moralischen Wohlfahrt seines Volks richtet? Kennt ihr nicht seine Gesetze? Der Kaiser ist weise, denn, indem er dem Proletariat zuvorkommt, verhindert er am gewissesten, dass es einmal sich in die Höhe schwinge und die Banden der Gesellschaft sprenge. Also, noch einmal, nicht von innen heraus, sondern von außen her muss die Hilfe kommen: aus dem materiellen Wohl sich das sittliche Heil entwickeln.
England spekulierte zuerst auf Mittel gegen die Armut. Es erfand die Beschäftigungshäuser (Workhouses), allein die Einrichtung verfehlt ihren Zweck. Die Armen werden zu schlecht gehalten, zu übermäßig angestrengt, der Vater von der Mutter, die Mutter von den Kindern getrennt, und es fehlt nur noch die Isolierung in der pennsylvanischen Zelle, um den Armen härter zu strafen, als den Verbrecher. Dies ist auch nach dem preußischen Gesetz vom 6. Januar 1843 der Fall; dasselbe ist schon zu oft öffentlich besprochen worden, daher habe ich darüber Nichts mehr zu sagen.
Die Unzulänglichkeit aller Versuche, der steigenden Verarmung und ihren Folgen entgegen zu wirken, reizte spekulative Köpfe zum Nachdenken. Es entstanden noch nicht dagewesene Theorien, und Grundsätze wurden aufgestellt, welche das alte, lethargische Europa in Schrecken setzten, bei dem leisesten Gedanken an eine mögliche Realisierung solcher Prinzipien. Es waren der St. Simonismus, der Sozialismus, der Kommunismus. Ich setze die Theorien als bekannt voraus. Der St. Simonismus machte sich lächerlich und musste nach Asien flüchten, um dort die freie Frau zu suchen. Auf seinen Trümmern steht das Gebäude des Kommunismus, beide sind gleich verwerflich, weil sie das Besitzrecht negieren, welches die Basis eines Rechtsstaates ist. Hierdurch unterscheiden sie sich vom Sozialismus, welcher den Besitz beibehält. Fourier, der Stifter dieses Systems, an welches er die Arbeit eines Lebens setzte, ist gewiss ein origineller, tiefdenkender Geist, und, obschon seine Phalansteren in der Wirklichkeit unausführbar sind und die gehofften Lichtkronen nie die Polargefilde beglücken werden, so ist doch nicht zu verkennen, dass ihm die Welt jene großen und inhaltsschweren Wahrheiten verdankt, welche die neuern Sozialisten spezialisiert und verarbeitet haben. Allein alle diese Systeme sind nur Theorien, eine praktische Möglichkeit derselben führt zugleich die Auflösung aller bisherigen Verhältnisse und Einrichtungen mit sich.
Wenn es nach allem Diesen noch bisher nicht gelungen ist, ein Radikalmittel gegen den steigenden Pauperismus in Anwendung zu bringen und sonach die große soziale Reform noch zu erwarten steht: so folgt daraus von selbst, dass jene Verarmung und ihre Begleiter, Verbrechen und Prostitution, noch im Fortschreiten sind. Wir wenden uns daher wieder zu unserm Thema, zur Prostitution in Berlin, welcher in folgerechter Anwendung der ausgesprochenen allgemeinen Ansichten nur die Prognose des Zunehmens gestellt werden kann, bis endlich die Mittel gefunden sind, deren wir bedürfen.
Die Hebel der Prostitution sind hiernach
Armut,
und aus ihr entspringend
vernachlässigte sittliche Bildung,
böses Beispiel,
überwiegende Sinnlichkeit,
und wenn wir hierzu noch
die Verführung und
den Hang zum Luxus und Wohlleben,
welche beide wieder auf eine schlechte Jugenderziehung zurückführen, hinzunehmen, so dürften die moralischen Ursachen erschöpft sein, welche das Weib im Allgemeinen zur feilen Dirne machen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der sittliche Zustand von Berlin nach Aufhebung der geduldeten Prostitution des weiblichen Geschlechts
Orientalische Kurtisane, Türkei 16. Jahrhundert
Französische Prostituierte im 17. Jahrhundert
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