Sittliche Schäden

Die Herkunft aus dem Katholizismus oder aus sozial ziemlich niedrig stehenden städtischen Volkskreisen erklärt es, dass unter diesen Pfarrern nicht wenig rohe Gesellen waren. Die Sünden des Standes machten obrigkeitliche Erlasse nötig, die wir heute nur mit Verwunderung lesen. So haben z. B. 1528 die kursächsischen Visitatoren die Geistlichen geprüft, „ob sie Säufer, Fresser, Luderer, Spieler und Zutrinker seien.“ Eins der verbreitetsten Laster der Zeit und auch des Pfarrstandes war das Trinken: mit ihren Bauern hockten so manche Pfarrer in den Schenken, oder bei Hochzeiten waren sie es, die „bis zur letzten Kandel“ warteten. Aber selbst ernste Leute, wie Mathesius, beurteilten dies Laster unbegreiflich mild. „Wenn ein armer, einfältiger Dorfpfarrer,“ so sagte er, „vom Wein oder Bier hinterschlichen, eingenommen und überwunden wird, ist fröhlich, kräht wie ein Hahn, springt und leckt (hüpft) wie ein Bock, und vergisst Gottes nicht, das geht alles wohl hin.“ Er weiß sogar von einem Pfarrer, der sein Kännlein mit auf der Kanzel hatte. Im Jahre 1541 richteten fünf hessische Superintendenten an den Landesgrafen Philipp eine Eingabe, worin sich folgende Stelle findet: „Nachdem viel Klagens hin und wider gehet über die Pfarrherrn, so da mit Vollsaufen und anderm lästerlichen Leben große Ärgernis von sich geben und doch ungestraft und ungebessert bleiben, so sehen wir für gut an, dass im Kloster Spitzkoppel ein Kerkner wieder angerüstet und den unablässlichen strafbaren Pfarrherren die Kore gegeben werde, entweder von der Pfarre abzuziehen oder in solchem Kerkner eine bestimmte Zeit, nach seiner Überführung Größe, mit Wasser und Brot zur Besserung gezüchtiget werde.“ Zank und Streit, Fluchen und Gotteslästerung, Unzucht, Spiel und Wucher, das sind die Sünden der Zeit (Abb. 13-15), vor denen der Pfarrstand nachdrücklich gewarnt wird. Auch eine Unsitte wird allerwärts und immer wieder bekämpft: das Schelten des Pfarrers von der Kanzel, vor allem auf andersgläubige (vgl. die Verordnung Abb. 16). Gegen manche erlittene Unbill wusste sich der gereizte Pfarrer auch nicht anders zu helfen oder dafür zu rächen, als dass er – meist mit Nennung des Namens – öffentlich seinen Gegner „abkanzelte“. Dazu kam, dass manche in ihrem Auftreten, und sogar in der Kirche, den geistlichen Charakter gar zu sehr verleugneten: Sie erschienen mit bunten, zerschnittenen, verbrämten Kleidern und mit breiten hörnigen Schuhen; sie trugen Bärte wie die Landsknechte, „auf den Seiten breit ausgezogen und unten schändlich verschnitten.“ Die Unfertigkeit der Verhältnisse zeigt sich ferner in einer in einer oft unglaublichen Disziplinlosigkeit der Geistlichen in den gottesdienstlichen Dingen. Völlig eigenmächtig und ohne jedes tiefere Verständnis änderten sie vielfach an der gottesdienstlichen Sitte nach völlig freiem Belieben. Es kam z. B. vor, dass sie ohne Wasser tauften (in Augsburg) oder statt Wasser Milch oder Malvasier gebrauchten. Die Kirchenordnungen dringen der mit aller Entschiedenheit auf ernste Befolgung der geltenden Sitte.

Abb. 014. Bildliche Darstellung der 10 Gebote. Holzschnitt ca. 1490. München, Kupferstichsammlung. Schr. 1846


Abb. 015. Die Tadelsüchtigen. Naive bildliche Darstellung von dem Splitter in des Nächsten und dem Balken im eigenen Auge. Holzschnitt aus: Sebastian Brandt, Mythologia Aesopi. Basel, Jacob von Pforzheim, 1501

014 Bildliche Darstellung der 10 Gebote. Holzschnitt ca. 1490. München, Kupferstichsammlung. Schr. 1846

014 Bildliche Darstellung der 10 Gebote. Holzschnitt ca. 1490. München, Kupferstichsammlung. Schr. 1846

015 Die Tadelsüchtigen. Naive bildliche Darstellung von dem Splitter in des Nächsten und dem Balken im eigenen Auge. 1501

015 Die Tadelsüchtigen. Naive bildliche Darstellung von dem Splitter in des Nächsten und dem Balken im eigenen Auge. 1501

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