Abschnitt 1

Friedericke Krüger - Teil 1


In der düstersten Periode der Reaktion, die dem hellen Sonnenlichte von l8l3 folgte, wie dem Tage die dunkle Nacht, jedoch, um ebenfalls, wie diese im unaufhaltsamen Umschwunge des Zeitenrades neuem Sonnenaufgange zu weichen – in der Zeit der ,,Demagogen“ –Verfolgung, in welcher Uhland die warnenden, von den Machthabern und ihrem Anhange ungern gehörten Worte sprach:


„Das ist der Fluch des unglücksel'gen Landes,
Wo Freiheit und Gesetz darniederliegt,
Daß sich die Besten und die Edelsten
Verzehren müssen in fruchtlosem Harm,
Daß, die für's Vaterland am reinsten glühn,
Gebrandmarkt werden als des Land's Verräther,
Und die noch jungst des Landes Retter hießer,
Sich fluchten müssen an der fremden Heerd.
Und während so die beste Krast verdirbt.
Erblühen wuchernd in der Hölle Segen
Gewaltthat, Hochmuth, Feigheit, Schergendienst“–

brachten die zuletzt genannten säubern Gesellen des Rückschrittes und der Verfinsterung, welchen meine Seele feind ist, wie die des Königs David den Blinden und Lahmen zu Jebus feind war, einen der wackersten und reinsten Vaterlandsfreunde, „der uns das Volksthum geschrieben“, den Begründer einer neuen, bessern Jugendbildung, den Schöpfer der Turnkunst, einen der eifrigsten Stifter von Lützow's wilder Jagd und Führer des dritten Bataillons in derselben, Friedrich Ludwig Jahn, auf die Festung Colberg, wo er mehrere Jahre in Haft gehalten wurde, ohne daß je ein Mensch erfahren hätte, Was er denn eigentlich verbrochen habe. Die Ursachen seiner Verfolgung und Freiheitsberaubung waren eben jene Gesellen, welche in der Gestalt des berüchtigten Demagogenriechers Kamptz und seiner Consorten wie brüllende Löwen umhertobten und suchten, wen sie verschlängen, wie sie denn auch mich zu verschlingen mehrmals, wiewohl vergeblich, den Rachen aufgesperrt haben, was zu anderer Zeit erzählt werden soll. Bei Kamptz, welchen die Bremer Zeitung damals zu dem vacanten, hochwichtigen Amte eines „Erzrumormeisters des heiligen Römischen Reiches“ empfahl, war die Triebfeder außer dem Schergensinn, mit dem er sich hinter die Macht versteckte, die gemeinste Rachsucht, weil „ein Schwärm verwilderter Professoren und roher Studenten“ (wie er in seiner Anklage bei dem Großherzoge von Weimar die Feiernden titulirte) auf dem Wartenberge bei Eisenach am Abend des 18. Oktobers 1817 über eine Anzahl verwerflicher, der Freiheit und dem Vaterlande verderblicher, Recht und Licht verdunkelnder Schriften als Fortsetzung des von Luther und einem Haufen verwilderter Wittenberger Professoren und Studenten veranstalteten Feuer-Urtheils vom 10. Dezember 1520, wo der Gottesmann außer der päpstlichen Bannbulle auch die kanonischen Rechtsbücher und die Schriften des Dr. Eck verbrannte, Gericht gehalten hatten. Unter jenen auf dem Wartenberge dem Feuer verfallenen Schriften war auch ein die Polizei-Willkür und Gewaltthätigkeit vertretendes Buch von Kamptz, der recht wohl wußte, daß hinter den Studenten ein Anderer stecke; denn das konnte sich jeder sagen, daß von uns allen aus dem Wartenberge versammelten Studenten, meinen lieben für seinen Frevel hernach noch zu acht Tagen Carcer verdonnerten „Mordbrenner von der Wartburg“, (wie er sich in meinem Stammbuche verewigt hat) Hans Ferdinand Maßmann und meine Freunde die Wesselhöfte, Dürre u. s. w. mit eingeschlossen, auch nicht Einer diese Bücher gelesen hatte; nur Einzelnen waren Werners Weihe der Kraft und des sonst hochachtbaren, hier aber auf einen argen Irrweg gerathenen Kosegartens 1) unglückselige Lobrede auf Napoleon bekannt. – Dieser Leiter der feurigen Jugend – darin irrte der Demagogenriecher nicht – konnte aber kein anderer sein, als der, welcher ihr 18l3 auf der Bahn des Ruhmes vorangegangen war, der Bahnbrecher Jahn, und daher gegen diesen sein grimmiger Haß, die Hauptursache des unfreiwilligen Aufenthaltes des Turnmeisters zu Colberg. Ein Gutes aber hat dessen Haft in der ruhmumstrahlten Feste für das deutsche Vaterland wenigstens gehabt: sie ward Veranlassung zu einem schönen Worte des alten Meisters in der deutschen Sprache, welches ich der Vergessenheit zu entreißen suchen will, indem ich es hier wiedergebe:

Während Jahns Festungshaft in Colberg starb nämlich dort am 29. Januar 1824 hochalterig der Bürger Joachim Friedrich Nettelbek. Jetzt giebt es im weiten Deutschland kaum einen nicht ganz verwahrlos'ten Schulknaben, der nicht Nettelbeks Leben gelesen oder doch nichts gehört hätte von seinem verwegenen Ritte, den der zehnjährige Knabe zweimal auf dem Riesendache des Colberger Domes entlang gemacht hat, von seinen kühnen Meerfahrten, seinen wunderbaren Lebensrettungen und Abenteuren auf denselben, von seiner Besonnenheit und seemännischen Furchtlostgkeit, seiner Festigkeit und Standhaftigkeit, und zum Schlusse seiner Heldenlausbahn – wie in deren Beginne während des stebenjährigen Krieges – von seiner Hochherzigkeit, seiner aufopfernden Vaterlandsliebe und dem kühnen Muthe, durch die sich der siebenzigjährige Greis in jener denkwürdigen Belagerung von 1807 um die Rettung seiner Vaterstadt unsterbliches Verdienst erworben hat, so, daß sein Name unverdunkelt neben Schill, Gneisenau, Waidenfels, Franziskus von Steinmetz, Lützow. Staak und der ganzen lorbeergekrönten Besatzung genannt wird.

Alsbald nach dem Tode Nettelbeks erschien im Hamburger Correspondenten eine Todeskunde von ihm, die von niemand anders, als von Fr. L. Jahn herrühren konnte, denn so konnte im ganzen deutschen Reiche kein anderer schreiben, als eben Er. Sie lautete wörtlich also:

„Den 29. Januar starb zu Colberg Joachim Christian Nettelbek, geboren den 20. September 1738. Sein Name erinnert noch aus der neuesten Geschichte an die glanzvollsten Zeiten des deutschen Bürgerthums. Im Jahre 1777 gelang es ihm, mit der waglichsten Kühnheit das vom Blitz entzündete Feuer im Thurme der Marienkirche zu löschen, jener Kirche, welche die vorbeisegelnden Schiffe auf sieben Meilen erblicken und in deren Riesendache ein Eichwald verbaut ist. Die Belagerung von 1806 und 7 verjüngte den Greis zum jugendlichen Wehrmanne. Dafür ward ihm Ruhm in aller Welt und Anerkennung seiner Verdienste. Nur seine Stadtleute, für die er so viel gethan, die er zu Ruhm und Sieg und reichlichem Lohne 2) gezwungen, schienen das am wenigsten zu schätzen. Denn mehr wissen wollen, mehr wirken, als Zunftverwandte und Umwohner, wandelt sonst getreue Nachbarn in Neider, und Abgunst aus gekränkter Eigenliebe und dem Dünkel der Vornehmigkeit führt dann zum Splitterrichten. Darauf zielt der 85jährige Held mit seiner Sarg- Inschrift:

Mich hat in meinem Leben
Manch harter Sturm erschreckt,
Blitz, Donner, Wind und Regen
Hat mir manch' Angst erweckt.
Verfolgung, Haß und Neiden,
Ob ich's gleich nicht verschuld't,
Hab' ich doch müssen leiden
Und tragen mit Geduld. 3)“ –.




1) Was schreibest, Dichter du? „In Glutbuchstaben Einschreib' ich mein' und meines Volkes Schande. Fr. Rückert.
2) Der Stadt wurde ihr Antheil an der Kriegskontribution, 180,216 Thlr., vom Könige erlassen.
3) S. Paul Gerhards köstliches Lied: „Ich bin ein Gast auf Erden etc.“