Abschnitt 2

Friedericke Krüger - Teil 1


An diese Todeskunde und besonders an die unterstrichene Stelle wurde ich lebhaft erinnert, als ich die auf dem Titelblatte genannten Urkunden zur Hand nahm, um nach denselben ein wahrheitsgetreues Lebensbild des Heldenmädchens von Friedland zu entwerfen. War gleich die Tapferkeit und Todesverachtung, die kriegerische Tüchtigkeit und männliche Anstelligkeit des bei Beginn des Krieges dreiundzwanzig Jahre alten Mädchens nicht wegzuleugnen, so wollten doch Neid, Scheelsucht und Verkleinerungssucht, die den Werth eines durch Thatkraft hervorragenden Mitbürgers ungern anerkennen, dem lebenslustigen Mädchen, dessen jugendliche Fröhlichkeit und Unbefangenheit manchem für Leichtsinn gegolten haben mochte, gern etwas anhaben. Dadurch ist es gekommen, daß, wenn ihrer erwähnt wurde, in ihr Lob sich immer Tropfen eines nicht auf Thatsachen gegründeten, sondern aus Geschwätz und Afterreden hervorgegangenen Tadels mischten, daß man mit einer gewissen Vornehmigkeit auf sie herabsah und lieber auf das Geklatsche des Neides hörte, der in allen, selbst den niedrigsten Ständen eine böse Rolle spielt, als daß man gesucht hätte, von ihrem Leben in und nach dem Kriege gründliche, auf Zeugnissen von Kundigen und Wahren beruhende Kenntniß zu erlangen und auf diese gestützt, sich ein gerechtes und billiges Urtheil über sie zu bilden.


Durch eine besondere Gunst des Geschickes ist es mir jetzt vergönnt, in Vertretung ihrer Vaterstadt das unbillig Versäumte nachzuholen und ihr damit neben Johanne Stegen, der Lüneburgerin, Eleonore Prochaska, dem Schwarzen Jäger, und der Chirurgenfrau Karoline Weiß (vgl. Rückerts Kranz der Zeit, Ausgabe v. 1817, S. 86 bis 94) zur Vervollständigung diesem weiblichen Vierkleeblattes ihren Ehrenplatz im Ruhmestempel des deutschen Volkes auf so lange zu sichern, als Vaterlandsliebe, Treue und Opferwilligkeit noch keine leeren Klänge sind.

Die Nachrichten über ihre Schicksale nach dem Kriege waren so spärlich und lückenhaft, daß mir auf alle meine oft gestellten Fragen auch nur über ihre häusliche Lage, ihre Familie, ihr und ihres Mannes Todesjahr u. s. w. niemand genügende Auskunft geben konnte. War doch die Kunde von ihr selbst bei dem, der, wie hernach erhellen wird, am meisten befähigt war, über sie Zeugniß abzulegen, dem Schmiede-Altermann und Thierarzte Brunn hieselbst, einem der Freiwilligen von 1813, so lückenhaft, daß, obgleich er sie in Frankreich kurz vor der Schlacht bei Laon getroffen und begrüßt und im Winter 1816 zur Zeit ihrer Verheirathung mit ihr verkehrt hat und am 5. März Zeuge der merkwürdigsten, gewiß noch nie vorgekommenen Trauung, nämlich der zweier Unteroffiziere zu Einem Paare in der Garnison-kirche zu Berlin gewesen ist, er mir nicht einmal das Regiment namhaft zu machen wußte, in welchem seine Landsmännin sich Männer-Ehre erworben hatte. Wenn das aber am grünen Holze geschah, was konnte man da vom dürren erwarten! Kein Wunder demnach, daß es selbst in einem jener Urkundensammlung angefügten Briefe des hiesigen Magistrats an den Sohn der Verstorbenen vom 10. November 1863 heißt: ,, . . . Es war uns nicht bekannt, daß Kinder der gefeierten Heldin am Leben seien; wir würden sonst den Wunsch ausgesprochen haben, dieselben an jenem Festtage (d. i. am 18. Oktober) hier zu sehen.“ –Ein kurzer, sehr dürftiger Lebensabriß von ihr im „Mellenburgischen Volksbuche“ von 1841 war hier nicht bekannt geworden.

Das Jubeljahr 1863 weckte endlich auch die Erinnerung an Friederike Krüger, und besonders war es der greise Brunn, der Sie seinen Mitbürgern ins Gedächtniß rief und diese zu einer, wenn auch noch lange nicht genügenden Aeußerung ihrer Hochachtung gegen das Heldenweib fortriß. In ihm, dem jetzt fünfundsiebenzigjährigen Greise, lebt mit Jugendfeuer die Erinnerung an jene Tage, da er in das vom Herzog Karl, dem Vater der Königin Luise von Preußen, im Frühlinge 1813 errichtete Husaren-Regiment eintrat. Dies Regiment nahm, allen Theorien von der Nothwendigkeit einer langen oder doch längern Dienstzeit spottend, in dem thatenreichsten aller Heerhaufen der Verbündeten, dem Yorkschen, an der großen Reihe von Schlachten und Gefechten, welche das Blüchersche Heer von der Oder bis zur Seine bestand, den glänzendsten Antheil, keinem, auch nicht dem ältesten und bewährtesten Reiter -Regimente nachstehend. Feindliche Reiterschaaren wurden von ihm zersprengt und vernichtet, Vierecke der französtschen Garde durchbrochen und niedergehauen, ganze Batterien der Feinde mit Bespannung und Mannschaft erobert und in der Völkerschlacht einer der beiden dort genommenen Adler – sie waren selten – von ihm gewonnen. Die klare und einfache Art von Brunn's Erzählung trägt das Gepräge der treuesten Wahrheitsliebe, wie denn auch seine Person nie dabei hervortritt, und das von ihm Mitgetheilte stimmt durchaus mit dem seiner Regimentskameraden überein. Auf seinen Antrieb nun beschloß die Bürgerschaft die Anfertigung einer zum Gedächtniß unsres tapfern Stadtkindes an dessen Geburtshause anzubringenden ehernen Tafel, und als der passendste Tag zur Enthüllung wurde der 18. Oktober gewählt. Erst nach diesem Feste erfuhr ich, daß ein Sohn der Gefeierten Steuerbeamter zu Wittenberge an der Elbe sei. Diesem schickte ich ein Exemplar meiner in der hiesigen Marienkirche an jenem Tage gehaltenen Jubelpredigt 4) zu, in welcher ich seiner Mutier ehrend gedacht hatte, und fügte die Bitte hinzu, mir Nachrichten über sie zukommen zu lassen. Er sandte mir alsbald eine ganze Mappe voll Urkunden über seine Mutter, und aus diesen, wie aus den Mittheilungen und Ergänzungen Brunns, dem durch alles dieses die alte Zeit wieder in vollem Glanze vor die Augen trat, aus einzelnen Stellen in des Majors von Bagenski Geschichte des Regiments Colberg und dem Wenigen, welches ich hier im Orte als gewiß über sie erfahren konnte, geht nun Folgendes sest und geschichtlich sicher hervor, wobei ich noch bemerke, daß ich, erst 1828 hieher gekommen, Sie nie gesehen habe.

Sophia Dorothea Friederike Krüger wurde zu Friedland nach dem Wortlaute des Kirchenbuches der hiesigen Nikolai-Gemeinde im Jahre 1789 am 4. (vierten) Oktober geboren und empfing am 8. desselben Monates in der heiligen Taufe die vorstehenden Namen. Ihr Vater hieß Johann Jürgen (Georg) Krüger, ihre Mutter Regina Maria, geborne Rappregen. Wie es gekommen, daß sie hernach als Soldat in ihren dienstlichen Zeugnissen bald Auguste, bald Friederike Auguste genannt wird, weiß ich nicht, erkläre mir aber diese Ungenauigkeit und Unrichtigkeit aus einer hier häufiger (aber auch anderswo) vorkommenden Ungehörigkeit, die Kinder nicht mit einem der in der Taufe ihnen beigelegten und also in allen ihren künftigen Verhältnissen allein diplomatische Gültigkeit habenden, sondern mit einem beliebig gewählten andern Namen zu benennen. Genug, „Auguste“ Krüger, die der König von Preußen mit Briefen beehrt hat, die von ihm mit einem lebenslänglichen Jahrgehalte von 72 Thaler, wie von seinem Schwiegervater mit einem solchen von jährlich 50 Thaler belohnt ist, die von ausgezeichneten Generälen und Obersten die ehrenvollsten Zeugnisse erhalten hat, die Rückert in seinem „Kranz der Zeit“ so köstlich besingt, ist mit der obengenannten Sophia Dorothea Friederike Krüger eine und dieselbe Person. Sie selbst hat sich zu verschiedenen Malen Auguste Friederike genannt.




4) Im Verlage von Richter. Friedland 1863. (Der Ertrag für Schleswig-Holstein bestimmt!)“