Geleitwort von Prof. Dr. Sigmund Freud. (Fortsetzung)

Es ist gar nicht einfach zu übersehen oder darzustellen, welche Folgen für die Kultur diese Behandlung des „peinlichen Erdenrestes" mit sich gebracht hat, als dessen Kern man die sexuellen und die exkrementellen Funktionen bezeichnen darf. Heben wir nur die eine Folge hervor, die uns hier am nächsten angeht, dass es der Wissenschaft versagt worden ist, sich mit diesen verpönten Seiten des Menschenlebens zu beschäftigen, so dass derjenige, welcher diese Dinge studiert, als kaum weniger „unanständig“ gilt, wie wer das Unanständige wirklich tut.

Immerhin, Psychoanalyse und Folkloristik haben sich nicht abhalten lassen, auch diese Verbote zu übertreten, und haben uns dann allerlei lehren können, was für die Kenntnis des Menschen unentbehrlich ist Beschränken wir uns hier auf die Ermittlungen über das Exkrementelle, so können wir als Hauptergebnis der psychoanalytischen Untersuchung mitteilen, dass das Menschenkind genötigt ist, während seiner ersten Entwicklung jene Wandlungen im Verhältnis des Menschen zum Exkrementellen zu wiederholen, welche wahrscheinlich mit der Abhebung des Homo sapiens von der Mutter Erde ihren Anfang genommen haben. In trübsten Kindheitsjahren ist von einem Schämen wegen der exkrementellen Funktionen, von einem Ekel vor den Exkrementen noch keine Spur. Das kleine Kind bringt diesen wie anderen Sekretionen seines Körpers ein großes Interesse entgegen, beschädigt sich gerne mit ihnen und weiß aus diesen Beschäftigungen mannigfaltige Lust zu ziehen. Als Teile seines Körpers und als Leistungen seines Organismus haben die Exkremente Anteil an der — von uns narzistisch genannten — Hoch Schätzung, mit der das Kind alles zu seiner Person gehörige bedenkt. Das Kind ist etwa stolz auf seine Ausscheidungen, verwendet sie im Dienste seiner Selbstbehauptung gegen die Erwachsenen. Unter dem Einfluss der Erziehung verfallen die koprophilen Triebe und Neigungen des Kindes allmählich der Verdrängung; das Kind lernt sie geheim halten, sich ihrer schämen und vor den Objekten derselben Ekel empfinden. Der Ekel geht aber, streng genommen, nie so weit, dass er die eigenen Ausscheidungen träfe, er begnügt sich mit der Verwerfung dieser Produkte, wenn sie von anderen stammen. Das Interesse, das bisher den Exkrementen galt, wird auf andere Objekte übergeleitet, z. B. vom Kot aufs Geld, welches dem Kinde ja erst spät bedeutungsvoll wird. Aus der Verdrängung der koprophilen Neigungen entwickeln sich — oder verstärken sich — wichtige Beiträge zur Charakterbildung.


Die Psychoanalyse lügt noch hinzu, dass das exkrementelle Interesse beim Kinde anfänglich von den sexuellen Interessen nicht getrennt ist; die Scheidung zwischen den beiden tritt erst später auf, aber sie bleibt nur unvollkommen; die ursprüngliche, durch die Anatomie des menschlichen Körpers festgelegte Gemeinschaft schlägt noch beim normalen Erwachsenen in vielen Stücken durch. Endlich darf nicht vergessen werden, dass diese Entwicklungen ebensowenig wie irgend welche andere ein tadelloses Ergebnis liefern können; ein Stück der alten Vorliebe bleibt erhalten, ein Anteil der koprophilen Neigungen zeigt sich auch im späteren Leben wirksam und äußert sich in den Neurosen, Perversionen, Unarten, Gewohnheiten der Erwachsenen.

Die Folkloristik hat ganz andere Wege der Forschung eingeschlagen und doch dieselben Resultate wie die psychoanalytische Arbeit erreicht. Sie zeigt uns, wie unvollkommen die Verdrängung der koprophilen Neigungen bei verschiedenen Völkern und zu verschiedenen Zeiten ausgefallen ist, wie sehr sich die Behandlung der exkrementellen Stoffe auf anderen Kulturstufen der infantilen Weise annähert. Sie beweist uns aber auch die Fortdauer der primitiven, wahrhaft unausrottbaren, koprophilen Interessen, indem sie zu unserem Erstaunen vor uns ausbreitet in welcher Fülle von Verwendungen in Zauberbrauch, Volkssitte, Kulthandlung und Heilkunst die einstige Hochschätzung der menschlichen Ausscheidungen sich neuen Ausdruck geschaffen hat. Auch die Beziehung dieses Gebietes zum Sexualleben scheint durchweg erhaben zu sein. Mit dieser Förderung unserer Einsichten ist eine Gefährdung unserer Sittlichkeit offenbar nicht verbunden.

Das Meiste und Beste, was wir über die Rolle der Ausscheidungen im Leben der Menschen wissen, ist in dem Buche von J. O. Bourke „Scatologic Rites of all Nations" zusammengetragen. Es ist daher nicht nur ein mutiges, sondern auch ein verdienstvolles Unternehmen, dieses Werk den deutschen Lesern zugänglich zu machen.
Freud, Sigmund (1856-1939)  österreichischer Neurologe, Tiefenpsychologe, Kulturtheoretiker und Religionskritiker.

Freud, Sigmund (1856-1939) österreichischer Neurologe, Tiefenpsychologe, Kulturtheoretiker und Religionskritiker.

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