Vorwort der Nachfolger Bourkes.

Man kann einem großen Arbeiter nicht besser danken als dadurch, dass man das Werk fortführt, dem er sein Leben gewidmet hat.

Ernst Grosse, Über den Ethnologischen Unterricht. Adolf Bastian als Festgruß. Berlin 1896, S. 597.


Wir stellen Grosses Bemerkung voran, weil sie zutreffend den Grund ausspricht, der uns zur Neubearbeitung sowohl vorerst von Dulaures als auch jetzt von Bourkes Hauptwerken bewog. In der Wissenschaft vom Geschlechtsleben des Menschen im ethnologischen Gesichtskreis sind wir glücklicherweise nicht die ersten, vielmehr haben wir darin sehr namhafte Vorgänger, die für unsere Untersuchungen bereits Unterlagen schufen. Wir erachten es für weitaus ehrenvoller und rühmlicher, ungebührlicher Vergessenheit anheimfallende, bedeutende Leistungen auszugestalten und wieder zur Geltung zu bringen, als aus literarischem Ehrgeiz zur Erhöhung des Glanzes unserer Namen jene zu verdunkeln, denen wir nie genug danken können, weil sie uns mit ihren Vorarbeiten nachhaltig gefördert haben. Wir sind nämlich der unumstößlichen wissenschaftlichen Überzeugung, dass Werke von der eigenen Beschaffenheit und Anlage, wie das Dulaures und das vorliegende Bourkes als kritisch gesichtete Stoffsammlungen allerersten Ranges für die Forschung einen unvergänglichen Wert besitzen und dass von ihnen mit Änderung der Überschrift unvermindert dasselbe gilt, was da Henri Gaidoz von der Faune Populaire und der Flore Populaire eines anderen Großen unter den Folkloristen, Eugène Rollands (21. III, 1846 — 24. VII, 1909) ausführt):*)

„Die Lebensarbeit Rollands wird als ein Denkmal der Wortkunde bestehen bleiben, und wir glauben nicht zu übertreiben, wenn wir diese Bezeichnung anwenden. Es sind ja, das weiß ich wohl, lediglich Stoffsammlungen, aber doch Bausteine, geduldig zusammengesucht, scharfsinnig gesichtet und meisterhaft geordnet, Der Leser wird kaum das Verdienstvolle daran herausfinden und deshalb oft weiter nichts als eine Zusammenstoppelung darin sehen; von dem Scharfsinn, der bei der Auswahl der Quellen die Führung gehabt hat, der die schlechten oder verdächtigen ausmerzte, davon merkt der Leser gar nichts. Man benutzt solche Sammlungen, ohne an das Verdienst ihres Urhebers zu denken. Sobald man solche Quellen nicht mit schönen Worten einleitet oder mit abgedroschenen Redensarten und Gemeinplätzen vorführt, sieht das Ganze gar nicht wie ein persönliches Werk aus und man schuldet dem Verfasser keinen Dank dafür, - aber man beutet seine Arbeit dennoch weidlich aus. Trotz allem wird aber dieses Lebenswerk fortbestehen und die Werke anderer, der „Schöngeister" überleben, mögen diese noch so hochmütig darüber urteilen. Selbst die gebildete, ja sogar die fachgelehrte Allgemeinheit gibt sich lieber mit Theorien als mit Tatsachen ab, mögen diese Theorien auch so vergänglich sein, wie Teufelgold, das sich bald in welke Blätter verwandelt. Wer kümmert sich heute in der Sprachenkunde noch um jene großartigen, leicht herzuzählenden Aufbauarbeiten, die zu ihrer Zeit solches Aufsehen erregten? Wer kümmert sich in der Mythologie noch um die etymologischen Systeme, wie etwa das Max Müllers? Ich glaube, dass man solche Fragen stellen kann, ohne sich der Achtungsverletzung gegen starke und scharfsinnige Denker schuldig zu machen, die aber beim Ordnen der Gedanken echte Dichter gewesen sind. Mögen auch solche Systeme im Verlaufe eines Geschlechts dahingeschwunden sein, ihren Urhebern und ihren Verbreitern sind sie niemals ganz unnütz gewesen: denn diese Systeme haben den Ruhm und das Glück ihrer Wortführer geschaffen und zwar nicht allein den wissenschaftlichen und schriftstellerischen Ruf, sondern betrachtet man die Sache ganz nüchtern, auch ihre Laufbahn und ihr irdisches Fortkommen.

*) Eugene Rolland et son oeuvre littéraire. Par Henri Gaidoz, Extrait du tome XI de Mélusine, Paris 1912, p. 35—37.

Demgegenüber ziehe man in Betracht, was uns von der Renaissance übrig geblieben ist, ich meine das Wiederaufleben der Wissenschaften, als nach dem Falle von Byzanz die aus dem Morgenlande geflüchteten Gelehrten mit den Handschriften der griechischen Literatur nach dem Abendlande kamen und als zur selben Zeit die Buchdruckerkunst erfunden wurde; alles dies verbreitete die Kenntnis vom klassischen Altertum, oder vielmehr, es schuf sie erst. Das war die Zeit der großen Humanisten, und die Büsten einiger stehen vielleicht jetzt noch im Collège de France als genii loci, und zwar mit vollem Recht. Aber wer kennt heutzutage, außerhalb des Kreises der Gelehrten oder sogar nur der Philologen, die Namen Budaeus, Turnebius, Ramus, Muretus und Lambinus? Und wie viele mögen eine Ahnung davon haben, dass eine ganze Menge heute allgemein gebräuchlicher Redewendungen unserer Sprache wahrscheinlich der einsichtigen Klugheit des zuletzt genannten Humanisten ihren Ursprung verdankt? Man kennt, zwar ihre Namen und man ehrt ihr Andenken, aber wer von den Sprachgelehrten liest noch ihre Werke? Dagegen zieht man den Thesaurus linguae graecae ihres Landsmannes und Zeitgenossen Henricus Stephanus heute noch zu Rate und man wird ihn auch noch in den kommenden Geschlechtern zu Rate ziehen, obwohl dieser Mann kein Universitätsprofessor wie sie war und auch nicht das Handwerk eines Schöngeistes betrieb. Zu seiner Zeit beachtete man sein Lebenswerk gewiss viel weniger als das jener Leuchten der Humanisten, weil man es zweifellos als Stoppelarbeit ansah; aber diese Stoppelarbeit überlebte dennoch die damals berühmtesten Werke, weil sie eine Stoffsammlung war, die die Quellen scharfsinnig benutzte, die sie weit hergeholt und treffend ausgewählt, wenn auch nicht immer gut geordnet hatte.

In seiner Lebensarbeit, der Fauna und Flora, bietet Rolland ein Werk von ähnlicher Art und von gleicher Verdienstlichkeit dar; sie wird deshalb fortbestehen und noch Nutzen bringen, bekannt sein und man wird sie zu Rate ziehen, wenn die Werke unserer zeitgenössischen Gelehrten, die auf das Lebenswerk Rollands als „Stoppelarbeit" verächtlich herabsahen, langst vergessen sind und im Staub der Bibliotheken ein trauriges Dasein fristen. Es gibt eben „Stoppelarbeiten", die viel wertvoller als theoretische Werke sind, und ich möchte fast behaupten, dass die angeblichen Theorien manchmal weiter nichts sind, als leeres Gerede, als Teufelsgold!"

Wir wissen nur zu gut, dass so manche Gelehrte auch von unseren mühevollen folkloristischen Arbeiten ebenso gering denken und wohl auch die Bourkes nicht höher veranschlagen als die Rollands und zwar schon darum, weil sie bei ihm zu wenige Erklärungen vorfinden oder die vorhandenen als unzulänglich ansehen. Wir versuchen es freilich des öfteren, nach dieser Richtung hin Bourke nachzuhelfen, doch stets innerhalb sehr eng gezogener Grenzen, weil wir das Schwergewicht auf die Tatsachen des Völkerlebens — wir brachten ihrer sechzehnhundert weitere bei — , nicht jedoch auf theoretische Auseinandersetzungen legen. Zu großen Synthesen gelangt man erst nach andauernder, langwieriger Sammeltätigkeit, mag auch immerhin mitunter das Endergebnis dem Forscher wie eine Erleuchtung bewusst werden. Es ist jedoch nicht immer im Vorteil des geistigen Fortschritts, damit zuerst hervorzutreten, was man nicht allseitig als sicheren Gewinn zu begründen vermag und was als eine Vermutung oder Annahme den Missgünstigen und Übelwollenden einen willkommenen Anlass zum Absprechen oder Drauflosgehen darböte, Tatsachen dagegen kann man nicht so mir nichts, dir nichts ableugnen, ohne sich dem Vorwurf der Begriffsstutzigkeit oder des Schwachsinns auszusetzen. „Nur Beharrung führt zum Ziel, — Nur die Fülle führt zur Klarheit — Und im Abgrund wohnt die Wahrheit", meinen wir mit Schiller.

Bourke kam als Soldat zu Heldenruhm und als Forscher erreichte er die höchsten Auszeichnungen, die gelehrte Gesellschaften zu gewähren haben. Er war seiner Erziehung Lind Stellung nach eine gesellschaftlich hervorragende Erscheinung. Dies zwang ihn zu mancherlei Rücksichten auf seine Umgebung, so dass es ihm hierdurch verwehrt war, sich etwa nach unserer Folkloristenart mit dem niedersten Volke gemein zu machen, dem er seine Studien zugewandt. Er war somit hauptsächlich auf Angaben aus zweiter Hand und auf Bucher angewiesen. Zum Überfluss war er weder mit der deutschen, noch mit den slawischen Sprachen genügend vertraut, ohne deren Kenntnis einem der Großteil der Folkloreliteratur nur in zufälligen Übersetzungen und Auszügen zugänglich wird. Ein einziges Erlebnis, das mit dem Harntanz der Zuñis, übte auf ihn einen so nachhaltigen Eindruck aus, dass er sich zehn Jahre seines Lebens hindurch nur der Erforschung der Skatologie zur Erklärung jenes Tanzfestes weihte. Das ist eben das Kennzeichen des Genies, dass es nur einer Anregung bedarf, um Großes anzustreben und zu erreichen, wahrend andere teilnahm- und verständnislos einen gleichen Fall übersehen oder belächeln. Das Lächeln der überlegenen Profilmenschen hat noch jeden Fortschritt gehemmt, wo nicht ganz verhindert. Wir nennen Profilmenschen jene Leute, die da hastig durchs Leben eilen und alles niederrennen, um ein nichtiges Ziel, z. B. Geldüberschüsse, Titel, Orden, Stellungen und Würden zu erjagen, doch keine Muße finden, um mit vollem Gesicht das Werden und Sein der Menschheit zu betrachten.

Bourke war ein Forscher, der mit ganzem Gesicht die Welt anschaute, nur war eben sein Ausgang von dem einen Erlebnis zu schwach, um damit allein das dicke Werk zu rechtfertigen. So geschah es, dass er unendlich mehr beibrachte, als zur Erklärung des einen Falles erforderlich war und sich begründen lässt. Ein Folklorist, der doch keinerlei gesellschaftliche Rücksichten zu beobachten verpflichtet ist, hätte sich zunächst die Zuñisprache gründlich zu eigen und sich mit den Zuñis aufs innigste vertraut gemacht, um alle ihre besonderen skatologischen Anschauungen und Sitten zu erheben, dann erst wäre er daran gegangen, Parallelen bei anderen Völkern aufzusuchen, um einen Vergleichsstoff zu gewinnen.

Wir denken, die Betrachtung müsse vom skatologischen Feldzauber ausgehen, weil das Pissen und Kacken als ein Ersatz für die sonst nicht leicht sinnfällig durchführbare Bodenbefruchtung mit menschlichem Samen auftritt. Aus dieser Grundvorstellung erklärt sich nach dem Gedanken der Übertragung jeder weitere Zauber bei sonstigen Anlässen. So leuchtet uns die enge Verbindung zwischen Erotik und Skatologie in der Anschauung der Primitiven am ehesten ein. Entgegen Bourke haben wir zu bedenken, dass der Harngenuss beim Tanz nur eine einzelne Erscheinungsform, und zwar eine sekundäre ist. Das Essen und Trinken von Auswurfstoffen ist ja nicht einmal etwas Besonderes. Eine Bedeutung gewinnt es erst im Zusammenhang mit religiösen und rechtlichen Urbegriffen, mit denen sich der Mensch als logisch denkendes Wesen von den übrigen Tieren abzuheben anfangt. Darin darf man mit die allerersten Ansätze zu einer religiösen Kultur des Menschen erblicken. Wir betrachten es darum als eine ausnehmend glückliche Fügung, dass es uns, Bourkes Nachfolgern, möglich ist, unzweifelhaft sichere, gut verständliche Gestaltungen eines solchen urzeitlichen Fühlens und Denkens beim südslawischen Bauernvolke nachzuweisen. Damit rückt die slawische Folklore von selber in den Vordergrund ethnologischer Sexualforschung und es ist ein eingehendes Verweilen bei ihr sachlich allseitig geboten.

Der Ekel, den Bourke beim Zuñihartanz empfand, regte ihn zum Forschen nach der Verbreitung und dem Ursprung der Erscheinung an. Ekel erfüllte ihn darüber, dass die unratgenießenden Menschen und Menschengruppen von dieser Empfindung durchweg frei sind und er gelangte nicht zur einsichtigen Selbstüberwindung, dass man ihre Geschmacksbetätigung mit derselben innerlichen Gleichmütigkeit, wie die eines im Dreck wühlenden Mistkäfers zu beurteilen habe, Mit der Kulturbrille vor den Augen gewann er auch nicht den vollen Einblick in das Wesen der Skatologie als einen Ausdruck des Geschlechtstriebes. Ekel ist eine Äußerung der individuellen Erotik. Das Genießen flüssigen oder patzigen Unrats ist an und für sich etwas Nebensächliches, tritt es nicht gleichzeitig sozusagen wie ein Hilfsmittel zur Erreichung eines wichtigeren Zweckes auf. Wäre Bourke die Bedeutung des Unrats im Fruchtbarkeitszauber, den er in Ermangelung von Belegen dafür nur streifte, ganz klar geworden, so hätte er sein Werk wohl von vornherein etwas anders eingerichtet. In der Vorstellung des Primitiven und des Neurotikers ist die Leibausscheidung ein durchaus nicht unwichtiger Bestandteil der Persönlichkeit, unter gegebenen oder geschaffenen Umständen sogar ihr mächtigster Ersatz oder ihre Vertretung. Sie wird zum Symbol, das den Verkehr mit anderen Mächten vermittelt, die unfassbar schalten und walten und die man im Guten, wie noch mehr im Bösen zu scheuen hat. So nahm die Lehre von der Signatur ihren Anfang; denn im Banne der Angst und Furcht befangen erblickt der Primitive Zusammenhänge, auf die wir mit unserem anders gedrillten Denken zuweilen in Träumen verfallen, solang wir geistig vollkommen gesund bleiben.

Dem Gesunden unseres Gleichen ist es vorerst unerklärlich, wie und warum der Primitive auf den Einfall gerät, in Krankheiten just den Unrat zu Heilzwecken zu gebrauchen. Betrachtet man jedoch die südslawischen Dreckzaubermittel und die dazu gehörenden alten, meist gereimten Sprüche, so erhalten wir vollen und befriedigenden Aufschluss. Wir erkennen zwar die Voraussetzung als grundirrtümlich, doch sie ist gegeben, und ihr Ausbau zeigt uns ein streng logisches Denken, das dem unseren nicht nachsteht, die wir Ursachen und Wirkungen klarer auseinander zu halten gewohnt sind. Gerechterweise ist die Unratheilkunde der Primitiven nicht anders zu bewerten als die Astrologie, Alchimie und metaphysische Spekulation, die da nebenher den einen und den anderen ihrer Adepten zu bedeutenden naturwissenschaftlichen Entdeckungen führten. Mögen Berufenere als wir die Frage beantworten, ob die moderne interne Medizin mit ihrer Menge seltsamer Mittel schon ganz die Spuren ihrer Vorläuferin, der Unratheilkunst, aus ihrer Apotheke ausgeschieden hat.

Die Mehrzahl volksmedizinischer Gebräuche ist uralt. Wir lernen sie erst in einer durch unendlich lange Übung festgelegten Fassung kennen und wissen nichts näheres von der Veranlagung jener Menschen, die den einen oder den anderen Brauch fanden oder erfanden. Ihren geistigen Zustand können wir nur vermutungsweise erschließen, wenn wir die Neurosen studieren. Von der Wanderung volksmedizinischer Bräuche wissen wir auch nicht zu viel, außer dass da und dort Kenntnisse durch Reisende, den Markt- oder Handelsverkehr, Handschriften und Druckwerke übertragen werden. Daher folgen wir zuweilen Spuren einer Weiterverbreitung, ohne den Ausgangspunkt zu erfahren. So manche religiöse und medizinische Anschauung verändert sich aber im neuen Volksgebiet derart, dass sie uns als ursprünglich bodenständig erscheint und es gebricht uns meist an allen Anhalten zu zuverlässigen Bestimmungen. Es ergeht uns damit wie so oft mit Lehnworten. Wer vermutete z. B. auf den ersten Klang hin, dass das slawonische bangaloz das italienische vagabondo, das chrowotische adrapovac unser Haderlump oder das bosnische lopijer unsere Grundbirne, das kerndeutsch anmutende und eigentlich dunkle mutterseelenallein das Französische moi tout seul und das geheimnisvolle abracadabra das griechische apotropaion sei? Wie das Ohr des Kindes in der Zeit des Sprechenlernens, so hört auch der Fremdsprachige anfangs nur einzelne Laute, und die verarbeitet der Mund sich gerecht bis zur Unkenntlichkeit. Die Urform und geographisch der Ursprung eines medizinischen Volksbrauches sind aber gewöhnlich noch schwieriger als die eines Wortes aufzuspüren, solange als nicht die Volksmedizin aller Länder aufs eingehendste erhoben worden ist. Die Frage nach den ältesten Krankheitsauffassungen bietet mehr als ein rein historisches Interesse dar. „Sie ist", wie Reinhard Hofschlaeger richtig hervorhebt, „da von der Ursache die Behandlung eines Leidens abhängt, aufs engste mit der Frage nach dem Ursprunge der ältesten Heilmethoden verknüpft, die ihrerseits wieder zu dem großen Problem hinüberleitet: Wie hat sich die Erhebung der Menschheit aus einem tierischen Dasein allmählich vollzogen?"*)

Es wird einmal die Zeit kommen, wo man den als keinen naturwissenschaftlich Gebildeten anschauen wird, der mit den Ergebnissen skatologischer Forschung nicht hinreichend vertraut ist. Man wird ihn jenen Badern oder Kurpfuschern anreihen, die da weder von der Psychoanalyse noch von der Mikrobenlehre etwas rechtes verstehen oder gar das Studium nach diesen Richtungen hin als ihrer Ehre und Stellung unwürdig halten. Wir haben uns damit abgefunden, das Unwissenheit, Denkunvermögen, Denkfaulheit und Bosheit jeweilig mit dem Mantel der Zucht und Sitte, des bedrohten Glaubens und gekränkten Rechtes drapiert aufzutreten pflegen, um geistigen Fortschritt zu behindern und die Männer zu begeifern, die ihn anzubahnen bestrebt sind. Wir werden uns jedoch der Angreifer zu erwehren bemühen und voraussichtlich erfolgreich, weil uns schon jetzt voll dreihundert bewährter Anthropophyteia-Mitarbeiter darin beistehen. Sie alle sind von der Überzeugung durchdrungen, „der Ethnologe habe die Aufgabe, sich in den Ideenkreis der Primitiven zu versetzen und von diesem aus dessen religiöse und sittliche Anschauungen zu erklären und zu begreifen, so albern oder widerwärtig sie auch erscheinen mögen. Sie haben so gut ihre Berechtigung, wie die Existenz eines hässlichen Tieres oder einer giftigen Pflanze in den Augen des Naturforschers, der sie seiner sorgfältigen Untersuchung unterzieht". **)

Aus dem südslawischen skatologischen Zauberglauben geht die Richtigkeit der Freud’schen Lehre vom engsten Zusammenhang zwischen der Anal- und Urethralgegend und dem Geschlechtswerkzeug, sowie dessen Tätigkeit folkloristisch unanfechtbar deutlich hervor. Diese Beziehung betont auch Wilhelm Stekel, Freuds Schüler, mittelbar mit Hinweis auf Bourkes Werk, über das er sich wohl eingehend ausgesprochen halte, wäre es ihm zugänglich gewesen.***) Wie J. Sadger, auch Freuds Schüler, darlegt, wird die Urethral- oder Harnerotik nicht selten vorbildlich für das ganze spätere Leben. „Dass sie zu diesem in besonders naher Beziehung steht, begreift sich sofort, auch wenn der Patient beide Produkte (die des Afters und des Geschlechtsgliedes) nicht regelmäßig psychisch gleichsetzt".****) Solche infantile Erotik behauptet sich unter den primitiven Kultur zuständen der Naturvölker ganz anders kräftig als in gesteigerter Kultur, die sich auf Kosten jener Kultur entwickelt, ohne sie in allen Bevölkerungsschichten völlig überwinden zu können. Wie das zugeht, und wie Glaube, Recht, Brauch und Sitte der Gesunden davon durchtränkt sind, das eben lehrt Bourkes jetzt neu bearbeitetes Werk.

*) Dr. med. Reinhard Hofschlaeger, Die Entstehung der primitiven Heilmethoden und ihre organische Weiterentwicklung, Archiv f, Geschichte d. Medizin, hrg. v. K Sudhoff Leipzig 1909, III, 82. —
**) Gustav Roskoff, Das Religionswesen der rohesten Naturvölker. Leipzig 1880, S. 151.
***) Dr. Wilhelm Stekel, Nervöse Angstzustände und ihre Behandlung. Mit einem Vorwort von Prof. Dr. Sigmund Freud. 11. Aufl. Berlin-Wien 1912, S. 82 ff. —
****) Dr. J. Sadger, Über Urethralerotik, Jahrbuch f. psychoanalytische und psychopathologische Forschungen, hrg. v. F. Bleuler, S. Freud und C. G. Jung, II, 410.


Aus den in diesem Buche angeführten Glaubensanschauungen und Bräuchen erkennt man als Grundgedanken des Primitiven:

1. Das Mächtigste und Gewaltigste, das da über alles Wirkliche und Eingebildete herrscht, dem sich alles unterwerfen und fügen muss, ist der Geschlechtstrieb und der Beischlaf als seine Kraftäußerung.

2. Die sichtbaren und greifbaren Abzeichen seines Könnens sind die Geschlechtsteile und deren Ausscheidungen.

3. An erster Stelle stehen die Geschlechtsteile, die der Zeugung eines neuen Wesens dienen. Ihre Mittel sind der Same und der Scheidenausfluss.

4. Den Geschlechtsgliedern nächst verwandte Teile (erogene Zonen) sind an zweiter Stelle vornehmlich der After, die Harnröhre, die Brüste, der Mund, das Ohr, das Auge, die Achselhöhlen, der Nabel, das Haar, die Finger- und Zehennägel.

5. Alles, was da in diesen Teilen enthalten ist oder aus ihnen hervorquillt, vorzüglich das Blut und der Speichel einschließlich des Wortes, kann zur Bezwingung der Geister dienen. Jede Krankheit ist aber nur die Gestalt, in der ein Geist seine Tücke dem Menschen offenbart. Das Verzehren von Unrat, das Beschmieren mit Dreck, das Bepissen, das Anspucken, das Belecken, das Bestreichen mit aller Art von Unflat und die Beschwörungen sind lauter Ersatzhandlungen für den anders nicht durchführbaren Beischlaf zur Bändigung und Vertreibung des menschenfeindlichen Geistes.

6. Die übrigen Geschöpfe sind dem Menschen in so mancher Hinsicht überlegen und daher sind auch ihre Ausscheidungen als Heilmittel häufig den menschlichen vorzuziehen.

7. Skor (Unflat) und Eros (Geschlechtstrieb) sind im Vorstellungskreis des Primitiven eine unnennbare Einheit.

Diese Grundanschauungen ermöglichen uns jedesmal eine befriedigende psychoanalytische Erklärung der in dem Buche angesammelten Tatsachen. An der Einreihung einzelner kann man immerhin nörgeln, doch hat dies wenig zu bedeuten. Wir sprechen ja noch immer vom Sonnenaufgang und Sonnenuntergang, von der Elementargewalt des Wassers und Feuers, gebrauchen unausgesetzt Redewendungen, die unsere naturwissenschaftliche Bildung ins ungünstigste Licht setzen, ohne uns damit etwas zu vergeben. So mag man auch die Einteilung der Abschnitte in Bourkes Werk, die doch unbedingt eine Übersicht erleichtert, trotz ihrer Mängel hinnehmen.

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Bourkes Hauptarbeit blieb ohne nachweislichen Einfluss auf die Entwicklung der Folkloredisziplin.*) Die wenigen Folkloristen, denen er sein in sehr kleiner Auflage und unter Ausschluss der Öffentlichkeit erschienenes Werk schenkte, waren schon in vorgerückten Jahren und außer Stande, es auszubauen, den jüngeren wieder war es schon seines Preises halber unerschwinglich. Noch bei Bourkes Lebzeiten heischte sein Verleger, ein Gemütsmensch, für ein Exemplar achtzig Dollars. Auch beeinträchtigte das Buch sein Pulverdruck und der schwer verständliche Stil, in dem es abgefasst ist. Bourke schrieb wie ein Haudegen auf dem Schlachtfelde und würzte seine Darstellung reichlich mit spanischen, französischen und an hundert Auszügen aus lateinisch radebrechenden Schriftstellern, deren geschwollene und verworrene Ausdrucksweise selbst uns Philologen vom Fach zuweilen mancherlei Schwierigkeiten bereitete, ehe wir den wahren Sinn ergrübelten. Wir bieten gewöhnlich unter Auslassung des fremdsprachigen Wortlautes jeweilig eine glatte Verdeutschung dar, während Bourke die Texte nur mit kurzen, nicht immer richtigen, englischen Inhaltsangaben versah.

*) Frau Matilda Coxe Stevenson veröffentlichte im XXIII. Jahrbericht des Bureau ot Am. Ethnology, Washington 1904, ein Werk: The Zuñi Indians. Thair mythology, esoteric fraternities, and ceremonies, 694 S. gr. 4° mit CXXXIX Taf. u. 94 Abb. im Text. Die gewaltige und gediegene Leistung verdient alles Lob, nur ist daran auszusetzen, dass die Frau der skalologischen Gebräuche der Zuñis mit keiner Silbe gedenkt und Bourkes Namen auch nicht ein einzigesmal erwähnt. Eine derartige, mit nichts zu rechtfertigende Vertuschung wichtigster Erscheinungen des Volkslebens beweist eine Verkennung der Aufgaben ethnologischer Forschung, in dem Sinne, wie sie der Naturforscher auffasst.

Den mitunter etwas lockeren Zusammenhang der Angaben in seiner Darstellung sah Bourke auch selber ein und er suchte ihn mit der ungefügen Stofffülle als schwer vermeidlich zu entschuldigen. Mit Hilfe unseres ausführlichen Schlagwörterverzeichnisses wird sich aber der Leser bei Bedarf rasch zurechtfinden. Wir beließen sein Gerüst unangetastet und bemühten uns, auffällige Lücken mit neuen Tatsachen zu ergänzen, Übergänge zu schaffen und Verstöße nach Tunlichkeit zu berichtigen, ohne dabei seine riesigen Verdienste irgendwie zu schmälern. Auch richteten wir unser Augenmerk auf Beibringung einer möglichst zulässigen Menge von Nachweisen älterer und der seit 1891 bis auf die Gegenwart angewachsenen deutschen, englischen, französischen und slawischen Literatur, um dem Leser die Fundstätten für tiefere Belehrungen anzuzeigen,

Etmuller, Schurig und Paullini gaben in ihren Büchern wesentlich gemeindeutschen Volksbrauch wieder. Wir hätten an der Hand einer umfassenden deutschen Folkloreliteratur dies im einzelnen bis auf unsere Tage nachweisen können, sahen jedoch davon ab, weil es uns wichtiger erschien, die Medizin weniger stark oder gar nicht von der Buchliteratur beeinflusster Volksgruppen zum Ausbau des Werkes heranzuziehen. So wählten wir denn unsere Zutaten absichtlich aus Gebieten, die Bourke kaum oder gar nicht berührte, denn wir wollen damit die Einheitlichkeit des Völkergedankens im Sinne Adolf Bastians auch an diesem Stoffe näher dartun. Nur Italien schlossen wir so gut wie ganz aus, um nicht unserem Freunde Corso vorzugreifen, der im nächsten, dem VII. Bande unserer Beiwerke, auch der skatologischen Folklore des italienischen Volkes einen ansehnlichen Raum widmet.

Das von Bourke häufig gebrauchte Wort savages verdeutschten wir, so oft es nur anging, mit „die Primitiven" oder umschrieben es. Es ist doch klar, dass wir wegen skatologischer Gebräuche nicht ohne weiteres ganze Gruppen herabsetzen mögen. Was wir beibringen, betrifft doch eigentlich bloß die Volksmenge — volgus inutile, fruges consumere natum — , mit der sich vorläufig vorwiegend nur Ethnologen, Folkloristen, Kulturforscher und Mediziner befassen.

Wir wollen mit dieser Neubearbeitung eine Einführung in das Studium der Skatologie liefern, um zu weiteren Sammlungen anzuregen. So umfangreich auch der Band gediehen, so erscheint er uns, die wir den Stoff einigermaßen näher kennen, doch nur gleichwie ein allgemein gehaltener Umriss, als eine Andeutung des Vorkommenden. Um in jeder Beziehung völlige Klarheit zu erlangen, bedarf es noch endlos vieler, sorgfältiger Ermittlungen. Wir bringen in den Anthropophyteia-Jahrbüchern ständig neue Ergänzungen zu vorliegendem Werke und richten darum an dessen Leser die Bitte um gefällige Zuwendung einschlägiger Erhebungen.
                                Friedrich S. Krauss und H. Ihm.