Der Begriff der „Toleranz“ in seiner ethischen Bedeutung

Der Begriff der „Toleranz“ in seiner ethischen Bedeutung hat einen viel tieferen Sinn als man mit der buchstäblichen Bedeutung dieses Wortes zu verbinden pflegt. „Toleranz“ im ethischen Sinne ist nicht nur „Duldung“, das Verlangen nach ihr ist nicht der bloße Wunsch, von Anderen, die im Besitze der Macht sind, „ertragen“ und „geduldet“ zu werden. In dieser Fassung wäre sie auf Seiten der sie Verlangenden die Bitte um eine zu erweisende Gunst, auf Seiten der Gewährenden die Erfüllung dieser Bitte, zu der sie aber durch keinerlei Verbindlichkeit verpflichtet wären. „Toleranz“ im ethischen Sinne ist eine sittliche Beorderung, welche Menschen an Menschen stellen, deren Erfüllung unbedingte Pflicht, deren Verweigerung ein Zuwiderhandeln gegen das Sittengesetz, ist. Die Berechtigung zu einer solchen Forderung und die Verpflichtung zu ihrer Erfüllung ist in der Humanitätsidee begründet, in dem Begriffe der „Allheit“, nach dem jeder Mensch als „Persönlichkeit“, als sittliches Wesen für seine Person, für sein Denken und seine Überzeugungen Achtung beanspruchen kann.

Die Handlungen jedes einzelnen Menschen als Mitglied einer bürgerlichen Gemeinschaft sind den Gesetzen dieser Gemeinschaft unterworfen. Er darf, wenn er diese Gesetze nicht billigt, durch Äußerung seiner abweichenden Meinung und durch überzeugende Einwirkung auf Andere für eine Beseitigung oder Änderung dieser Gesetze sich betätigen, muss sie aber, solange sie bestehen, befolgen und sich ihnen fügen. „Räsoniert, soviel ihr wollt und worüber ihr wollt, aber gehorcht!“, war die Regierungsmaxime und der Ausspruch Friedrichs des Großen. Ohne Gehorsam gegen die bestehenden Gesetze ist kein Staat möglich. Mit diesem Gehorsam geht aber das Recht der freien Meinungsäußerung Hand in Hand. Wegen dieses von Friedrich dem Großen allgemein zugestandenen Rechts hat Kant das Zeitalter Friedrichs das „Zeitalter der Aufklärung“ genannt. (Kant, ,,Was ist Aufklärung?“ Berlinische Monatsschrift, Dezemberheft 1784*).


*) Neben Friedrich II. verdient Kaiser Joseph II. als der um das „Aufklärungszeitalter“ wohlverdiente Monarch genannt zu werden, der durch seine kirchlichen Reformen und durch das 1781 erlassene „Toleranzedikt“ den ernsten Willen, Duldung und Glaubensfreiheit zu fördern, kundgegeben hat.