Zweite Fortsetzung

Die Sibirier, leidenschaftliche Liebhaber des Tees, sind auch gründliche Kenner desselben. Alle Sorten unterscheiden sie am Geschmack, ohne sich jemals zu irren; in Irkutsk z. B. geht jede Hausfrau in die Läden, probiert den Tee, indem sie einige Blätter in den Mund steckt, und weiß dann die Qualität auf ein Haar anzugeben. Diesseits des Ural findet eine solche Probe nicht statt; man nimmt hier den Tee aus den Kisten, macht daraus Packele von einem Viertel-, einem halben oder einem ganzen Pfunde und bietet ihn nur in dieser Weise feil. Wer ihn kauft, muss ihn so kaufen; das Probieren ist nicht erlaubt. Wir haben schon bemerkt, dass Tee in Papier eingeschlagen sein Bouquet verliert; es ist dies eine Tatsache, die sich leicht erklären lässt. In einer Kiste von etwa zwei Pud Gewicht liegt der Tee in einer kompakten Masse und befindet sich, als eine narkotische Pflanze, in einer Art von Gärung, wodurch sich das ihm eigentümliche Bouquet vermehrt; bei der Zerteilung in kleine Parzellen hingegen hört die Gärung auf, das Papier entzieht dem Tee dessen Duft und teilt ihm zum Ersatz seinen eigenen Geruch mit, und der Tee ist verdorben. Die hiesigen Teehändler verstehen diese Umstände nicht, und die Folge ist, dass wir teuren aber schalen Tee trinken. Einst wurde von Moskau nach Petersburg eine Kiste mit Tee der allervorzüglichsten Sorte abgefertigt, welche man dicht verschlossen und in Leder eingenäht hatte; durch einen Irrtum gelangte sie nicht an ihre Adresse und blieb ein ganzes Jahr über im Magazin eines Pelzwarenhändlers stehen. Als man sie eröffnete hatte der kostbare Tee sich in höchst gewöhnlichen verwandelt.

Die Sibirier, die in den Hauptstädten leben, haben lange nicht begreifen können, woher die Teehändler so wohlfeile und so ordinäre Sorten bekommen. Dass der Tee durch langes Zusammenliegen mit Kaffee, Zucker und anderen Artikeln eine Deterioration erleidet, war ihnen bekannt, allein der billige Preis und die ungewöhnlichen Blätter des Tees, die Spitzen und Stängel, die in ihm gefunden wurden, die trübe, rötliche Farbe des Aufgusses setzten sie in Erstaunen. Die Regierung ihrerseits entdeckte von Zeit zu Zeit Teeverfälschungen; in Petersburg mischte man ihn mit den Blättern des Weiderichs (epilobium), in Nijni und Kasan mit Schartenkraut (serratula) — Zutaten, die für die Gesundheit schädlich sind und deren Urheber daher gerichtlich verfolgt wurden. Einige vermuteten, dass die niedrigen Teesorten aus England eingeschmuggelt würden; Andere glaubten endlich, dass die Kaufleute den Irischen Tee mit schon ausgekochten und getrockneten Blättern vermischen.


Zuletzt zog die so enorm gestiegene Einfuhr des Backsteintees die Aufmerksamkeit der sibirischen Händler auf sich. Sie wussten dass die an China grenzende transbaikalsche Provinz sich aus dem Nachbarland mit diesem Tee versorge, aber wer konnte ihn in Russland zum Betrage von 130.000 Pud konsumieren? Nur die Kalmücken und Tataren? Die einfachste Berechnung zeigte, dass dieses unmöglich sei. Die Bewohner des Kreises Nertschinsk sind als die stärksten Konsumenten, die leidenschaftlichsten Liebhaber des Backsteintees bekannt; ihre Zahl beläuft sich auf 120.000 Personen beiderlei Geschlechts und der Verbrauch von Tee auf 25.000 Pud jährlich, so dass auf jeden Kopf im Durchschnitt nur etwas mehr als acht Pfund kommen. Nimmt man nun an, dass es im europäischen Russland 260.000 Tataren und Kalmücken gibt, und dass jeder von ihnen 10 Pfund Backsteintee im Jahre trinkt, so wird auch dann die Konsumtion bei ihnen den Betrag von 2.600.000 Pfund oder 65.000 Pud nicht übersteigen: wo bleiben denn die übrigen 65.000 Pud? Dabei wird der baichowy tschui aller Sorten, von der höchsten bis zur niedrigsten, nur aus den frischen Blättern der Teestaude bereitet; je jünger das Blatt, desto besser ist der Tee; von Stängeln und Stielen kann in dergleichen Sorten nicht die Rede sein. Der Backsteintee wird im Gegenteil aus reifen, vollkommen ausgebildeten Blättern präpariert; vielleicht sogar aus einer ändern Art Staude. Unsere Kenntnisse von der Methode, durch welche dieser Tee hergestellt wird, sind äußerst unvollständig; nur so viel ist bekannt, dass man die Blätter mit Zweigen und Stängeln abreißt und dann m hölzerne Formen zusammenpresst, wie man bei uns Backsteine verfertigt. Sobald man also unter dem buichowy tschai auch nur ein Stängelchen, auch nur das Fragment eines Zweiges findet, sobald sich unter den kleinen Blättern auch nur ein einziges langes, rötliches, die Normalgröße übersteigendes Blatt sehen lässt, kann man überzeugt sein, dass man eine Mischung vor sich hat.

Die sibirischen Kaufleute, welche Liebhaber und Kenner des Artikels sind, haben den Petersburger Tee einer chemischen Analyse unterworfen, nicht nach den Regeln der Wissenschaft, sondern nach denen ihrer eigenen Erfahrung. Sie nahmen z. B. einen Tee zum Preise von 1 Rubel 50 Kopeken das Pfund, schütteten ihn in die Teekanne umd begossen ihn anfangs mit heißem, nicht mit kochendem Wasser, worauf sich der dumpfige Geruch von abgestandenen, getrockneten Teeblättern offenbarte. Man ließ das erste Wasser ablaufen und begoss den Tee mit noch heißerem: der Geruch verwandelte sich in den des Backsteintees. Endlich tat man siedendes Wasser hinzu, und das Gebräu bekam den eigentlichen Teegeruch. Durch dieses Verfahren überzeugten sich die Sibirjaken, dass in der von ihnen geprüften Mixtur nur ein Drittel aus reinem Tee, der Rest aber aus abgekochten Teeblättern und kirpitschny tschai bestehe. Das Rätsel, was aus den 65.000 Pud Backsteintee werden mochte, war hiermit gelöst.
Nehmen wir nun an, dass der Teehändler die ordinärste Sorte zu 1 Rubel 50 Kopeken das Pfund einkauft, so kostet ihm 1/3 Pfund 50 Kopeken, 1/3 Pfund Backsteintee 16 Kopeken und die getrockneten Teeblätter gar nichts oder, wenn wir ja etwas dafür rechnen wollen, höchstens 4 Kopeken. Mithin kommt ein Pfund Tee, das im Laden zu 1 Rubel 50 Kopeken verkauft wird, dem Händler im Ganzen nicht über 70 Kopeken zu stehen. Dies ist der Grund, warum in den Hauptstädten mit jedem Jahr die Zahl der Teeläden zunimmt.

In dem so eben beschriebenen Prozess kann man nicht sagen, dass eine Verfälschung stattfindet; ob man baichowy oder kirpitschny tschai trinkt, immer bleibt es Tee und kein anderes Kraut. Die Mischung ist ganz unschädlich, und wir haben ihrer nur erwähnt, um zu erklären, wozu die ungeheure Quantität des in das europäische Russland eingeführten und auf dem Meere von Nyjni-Nowgorod verkauften Backsteintees gebraucht wird. Wer in Petersburg Tee zu 1 Rubel 50 Kopeken das Pfund verlangt, wofür der Kaufmann in Kjachta selbst eben so viel oder noch mehr bezahlen muss, der betrügt sich selbst, wie sich diejenigen betrügen, die für 50 Kopeken eine Flasche Jamaica Rum oder Dry Madeira kaufen wollen. Etwas anderes ist die Vermischung des Tees mit fremden, mehr oder weniger schädlichen Ingredienzien; dies ist eine Fälschung, und wird als solche von der Regierung unnachsichtlich verfolgt.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Teehandel in Russland