Hilferuf der afrikanischen [Schwarzen] an ihre weißen Brüder.*)

Brüder!
Ihr lebet in einem Lande, in welchem die Gerechtigkeit herrscht. Wenn Ihr abends Euer müdes Haupt zur Ruhe leget, so seid Ihr gewiss, dass Ihr nicht von bewaffneten Banden, von Brandstiftern und Mördern geweckt werdet!

*) Vorstehender Hilferuf geht dem Verfasser von einem 20jährigen jungen [Schwarzen] zu, der als Kind den Arabern in die Hände fiel, dessen Vater und Schwester vor seinen Augen erschlagen, dessen Mutter von ihm getrennt wurde. Nach langen Jahren schrecklicher Leiden, von denen sein Gesicht noch zahlreiche Narben trägt, hatte er das Glück, von einem Missionar angekauft zu werden, und studiert zurzeit in Lille, um dereinst als Apostel zu seinen Leidensbrüdern zurückzukehren.


Wenn bei Euch irgendwo ein einzelnes Verbrechen begangen wird, so schreitet die Justiz ein, sucht den Schuldigen, zwingt ihn zur Sühne und bestraft ihn nach Gebühr.

So ist es nicht bei uns!

Zerstreut über ein ungeheures Gebiet, ohne Zusammenhang, ohne Macht und ohne Waffen, sind wir auf Gnade und Ungnade den Menschenjägern ausgeliefert. Die tapfersten unter uns fallen im Kampfe, — sie sind nicht die Bedauernswertesten!

Stellet Euch einen Augenblick vor, Euer Land würde von Barbarenhorden überschwemmt: während Ihr im Schlafe lieget, würden Eure Wohnungen umringt, mit Flammen umzingelt, nur einen Ausweg ließe man Euch, um dem Feuertode zu entgehen, und an diesem schrecklichen Ausgange erwarteten Euch die Banditen, den Revolver in der Hand! Man entreißt Euch Euer Weib, ergreift mit brutaler Hand Eure unschuldige Tochter, bindet und knebelt Beide, legt Euch selbst trotz verzweifelter Gegenwehr das Joch um den Hals, fesselt Euch mit Stangen an die übrigen Gefangenen und zwingt Euch zu marschieren, rastlos, fast ohne Speise und Trank, nach jenen verfluchten Orten, wo man Mann und Weib und Kinder verkauft wie Tiere. Stellet Euch vor, wie Eure ermordeten Brüder rechts und links vom Wege liegen bleiben, ein Fraß der Schakale und Hyänen, wie ihre bleichenden Knochen buchstäblich den Weg bezeichnen, den spätere Karawanen zu nehmen haben! Und wenn Ihr all' die Schrecken, all' die Misshandlungen und Entbehrungen der weiten Reise überlebet, wenn Ihr lebend auf dem schrecklichen Menschenmarkte anlanget, was wartet Euer dann? Man reißt die Frau vom Manne, das Kind von der Mutter, und Ihr werdet das Eigentum, die Sache — Europäer, begreifet Ihr wohl den schrecklichen Sinn dieses Wortes? — Ihr werdet das Eigentum eines rohen, vertierten Menschen, der nun Rechte auf Euch, Eure Weiber, Söhne und Töchter erwirbt und ausübt, die derart aller Menschlichkeit Hohn sprechen, dass man sie kaum andeuten kann! Welch' ein Martyrium! Welche Herabsetzung der Menschenwürde!

Und wenn Ihr nun in dieser Lage wäret, wie wir in Afrika es sind, und Ihr sähet dann, wie andere Menschen, gleichfalls Eure Brüder, in Ruhe und Frieden der Güter des Lebens genießen, wie sie in Wohlhabenheit und Reichtum leben, wie sie in ihrem Dienst eine Macht haben, welche im Stande wäre, Euch zu erlösen aus diesem Elende, mit welcher Inbrunst würdet Ihr nicht die erhobenen Hände flehend nach ihnen ausstrecken!

Und wenn es möglich wäre — aber da sei Gott vor! — dass sie taub blieben gegen Euer Flehen, welche Verzweiflung würde nicht Euer Herz ergreifen!

O, christliche Brüder, Ihr gleichet nicht jenen herzlosen Wesen, die gleichgültig Zusehen können, wie ihre Brüder unter den grässlichsten Qualen hingemordet werden, wie ihre Schwestern hinabgestoßen werden in den Sumpf der allerinfamsten moralischen Erniedrigung!

Wir sind Märtyrer, Ihr werdet unsere Retter werden!

Gewiss fehlt es nicht an großmütigen Jünglingen, welche bereit sind, die Menschenjäger zu bekämpfen: aber der Vorkämpfer der Zivilisation und des Christentums in Afrika hat es gesagt: „Es genügt nicht allein, Freiwillige zu haben, wir bedürfen auch Waffen und Munition, und vor Allem Geld, ohne welches kein so großes Werk begonnen werden kann.

Was ist denn notwendig, um uns zu retten?

Der Kardinal Lavigerie hat es laut und deutlich gepredigt, die Blätter haben seine Reden mitgeteilt, und wer sich noch genauer darüber unterrichten will, der findet Ausführliches in der auf Veranlassung des hohen Kirchenfürsten herausgegebenen Broschüre: „Der Sklavenhandel in Afrika und seine Gräuel“ von Humanus.

Dort wird es klar gesagt, das Einzige, was uns retten kann, ist die Liebestätigkeit, die christliche Wohltätigkeit, die Betätigung der wahren Menschenliebe, die im Glücke auch des verzweifelnden Mitbruders nicht vergisst.

Die geringe Gabe des Armen, ein wenig von dem Überfluss des Reichen, das genügt, um Euren Brüdern und Schwestern Leben, Freiheit und Ehre wiederzugeben, ihre Seelen zur Erkenntnis des einen wahren Gottes zu rufen, ihre Körper vor dem Verkauf oder der Vernichtung zu bewahren!

Deshalb hoffen wir auf Euch, deshalb rufen wir Euch zu: Brüder, es ist die höchste Zeit, gehet ohne Zaudern ans Werk, denn jede Minute Verlust liefert Tausende von uns dem Tode und der Schande aus. Lasset Euer Herz sprechen. Auch Euer Europa hat nicht immer der Segnungen der Zivilisation und des Friedens genossen. Erzeiget Euch dankbar für diese großen Güter, indem Ihr uns helfet, zu werden, was Ihr seid, indem Ihr aus Afrika einen zivilisierten Weltteil machet. Auf Euch, auf Europa beruht unsere Hoffnung, von Euch allein erwarten wir unser Heil.

Und die Opfer, welche Ihr für uns bringet, werden nicht verloren sein. Afrika ist ein ungeheuer großes Land, reich an natürlichen Hilfsmitteln. Seine Bevölkerung ist dicht, wenigstens überall da, wo sie nicht durch die arabischen Teufel, die Lieferanten der Harems, vernichtet wurde. Habt Ihr der Zivilisation einmal Eingang verschafft, so wird Eure Industrie einen ausgedehnten und lohnenden Markt bei uns finden. Bande gegenseitigen Interesses werden uns verbinden und die Dankbarkeit, auf welche Ihr ein begründetes Recht haben werdet, wird unsererseits umso größer sein, je größer die Opfer sind, die Ihr für uns gebracht.

Ein Wort noch, Brüder! Ihr wisset nicht, was es heißt: leiden, wie wir leiden! Ein Tag, ein Augenblick ist für den Märtyrer ein Jahrhundert, eine Ewigkeit! Für Viele von uns ist Aufschub gleichbedeutend mit Entehrung und Tod! O, wir bitten Euch, wir flehen Euch an, verschiebet nicht auf morgen, was heute geschehen kann. Sehet nicht allein die Schwierigkeiten, sehet vor Allem auf das Verdienstliche der guten Tat und folget den Eingebungen Eures Herzens und den Lehren des Christentums, welche beide Euch sagen, dass auch der arme verfolgte Neger ein Geschöpf Gottes und Euer Bruder ist.

Namens seiner bedrängten Landsleute:
Farraghit Emmanuel Bienno ,
früherer Sklave.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Sklavenhandel in Afrika und seine Gräuel