Abschnitt. 2

Weshalb streckte der Graf Basilides Conexionsky plötzlich beide Beine gegen die Zimmerdecke empor und krähte förmlich vor überwältigender Heiterkeit?
„Si, si, carissimo!“ rief er unter fortwährenden Lachkrämpfen. „Die Luft ist wieder rein, und es geht nichts über eine gesunde, reine Luft“, kicherte er, und diesmal versuchte der Edle von Haußenbleib vergeblich zu lächeln, geschweige denn mitzulachen.
Vor drei Monaten hing in der Tat ein sehr schweres Gewölk, ganz unfigürlich genommen, über dem Haupte des Edlen, und die Luft um ihn her war so ungesund, so unrein, daß selbst seine besten Freunde, und beim Zeus, der Graf Basilides gehörte zu seinen besten Freunden, – sich die Nase nicht ohne Grund zuhielten.
Es war durchaus nicht abzusehen, in welcher Art eine ungeheuere Lieferung komprimierter Gemüse endigen werde; denn der Dunst, der vierzehn Tage nach der Ablieferung aus einigen der geöffneten Büchsen emporstieg, war schauderhaft und trieb selbst eine slowakische Arbeiterkompanie im Laufschritt aus den Magazinen. Der Edle hatte allen Grund, von einem düstern Gewölk über seinem Haupte zu reden: aber der Edle hatte auch alles Recht, sich der endlichen Desinfektion zu freuen. Mit Energie hatte er die verschiedenen Mittel und Mittelchen, die in solchen anrüchigen Fällen die Lüfte am sichersten reinigen, angewendet, und das Resultat war ein glänzendes gewesen. Der infernalische Duft hatte sich verzogen, die slowakische Arbeiterkompanie war in die Vorratskammern zurückkommandiert worden, und heute strahlte die Sonne des Glücks mit erneuertem Glanz auf das würdige Haupt des ehemaligen Barbiers von Krodebeck hernieder. Seine Enkelin war von neuem eine sehr annehmbare Partie für den Herrn von Conexionsky, und die von dem Edlen so hochgepriesene Offenherzigkeit seines jüngern Freundes legte der Exbarbier höchstens als ein weiteres Zeichen des guten Herzens des Grafen zu den übrigen bereits vorhandenen Beweisen. –
Nach einer frischen Papierzigarre greifend, gab aber Basilides Conexionsky jetzt sowohl seinem Körper wie der Unterhaltung eine andere Wendung. Indem er das wohlriechende Zündhölzchen, welches ihm der umsichtige Versorger Veronas dienstbeflissen reichte, mit einem sanften Neigen des Kopfes nahm und gebrauchte, sagte er:
„Ach, Väterchen, hören Sie den Regen! Hören Sie, wie er auf den Sumpf niederrauscht! Man könnte fast vor träumerischem Behagen zum Poeten darüber werden! Es geht doch nichts über einen solchen innern Frieden in Verbindung mit einem solchen äußern monotonen Geräusch. Mein Herz ist freilich in Wien; aber mein Körper ist augenblicklich mehr als je auf diesem Sofa, und aus dieser Trennung erwächst ein so außerordentlich anmutiges, süßes, unsagbares Drittes – ein, sozusagen, schwankendes Genügen, daß die Phantasie in Wahrheit eine brutta puttana sein müßte, wenn sie sich irgend im geringsten bemühte, einen Namen dafür aufzufinden. Beiläufig, mein Bester, jetzt wäre vielleicht der rechte Moment gekommen, um mir etwas Ausführlicheres über diesen jungen norddeutschen Kavalier, der bis jetzt einige Male so sonderbar durch Ihre liebenswürdige Konversation schäkerte, mitzuteilen. Nicht, daß er mich über den Rauch dieser Zigarre hinaus interessierte, allein Sie wissen, Papa, alle Menschen interessieren den Weisen, zumal wenn sie sich in so angenehmer Weise und in so innigster Vertraulichkeit mit der promessa in seinen Gesichtskreis einführen. Ist der junge Mann ein buon camarado, oder – oder das, was wir unter dem Gegenteil verstehen?“
Der Edle von Haußenbleib drehte sich ein wenig in seinem Fauteuil und antwortete: „Mein lieber Sohn, da es Ihnen gefällt, auch dieses Thema zu berühren, und ich gestehe wiederum, daß Sie auch hier einiges Recht dazu haben, so sollen Sie in dieser Hinsicht ebenfalls meine Seele so klar sehen wie den blauesten italienischen Himmel.“
Mit einem Blick nach dem Fenster meinte der Graf lächelnd:
„Das freut mich, vorausgesetzt, daß Sie nicht den heutigen Tag zum Bürgen Ihres Gleichnisses machen, Babbo! Offen gestanden, wenn mir jener junge nordische Edelmann unendlich gleichgültig ist, so interessiert es mich doch nicht wenig, zu erfahren, weshalb Sie nicht diesen Herrn von Lauen als Gemahl Ihrer Enkelin vorzogen, da doch, wie mir scheint, mannigfache Umstände, ältere und neuere Bezüge, heimatliche Neigungen und, wie ich fast Grund habe anzunehmen, auch gewisse Herzensbedürfnisse dort oben in Wien für ihn sprechen?!“
Der Edle hatte Furcht – er hatte unbedingt sehr große Furcht vor dem jungen Adeligen mit dem slawischen Namen, und er hätte nur das anzuführen brauchen, um deutlich darzulegen, weshalb er den Grafen Basil Conexionsky dem armen Junker Hennig vorzog. Er fühlte auch trotz allem eine gewisse, nicht unberechtigte Neigung zu dem Grafen und hätte auch dieses anführen können; allein der Graf würde vielleicht am allerletzten eine derartige Erklärung erwartet haben und war jedenfalls bereit, jede andere Auseinandersetzung eher gelten zu lassen.
„Sie wissen genug von meiner Vorgeschichte und der meiner Enkelin, teuerer Basil, als daß ich nötig haben sollte, noch einmal darauf zurückzugreifen“, sprach der Edle Häußler von Haußenbleib. „Und da ich in dieser Beziehung Ihnen gegenüber so ziemlich auf demselben Standpunkte mich befinde und das Buch Ihres Lebens sowie die höchst eigentümliche Chronik Ihres Geschlechts bis zurück in das dritte Glied, bis zu dem glänzenden Ahnherrn, Ihrem eigenen sonderbaren Herrn Großvater, zur Genüge kenne, so verbürgt mir das, daß auch Sie gar nicht wünschen, in solcher Art mich zurückgreifen zu lassen. Wir kennen einander, schätzen einander und können einander sehr nützlich sein – das genügt vollkommen, nicht wahr, lieber Graf?“
„Vollkommen!“ gähnte Basilides. „Aber greifen Sie ruhig, wie es Ihnen beliebt; Sie können mich stets nur auf das angenehmste berühren“, fügte er hinzu, und wenn ein Mensch imstande war, den Edlen von Haußenbleib aus der Fassung zu bringen, so vermochte das der liebe Graf durch solche Bemerkungen.
Allein der Edle faßte sich, wie wir wissen, sehr rasch, und so rettete er sich auch diesmal schnell, und zwar wiederum durch ein Wort, welches er nur in der Tiefe seiner Seele sprach, und fuhr laut fort:
„Wenn ich also über gewisse Tatsachen schweige, so kann ich über die Gefühle und Empfindungen, welche sich an eben diese Tatsachen knüpfen, da Sie es wünschen, nicht schweigen. O Dio, wie gern würde ich jene Idylle von Krodebeck, welche mir dieser Herr Hennig von Lauen vertritt, in den Kreis meiner Anschauungen, Geschäftsverbindungen und Hoffnungen aufnehmen; aber es geht nicht! Ich weiß kaum, wie ich mich in diesem Punkte Ihnen gegenüber delikat genug ausdrücken kann, und hoffe nur, daß wir uns auch hier, ohne viele Worte, verstehen werden. Ach, Basil, Sie machen sich keinen Begriff von dem Wust der Vorurteile, kleinlichen Rankünen und philisterhaften Begriffsverwirrungen, welche dort unten in jenem albernen Erdenwinkel in den Köpfen der Leute nisten, brüten und sich ins Unendliche vermehren. Dagegen ist die größte Intelligenz machtlos, und selbst Ihr Witz, mein Freund, würde vor so großartiger Stupidität kläglich die Flagge streichen müssen. Überlegen Sie es nur! Würde ich heute mit Ihnen hier in Venedig sitzen, wenn es ginge, wenn es gegangen wäre? Als ich vor drei, vier Jahren dort war, brachte ich einige Illusionen hin und glaubte mich der kuriosen Rumpelkammer zum mindesten gewachsen; allein ich fand schnell genug, daß ich mich sehr hierin getäuscht hatte. Ich gestehe Ihnen offen, werter Graf, daß ich nichts in meinem Leben so sehr bereut habe als jene Reise und daß meine ganze Tatkraft dazugehörte, die Rute, welche ich mir da band, im Laufe der Jahre wieder aufzulösen.“
Der Graf Basilides nahm die Zigarette aus dem Munde, seufzte zärtlich, küßte die Fingerspitzen der rechten Hand und warf einen Kuß in die weite Ferne – nach Wien – in die Vorstadt Mariahilf; und der Edle von Haußenbleib wußte den Gestus vollkommen zu deuten und sagte:
„Sie haben wiederum recht, Basil. Da ich Sie gefunden habe, den Mann ohne Vorurteile, den Menschen, welchen ich mein ganzes Leben hindurch suchte, um alles mit ihm zu teilen, den Mann, der wirklich die Absicht hat, alles zu gewinnen, und im Notfall alles daransetzt, um eine Grille zu befriedigen, wenn sie ihm einmal durch den Kopf fuhr, den wahren, wirklichen Ritter ohne Furcht und Tadel, so wäre es lächerlich, einen falschen Schritt zu beklagen, der doch auch nur zum Glücke geführt hat, indem er dazu dient, uns beide auch durch liebe verwandtschaftliche Bande zu vereinigen.“
„Mille grazie“, lächelte der Graf, „übrigens heirate ich die süße Antonie nur, weil auch ich entsetzlich viele Vorurteile hege, dieselben liegen nur nach einer andern Direktion als die anderer Leute.“
„Und sehen Sie“, fuhr der Edle, ohne auf die Unterbrechung zu achten, begeistert und gerührt fort, „sehen Sie, trotz ihrer doch sehr fraglichen geheimen Neigungen weiß meine Enkelin so gut als ich, daß Krodebeck unwiderruflich hinter uns liegt, daß jener junge Mensch nicht nur ein Tölpel ist, sondern auch ein kompletter Esel gerade in Hinsicht auf diese fragliche Neigung; und deshalb – deshalb, Signor Conte, treffen auch hier unsere Kalkulationen zu und können wir auch hier heiter, hell und freudig in eine lachende Zukunft blicken.“
„Unbedingt!“ sprach der Graf mit einem sonderbaren Blick auf den Redner und einem eigentümlichen Zucken um die Mundwinkel. „In dieser Beziehung gebe ich mich am allerwenigsten irgendeiner Täuschung hin. Sie geben und ich nehme, ich gebe und Sie nehmen, wie man an der Börse sagt; und, bei allen Freuden und Herrlichkeiten des Paradieses, Sie haben recht, Papa, wir haben uns gefunden, weil wir einander brauchen können, und wir können uns nicht fest genug aneinander binden.“
„Und deshalb kann es Ihnen wie mir nur sehr erwünscht sein, daß dieser nordische Balordo augenblicklich seinen Aufenthalt in Wien nahm. Er wird das sentimentale Gänschen uns in unsere Wünsche, in unsere Berechnungen hineintreiben. Er versperrt ihr den Weg nach jeder Seite; – ich kenne sie: um ihn nicht unglücklich zu machen, wird sie uns, wird sie Sie, Basil, glücklich machen; und, bei allem, was Ihnen heilig ist, Graf Conexionsky, ich gebe Ihnen einen Schatz, einen Schatz, einen köstlichen, unbezahlbaren Schatz in dem Kinde für alles, was Sie mir durch Ihren Namen und Ihre Verbindungen zu bieten haben!“
„Und bei Bacchus und Zythere“, rief der andere aufspringend, „ich liebe dieses Mädchen seiner Mitgift, nach jeder Seite hin, zum Trotz und halte Sie, Babbo Theodorich, für den genialsten Kuppler, der jemals das Schöne mit dem Nützlichen zu verbinden wußte. Das Kind imponiert mir durch seine tiefe Abneigung gegen Sie, ehrwürdiger Greis, gegen mich, gegen uns alle. Sie haben keine Idee davon, wie mir das Mädchen imponiert und wie mich hier eine völlig unbekannte Region, ein süßes Zauberreich voll Lindenblüte, Veilchenduft und Nachtigallengesang bewegt, reizt und zu allen möglichen Entsagungen befähigt. Es ist ein so neues, ungewohntes, anmutig-bängliches Gefühl, irgend etwas respektieren zu müssen. Eine verschüchterte galizische Landbaronesse von sechzehn Jahren kann ihrer superior finishing-governess gegenüber nichts empfinden, was ich nicht ebenfalls zu den Füßen dieses holden Wunders empfinde. Sie haßt uns alle und mich mehr als alle, und deshalb will ich sie haben mit ihren Kinderaugen, in ihrem weißen Kleidchen, und in ihrer Gesellschaft den Versuch machen, wie es sich eigentlich leben läßt im Buchenwäldchen unter Nachtigallengesang und Veilchenduft. Ach, wir werden sehr glücklich miteinander sein!“
„Würde ich sonst diese Verbindung gewünscht, erstrebt oder zugelassen haben?“ fragte der Edle mit einem so zärtlichen Vorwurf in Stimme und Gebärde, daß der Graf Basilides mit dem Ausdruck höchsten Ekels und Überdrusses die Zigarette dem edlen Venezianer an der Wand an die Nase warf und sich zurück auf den Diwan.
Es entstand eine längere Pause, in welcher jeder der beiden Herren seinen eigenen Gedanken nachhing; dann fragte der Graf:
„Sie haben natürlich in den letzten Zeiten recht eifrig mit Wien korrespondiert; – wie werden wir die Stimmung dort finden?“
„Befriedigend, wie ich hoffe. Das Kind scheint wieder einmal ein wenig an den Nerven zu leiden, aber das hat nichts zu bedeuten. Sie schreibt von Müdigkeit, aber wie mir scheint, sozusagen geduldiger, sanfter, hingegebener. Sie bittet mich, mir keine Sorgen um sie zu machen –“
„Und dazu wird man Sie ersuchen, Babbo, Sie mit verhaltenen Tränen bitten, uns Ruhe, Ruhe zu lassen – unser armes Herz nicht zu quälen, nicht ungeduldig zu werden, und so weiter – eh?“
„Die Briefe stehen sämtlich zu Ihrer Verfügung, lieber Sohn!“
Der Graf winkte abwehrend mit der Hand.
„Den Jugendfreund, den lieben Spielkameraden werden wir also jedenfalls noch in der Stadt vorfinden?“
Der Edle von Haußenbleib lachte.
„Ich lese in dieser Hinsicht mancherlei zwischen den Zeilen. Sie wissen ja, Basil, daß ich zwischen den Zeilen zu lesen verstehe. Dem Burschen scheint es im Kreise unserer Freunde recht zu behagen, und ich habe auch aus jenen Kreisen Nachrichten, welche mich nicht wenig erheitern. Die arme Tonerl! Ich habe ihr im Anfang ziemlich barsch meine Ansichten ausgedrückt; allein ich empfinde jetzt einige Reue darüber. Man macht sich eben viel unnötige Sorgen in dieser wunderlichen Welt, lieber Graf. Jaja, es gefällt dem jungen Mann sehr gut in Wien, und die Tonie ist sehr überrascht und einigermaßen aus aller Fassung darüber gebracht. In einem Postskript hat sie mich neulich selbst gebeten, dem armen Teufel mein Haus zu verbieten, und in einem letzten Billett habe ich ihr natürlich den vortrefflichen Landsmann auf das beste empfohlen und ihm selber alle Annehmlichkeiten meines Wiener Etablissements zur Verfügung gestellt. Man hält eben alte Verbindungen und Bezüge aufrecht, auch wenn man keinen momentanen Nutzen davon sieht und wenn man höflich ohne Gefahr sein kann.“
„Wann geht das Dampfschiff?“ fragte der Graf.
„Morgen früh um sechs Uhr.“
„Benissimo!“ lallte Basil. „Was sagen Sie zu einem Akt der Traviata?“
„Wie Sie wünschen! Ach, Basil, Sie haben keine Ahnung davon, wie jung ich mich nach den Qualen, Anstrengungen und Aufregungen der letzten drei Monate fühle!“
„Und Sie haben keine Ahnung davon, wie sehr ich Sie beneide“, erwiderte der Graf, und diesmal im bittersten Ernst, und doch ahnte er nicht zur Hälfte, wie ernst ihm dieser Neid sein mußte. –

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Schuedderump