02. Oppenheim (Mit Abbildung)

Könnten wir über ein Jahrtausend oder mehrere hinweg auf jene Stellen am Rheinufer hinblicken, wo jetzt sich die menschlichen Wohnungen enge an einander drängen, und aus kleinem Anfang im Lauf der Zeiten durch Vermehrung der Bewohner und Zuzug von außen allmählich Städtchen oder Städte geworden sind, wir würden an mancher mit praktischem Blicke und Verstande ausgewählten Stelle unter dem Laubdach eines oder mehrerer Bäume eine oder vielleicht auch, je nach der Sippe, mehrere Hütten entdecken, bei denen die trocknenden Netze auf die unerschöpfliche Nahrungsquelle hindeuteten, deren Quelle am Ufer plätschert.

Sonderlich gesellig sind unsere Alten nur dann gewesen, wenn die höchste Gefahr oder Not sie einigte. C’est tout comme chez nous! (Grade, wie es bei uns auch geht). Erst wann die Sippe auseinander ging, gesellte sich Hütte zu Hütte, bis endlich gemeinsame hochwichtige Zwecke zur Vereinigung mit andern führten, und der kleine Wohnort seine Glieder reckte.


Aber der Rhein beherbergte nicht bloß in seinem Schoße den Fisch, auf der Landseite reichte auch der Hochwald bis an die Ufer herab, und in seinem Dunkel bewegte sich eine Welt von jagdbaren Tieren vom Ur bis zum Hasen und Eichhörnchen und vom Adler bis zur Drossel. Zwischen Wald und Fluss aber vermittelnd, baute an jeder günstigen Bachmündung oder Bucht der Biber seine Niederlassungen. Reiz und Nahrung, Kleidung und Betten gab die Jagd. Was verlangte der einfache Mensch mehr? Gab ihm das entstaudete Uferland ein Gerstenfeld für sein Bier und ein Haferfeld zum Brod, so waren alle seine Wünsche erfüllt.

Hier und da fand, als der Römer bis zum Rheine vordrang, sein schlauberechnender Blick solch eine Stelle geeignet zu einer kriegerischen, Schutz bietenden Niederlassung. Dann erhob sich ein Wachtturm mit einem Erdwall oder ein Castell oder Castrum; dann belehrte der schlaue Unterdrücker den Deutschen über den Bau der Rebe, den Anbau des Nuss- und süßen Kastanienbaumes. Aber bei Weitem nicht alle deutsche Niederlassungen waren auch zugleich römische, und wer mit großer Sicherheit die Schlüsse ziehen wollte, daß, weil an einem Uferorte Weinbau blühe, der Nuss- und Kastanienbaum gepflanzt werde, der Ort römischen Ursprungs sein müsse oder die Römer daselbst sesshaft gewesen seien, wäre sicher hundertfach in einer argen Täuschung befangen.

Wenn da die Steine nicht reden, so ist Alles vorüber.

Ein Ort, auf den das Gesagte Anwendung findet, ist Oppenheim. Weil die Nachweise der römischen Stationsorte auf den sogenannten „Intinerarien“ zwischen Worms und Mainz eine Station legen, die den Namen: ,,Bauconica oder Bonconica“ trägt, so sollte das Oppenheim sein, wenn auch durchaus kein Anklang in den beiden Namen zu finden, und wenn auch tausendmal nachgewiesen ist, daß die genaue Angabe der Entfernung dieser Station von Mainz herauf und von Worms herab nicht zutrifft, vielmehr stark abweicht; wenn auch Jeder es genau weiß, daß man nie in Oppenheim römische Bauwerke oder Altertümer fand, und es durchaus unnachweisbar ist, daß die zwei in Oppenheim vorhandenen kleinen Römermünzen Sammlungen in Oppenheim selber gefunden sind, was, wenn es auch wirklich der Fall wäre, doch noch immer keinen bindenden Beweis liefern würde.

Man sagt: der Votivstein, den man bei der von ihm her benannten Sironaquelle fand, ist ja Beweis genug; aber auch da übersieht man, daß die Quelle nach - Nierstein gehört.

Summa Summarum: Oppenheim ist nicht das Bauconica oder Bonconia der Itinerarien, es hat keinen römischen Ursprung!

Mögen auch manche Leute übel dazu sehen, und der Localpatriotismus bittere Tränen vergießen, wenn er die Ruhmeskränze seiner Vaterstadt welken sieht, die er in Liebe gewunden, - es ist so!

Die Stadt muss sich begnügen, aus einem Fischerdorfe, aus einigen Fischer- und Jägerhütten, welche die ersten Ansiedler bauten, erwachsen zu sein. War es ja doch nur ein Dörflein, als seiner geschichtlich und urkundlich zuerst gedacht wird. Das ist immer schon frühe genug; denn der fromme Franke Folrad schenkte im Jahre 774 dem Kloster Lorsch einen Weinberg in der Gemarkung des Dorfes Oppenheim.

An diese erstbekannte Schenkung reihten sich andere und bedeutendere an in den folgenden Jahren, bis im Jahre 774 die größte erfolgte in dem ,,Dorfe Obbenheim“ durch Karl den Großen. Die Vermutung oder der Schluss, diese Schenkung umschließe das ganze Dorf mit Mann und Maus, ist aber wieder leichtfertig und falsch, wie oft sie auch ausgesprochen, das heißt ,,nachgeschrieben“ worden ist.

Das Kloster war reich begütert in der Gemarkung Oppenheims durch Privatschenkungen und durch die kaiserliche. Aus seinen ,,Hufen“ saßen seine Lehensleute, Pächter etwa, die unter des Klosters Verwaltung und wohl auch Gerichtsbarkeit standen, während die übrigen Bewohner des Dorfes, die auf ihrem eigenen Boden sesshaft waren, unter der Gerichtsbarkeit des Gaugrafen standen. Die kirchlichen Verhältnisse betreffend, ist es gewiss zweifellos, daß das Kloster eine Kapelle bei seinem ,,Saale“ besaß und diese den Bewohnern des Dorfes für ihre religiösen Bedürfnisse diente und so lange dienen mußte, bis endlich eine größere Kirche erbaut werden konnte. Sie ging vom Kloster aus. Als Abt Thiodroch den Abtsstab und Inful empfing, nahm er sich des Dorfes an, das wahrscheinlich sich an Seelenzahl sehr vergrößert hatte; er begann um das Jahr 865 eine Kirche zu ,,Obbenheim“ zu erbauen und ein Kloster dabei, und zwar auf dem sogenannten ,,Abrahamsberge“. Dies war die Sanct Sebastianskirche, die nun also ihr Jahrtausend vollendet hat. Was der Abt für das geistige Wohl der Oppenheimer tat, verdiente leiblichen Vorteil als Lohn. Die Klöster wussten das schon geltend und rund zu machen, und so ist es nicht mehr als billig gewesen, daß neue Vorteile dem Kloster zuflossen.

Der wesentlichste dieser Vortheile, der auch dem Orte ein solcher wurde, war die von Heinrich II im Jahre 1008 erteilte Marktgerechtigkeit und die Erlaubnis für das Kloster, einen Zoll zu erheben. Das bereicherte das Kloster und auch den Markt Oppenheim; denn der Verkehr wuchs und ebenso seine Einwohnerzahl, und der Handel auf dem Rhein nahm sichtlich zu.

Eine wichtige Verkehrsvermehrung trat für den Ort ein, wenn drüben in dem alten Trebur Reichsversammlungen stattfanden. Da nahmen viele der Fürsten und Herren mit ihrem Gefolge ihr Quartier in Oppenheim, und es floss Geld in die ,,Säckel“ der Bewohner, sowie auch der treffliche Wein ihrer Berge zu wohlverdienter Geltung kam, wenn so viele Menschen in der Nähe zusammenströmten.

Man hätte denken sollen, bei dem sehr großen Landbesitz hätte das Kloster Lorsch sich fortdauernd in einem blühenden Zustande erhalten müssen; aber es erlitt wohl Unfälle, und seine Verwaltung scheint auch eine sorglose gewesen zu sein, kurz es ging zu Zeiten des Kaisers Conrad des Dritten, wenn auch nicht ,,den Weg alles Fleisches“, doch eigentlich im vollen Sinne des Wortes ,,den Weg aller Klöster“, wenn es ihn auch früher ging, wie andre. Es verarmte und mußte daran denken, von seiner Güterfülle einen Theil zu veräußern, um nur bestehen zu können. Da dachte der Convent an Oppenheim und seine Güter dortselbst, wo es doch nicht zum Alleinbesitz gelangt war, und wo es wohl zwischen Klostervogt und Gaugraf nicht an unangenehmen Berührungen gefehlt haben mag, was dem Kloster nicht zum Vorteil gereicht haben kann. Der Kaiser kaufte die Güter, welche Karl der Große dem Kloster geschenkt hatte, um eine namhafte Summe zurück; dennoch aber war um das Jahr 1200 Oppenheim noch immer ein offenes Dorf, ohne jeglichen Schutz, wie ihn Türme und Mauern gewähren. In kaiserlicher Gunst stand übrigens Oppenheim hoch angeschrieben. Es hatte zahlreicher Verleihungen von Freiheiten, Rechten und Gerechtsamen sich zu erfreuen, die offenbar den Weg zu städtischer Würde und Reichsfreiheit mit sicherer Hand ebneten. Zahlreicher Adel zog in den Ort; ebenso wanderten Gewerbetreibende ein, da die Märkte sehr anlockend waren. Aber auch viele ,,Unfreie“ gingen ihren Leibherren durch und hielten sich zu Oppenheim, wo sie nicht nur Verdienst fanden, sondern auch der alte rheinische Spruch sich an ihnen bewährte: ,,die Luft am Rhein macht frei“, dessen sich aber besonders der Rheingau erfreute. Oppenheim war im Sonnenlichte kaiserlicher Gnaden durch seinen Handel, Verkehr und Weinbau, geordnetes inneres Wesen, treues Zusammenhalten, zahlreiche Bevölkerung eine Stadt geworden, ohne es noch dem Namen nach zu sein. Die Erhebung zur Stadt konnte nicht lange mehr ausbleiben, wenn nicht gegen den Ort eine Ungerechtigkeit sollte begangen werden. Es waren aber auch Kräfte dafür in Bewegung, und so erteilte denn Friedrich II dieses Recht und ließ viele Gnadenbezeugungen folgen, wie auch seine Nachfolger damit fortfuhren. Daher hatte der Kaiser auch an den Bürgern Anhänger mit Leib und Leben, in Not und Tod, als welche sich dieselben in manchem blutigen Kampfe bewährten. Für tapfre Männer galten die Oppenheimer mit gutem Rechte.

Eine Stadt konnte nicht offen bleiben, wie ein Dorf. Sie bedurfte starker Mauern und Türme zum Schutze ihrer Thore. Darauf drang besonders auch der sesshafte Adel, der in seinen „Freihöfen“ wohnte, die schon einen burgartigen Charakter trugen, meist einen Turm hatten und gewissermaßen auf eine Einzelverteidigung eingerichtet waren. Was konnten sie im Falle eines wirklichen Kampfes aber helfen, wenn der Stadt die Mauer- und Gräbenschutzwehr fehlte, ja über der Stadt eine Burg, eine Akropolis als letzte Zuflucht? Und wie trefflich war da droben die weitausschauende, die Stadt beherrschende Stelle! Aber wann die Burg, die den Namen ,,Landskrone“ wohlverdient empfing, erbaut wurde, ist nicht zu ermitteln, und dennoch ist sie ohne Zweifel eine Reichsburg gewesen und wohl von einem der Kaiser erbaut worden, um kühnen Städtemut und Übermut gelegentlich zu dämpfen, wenn es etwa Not thun möchte. Wo die bestimmten Angaben fehlen, lassen sich aus sorgfältig anderweit ermittelten Umständen Schlüsse ziehen, welche Handhaben darbieten, annähernd die Zeit zu bestimmen. Vor den Jahren 1244 und 1245 kommt urkundlich die lateinische Benennung: „Castellani“ und „Castrenses“ nicht vor. Man könnte beide kurzweg mit ,,Burgmänner“ übersetzen. Beide Bezeichnungen setzen also eine vorhandene ,,Burg“, ein „Castellum“ oder „Castrum“ voraus. Es wird sich also der Schluss wohl rechtfertigen lassen, daß im Laufe dieser Jahre die Burg erbaut und ihre Bewachung und Verteidigung den in der Stadt sesshaften, also mit ihren Interessen daran gebundenen Adeligen übertragen wurde, und diese jene ,,Burgmänner“ waren, wie es sich dann auch geschichtlich nachweisen lässt, da Vieler Namen in Urkunden genannt werden.

War der zahlreich in der Stadt sesshafte Adel schon von bedeutendem Einfluss auf das innere Wesen und Leben der Stadt, so konnte es nicht ausbleiben, daß dieser Einfluss jetzt noch wuchs, da mit der Burgmannschaft ohne Zweifel gewisse Befugnisse und Rechte verbunden waren. Wenn aber übermütige Ein- und Übergriffe in Oppenheim vielleicht um ein Bedeutendes weniger sich geltend machten, als nachweisbar in andern, besonders rheinischen Städten, so möchte man sich bewogen finden, diese Erscheinung nicht in der weniger herrschsüchtigen Gesinnung des Adels, sondern in der Achtung gebietenden Gesinnung der tapfern Bürgerschaft zu suchen, die nicht geeigenschaftet erschien, sich willkürlich unterdrücken und beherrschen zu lassen. An Versuchen, sich herrschsüchtig geltend zu machen, hat es nirgends und auch hier nicht gefehlt, aber die tapferen und wackeren Bürger verstanden das, was man nennt: ,,auf die langen Finger klopfen.“ Und das wirkte schon bei den Herren.

Ehrenhaft und treu hielt es in den nachfolgenden Zeiten die Bürgerschaft mit Denen, welchen sie große Wohltaten zu danken hatte, mit den Kaisern, namentlich Hohenstaufischen Geschlechts. Aus manchem Römerzuge waren sie dabei, und auch im Städtebunde zeigten sie sich als solche, die gern ihren Arm darliehen, wenn es galt, den Landfrieden und Handel und Wandel des freien Bürgertums gegen Frevel zu schützen.

Oppenheim besaß durch Friedrichs II Gunst mit dem Städtchen Sobernheim an der Nähe ganz und gar dieselbe Urkunde, und demnach dieselben Rechte und Freiheiten mit Frankfurt am Main. Aber welche Unterschiede in den Früchten, die daraus erwuchsen! Dort am Main steigender Glanz, wachsende Macht und Ehre, und die beiden armen Schwestern am Rhein und an der Nahe, wie kümmerlich war ihr Wachstum gegen jene Süd und Nord vermittelnde Stadt! Dort Aufblühen und dauerndes Bestehen, hier ein hoffnungsvolles Anheben, aber ein Verwelken in der Knospe!

Wie auch scheinbar der Ritterstand auf der Landskrone und in der Stadt sich weniger schroff gegen die freien Bürger stellen mochte, es konnte doch nicht ausbleiben, daß es oft recht ernste Reibungen gab. Einmal ward es doch den Bürgern zu arg, und sie belagerten, stürmten und eroberten die Burg, räumten mit den ,,Herren“ auf und machten mit ihrem „Trutzoppenheim“ kurzen Prozess, das heißt, sie zerstörten, nachdem sie den Rittern den Weg heimwärts gezeigt, die Burg von Grund auf, daß eben von ,,dem Neste des Übermuts und unberechtigter Anmaßung“ nichts übrig blieb, als - Trümmer. Das war eine Folge des Städtebundes, wo der Einzelne sich fühlen lernte; ja als die Bürger Richard von Cornwallis als König anerkannten, machten sie die Bedingung, daß zu seinen - des Königs - Lebzeiten keine Burg bei der Stadt mehr dürfe erbaut werden. Damit stellten sie sich auf der einen Seite sicher, aber die sogenannten ,,Ritterbürtigen“ besaßen noch ihre burgartigen Freihöfe in der Stadt, und auch hier mußte vorgebeugt werden. Dies geschah durch eine Vereinbarung mit ihnen, die sie notgedrungen eingingen. Da aber von den ,,Ritterbürtigen“ zu erwarten war, dass sie, wenn Zeit und Stunde günstig sein würden, jenen ,,Pergamentstreifen“ als nicht bindend betrachten würden, so schloss die Stadt mit Worms und Mainz ein besonderes Bündnis zu gegenseitiger Hülfe, das, wie wir bei Worms gesehen, von den Oppenheimern treu gehalten wurde. Es war genug, die Ritter im Zaume zu halten.

König Richard hielt sich öfters in der Stadt auf, fühlte sich wohl im Kreise der biedern Bürgerschaft und legte mit großer Feierlichkeit anno 1262 den Grundstein zur Sanct Katharinenkirche, deren herrlicher Bau Zeugnis ablegt von dem Wohlstande und der Einigkeit, aber auch von dem frommen Sinne und der Opferwilligkeit der Oppenheimer. In diesem Zeitraume treten noch andere fromme Stiftungen auf, wie das Frauenkloster des Cisterzienser-Ordens und das Armenhospital, zwei Stiftungen, bei denen die ,,grauen Ordensbrüder von Eberbach“, die schon lange her in Oppenheim begütert waren, sich besonders tätig und hilfreich erwiesen. Die heillose Zeit bis zu Rudolph von Habsburgs Kaiserwahl empfand auch Oppenheims Handel schmerzlich, und mit Freuden trat die Stadt in den erweiterten Bund der rheinischen Städte, und als dieser Männerbund unterhalb Bingen die ritterlichen Raubnester brach, da waren überall die bürgerlichen Streiter Oppenheims dabei, der Ordnung und dem Rechte freie Bahn machen zu helfen. Sie fehlten nirgends und nie; denn sie hatten in ihren eigenen Mauern erlebt, daß nichts helfen und sicherstellen könne, als Zerstörung der Sitze dieser von den Bürgern gefürchteten, aber bei den Rittern so beliebten nobeln Passion!

Rudolph von Habsburgs Einschreiten gegen dieses Unwesen und Ausrotten des ,,Diebshandwerkes“, wie er es selbst scharf, aber richtig bezeichnete, legte eigentlich den Städtebund lahm, denn wo vom Reiche Ordnung gehalten wurde, war die eigene Sonderhülfe überflüssig.

Wenn der Kaiser auch die Ritter, wie wir weiter unten bei Soneck und Reichenstein sehen werden, scharf züchtigte, so wollte er es doch mit ihnen nicht gänzlich verderben; er hielt auch die Städte scharf im Zaume, weil mit ihrem Reichtume ihre Macht und ihre Selbstherrlichkeit auch überhand nahm. Von ihnen errang - oder richtiger - erpresste er Geld unter ernster Androhung ihrer Verpfändung. Außerdem hatten sich die Insassen der Reichsburgen wieder ansehnlicher Begünstigungen zu erfreuen.
Auch Landskron war wieder aufgebaut worden, wie es scheint, nicht lange nach dem Tode Richards, dessen Versprechen ja mit seinem Tode aufgehoben war. Die Bürgerschaft ließ es sich nicht so leicht aufdringen, dieses erfahrungsmäßig nicht leichte Joch, aber es scheint, daß sie es doch nicht hindern konnte. Als nun Rudolph am Mittelrhein tatkräftig drein fuhr, mochten die Oppenheimer darin eine Berechtigung erkennen, die neue Landskrone zu brechen. Das geschah denn auch mit allem Grimme, welchen die frühere Erinnerung weckte, aber nicht zu des Kaisers Wohlgefallen. Zwar strafte er nicht, aber er zwang die Stadt, ihre Zwingburg aus eigenen Mitteln wieder aufzubauen. Ob das keine Strafe war, möchte schwer zu behaupten sein, und man kann es begreifen, daß die Strafe empfindlich war.

Er selbst bestellte nun die ,,Burgmannschaft“ und tat der Bürgerschaft dadurch ein Genüge, daß er der Stadt Bürgschaften gab gegen die Rückkehr jener Zustände, die als Schreckbilder vor den Seelen der Bürger standen, und deren herbe Erfahrung in aller Andenken lebte.

Das hätte beruhigen können; aber die da droben in der Landskrone hatten viel von kaiserlichen Gnaden, die Bürgerschaft wenig von der großen Bürgerfreundlichkeit des Habsburgers zu rühmen, wodurch denn bei den Bürgern die Begeisterung für diesen etwas stark abgekühlt wurde, und die Wachsamkeit sich nicht einlullen ließ.

Rudolph hatte durch seine Handlungsweise in der Bürgerschaft Argwohn und Missliebigkeit hervorgerufen und in der Burgmannschaft argen Trotz und Übermut. Aufs Neue loderte der Haber zwischen Stadt und Burg in hellen Flammen auf, zumal Rudolph den Bürgern jedwede Theilnahme an dem Gerichte zu entwinden gewusst hatte.

Bis zum Äußersten scheint er es jedoch nicht haben wollen kommen lassen, denn sicher wäre die Burg noch einmal gebrochen worden. Er lenkte ein. Es erschienen bald wieder Bürger „den Ritterbürtigen“ gegenüber im Gerichte, und das drohende Unwetter ging ohne schwere Schläge vorüber; aber dennoch zeigte Rudolph den Oppenheimern im Ganzen wenig Liebe, und die Stadt verlor die ihrige zu ihm. Das erwies sich deutlich in der Abneigung der Stadt gegen Albrecht und in ihrem festen Halten zu Adolph von Nassau, der sich oft in Oppenheim aufhielt, ohne daß aber die Stadt sich großer Begünstigungen von ihm zu rühmen gehabt hätte. Eins nur kam ihr recht zu gut, nämlich die Ermäßigung der Reichssteuer. Adolphs Lage gestaltete sich indessen immer bedenklicher, und seine Geldmittel wurden je länger, je kleiner. Er mußte endlich alle seine Einkünfte zu Oppenheim und der Umgegend verpfänden. Angenehm war das der Stadt gewiss nicht; dennoch aber stritt ein Fähnlein Oppenheimer bei Göllheim für Adolph gegen Albrecht. Dieser war klug genug, die Ungunst der Städte zu seinem Vortheile zu wenden dadurch, daß er mild und freundlich gegen sie handelte.

Die Zeiten, die nun kamen, waren der Stadt nicht ungünstig und gestalteten sich unter Ludwigs Regierung selbst recht erfreulich. Die Stadt ordnete ihr inneres Leben, und die Formen ihrer Verwaltung verhießen auch eine günstige Zukunft; aber es war die Zeit der unseligen Pfandschaften im Reiche, denen namentlich kleinere, aber auch ansehnliche Städte unterlagen, wenn die Majestät Mangel an gangbarer, landesüblicher Münze hatte, was bei dem römischen Kaiser deutscher Nation oft, ja bei Manchem dauernd der Fall war.

Oppenheim wurde vom Kaiser an Kurmainz verpfändet. Das Schlimmste bei solchen Pfändern war die Auslösung, just wie bei den Schulden das Bezahlen. Der Fall, die Lösung möglich zu machen, trat nicht immer ein, und dann blieb das Pfand, und veränderte Zeitverhältnisse machten es zum - Eigenthum. Oppenheim weiß davon zu reden.

Die Stadt kam darauf wieder 1399 als erbliches Pfand an Kurpfalz. Ohne daß sie es ahnte, war dies für die Stadt der Augenblick, wo ihre Freiheit, ihre Selbstständigkeit endete und für immer zu Grabe ging; denn fortab wurde sie nach und nach, trotz ihres Wehrens, eine kurpfälzische Stadt, und die Geschicke, welche in jenen bewegten Zeiten die Pfalz überhaupt erfuhr, teilte auch Oppenheim, und gewiss nicht zu seinem Vorteil. Die Zeiten hatten sich geändert, völlig geändert, innerlich und äußerlich, und diese Veränderung mußte sich im Größten wie im Kleinsten ausprägen; aber das Schlimmste war, daß jene stolze Freiheit des Selbstherrschens für die Stadt dahin war und ein pfälzischer Amtmann ebensoviel despotisches Gelüste hegte, wie einer der ,,Ritterbürtigen“ in Landskron es früher gehegt, wenn nicht noch etwas mehr.

In das geistige Regen und Bewegen jener Tage trat die Stadt wenig ein. Es scheint, als ob das Lahmlegen ihrer bürgerlichen, freien Regsamkeit auch geistig zurückgewirkt hätte.

Luther war persönlich in Oppenheim. Doch war seine Anwesenheit daselbst nicht von der Wirkung begleitet, welche bei der frischen und freien Richtung und Eigentümlichkeit der Bürger hätte erwartet werden können und dürfen. Übrigens darf die Macht und der Einfluss der Priesterschaft, die an Mönchen und Nonnen gute Helfer und Helferinnen hatte, so wenig unterschätzt werden, als ihre rastlose und verdoppelte Tätigkeit, den Strom zu dämmen, der verheerend in das bisher so sorglich behütete Erntefeld der Kirche hereinzubrechen drohte. Die Abneigung gegen die Reformation ging sogar soweit, daß der Rath widerstrebte, als Kurfürst Otto Heinrich seine Kirchenordnung und die Reformation einführen wollte. Worauf er sich dabei stützte, war der Rechtsgrundsatz, daß das Pfandrecht über die Stadt nicht das kirchliche Reformationsrecht in sich schließe, denn der Grundsatz, daß die Religion des Landesherrn über die der Unterthanen entscheide, sei hier nicht anwendbar, da das Land nicht das ,,Eigenthum des Kurfürsten“ sei, er es vielmehr nur als Sicherheit für Dargeliehenes in zeitweisem Besitze habe; daher und weil die Stadt eine ,,vom Reiche und kaiserlicher Majestät gefreiete“ sei, gebühre lediglich ihr selbst das Recht, in Glaubenssachen Änderungen vorzunehmen.

So sehr das auch an den Geist verflossener Tage erinnerte, so scheint doch der Rath es nicht mit dem Kurfürsten haben gründlich verderben zu wollen; denn wir finden in der Stadt, vom Rath geduldet, ,,lutherische Prädikanten.“ Indess ihr Erfolg scheint nicht durchgreifend gewesen zu sein, obgleich das mehr ruhige Hinnehmen reformatorischer Maßregeln Kurfürst Friedrich III, und zwar nach reformierter Ausfassung, den Beweis liefern könnte, daß eben nur unter der Asche der Funke fortglomm, aber dann auch fröhlich zur Flamme wurde, wenn ein weckender Hauch ihm Lebenskraft lieh.

Der öftere Bekenntniswechsel in der Pfalz hatte für die armen Geistlichen die schlimmsten folgen, weil ein Fortjagen und Wiedereinsetzen derselben sich öfters wiederholte. Mit dem Bekenntnis fielen seine amtlichen Träger ohne Erbarmen. Das wiederholte sich auch in Oppenheim, und je näher in der verhältnismäßig kleinen Stadt diese Männer dem Einzelnen, wie den Familien standen, desto betrübender, aber auch aufregender wirkten die harten Maßregeln der eben grade herrschenden Richtung. Das Pfandrecht hatte keine Geltung mehr, die Stadt wurde als pfälzische Stadt angesehen, und pfälzische Beamte, die bekanntlich nach zwei Seiten hin ausgezeichnet waren, einmal durch die sorgsame Pflege ihres Leibes in Speise und Trank und dann durch die gewissenhafte Sorge für ihre Einnahmen, ließen es nicht fehlen, auf die Bürgerschaft zu drücken und ihre Willkür zum Gesetze zu machen, auch ihren standesüblichen Hochmut zur Geltung zu bringen, wo und wie es die Gelegenheit mit sich brachte.
Ein großer Theil derselben hatte die kaiserlichen Finanzen, welche damals an chronischer Zehrung laborierten, damit unterstützt, daß sie von dem, was aus den Landeseinkünften in ihren Privatsäckel floss, den Adel sich kauften, und waren unerträglich dünkelhaft, wie das in der Natur der Sache lag. Dass es da an Reibungen mit dem Rath nicht fehlte, der noch von Reichsfreiheit träumte und auf dem Pfandrechte ritt, was diese neugebackenen Junker mit Hohnlachen hinnahmen, war natürlich. Da folgte bei dem Kurfürsten Beschwerde auf Beschwerde, aber da die Stadt und ihr Rath nicht sonderlich angeschrieben stand, so folgte einfach, daß die Herren Amtleute nicht Recht behielten, wenn sie es - nicht gar zu arg machten.

Kam so der Wohlstand der Stadt ins Sinken, so mußten die unglückseligen Folgen des ,,Winterkönigtums“ Friedrichs V noch drückender darauf einwirken; denn die einrückenden Spanier und das ,,Heer der Mönche“, welche an den Soldaten Bekehrungshelfer hatten, die den Lohn ihrer kirchlichen Tätigkeit aus den Säcken der Bürger mit nicht milder und schonender Hand erhoben, waren auch ein nicht unwirksames Mittel, Land und Leute zu verarmen und innerlich furchtbar zu erbittern. Die Mönche nahmen die protestantische Kirche in Besitz, und dann folgte das Spinola-Cordova’sche Bekehrungsgeschäft, nämlich das herdenweise in die Messe Treiben der Protestanten, wobei es an obligaten Kolbenstößen und dem Kitzeln mit der Säbelspitze nicht fehlte.

Der Rath versuchte bei der in Kreuznach sesshaften spanischen Regierung durch Proteste und Klagen Hülfe zu finden, aber die edlen Herrn in Kreuznach lachten dazu und ließen die Oppenheimer auf Abstellung - hoffen.

So ging es im Gebiete des Glauben’s; und im Gebiete des Geldes hielt die sorgliche Behörde darauf, daß nichts durchging und nichts - blieb.

Aber ein Hoffnungsstern ging den Gedrückten auf, als nach der Schlacht bei Breitenfeld Gustav Adolph nahte; denn, sagte das Volk in der Pfalz, ,,Wir werden so allein die spanischen Molche los!“ Der König von Schwer den nahm schon um die Mitte Dezember 1631 sein Quartier in Erfelden.

Wenn auch die Spanier alle Schiffe entfernt und meist in des Rheines Flut versenkt hatten und damit sich eine sichre Schutzwehr bereitet zu haben glaubten, so blieb das eine Täuschung; denn die Schweden hatten, vom Volke begünstigt, Mittel und Wege gefunden, über den Rhein zu gehen, und in der Morgendämmerung des 17. Decembers - den Punkt des Überganges bezeichnet heute noch die sogenannte ,,Schwedensäule“ - sahen sich die Spanier unerwartet von den Schweden angegriffen. Die Sternschanze der Spanier, die Stadt und endlich auch Landskron fielen, wenn auch nach schwerem, blutigem Kampfe, in der Schweden Hände. Die Spanier, welche nicht nach Mainz flohen als Bringer der Schreckensbotschaft, fielen sämtlich durch die Schärfe des Schwertes oder die Kugeln der Hackenbüchsen; denn der Kampf war sehr erbittert. Nach Jahren erst fanden die Reste der Gefallenen eine Ruhestätte, wo sie der Pflug des Ackerers nicht störte, in den Gewölben unter der Sanct Catharinenkirche, wo sie künstlich, wie feste Mauern, noch heute aufgeschichtet sind. Oppenheim hatte gelitten und mußte noch leiden; denn die Schweden waren auch wilde Gesellen, die nicht schonten. Der arme Kurfürst, schwer bereuend, daß er nach Böhmens trügerischer Krone gegriffen, kam, aber sein Land erhielt er nicht. Es war die letzte bittere Täuschung, und als er in Mainz starb, erhielt Oppenheim als die nächste ,,pfälzische Stadt“ die traurige Ehre, sein vielgetäuschtes Herz und seine Eingeweide im westlichen Tore seiner schönen Catharinenkirche bestatten zu dürfen.

Die unglückliche Schlacht von Nördlingen führte die Schweden über Oppenheim nach der Rheingrafschaft an der oberen Nahe, wo sie ein Asyl fanden, aber sie bezeichneten ihren Weg so wenig, wie später ihre Nähe, durch Handlungen der Liebe, und als die Spanier wiederkamen, fanden sie nichts mehr, was des Nehmens wert gewesen. Die Zeit, welche nun kam und bis zum Westphälischen Frieden reichte, war eine schwere für Stadt und Land, denn ihr Besitz wechselte zwischen Spaniern, Baiern, Franzosen, Reichssoldaten (unstreitig die wenigst rühmenswerten) u. s. w. - Dass die Stadt dabei nicht gewann, daß der Religionsdruck, unter jesuitischer Beihülfe, weder milde war, noch nachließ, das lag in den Verhältnissen und in der Zeit, aber die Dulder empfanden es bitter genug. Erst nach dem Westphälischen Frieden wurde es besser, obgleich noch bis 1680 nicht alle Wunden geheilt waren.

Die Catharinenkirche erhielten die Reformierten.

Die Stadt hatte endlich eingesehen, daß das alte Lied vom ,,Pfandrechte“ am Ende war. Sie war klar erwacht aus ihren alten Träumen. Stille beugte sie sich unter die Friedenssatzung, die sie der Pfalz einverleibte. Leider fiel die Zeit dieses ernüchternden Erwachens grade in die Periode der begehrlichen Geltendmachung vermeintlicher Ansprüche des ,,Allerchristlichsten Königs von Frankreich“ an die schöne Pfalz. Man ersieht, daß das ,,Annexionsgelüste“ an der Seine nicht von heute ist, und daß die schönen Ufer des Rheines Gegenstände einer alten Liebe sind, die, wie das Sprüchwort sagt, nicht rostet.

Schon 1688 kam es zum Kriege, und die Pfalz fiel in die Hände der Horden Ludwigs des Vierzehnten, der ein wackeres Zugreifen für nützlicher hielt, als ein langsames Unterhandeln.

Vor Oppenheim waren sie auch eingetroffen und verlangten Einlass. Die Bürger zitterten, der wackere Kommandant nicht. Die Bürger erkannten die unwiderstehliche Macht und übergaben die Stadt, der Kommandant seine Landskrone nicht. Was half es dem ehrenwerten Manne? Die Kugeln zerstörten die Mauern, die Feste fiel, und der Kommandant sollte - so war es diktiert - gehängt werden. Dem pfälzischen Landschreiber gelang es jedoch, ihm das Leben zu retten. Waren die Bürger dem Schicksale der Beschießung und Eroberung entgangen, so brachte nun dem Heere des, „Allerchristlichen Königs“ den höchsten Glanz der „Gloire“, das Gebot: Oppenheim wie alle Orte der Pfalz niederzubrennen! - Es geschah im vollen und schrecklichen Sinne des Wortes, nachdem Mauern und Türme gesprengt waren. - Die Franzosen bewachten sorgfältig die brennende Stadt, daß nicht die Bürger löschten. - Auf den Höhen umher, drüben am jenseitigen Ufer des Rheins, standen die Jammernden und sahen ihre Stadt in Asche sinken! - Es war ein schreckliches Schicksal! - Das nackte Leben hatten sie gerettet, nichts weiter! - Von der Stadt war, wenn auch vielfach und schwer beschädigt, Einiges stehen geblieben, so die Kirchen.

Aber wie stand es um den Aufbau der Stadt? - In der Pfalz, wo Religionshass und Druck, Aushungern durch Beamte, Willkür statt des Gesetzes an der Tagesordnung war, ging es, man kann es sich vorstellen, sehr langsam damit! - Die Verarmung war vollendet.

Erst in den Zeiten Carl Theodors wurde wieder mehr Rücksicht auf die Hebung des Wohlstandes genommen. Kaum schien es, als wolle eine bessere Zukunft tagen, da kam die französische Revolution. Die Belagerung von Mainz, und alle Folgen des Krieges, zuletzt die Besitznahme durch die Franzosen, waren wieder das Erbe der Stadt.

Oppenheim hatte schwer gelitten, und seine Einbuße, besonders an Wald auf dem rechten Rheinufer, war ein letzter Stoß. Das Leben vergangener, freilich längst vergangener Tage kehrte für die französische Landstadt nicht wieder; aber dennoch wurde mit der Befreiung von der Fremdherrschaft eine bessere Zeit herbeigeführt, und die Großherzoglich Hessische Regierung tut gewissenhaft Alles, um den Wohlstand zu mehren und Intelligenz zu verbreiten.

Unter den Gebäuden Oppenheims nimmt die teilweise zwar zerrüttete Sanct Catharinenkirche den ersten Rang ein. Sie gehört zu den bedeutendsten Bauwerken früherer Jahrhunderte am Rhein, und bewundernd ruht der Blick auf den Resten, welche der ,,Franzosenbrand“ gelassen.