01. Worms (Mit Abbildung)

Es ist ein ehrwürdiges Gebot: „Dem Alter die Ehre“! Diesem Gebot entsprechend, verweilen wir zuerst bei unsrer Rheinfahrt da, wo die uralte Sage, wo die wundersame deutsche Dichtung, wo die Geschichte einen Strahlenkranz um die Mauerkrone der uralten Stadt Worms windet.

Sehen wir hin auf die Stadt und ihren Dom, auf ihre Liebfrauenkirche draußen, dann treten uns eine Reihe von Bildern entgegen, die uns hineinleiten in weite Zeitenferne. Wir erblicken im Geiste die rosige Chriemhilde und den riesigen Siegfried, das Königspaar, an dessen Hofe sich eine dunkle Geschichte einfädelt; vor uns erscheint der Fiedler Volker und der finstre Hagen - in Summa das „Nibelungenlied“ mit seinen Gestalten, mit seiner Liebe und seinem Leid, seinem Hasse und seiner Rache, seinen Kämpfen und Siegen; - eine alte, sagenreiche Vergangenheit reckt das bleiche Haupt empor und fragt: Wo ist die Heimath meiner Geschichten? Wer ist der Dichter, der mit so gewaltiger Kraft das Herz zu fassen weiß und seine raue, wilde Zeit, die doch wieder so zarte, sinnige Züge hat, vor uns hinstellt, daß sie Leib und Leben vor uns gewinnt, eben weil sie Leib und Leben hatte?


Wo ist des großartigen „Liedes“ Heimath? Hier, antworte ich, hier in dem pfälzischen Lande; denn aus historischem Boden ist es erwachsen; kaum kann der, welcher den geschichtlichen Anhaltspunkten nachgegangen ist, sich die Gewissheit streitig machen lassen, daß in Worms der Dichter gelebt und Zeuge gewesen ist dessen, was hier spielt. Was das „Lied“ sagt, wo willst du’s suchen, als da, wo es dir entgegentritt mit ernsten, historischen Zügen?

Dort hinten, gegen die Mosel hin, wo des Hochwalds dunkle Forsten sich über Berge und Täler ziehen, liegen die gewaltigen Trümmer der Burg Dronecken (Thronecken), wo die Wiege des tückischen Mörders, des,,grimmen Hagen“, stand, noch heute sich ankündigend als ein Burgbau, der tief, tief hinabreicht in der Zeiten Dunkel. Näher heran türmt sich über dem Städtchen Ober-Moschel die gewaltige Ruine der Burg,,Landsberg“ auf, wo urkundlich ein Rittergeschlecht erscheint, das durch sechs Geschlechtsfolgen den Namen der,,Nibelungen“ trägt: Nibelungus der Erste, Zweite u. s. w. - Drunten am Niederrhein tritt Siegfried, der heimische Recke, auf; er badet sich im Blute des Drachen auf dem Siebengebirge und wird hörnen, unverwundbar bis auf die Eine unheilvolle Stelle, wohin der Hauch des Abendwindes das Lindenblättchen wehet, und das härtende Drachenblut keine Stätte findet. Kennet ihr den,,Drachenfels“ nicht mit seiner Höhle, dahin die Sage den,,Lindwurm“ weist? Hier, im eisenreichen Lande, schmiedet Siegfried sich selbst sein Schwert und kommt dann gen Worms an Gunthers Hof.

Drüben, landeinwärts liegt,,Alzeia“, Alzei, die Heimath des,,Fiedlers“, und noch vor wenigen Jahren, vielleicht noch heute, war im Schlusssteine eines Thorbogens am alten Kaiserpalaste die,,Fiedel“ in uralter Form zu sehen. Jenseits des Rheins, Worms gegenüber, zieht sich der dunkle,,Odinwald“ hin, wo die,,Recken“ den Eber und Hirsch jagten. Noch heute zeigt das Volk einen im Waldesdunkel, aus einem kleinen Felsenkessel aufsprudelnden, klaren Quell und nennt ihn den,,Siegfriedsbrunnen“, weil hier der,,grimme Hagen“ Siegfried den tödtenden Jagdspieß in den Nacken stieß. Droben im Dahner Felsengebiete liegt die Ruine der Burg, die uns das Lied nennt, noch heute, weil urkundlich, den Namen tragend, den ihr des Liedes Dichter gibt, und nun Worms mit seinem Königshofe, mit seinem Dome, mit seinem dem Volke noch heute bekannten und genannten,,Rosengarten“! - Da, nur da ist die Wiege des Heldenliedes, auf das wir stolz sein können, das aber dann hinaustritt vom geschichtlichen Boden in mythische Gebiete.

Aber ich frage: kann ein Thüringer, kann überhaupt ein hier nicht heimischer Dichter sein Lied in diese Örtlichkeiten hineinlegen, die nur ein Heimischer kennen, so genau kennen kann, wie sie in Einzelzügen uns im Gedichte entgegentreten? Mir zieht, ich will es offen bekennen, bei dieser Gedankenreihe, bei diesen erwiesenen Tatsachen ein Dichterwort durch die Seele, das:,,Was im Gedichte lebt, ist da gewesen!“ Mir will aus all den kritischen Untersuchungen über das,,Lied“ und seinen Verfasser nur das Eine und dies Eine unumstößlich erscheinen: des Liedes Wiege ist Worms, und des Liedes Dichter, wie viel Mythisches auch in den nebelgrauen Norden hinaufweist, ist ein Kind dieses genau von ihm gekannten Landes, ist ein Pfälzer gewesen.

Ich weiß sehr wohl, wie diese kecke Behauptung angefochten werden wird; ich weiß sehr wohl, wie man, vom hohen Dreifuß herab, wegwerfend aburteilen wird; aber auch das weiß ich, daß der nüchtern prüfende, klare Forscher es wohl der Mühe wert halten wird, den gegebenen Spuren sorglich nachzugehen. Ein kurz abweisendes, schneidendes Urteil ist leicht gefällt, aber Tatsachen kann es nicht zu nichte machen! -

Mögen meine Leser mit mir übereinstimmen oder das anderswo zu finden glauben, was hier in einem Raume weniger Meilen, marksteinartig abgegrenzt, nahe bei einander liegt; das Nibelungenlied gibt unserm alten Worms eine Bedeutung, wie sie poetisch herrlicher kaum eine andere Stadt wird aufweisen können, und diese Bedeutung ist ächt deutsch und in ihrer Quelle unserm Volke ewig teuer.

Worms ist eine der ältesten Städte unsres rheinischen Landes. Denkt doch der Rabbi von Tudela der Stadt als einer uralten Wohnstätte ausgewanderter Israeliten, wenn auch vielleicht die alte Chronik der dortigen Synagoge nicht allzu genau in ihren Angaben sein dürfte, indem sie berichtet, daß zur Zeit der Zerstörung des ersten Tempels zu Jerusalem, etwa 588 Jahre vor der Geburt unsers Herrn, Juden hierher ausgewandert seien und eine Synagoge gegründet hätten. Ihre alten Thora’s, das sicherste Kennzeichen des Alters einer Synagogengemeinde, weisen hinaus in das hohe Altertum.

Auch Sagenhaftes knüpft sich an ihr Bestehen. Als sie in bessern Tagen in das teure Land der Verheißung heimgerufen und von dem Hohenpriester mit dem Fluch und Zorn Gottes bedroht wurden, wenn sie nicht die hochheiligen drei Feste begingen, da beharrten sie im schönen,,Wunnegau“, wie das Nibelungenlied das reichgesegnete Land am grünen Rheine nennt, und sagten als schlagende Antwort:,,sie wohnten im gelobten Lande; Worms ist uns Jerusalem, unsre Synagoge ist uns der Tempel!“ - Was sie, in ihrer Auffassungsweise, zu solcher Antwort berechtigte, war der Umstand, daß sie, als sie aus der heiligen Stadt gewiesen waren, Erde von der gottgeweiheten Stätte mit sich genommen und die Erde ihres Gottesackers, sowie diejenige, in welche sie die Fundamente ihrer Synagoge senkten, mit dieser heiligen Erde vermischt hatten. So war das Land der Verheißung hier, wo sie beteten und im Tode ruheten.

Wir wissen, daß das fanatische Mittelalter die Wormser Juden vielfach schonte, wenn sie anderweitig verfolgt wurden. Das hatte seinen Grund in einer List. Die Wormser Synagoge verbreitete das wenn auch noch so unglaubliche Gerücht, daß, als Christus, der Herr, habe gekreuzigt werden sollen, und alle Gemeinden der Welt deshalb gefragt worden seien, die Wormser Synagoge allein nicht zugestimmt habe. Soviel steht fest: das Mittel half und trug gute Früchte. -

Von den Kaisern, dessen getreue Kammerknechte sie allzeit waren, wurden sie besonders begünstigt, und nicht unerhebliche Privilegien waren Zeugnisse besondern kaiserlichen Wohlwollens. Noch eine andere Sage berichtet von dem Ursprunge der Judengemeinde in Worms, die wir, wenn auch ihre Entstehungszeit später fällt, doch hier nicht übergehen wollen.

Es ist bekannt, daß alte Adelsgeschlechter ihren Ursprung bis zur Arche Noah’s zurückdatierten und sich der engsten Blutsverwandtschaft mit der Jungfrau Maria rühmten, sogar in Bildern diesen Behauptungen Aus- und Nachdruck gaben.

Darunter gehört auch das ausgezeichnete alte Geschlecht derer von Dalberg, die uns als die,,Kämmerer von Worms“ urkundlich begegnen. Ihre Familienchronik sagt, ihr Ahnherr sei ein Vetter der heiligen Jungfrau gewesen und zugleich Centurio in der 22. römischen Legion. Er habe, sagt die Chronik, als diese Legion an den Rhein versetzt worden sei, den aus dem von Titus eroberten und zerstörten Jerusalem mit nach Worms gebracht, und zwar als seine Sklaven, habe ihnen aber in christlicher Großmut und Liebe die Freiheit geschenkt, und diese hätten nun die Synagogengemeinde gegründet. - Damit würde nun freilich jenes,,Weißbrennen“ in Betreff der Kreuzigung des Herrn zusammenbrechen; aber das Volk glaubte wunderlicher Weise mehr den Juden, als den,,Vettern der heiligen Jungfrau“, die streng genommen doch auch Juden gewesen wären. Ob die altadeligen Herren an diesen Stammesursprung dachten?-

Ein gallischer Volksstamm bewohnte das gesegnete Land des,,Wunnegau’s“, und später finden wir den Volksstamm der,,Vangionen“ in ihren Sitzen unter römischer Schildherrschaft, und der Römer Klugheit gründete hier die Söldnerstation Borbetomagus, wo der Vangionen Hauptstadt war, um sich ihrer Treue zu versichern. So finden wir denn frühe römische Bildung und Sitte, römische Tempel und Bäder und alle die Spuren einer ansehnlichen Römerstadt, nebst denen eines Pastells, einer Festung, mit römischer Besatzung. Worms wurde römische Municipalstadt mit allen Vorrechten einer solchen. Durch die Legion, welche hier ihre Stellung hatte, und die früher in Jerusalem gewesen, kam das Christentum frühe nach Worms, und die christliche Gemeinde, deren Wachstum, wie überall im römischen Reiche, durch wiederholte blutige Verfolgungen nichts unterdrückt werden konnte, breitete den heiligen Christenglauben nach allen Richtungen hin aus.

In der Mitte des vierten Jahrhunderts erscheint ein Bischof Victor von Worms, und darin liegt wohl ein Zeichen von der Bedeutung der Gemeinde.

Von dieser Zeit an beginnen erschütternde Stürme. Die Streifzüge der Allemannen und ihrer Verbündeten, die Einfälle der Franken in Gallien berührten das schöne Land des,,Wunnegau’s“ und erschütterten Worms aufs Heftigste. Die Züge der Vandalen, gegen die Römer am Rheinstrom und ihre blühenden Städte verderblich gerichtet, brachten Graus und Zerstörung auch für Worms, und erst als die Burgundionen sich dort niederließen, scheint eine bessere Zeit eingetreten zu sein. Worms ward ihre Hauptstadt; aber die Kultur konnte noch nicht tief bei ihnen Wurzel geschlagen haben, so wenig wie das Christentum, als Attilas raub- und blutgierige Horden wie ein zerstörender, verheerender Waldstrom daherbrausten und Bildung und Wohlstand niedertraten. In den,,Catalaunischen Feldern“ brach Attilas Macht zusammen. Sein Volksheer floh zum Rheine und weiter zurück, und was sie beim Siegeszuge übrig gelassen, zerstörten sie auf der Flucht.

Ob auf diesem Rückzuge die Hunnen den Hinweg wieder fliehend einschlugen, ist ungewiss; aber das ist sicher, daß nach diesem Zurückfliehen allemannische Stämme diese Gegenden besetzten und bewohnten, die dann sich der Franken Herrschaft beugten. In dieser Zeit war Worms die Hauptstadt des nach ihm benannten Wormsgaues und dieser die schönste Perle des fränkischen Herzogthums am Rheine.

Als das fränkische Reich geteilt wurde, verlor zwar Worms an Bedeutung, aber der Umstand, daß eine,,Pfalz“, ein Königsbau, ganz nahe der Stadt sich erhob, brachte die Herrscher öfters hierher, und die weite Ebene bot Veranlassung, jene gewaltigen Volksversammlungen in der Nähe abzuhalten, die man,,Maifelder“ nannte.

Der Aufenthalt der Frankenkönige und Herzöge zeitweise, des Gaugrafen Sitz beständig, sowie der eines Bischofs, mußte auf das Aufblühen der Stadt um so mehr wirken, als Mainz sich nur schwer von den Verwüstungen der Vandalen und Hunnen zu erholen vermochte. Unter Dagoberts I Regierung wurde die vor der Stadt gelegene Pfalz ein geistliches Stift, und in der Stadt erhob sich stolzer eine neue, ein Palast. Seitdem hielten sich die Könige öfter in dieser stattlichen,,Pfalz“ auf, und Worms hieß,,die königliche Stadt“, wurde mit Freiheiten begabt, die auch der große Karl stets mehrte. Worms ging in dieser Weise einer großen Zukunft entgegen, als mit einem Male alle die glänzenden Aussichten vernichtet wurden. Die Königspfalz brannte nieder.

Das war ein schlimmer Wendepunkt für die Zukunft der Stadt, die geworden wäre, was Frankfurt ist.

Frankfurt und Aachen gewannen den Vorzug, und wenn auch Worms nicht ganz vergessen wurde, so war doch seines Hauptes Krone für immer dahin. Vergessen wurde es, wie gesagt, nicht, wenn es auch keine kaiserliche Pfalz mehr besaß. Gar manche wichtige Angelegenheit führte die Frankenkaiser in die Mauern der alten Stadt, und gar manche bedeutende Regierungsmaßregel fand hier ihre Erledigung auf Reichstagen, aber es drohten ihr auch Gefahren, wie das Vordringen der Normannen bis zur Stadt, wo ihnen indessen das Ziel ihrer Räubereien gesteckt wurde.

Die späteren deutschen Kaiser weilten öfters hier in dem von Conrad, dem rheinfränkischen Herzoge, erbauten Palaste, und Worms sah eine glänzende Zeit, als Heinrich II im Jahre 1002 in seinen Mauern erwählt wurde.

In den Wirren zwischen Heinrich IV und dem Papste stand Worms,,in rechten Treuen“ zu dem Kaiser, der hier eine Zuflucht fand, als Alle von ihm abfielen. Gegen ihren Bischof blieben die Wormser des Kaisers treue Freunde. Von hier aus zog er gegen die Sachsen, hier ließ er von den versammelten Bischöfen den Papst Gregor VII absetzen; in Worms blieb er - bis zum schweren, heillosen Zuge nach Canossa; von hier aus bekriegte er seinen Gegenkönig, zog nach Rom, kurz alle die Ereignisse, die in jenen Tagen bedeutungsschwer waren, gingen von Worms aus, und immer waren die treuen Wormser um ihn und bei ihm, - bis sein Stern erlosch.

Sein unwürdiger Sohn zeigte sich - es war kein Wunder - den Wormsern abgeneigt, änderte aber seine Gesinnung aus Klugheit, hielt zahlreiche Reichstage daselbst und erhöhte ihre bevorrechtete Stellung, ja als er die einer Bischofseinsetzung widerstrebende Stadt belagerte und eroberte, kürzte er die ihr ertheilten und aus früheren Tagen stammenden Begünstigungen nicht.

Worms war groß, reich und mächtig geworden. Es vermochte durch eigne Kraft dem Landfriedensbrecher Hermann von Stahleck zu widerstehen, wie es andern Dynasten widerstand.

Die Hohenstaufen hielten Worms hoch, die Stadt aber auch das Panier der Hohenstaufen. Eine mächtige Bewegung erregten in Worms die feurigen Kreuzzugspredigten Bernhards. Viele Männer und eine Schaar blühender Jünglinge folgte Conrad ins Morgenland, aber das Andenken an sie machte heiße Tränen fließen, denn sie fanden ihr Grab in dem Lande der Verheißung, und dennoch folgten wieder Friedrich II vierhundert streitbare Wormser ins heilige Land, die gleiches Schicksal hatten. Tapfere Bürger waren sie immer, und so erscheinen sie auch in dem Kampfe Conrads gegen Heinrich Raspe zahlreich und tapfer; ebenso standen sie ihm zur Seite in der Fehde gegen den Eppsteiner Sifrid, der auf dem erzbischöflichen Stuhle zu Mainz saß. Das bekam ihnen freilich sehr übel, und es schien, als solle Worms herabfallen von jener stolzen Höhe; doch Conrad vergaß seiner treuen Wormser nicht. Er sandte Hülfe, die verbündeten Oppenheimer zogen zu, und Worms atmete wieder frei; aber der vertriebene Bischof schlich sich in die Stadt und suchte sich festzusetzen. Da standen die Bürger wie Ein Mann auf und verjagten den Verhassten. Daraus entstanden neue Irrungen, neue Kämpfe, bis des Kampfes müde die Stadt sich zur Versöhnung neigte. Mit 2.000 Bürgern stritt die Stadt für Conrad gegen Wilhelm von Holland.

In der Stadt selbst brachten die bischöflichen Streitigkeiten immer neue Verwirrung, und der erzbischöfliche Bann drückte sie, bis Kaiser Conrad seinem Vater wenige Jahre später im Tode folgte, und Worms sich mit Wilhelm von Holland einigte. Allmählig kehrte wieder Friede in die Mauern der Stadt ein. Auch diese Ruhe währte indessen nicht lange. Ein wichtiges Glied im Städtebunde, mußte sie die Kämpfe mitstreiten. Dann einigte sich Worms mit Richard von Cornwallis, huldigte ihm und zog allerdings Vorteil davon; aber im Innern begannen nun die allgemeinen Kämpfe dieser Zeit; Zünfte erhoben sich gegen die übermütigen Altbürgerfamilien, die herrschen wollten. Der Bischof schlichtet den Streit; doch der Funke glimmt fort unter der Asche. Dennoch erweitert und verschönert sich die Stadt, denn sie ist reich, ihr Handel blüht trotz der Rheinzölle und Raubritter; die Gewerbe entfalten sich; großartige Klöster und dem öffentlichen Wohl geweihte Bauten steigen empor; der Dom wird verschönert. Die zahlreichen, hier abgehaltenen Reichstage bringen Geld in die Stadt, und überall erscheinen die Früchte davon in wachsender Bildung, aber auch in wachsender Ueppigkeit. Die Lombarden siedeln sich an; die Juden nehmen zu. Das Wachsen der Stadt geschieht mehr von Außen her, weil des Handels Blüte die Einwanderer lockt. Zum innern Segen gereichte das gerade nicht; denn Religion und Sitte wankt und sinkt in der Zeit, da im Reiche überall das Verderben wie Nesseln emporschießt.

Rudolph von Habsburg hob die Stadt ungemein dadurch, daß er den Raubadel bändigte; tüchtige Bischöfe am Ende des dreizehnten Jahrhunderts regierten heilbringend.

Kaisertreu stritten die tapfern Wormser für Adolph von Nassau, während im Innern der nur zeitweise schlummernde Kampf zwischen Zünften und Patriziern wieder entbrannte, zumal diese letztern gegen Kaiser Adolph waren.


Albrecht trug für Worms, das heißt für die Volkspartei, keine Liebe, weil sie dem unterliegenden Adolph zugetan waren. Er verschaffte den Patriziern den Vorteil.

Eine streitige Bischofswahl veranlasste, daß Balduin von Trier eine Zeit lang das Wormser Bisthum in seine Faust bekam, und diese Faust war eine kräftige, welche die Zügel stramm anzog und die Bürger bezwang. Der von ihm eingesetzte Bischof befolgte seine Grundsätze, es waren die eines eisernen Regimentes; aber für ein solches waren die Wormser nicht angetan, und diesmal standen selbst die klugen, reichen Juden mit den Bürgern gegen den Bischof. Der war schlau genug, einzusehen, was der Bürger Absicht war, nämlich die Juden in die Bürgerschaft aufzunehmen, - um - die Steuer, die sie dem Bischof zahlten, in die Stadtkasse zu leiten. Er kam den Städtern zuvor, gab den Juden eine Verfassung, die ihnen Vortheile gewährte, und - hatte sie gewonnen. Der Bürger Zorn war groß; aber die,,Spänne“ wurde wieder beigelegt, wenn auch der Ärger wegen der Überlistung den Bürgern blieb.

Ludwig der Baier hatte die Wormser für sich und gewährte ihnen große Vorteile; für ihre Treue gegen Ludwig traf aber der päpstliche Bann und das Interdict die Stadt. Es war eine schlimme Zeit damals. Nichts half gegen Raub und Fehde von Außen, und Zwiespalt herrschte im Innern. Karls IV Bemühungen, den Landfrieden zu sichern, hielten nicht vor. Trotz der sehr zahlreichen Gunstbezeugungen des,,faulen Wenzel“ hatte die Stadt schlimme Zeiten; denn fort und fort dauerten die Fehden nach Außen, fort und fort die Streitigkeiten im Innern, bald zwischen den Bischöfen und der Stadt, bald zwischen Zünften und Patriziat. Sie wurden freilich wieder geschlichtet, allein nicht immer zum Vorteil der Stadt. Klug war es, daß sie sich mit den Kaisern vertrugen und zu ihnen hielten. Dadurch sicherte sich die Stadt einen starken Rückhalt, wenn sie auch mit dem alten Titel,,der frei gefürsteten Stadt“ Anstoß gab.

Dennoch - und es ist wahrlich wunderbar - gedieh die Stadt auch während dieser Fehden, obgleich während dieser Zeit Feuersbrünste verheerender Art, Seuchen, ja selbst Hungersnot über sie hereinbrachen. Ihre Befestigungen wurden vermehrt, und sie wuchs stattlich, wie in ihren Bauwerken, so an Seelenzahl. Im vierzehnten Jahrhundert, so wird berichtet, soll sie eine Kriegsmacht von 10,000 waffenfähigen Männern haben aufstellen können, natürlich mit ihrem Gelde geworben.

Besondern Glanz verliehen die Reichstage, und lustiges Leben begleitete sie allerwege. Die strenge Sitte mußte indessen oft ihr Haupt verhüllen, und selbst ins bürgerliche Leben drang das Gift tief hinein. Die Chroniken wissen vom Constanzer Concil an Mähren zu erzählen, die haarsträubend sind, und von ähnlichen Erscheinungen blieb Worms nicht frei in jenen Tagen loser Zucht und wilder Leidenschaften. Zog doch des Reiches und der Kirche Wohl bei Weitem nicht alle zu den Reichstagen und Concilien.-

Mit dem Reichstage von 1521 begann eine neue Zeit auch für diese Stadt. Luther, der welterschütternde Mönch von Wittenberg, erschien, von Hoch und Niedrig eingeholt, im Triumphe in Worms und verteidigte mannhaft und glaubensmutig die evangelische Wahrheit. Wer gedenkt nicht seines gewaltigen Wortes, das er dort sprach:,,Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir, Amen!“

Diese Worte packten die Herren, daß Männer geweint haben, die kaum von Tränen etwas gewusst, und brachen dem Evangelium eine mächtige Bahn.

In diese Zeit fällt der Ursprung der schönen Sage von dem Lutherbaume bei Worms, einer Korkulme von wunderbarer Stärke, Höhe und Kraft, die Jahrhunderte lang die Blicke bewundernd auf sich zog. Die Sage lautet: Als Luther auf dem offenen Wägelein, begleitet von dem kaiserlichen Herolde, sich der Stadt näherte, zogen Fürsten, Grafen und Herren umwogt von zahlloser Volksmenge, dem edeln Kämpfer für Licht und Wahrheit entgegen.

Unter den hohen Herren befand sich der tapfere, ritterliche kaiserliche Feldhauptmann von Frundsberg. Er ritt an der Seite des Wägeleins und redete viel mit dem Gefeierten. Da, als sie unfern der Thore der Stadt waren, richtete er sein großes, klares Auge auf Luther und sprach:,,Mönchlein, glaubst du fest, daß deine Lehre siegreich bestehen werde?“ - Luther erhob den begeisterten Blick zu dem edeln Manne, deutete dann auf ein junges, schwankes Korkulmenreislein, das am Wege aufgesproßt war, und sagte voll Kraft und Freudigkeit der Überzeugung und des Gottvertrauens:,,Ja, Herr, so wahr dies Reislein zu einem gewaltigen Baume werden und mit den Türmen der Stadt an Höhe wetteifern wird!“

Und die mächtige, herrliche Korkulme, die Jahrhunderte überdauert hat, ist dies Reislein gewesen, ist der Lutherbaum bei Worms! -

Es war eine wunderbar bewegte Zeit, auch für Worms, die diesem weltgeschichtlichen Reichstage folgte, die im Bauernkriege der Stadt Gefahr drohte; denn bei dem nahen Pfeddersheim wurde ja jene blutige Schlacht geschlagen, die dem Bauernkriege in diesen Landen den Todesstoß gab. Wie wäre es der Stadt ergangen, wenn die Bauern gesiegt hätten?

Die Osterzeit des Jahres 1515 sah Worms in einer großen Aufregung. Sie galt den Juden, die vom Wucher ungeheuer reich geworden und den Handel, besonders in Wein und Früchten, ganz in ihrer Hand, daher das Mittel in ihrer Gewalt hatten, die Preise zu bestimmen. Die Bürgerschaft trieb sie zu den Thoren hinaus und zerstörte ihre uralte, ehrwürdige Synagoge; aber kein Blut floss, keine brutale Behandlung erfuhren sie. Solche Selbstherrlichkeit blieb nicht ohne ernste Folgen für die Stadt und die Rädelsführer insbesondere. Die Juden kehrten wieder. Die Bürger mussten ihren Grimm, wie das rheinische Volk sich ausdrückt:,,hinunterwürgen“.

Worms hatte übrigens seine Glanzeshöhe überschritten. Es ging mit Macht abwärts. Seltene Reichstage bewirkten arge Ausfälle in seinen Einnahmen, und die Macht des Bischofs stieg. Jene Händel zwischen Zünften und Altbürgern waren verschwunden; aber religiöse Kämpfe traten an ihre Stelle, da der Bischof die Protestanten bedrängte, und die Jesuiten ihr Wesen treiben ließ.

So kam der dreißigjährige Krieg mit vielem Ach und Weh über die Stadt und drückte ihren Wohlstand noch tiefer herab. Brandschatzungen auf Brandschatzungen folgten sich, und Tilly, der von Onno Klopp Weißgebrannte, war unendlich hart gegen die Protestanten, deren Kirchen er schloss, und die er gewaltsam katholisch zu machen versuchte. Diese Quälereien mancherlei Art endigten erst mit dem Kommen der Schweden, die indessen auch keine Engel waren, begannen aber wieder, als nach der Schlacht bei Nördlingen die Schweden abzogen. Nun waren es wieder Kaiserliche, Baiern, Franzosen und Weimarer, welche Worms die letzten Blutstropfen auspressten.

Schutzlos war die unglückliche Stadt dem Übermute und der Rohheit Derer preisgegeben, die das Kriegsglück in ihre Nähe führte, und jede der Parteien arbeitete emsig an ihrem Ruin, bis endlich pestartige Seuchen und Hungersnot selbst in diesem Garten Gottes die unglücklichen Bewohner heimsuchten und zahlreiche Todtenopfer forderten.
Wo so viele und tiefe Wunden klafften, war die Heilung schwer, auch wenn wacker daran gearbeitet wurde, und als endlich einige Hoffnung grünte, kam der heilloseste aller Kriege, die jemals diesen blutgedüngten Boden des reichen, schönen Landes verheerten, der sogenannte Orleans’sche.

Am 1. Oktober 1688 begannen die Drangsale der Stadt. Halb gezwungen, halb überredet, öffneten die Bürger die Thore den Franzosen. Was sie gelobt, dachten diese niemals zu halten. - Was Rohheit und Wildheit ersinnen mag, mußte Worms erdulden. Und doch lag noch eine schreckliche Angst lähmend auf den Herzen, wenn sie auch jedes Opfer williglich darbrachten, und diese Angst war die um das Bestehen der Stadt. Es blieb nicht aus, was andere Städte erduldet. Im Februar 1689 fielen die Befestigungswerke, an denen Jahrhunderte lang gebaut worden war. Ja ein schwacher Hoffnungsstrahl der Hülfe, welcher der Stadt aufging, ließ die Feinde schnell an die Vollendung ihres teuflischen Werkes gehen.

Gegen Ende Mai begannen sie die heranreifende Ernte auf den Feldern zu zerstören; dann wurde mit gleißnerischer Teilnahme die Notwendigkeit der Verbrennung der Stadt angekündigt und den Bürgern gestattet, ihr bestes zu retten. Im Dome hatten sie Vieles untergebracht, weil er verschont bleiben sollte; allein auch dies Wort wurde zurückgenommen. Mit Trommelschlag ward der Brand angekündigt, damit fliehen könne, was fliehen wollte. Nun beginnt die Plünderung durch die Soldaten, und lange noch war dies edle Werk nicht vollendet, da donnert ein Kanonenschuss über die Stadt hin, und der mit Schwefel und Pulver vorbereitete Brand bricht los! -

An hundert Orten zugleich lodert die Flamme auf und zehrt gierig an dem, was sie erreicht. Es war eine schauderhafte Nacht! - Bis in weite Ferne leuchtet die Höllenglut hinaus in die Landschaft, und nah und fern vernimmt man das Jammern des unglücklichen Volkes, das die geheiligten Stätten seiner Heimath zusammenstürzen sieht! -

Die Stadt ist zu einem großen Schutthaufen geworden! Nur einzelne Bauwerke widerstanden einigermaßen, so auch der Dom. Ob es in der Absicht lag, ihn zu erhalten, muss - nach Allem, was geschah, bezweifelt werden.

Was der Brand übrig gelassen, zerstörten sechs Wochen lang die Franzosen, und selbst die Särge der Toten wurden nicht verschont!

Was sollten die armen Beraubten beginnen? Die, welche noch Vermögen gerettet hatten, zogen in die Ferne und suchten sich eine neue Heimath; Andre bauten sich Hütten auf der Maulbeerau, noch Andre richteten sich in den Kellern Wohnungen ein oder suchten eine Unterkunft auf den die Stadt umgebenden Dörfern näher oder entfernter von der Stätte des Jammers.

Allgemein in Deutschland fanden die Bewohner der zerstörten Stadt Mitleid.

Aus Holland und Deutschland flossen reichliche Gaben, besonders nahmen sich die Reichsstädte der unglücklichen Schwester an. Alles wetteiferte in Wohltaten für die Unglücklichen, und ein wackerer Stadtrat tat, was in seinen Kräften stand.

Auch der Dom und die alte Johanniskirche wurden hergestellt, daß der Betende wieder eine heilige Stätte hatte, wo er zum gnadenreichen Herrn flehen könne mit der Gemeinde. Wo sollten sie anders Trost und Hülfe finden, als bei dem Herrn!
Zwanzig Jahre verstrichen, bis die Spuren einer ungeheuren Barbarei notdürftig entfernt und 500 Häuser nebst den Gotteshäusern hergestellt waren. Selbst Mauern und Türme entstanden wieder; aber die Stadt war verarmt; ihre Krone war gefallen und zertrümmert, ihre Lebensadern waren unterbunden.

Nur langsam erholte sie sich; aber die französische Revolution brachte ihr eine fatale Gabe, den französischen Adel. Unter den Flüchtigen war Condé, der den Bischofshof bewohnte, der später niedergebrannt wurde von den Revolutionshorden, weil - ihn Condé bewohnt hatte.

Geld hatten teilweise diese Emigranten, aber die Gabe, die sie reichlich mitbrachten, war eine bodenlose Entsittlichung, und ihr unseliger Einfluss blieb nicht ohne Folgen. -

Das Überflutetwerden von den Revolutionsheeren, den sogenannten ,,Grundelchen“, brachte wahrlich keinen Segen! Das deutsche Reich, das atemlos geworden war, verschied nach einem langen Todeskampfe an Altersschwäche und Auflösung.

Worms wurde dem Reiche Napoleons einverleibt, wie das linke Rheinufer überhaupt. Viele Seide wurde bekanntlich unter einer Regierung nicht gesponnen, welche die Blüte der Bevölkerung auf die Schlachtfelder schleppte. Die Freiheitskriege änderten diese Verhältnisse, und Worms wurde zum Großherzogtum Hessen geschlagen, jetzt eine Landstadt, die schwermütig auf vergangene bessere Tage hinblickt.

Die alten Wunden sind wohl ausgeheilt, aber die Tage des alten Glanzes kehren nicht wieder und können nicht wiederkehren. Dennoch hat sich die Stadt sehr gehoben in neuerer Zeit, und der Gewerbefleiß regt sich mit frischer Kraft, und Tage des Friedens sind dem geistigen und materiellen Fortschritt Tage des Segens und frischester Entfaltung. Ein Erinnerungszeichen an ihre größten Tage besitzt die Stadt jetzt in einem großartigen Lutherdenkmale, welches von der Meisterhand Rietschels entworfen und teilweise auch ausgeführt wurde. Der frühe Tod des Meisters, am 21. Februar 1861, ließ ihn die Vollendung und Aufrichtung des Werkes nicht mehr sehen. Zwölf Jahre lang wurde an demselben gearbeitet und aus allen evangelischen Ländern zu demselben beigesteuert, bis am 25. Juni 1868 vor einer glänzenden Versammlung von Fürsten und einer zahllosen Menge von Gästen aus allen Ländern Europas die feierliche Enthüllung stattfand.

Worms, eine sehr alte, evangelische, ehemalige freie Reichsstadt. Luther legte 1521 bei dem hier abgehaltenen Reichstage vor Kaiser Carl V sein Glaubensbekenntnis ab.

Worms, eine sehr alte, evangelische, ehemalige freie Reichsstadt. Luther legte 1521 bei dem hier abgehaltenen Reichstage vor Kaiser Carl V sein Glaubensbekenntnis ab.

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