Zweite Fortsetzung

In einem dem Verfasser dieser Skizze bekannten Falle kann ein Gerichtsvollzieher zu einem Berliner Bauunternehmer, der durch Schwindel eine große Anzahl von kleinen Handwerkern vollständig ruiniert hatte. Dieser Bauunternehmer war absolut nicht zu pfänden. Er wohnte „möbliert“ bei seiner eigenen Fran, die Möbel gehörten nicht ihm, sondern der Frau, die in wiederholten Interventionsprozessen ihr Recht daraus gerichtlich hatte feststellen lassen. Der Schwindler lebte aber in Saus und Braus, musste also über nicht unbedeutende Mittel verfügen. Ein Gerichtsvollzieher kam zu ihm in die „Wohnung“, die aus zwei kleinen Zimmern bestand, von denen das eine das notdürftigste Meublement zum Schlafen, das andere die notdürftigsten Bureauutensilien enthielt. Neben diesen ärmlichen Räumlichkeiten, welche angeblich die „Wohnung“ des Bauschwindlers bildeten, lag die luxuriös, fast fürstlich ausgestattete Wohnung, die angeblich der Frau gehörte, und die natürlich der Schwindler ebenfalls benutzte. Ein Gerichtsvollzieher, dem sehr viel daran lag, gerade diesem Schwindler im Interesse der kleinen Leute, die er um Hab und Gut gebracht hatte, zu Leibe zu gehen, hielt eine eingehende Revision des sogenannten Bureaus ab. In einer Ecke stand ein Kasten mit alten krummen Nägeln und verrosteten Schrauben. Verschiedene seiner Kollegen waren schon an diesem Kasten vorübergegangen, der argwöhnische Beamte aber drehte den Kasten um und fand auf seinem Boden achttausend Mark in Goldstücken. Dieser unscheinbare Kasten war also der „Geldschrank“ des Schwindlers gewesen, dem hier durch die Findigkeit des Gerichtsvollziehers wenigstens ein Teil seines Raubes wieder abgenommen wurde.

Aber nicht immer glückt dem Gerichtsvollzieher ein solcher Fang. Zu einem jungen leichtfertigen Kaufmann kommt in früher Morgenstunde ein Gerichtsvollzieher, um eine Pfändung vorzunehmen. Er findet nichts vor, was er mitnehmen könnte, und will gerade fortgehen, als der Geldbriefträger erscheint und dem jungen Kaufmann eine Postanweisung über hundertfünfzig Mark, ein Geschenk von einem Onkel des Schuldners, bringt. Der Geldbriefträger zählt die hundertfünfzig Mark auf den Tisch, während der junge Kaufmann die Postanweisung unterschreibt. In dem Augenblick, in dem er damit fertig ist, streicht der Gerichtsvollzieher die hundertfünfzig Mark ein, um sie zu pfänden. Mit höhnischem Lächeln überreicht ihm aber der junge Kaufmann die Postanweisung, auf welche er soeben geschrieben: „Annahme verweigert.“ Der Gerichtsvollzieher musste natürlich dem Geldbriefträger die hundertfünfzig Mark zurückzahlen und, wie es im Volksmunde heißt, „mit langer Nase abziehen.“ Dass der junge Kaufmann doch später in den gesicherten Besitz seiner hundertfünfzig Mark gekommen ist, dürfte nicht zweifelhaft sein. Ein tüchtiger Gerichtsvollzieher aber lässt sich durch solche kleinen Fehlschläge nicht entmutigen. Nichts kann ihn abhalten, seiner Pflicht zu genügen, und vor einiger Zeit erst brachten Berliner Zeitungen die Meldung, dass selbst wilde Bestien den Gerichtsvollzieher nicht schrecken, indem ein solcher Beamter in einer Vorort-Menagerie kaltblütig die Käfige von Löwen samt den Insassen versiegelte, um sie zu Pfandobjekten des Gläubigers zu machen.


Ein noch großartigerer Coup wurde von einem Gerichtsvollzieher im Westen Deutschlands vor ungefähr Jahresfrist ausgeführt. Ein Zirkusdirektor, der in jener Gegend reiste, hatte sich in einer Stadt einen Zirkus erbauen lassen und war mit dem Baumeister wegen der Zahlung in Streitigkeiten geraten. Während der Prozess noch schwebte, ging der Direktor mit seiner Truppe nach Belgien und Holland, und als er dann zu einer Zahlung von zwanzigtausend Mark verurteilt wurde, konnte der Baumeister sein Geld nicht eintreiben, da sich der Schuldner im Auslande befand. Der Baumeister besorgte nun eine „offene Ordre“ gegen den Zirkusdirektor und studierte eifrig die Zeitungen, um zu hören, wann der Direktor mit seinem Zirkus wieder über die Grenze käme. Zu richtiger Stunde stellte sich der Baumeister mit einem sehr geschickten und energischen Gerichtsvollzieher auf der ersten deutschen Station ein, welche der von Belgien kommende Extrazug des Zirkusdirektors mit dessen ganzer Habe passieren musste. Auf dieser Station erhielt der Zug das Haltesignal, musste natürlich von dem Lokomotivführer zum Stehen gebracht werden, und als der Zirkusdirektor erstaunt fragte, was das unvorhergesehene Halten bedeute, erschien vor ihm der Gerichtsvollzieher mit der „offenen Ordre“ und verlangte die Zahlung von zwanzigtausend Mark, widrigenfalls sofort das ganze, im Zuge befindliche Zirkusinventarium mit Pferden und Requisiten gepfändet werden würde. Es blieb dem Direktor nichts Anderes übrig, als sich zu fügen. Er zahlte dem anwesenden Gläubiger einen Teil der Summe in bar, gab den Rest in Wechseln, darauf bekam der Zug das Fahrsignal, und schmunzelnd sahen der schneidige Gerichtsvollzieher und der Gläubiger dem davonjagenden Extrazuge nach.

Solche Szenen haben unwillkürlich etwas Humoristisches, weil es sich um Schuldner handelt, die wirklich zahlungsfähig sind. Anders dagegen steht es mit den armen Leuten, die durch Not, Krankheit, geschäftliches Unglück u. s. w. in Schulden geraten sind, und nun durch eine Zwangsvollstreckung im gesetzlichen Wege vollständig ruiniert werden. Ohne Zweifel leidet die Arbeitsfähigkeit, ja die Moral eines ehrlichen Mannes darunter, wenn ihm auf gesetzlichem Wege seine ganze Habe bis auf einen geringen Bruchteil, der zu dem allernotdürftigsten Leben gehört, genommen wird. Ganz abgesehen von der Schande, die eine solche Zwangsvollstreckung dem ehrlichen Menschen vor den Nachbarn macht, raubt sie ihm alle Behaglichkeit, verleidet ihm sein Heim, das doch der einzige Ort ist, an welchem er im Unglück Trost und Ruhe finden kann, und nicht mit Unrecht macht sich in Deutschland eine Bewegung geltend, welche behauptet, die jetzige Form der Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen sei eine in vielen Fällen ungerechte und grausame. Es erheben sich Stimmen, welche behaupten, der Staat handle höchst töricht, im Auftrage eines Gläubigers sich selbst einen Steuerzahler zu entziehen, denn ein bis aus den letzten Rest ausgepfändeter Schuldner geht in seinen wirtschaftlichen Verhältnissen so herunter, dass in Wirklichkeit der Staat in ihm einen Mann verliert, der Steuern zahlen kann.

Es ist nicht zu leugnen, dass gegen böswillige Schuldner das Gesetz dem Gerichtsvollzieher noch viel zu wenig Handhaben bietet. Andererseits aber müsste den ehrlichen Schuldnern gegenüber, die in ungünstige Verhältnisse geraten sind, das Gesetz viel mehr Milde walten lassen, und die Auspfändung müsste nicht in so harter- und rücksichtsloser Weise geschehen, wie sie heute vorgeschrieben ist. Die Stimmen, die sich zu Gunsten dieser unglücklichen Schuldner erheben, werden hoffentlich bei der Kodifikation oder Revision unserer Reichsgesetze Berücksichtigung finden, und der Gerichtsvollzieher wird dann nur noch der „schwarze Mann“ und der Schrecken für den bösen Schuldner sein, der nicht zahlt, trotzdem er Geld hat, und der eine Art „Sport“ daraus macht, mit dem Gerichtsvollzieher einen Kampf der List und Verschlagenheit ununterbrochen zu führen.