Erste Fortsetzung

Wollen wir uns diese niederdrückende Wucht der Tatsache ,Zwangsvollstreckung' erklären, so müssen wir die Sache von ihrer psychologischen Seite betrachten.

Zwei dem Menschen — dem zivilisierten wie dem wilden — heilige Dinge werden durch diese Tatsache sozusagen mit Keulen totgeschlagen: das Eigentum und die Häuslichkeit. Das starke Gefühl für beides ist nichts Angelerntes, sondern ein Mitgebrachtes, ein Trieb, und zwar ein sehr energischer, um so kraftvoller, als er nicht in der Menschheit, sondern tief unter ihr in mächtiger Tiefe und Breite, im Tierreich wurzelt; und diese Tiefe und Breite ist eben seine Stärke. Die ,Häuslichkeit' ist die Örtlichkeit des Eigentums, und eben nur, wenn sie eine solche, ist sie dem Menschen so unendlich teuer. Eine Örtlichkeit ohne eine Spur von ,Sachen', ,Wirtschaft' darin ist keine Häuslichkeit.
Mit seinem Leben verteidigt der Hund sein Eigentum, seinen Knochen; der Vogel seine Häuslichkeit, sein Nest; der Löwe seine Höhle. Das Tier kennt eine ,Häuslichkeit' ohne ,Eigentum', nicht aber der Mensch: das ist spezifisch geistig.


,Kein Eigentum mehr!' Dieser Satz im Programm der Sozialdemokraten ist bodenlos lächerlich. Sie können im besten — oder vielmehr im schlimmsten — Falle vielleicht alles Eigentum auf der Erde ausrotten, aber nicht auf eine Minute den menschlichen Trieb, wieder dergleichen zu erwerben. Und gerade in denjenigen Menschheitsschichten, aus denen sich die Sozialdemokratie zumeist rekrutiert, herrschen jene beiden Triebe mit unbändiger Allgewalt, mit jener Energie bis zur Wildheit des Wahnsinns. Gerade Personen aus diesen Kreisen sind es am ehesten, die ihren Nebenarbeiter um
eine Brandweinflasche — ihr Eigentum — auf der Stelle totschlagen, und ebenso den, der wider ihren Willen ihre Schwelle überschreitet.

Und diese beiden tierisch-mächtigen Triebe zu bändigen, gebietet dem Schuldner die Zwangsvollstreckung mit ihrer eisernen Faust: auf ein Stündchen ist Dein Hausrecht in Deiner Behausung suspendiert – Du hast darin für diese Zeit nichts mehr zu sagen — ein Fremder ist Herr darin für ein Weilchen. Dies Dein Tischchen und Stühlchen ist von dieser Minute an nicht mehr Dein; es wird Dir aus Deiner Häuslichkeit fortgeschafft. Deine Häuslichkeit ist keine Häuslichkeit mehr.

Wenn auch sonst der ganze Prozess nicht, so hat doch die „Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen äußere Dramatik, besonders in kleinen Verhältnissen — Dramatik bis zu erschütternder Tragik.“

Der moderne Gerichtsvollzieher unterscheidet sich durchaus von dem früheren Exekutor. In früherer Zeit hatte ein solcher Vollstreckungsbeamter einen bestimmten Geschäftsbezirk, in welchem ihm alle Geschäftsobliegenheiten übertragen werden mussten. In der vergangenen Zeit, in welcher die Leute noch sesshafter waren, entwickelte sich infolgedessen zwischen diesen Vollstreckungsbeamten des Gerichts und den Einsassen seines Amtsbezirkes gewöhnlich ein ganz gemütliches Verhältnis. Der Exekutor wusste genau, ob in einem Hause, in das er kam, noch etwas zu „holen" sei oder nicht; er kannte die Leute, mit denen er öfter in „geschäftliche" Berührung kam, sehr genau als ehrliche Leute oder „unsichere Kantonisten“. Er konnte es gegenüber ehrenhaften Menschen schon einmal wagen, ihnen eine längere Zahlungsfrist zu setzen, als das Gesetz ihm gestattete, und selten hatte er ein eigenes Risiko, das er dabei lief, zu beklagen. „Faule Schuldner“ behielt er im Auge und wusste ihnen doch beizukommen. Aber auch vielen armen Teufeln und armen Familien suchte der Exekutor zu helfen, und die Fülle waren nicht selten, in denen ein Exekutor, der zu einer armen Familie kam, anstatt etwas mitzunehmen, noch selbst in die Tasche griff und ein Almosen spendete, weil es ihm unmöglich war, das entsetzliche Elend anzusehen. Ja, die als Anekdoten erzählten Fälle sind wirklich wahr, dass mancher dieser patriarchalischen Herren so gemütlich war, sich von Schuldnern „anpumpen“ zu lassen.

Der Gerichtsvollzieher von heute ist eine ganz andere Persönlichkeit. Er ist auf der einen Seite Gerichtsbeamter und auf der andern Seite Geschäftsmann. Er bezieht kein festes Gehalt vom Staat, sondern ist auf die Einnahmen aus den ihm von den Parteien übertragenen Geschäften angewiesen. Die Gebührenordnung gestattet ihm nur mäßige Sätze in Anrechnung zu bringen, und seine Einnahme richtet sich darnach, ob er viele Aufträge vom Publikum bekommt oder nicht. Natürlich wird derjenige Gerichtsvollzieher aber die meiste Beschäftigung finden, der der geschickteste und schneidigste ist, und wenn zur Ehre unserer deutschen Gerichtsvollzieher gesagt werden muss, dass sie ausnahmslos humane Menschen sind, dass äußerst selten ein solcher Mann härter gegen einen Schuldner ist, als das Gesetz es vorschreibt, so zwingt doch die Geschäftsrücksicht den heutigen Gerichtsvollzieher, streng mit den Schuldnern umzugehen, auf ihn, wenn es sein muss, mit allen Schikanen Jagd zu machen. Es ist jetzt Ehrensache für den Gerichtsvollzieher, die Zwangsvollstreckung gegen einen Schuldner wirklich auszuführen, und da es unter den Schuldnern recht bösartige Leute gibt, die zahlen können und doch nicht zahlen, so entwickelt sich in derartigen Fällen meist ein hochinteressanter Kampf zwischen Schuldner und Gerichtsvollzieher, der oft zu sehr drastischen und komischen Momenten führt.

Diese bösen Schuldner sind gewöhnlich verkrachte Existenzen, die nur von Kredit oder, wie man gewöhnlich sagt, „vom Pump“ leben, die hin und wieder zu Geld kommen, aber es dann nicht dazu verwenden, um Schulden zu bezahlen, sondern die es für sich verbrauchen. Diese Leute führen mit allen Mitteln des Gesetzes gegen das Gesetz selbst und dessen Vertreter, den Gerichtsvollzieher, einen Kampf: sie suchen ihm zu entgehen, wo sie können, und nachdem sie den Manifestationseid geleistet haben und der Gerichtsvollzieher im Besitz der sogenannten „offenen Ordre“ ist, die es ihm gestattet, jederzeit den Schuldner zu pfänden, wo er ihm auch begegnet, suchen sie ihm ein Schnippchen zu schlagen. Sache des Gerichtsvollziehers ist es alsdann, diese raffinierten Schuldner zu
überlisten.

Da ist z. B. ein junger Lebemann, der offenkundig fortwährend Geld hat, nur nicht in dem Augenblicke, in dem der Gerichtsvollzieher ihn amtlich auffordert, seine Taschen umzudrehen. Tags über ist der junge Lebemann nicht zu Hause, er kommt auch Abends vor neun Uhr nicht in seine Wohnung, und nach dieser Zeit darf der Gerichtsvollzieher sie nicht mehr betreten. Sobald aber der Morgen graut, darf der Beamte in der Wohnung erscheinen, und er tut dies auch. Er dringt so rasch wie möglich in das Schlafzimmer des Betreffenden vor, und bemächtigt sich mit einem kühnen Griff seiner Beinkleider, um das Portemonnaie herauszusuchen. Er findet es auch, aber nur einen so geringen Inhalt darin, dass er ihn nach den Gesetzesvorschriften dem Schuldner „zum Lebensunterhalt“ überlassen muss. Vergebens untersucht der Gerichtsvollzieher den Schreibtisch, den Wäschekasten, den Kleiderschrank des Schuldners nach pfändbaren Gegenständen und nach Geld; es ist nichts aufzutreiben. Der Gepfändete sieht mit höhnischem Lachen dem Gebahren des Beamten zu. Dieser weiß genau, der Schuldner hält ihn zum Besten. Unwillkürlich fixiert er sein Opfer und sieht, wie dieses ganz unabsichtlich nach einer Streichholzschachtel blickt, die auf dem Nachttische steht. Mit einem Sprunge ist der Gerichtsvollzieher bei dieser Streichholzschachtel, die halb aus der Hülse herausgezogen ist; er kehrt sie um, und acht Doppelkronen fallen ihm entgegen. Der Schuldner hatte jeden Abend die Vorsicht gebraucht, seine Goldstücke in diese Streichholzschachtel zu legen und sie mit einigen ungebrauchten Streichhölzern zu bedecken. Die unscheinbare Streichholzschachtel auf dem Nachttisch war den anderen Gerichtsvollziehern entgangen, bis es diesem gelang, den Fund zu machen. Die Goldstücke werden natürlich gepfändet und an die Gläubiger zur teilweisen Befriedigung abgeführt. Der Gerichtsvollzieher muss eben in diesem Kampf mit dem Schuldner etwas vom Kriminalisten und seinem Spürsinn an sich haben.