Der Gerichtsvollzieher - Aus dem öffentlichen Leben der Gegenwart 1893

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 6. 1893
Autor: A. Oskar Klaußmann, Erscheinungsjahr: 1893

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Gericht, Gerichtsvollzieher, Schuldner, Gläubiger, Gesetz, Polizei, Betrüger, Schwindler, Beamter, Exekutor
Der Name und Begriff „Gerichtsvollzieher“ ist ein neuer, erst durch die deutsche Reichsgesetzgebung geschaffener, aber das Institut war schon lange vorhanden und besonders in Deutschland, wenn auch früher unter dem Namen „Exekutor“, bekannt. Was die Polizei in der Staatsverwaltung ist, nämlich die ausführende Behörde, die „Exekutive“, das ist der Exekutor oder, wie er heute heißt, der Gerichtsvollzieher in der Rechtspflege, indem ihm die Ausführung der Befehle und Entscheidungen der Gerichtshöfe obliegt. Der Gerichtsvollzieher hat gegenüber dem Gerichtsdiener eine durchaus selbstständige Stellung. Er handelt unter eigener amtlicher Verantwortlichkeit innerhalb des ihm überwiesenen Geschäftskreises. Es liegen ihm ob „die Zwangsvollstreckungen in bewegliche körperliche Sachen wegen Geldforderungen, die Pfändungen von Forderungen aus Wechseln und anderen begebbaren Papieren, die zwangsweise Inbesitznahme von beweglichen und unbeweglichen Sachen, die Vollziehung der Haft, der Arreste und der einstweiligen Verfügungen, soweit solche in Bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zulässig sind, ferner in Zivilprozessen und Strafsachen die Zustellungen und Ladungen; endlich fungiert der Gerichtvollziehe als Vollstreckungsorgan im Strafprozess, insoweit es sich um die zwangsweise Beitreibung einer Vermögensstrafe oder Buße handelt.

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In dieser Stellung ist der Gerichtsvollzieher nichts anderes als der ins Deutsche übersetzte französische „Huissier“, und man führte das Institut für das ganze deutsche Reich ein, nachdem sich diese Gattung von Gerichtsbeamten in Bayern schon einige Jahre lang bewährt hatte. Es ist hier nicht der Ort, um den Leser eingehender über die Pflichten und Rechte eines Gerichtsvollziehers zu unterrichten. Uns interessiert der Gerichtsvollzieher nur, insoweit er in das soziale Leben der Gegenwart eingreift.

Seine Bedeutung für das soziale Leben ist aber eine außerordentlich große, und schon sein Name verursacht in der Brust manches „armen Teufels“ und manches bösen Schuldners Angst und Schrecken. Was der „schwarze Mann“ für die kleinen Kinder ist, nämlich ein Mittel, sie zu schrecken und zum Gehorsam zu bringen, das ist der Gerichtsvollzieher für die Erwachsenen, und wenn auch in etwas geschraubter Sprache, schildert doch ein Fachmann, selbst ein Gerichtsvollzieher (Peter Merwin) diesen Einfluss in folgender drastischen Weise:

„Für solch' ein prozessierendes Stück Menschheit hat der Prozess (Instruktion des Prozesses), d. h. das gerichtliche Verfahren zur Feststellung, ob und wie viel der Schuldner zu zahlen, nur die Bedeutung eines unheimlichen Vorstadiums der verhängnisvollen Zwangsvollstreckung. Die Zwangsvollstreckung ist für ihn von der ganzen furchtbaren Mechanik das ,Eigentliche'. Sein ganzes herzpochendes Interesse gravitiert auf sie zu. Die ganzen Einzelheiten des Prozesses: Zahlungsbefehle, Ladungen, Termine, sind ihm doch nur mehr ein schattenhafter Begriff; die Personen der Richter, Gerichtsschreiber, Rechtsanwälte und des Gerichtsvollziehers als zustellender Beamter sind ihm nur ein unheimlicher Vorspuk. Die Zwangsvollstreckung ist ihm die brutale, massive Tatsache; der Gerichtsvollzieher als vollstreckender Beamter ist das wuchtige Stoffliche, die Substanz des ganzen Prozesses, ist die Person, das ,Er selber.' Hanibal ante portas — er kommt, er ist da! Dies ,Kommen' ist das entsetzlich Charakteristische des Gerichtsvollziehers; er kommt — und Keiner hat ihn gerufen, er kommt wider unseren Willen. Im ganzen übrigen Zivilprozess ist die freie Initiative der Partei der rote Faden. Ich ,gehe' zum Gericht; wenn ich nicht will, lass ich's bleiben. Niemand kann mich zwingen. Aber in der Zwangsvollstreckung ist das so furchtbar anders.

Sie ist der Alp des modernen Menschenkindes ohne Geld und Kredit, aber dafür mit Schulden. Wehrlos, wie gebunden an Händen und Füßen, gelähmt, regungslos, mit stockendem Atem liegt der Ärmste da; und mit wachen Augen sieht er das Ding kommen, näher und näher; jetzt beugt sich's über ihn, jetzt berührt es sein Gesicht, er fühlt seinen Odem und dabei kann er mit keiner Wimper zucken.

Vor Gericht

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