Sechzehntes Capitel: Berlin. — Linden. — Königl. Schloß. — Statuen. — Brandenburger Thor. — Victoria. — Spandau. — Potsdam. — Sanssouci.

Wittenberg. — Leipzig. — Schlachtfeld bei Lützen. — Weißenfels. — Schlachtfeld von Auerstädt. — Weimar. — Erfurt. — Gotha. — Eisenach. — Neuenhoff. — Berka. — Hühnefeld. — Fulda. — Schlüchtern. — Saalmünster. — Gelnhausen. — Hanau. — Frankfurt a. M. — Bruchsal. — Vom 25sten Mai bis 3ten Juni 1808.

Berlin ist in Deutschland so bekannt, daß eine gedrängte Topographie darüber hier völlig am unrechten Orte stehen würde*). Zudem hat sich auch Vieles verändert seit jener Zeit, in welcher ich Berlin sah, und deshalb sei es erlaubt, nur einige Bemerkungen, wie sie mein kurzer damaliger Aufenthalt gab, darüber mitzutheilen.


Die trotz der vielen Kriegszüge wohl erhaltene Chaussee und die Lebhaftigkeit der Straße hatte schon von weitem her die Annäherung zur Residenz verrathen. Französische Truppen, die nach Ostpreußen zogen, begegneten uns. Die Artillerie war auf Kosten Deutscher Völker vorzüglich bespannt und zog hinauf nach den Oderfestungen, um dem unglücklichen Lande auch im Frieden nicht die Segnungen des Friedens zu gestatten.

Ich war im Hotel de Russie unter den Linden abgestiegen und eilte mich umzukleiden, um der Frau Erbprinzeß von Braunschweig und der verwitweten Prinzeß von Oranien meine Aufwartung zu machen. Beide wohnten im Palais des Prinzen von Oranien, ebenfalls unter den Linden.

Selig, wer hier Hütten bauen könnte, dachte ich im ersten Augenblick, indem das Auge die schöne Straße unter den Linden**), eine aus Linden bestehende Allee, hinauf und hinunter schweifte und sich an dem endlosen Gewühl einer bewegten Menschenmenge ergötzte, — und doch ist der Wunsch — hier Hütten zu bauen — unausführbar, denn an beiden Seiten reihen sich Paläste und schöne Häuser, wenigstens mit eleganten Fronten versehen, neben den breiten Fahrwegen hinauf. Ueberall sah man Französische Uniformen, und was ich nicht erwartet hätte, eine gewisse leichtsinnige Heiterkeit, die keine Spur von der Gefühlstiefe, Charakterstärke und Vaterlandsliebe des Jahrs 1813 verrieth. Aber der große Haufen in den Hauptstädten bleibt sich immer gleich — leichtsinnig und genußsüchtig, und darin thun es die Berliner vielen andern Großstädtern noch zuvor.

Die höheren Stände, und die weniger wahrhaft Edlen tragen ihre Schmerzgefühle nicht zur Schau, und deshalb konnten mich alle die wechselnden, lebendigen Volksscenen, die mich überall umgaben, wenig erfreuen, selbst die Linden verloren ihre Reize und wehmüthig blickte ich auf das im großen Styl gebaute Königliche Schloß, welches von dem jetzigen Könige nie bewohnt, zwar einsam und verödet da stand, aber nicht als Folge der neusten unseligen Zeitereignisse.

Statt der lebenden Menschen, die, klein in einer großartig bewegten Zeit, nur dem Sinnengenuß der Gegenwart nachjagten, betrachtete ich mir die Bildsäulen der abgeschiedenen Großen einer kleinen meisterlichen, längst vergangenen Zeit, und man muß gestehen: Preußens Könige haben die Helden unter ihren Kriegern geehrt, wie keine anderen Könige der Erde. In dem Lustgarten gleich hinter dem Schlosse steht eins solcher Heldenbilder — der alte Fürst Leopold von Dessau, bekannt unter dem treuherzigen Namen des alten Dessauer, ganz vortrefflich von Schadow in Stein gehauen, ganz in der breitschößigen Uniform seiner Zeit. Auf dem Wilhelmsplatze erfreute ich mich an dem Standbilde des kühnen Zieten — Friedrichs des Großen Blücher — dessen Husarenuniform die malerische Wirkung nicht störte. Auch Seidlitz in Cuirassier-Uniform hatte etwas Ritterliches, aber komisch genug, ein groteskes Zerrbild eines bizarren Zeitgeschmacks, erschien der große Schwerin in der Römischen Toga, mit der altmodigen Perrücke, der Scherpe, dem Officierdegen und dem Portcépée travestirt.

Vom Brandenburger Thore ***) war trotz aller dieser Helden die Victoria mit ihrem prächtigen Viergespann entführt worden, und erst einem späteren Heldengeschlechte blieb es vorbehalten, diese Siegesgöttin, jetzt als doppelt geweihte Trophäe, den Propyläen von Spree-Athen wieder zuzuführen.

Schon fingen die freundlichen Landhäuser des Thiergartens ****) an, sich mit ihren Sommerbewohnern zu füllen, und die Israeliten, welche Besitzer der auf der einen Seite am Thiergarten liegenden Grundstücke sind, zogen sich in den mindest kleinen Raum zurück, um für ihre vielgesuchten Sommerwohnungen die möglichst höchsten Miethzinsen zu gewinnen. Doch ich breche hier meine unbedeutenden Bemerkungen über Berlin ab. Schon am 27sten Mai befand ich mich auf der Straße nach Potsdam.

Rechts, weit ab vom Wege, erblickte ich Spandau — die nächste Festung am Herzen des Reichs, wenn auch eine der kleinsten Festungen. Auch hier trällerten die leichten und wie schwebend marschirenden Franzosen vorüber, während in Potsdam die in Folge der großen Reduction der Armee, als unbrauchbar verabschiedeten alten Gardesoldaten, meinen Wagen, in dichten Haufen Almosen bettelnd, umdrängten. Und ihnen schloß sich eine Unzahl bettelnder Weiber und Kinder von Invaliden an, so daß man kaum durch das Gedränge der Nothleidenden das Posthaus erreichen konnte.




*) Ueberhaupt sieht sich der Bearbeiter, um den gegebenen Raum von einem Bande nicht zu überschreiten veranlaßt, die kurzen topographischen Notizen in die Anmerkungen zu verweisen, womit hier der Anfang gemacht wird.
Berlin hat 931,035 Quadr. Ruthen Flächeninhalt, 2½ Deutsche Meilen im Umfange, besteht aus 6 zusammengezogenen Städten, als: Berlin, Cöln a. d. Spree, Friedrichswerder, Neustadt, Dorotheenstadt, Friedrichsstadt, Louisenstadt, und den großen Vorstädten Königs- oder Spandauer und Stralauer Vorstadt, und außerhalb der Ringmauer Neuvoigtland. In allen diesen Stadttheilen finden sich 133 Straßen, 91 Gassen, 22 öffentliche Platze und Märkte, 15 Thore, 27 Pfarrkirchen, 34 Brücken. 1817 waren hier 7133 Häuser, 173,811 Civileinwohner (mit Einschluß des beurlaubten Militairs), worunter 3347 Juden. D. B.

**) 2088 Fuß lang und 170 Fuß breit. D. B.

***) 195 Fuß breit, in der Form der Propyläen zu Athen, doch in weit größerm Maasstabe von Langbein 1789 erbauet. D. B.

****) Der Thiergarten ist ein anmuthiger, von Alleen durchschnittner Wald, 880 Morgen groß, mit dem Lustschlosse Bellevue, mehreren Villen und den erwähnten Sommerwohnungen, welche von ihren jüdischen Besitzern Neu-Jerusalem genannt werden. D. B.




Während des Umspannens betrachtete ich mir die Stadt näher *), auf den Straßen umhergehend. Welch eine Armuth, welche Masse menschlichen Elends hatte die Kriegesnoth hier zusammen gehäuft. Wie im heutigen Venedig, so sah man auch hier die Armuth in tausend Gestalten sich als Bewohner prächtiger Paläste ankündigen, und große Spiegelscheiben, die ein Unfall zerbrochen hatte, sah man mit Lumpen verhängt. Hier hatte Friedrich der Große wohl eine prachtvolle Residenz, aber keine wohlhabende Bevölkerung herzaubern können, denn der ungeheure Verkehr in Berlin zog mächtiger alle Capitalisten an, als das einsame stille Potsdam mit seinen reizenden Umgebungen. Diese, das herrliche Sanssouci mit seiner Aussicht über die schönen Wasserparthien der Havel — mit der Terrasse voll Orangenbäumen und dem Wohn- und Sterbezimmer Friedrichs des Großen, hatte ich dieses Mal nicht Zeit zu sehen.

Ich sah noch die Plantage am Bassin mit dem merkwürdigen kleinen Holländischen Häuschen, auf der mit Werkstätten eingefaßten Insel, in welchem Friedrich der Große sein berühmtes Tabackscollegium gehalten hat, dann den 75 Fuß hohen Obelisk von weißem und rothem Marmor mit den Brustbildern des Kurfürsten Friedrich Wilhelm und der Könige Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. Auch das Königsschloß in der Altstadt sah ich — ein schönes großartiges Viereck von 3 Geschossen mit den bewunderungswerthen Säulenreihen auf der Seite gegen die lange Havelbrücke und zwischen der Mitte des Flügels und dem Königlichen Reitstalle. Jene Colonnade besteht aus 20 und Diese aus 32 freistehenden Korinthischen Säulen, zwischen welchen Gruppen von Statuen angebracht find. Auch das Rathhaus, welches Friedrich der Große nach dem Muster des Amsterdamer bauen ließ, konnte nicht unbemerkt bleiben; denn der kolossale Atlas mit der Weltkugel auf dem Nacken, aus vergoldetem Kupfer getrieben, leuchtete im Scheine der Abendsonne, welche einige Augenblicke freundlich durch die Wolken brach, von der Höhe der Kuppel des Rathhauses herab.

Begleitet von den lieblichen Klängen des Glockenspiels auf dem Thurme der Garnisonkirche, verließ ich Potsdam und fuhr in der Nacht weiter über Belitz und Treuenbrietzen und am 28sten passirte ich die Elbbrücke vor Wittenberg **), an welcher noch von dem letzten Kriege her bedeutende Verschanzungen aufgeworfen waren.

Ueber Düben, Rothenhahn kam ich gegen Mittag nach Leipzig ***). Auch hier konnte ich mich nur während des durch das Umspannen veranlaßten Aufenthalts umsehen. Schon war die Messe vorbei und doch war es hier immer noch unbeschreiblich lebhaft. Die Stadt ist zwar noch von alter Bauart; aber die reizenden Parkanlagen, die aus den abgetragenen Festungswerken rings um die Stadt herum, unter Leitung des verdienstvollen Bürgermeisters Müller geschaffen sind, schmücken die Stadt, welche der Mittelpunkt des deutschen Buchhandels ist, mit einem lebendig blühenden Blumenkranz, der oft noch durch die Blüthe der weiblichen Welt Reize empfängt, deren wenig Städte sich in dieser Maaße rühmen dürften.

Nahe vor der Stadt liegt der Roßmarkt, ein großer schöner Platz von zahllosen Wirthshäusern und Pferdeställen umgeben. Hier nur findet man in Deutschland wahrhaft schöne Pferde von den edelsten Racen zum Verkauf ausgestellt. Alle andern Pferdemärkte sind gegen den Leipziger unbedeutend. Doch hat auch Dieser schon gelitten, dadurch, daß sich der Handel mehr nach den Geburtsländern guter Pferde hingezogen hat, z. B. nach Mecklenburg.

Ich war im Wirthshause zum großen Joachimsthal abgestiegen, dessen Schild und Rechnung ziemlich erinnerte daß vom Joachimsthal unsre Thaler den Namen bekommen haben.

Abends 5 Uhr reisete ich weiter. Noch war ich einen Kanonenschuß weit von Lützen entfernt, als ich den denkwürdigen Feldstein, von einigen Pappeln umgeben, erblickte, welcher die Stelle bezeichnet, wo Gustav Adolph erschossen wurde. Ich stieg aus, um dieses einfache Denkmal jenes großen Mannes, dem wir Norddeutschen so viel zu danken haben, näher zu betrachten. Die Kunst hatte den Denkstein nicht geschmückt; aber der große Name des Gebliebenen durchschauerte das Gemüth mit Ehrfurcht. Ich erinnere mich, die Reiterstatue dieses Königs, vortrefflich in Bronze gegossen, in Stockholm gesehen zu haben; aber den Eindruck machte sie nicht auf mein Gefühl, wie dieser einfache Feldstein.

Um Mitternacht kam ich durch Weißenfels, damals kannte man noch nicht den mitternächtlich schaffenden Geist, der später Weißenfels in der literarischen Welt so berühmt machte. Am 29sten mit Tagesanbruch fuhr ich durch Naumburg ****), wo noch jährlich zur Erinnerung an die Befreiung der Stadt von den Hussiten im Jahre 1432, durch die Fürbitte der Kinder, das sogenannte Kinder- oder Kirschfest gefeiert wird, an welchem die Schulkinder feierlich auf die Höhe vor der Stadt ziehen und sich belustigen.




*) Potsdam, Hauptstadt der Provinz Brandenburg, 4 kleine Meilen von Berlin, am Einflusse der Nuthe in die Havel, auf einer von diesen Flüssen, einigen Seen und einem Kanale gebildeten Insel (Potsdamer Werder) belegen, hat 23,400 Einwohner, 1000 Häuser, 5 Kirchen 1 Synagoge. D. B.

**) Wittenberg, stark befestigte Stadt in der Preußischen Provinz Sachsen, an der Elbe belegen, über welche eine 1000 Fuß lange und 23 Fuß breite hölzerne Brücke führt, weltgeschichtlich berühmt durch Luther und Melanchthon, hat durch die letzte Belagerung 283 Häuser verloren, deren Eigenthümer auf beiden Elbufern seit 1819 zwei neue Vorstädte dafür erbauet haben. Vor der letzten Belagerung hatte Wittenberg 602 Häuser und jetzt mit der Garnison 6345 Einwohner. Die Schloß- und Universitätskirche, in welcher die Heroen der Reformation, Luther, Melanchthon und Friedrich der Weise, begraben liegen, wurde im Jahre 1817 auf Königl. Kosten wiederhergestellt. 1822 wurde das von Schadow modellirte, in Eisen gegossene Standbild Luthers aufgerichtet. Ein Gothisches Dach darüber giebt zwar der Statue einen alterthümlichen Charakter, aber drückt doch auch die Großartigkeit des Bildes, so daß man das kleinliche Bauwerk hinweg wünschen möchte. D. B.

***) Leipzigs Einwohnerzahl betrug im September 1822 gegen 38,000, sie hat ohne die Vorstädte 8954 Ellen im Umfange, und mit den Vorstädten 1420 Häuser. Die Gewässer, welche sie berühren, sind die Pleiße, die Parde und Elster. Die Luppe, ein Arm der Elster, berührt jedoch die Stadt nicht. Nicht leicht ist eine Stadt von so geringem Umfange so berühmt, wie Leipzig durch drei in ihren Umgebungen gelieferte Schlachten, durch ihren Buchhandel, ihren Waaren- und Meßhandel, welchem 8000 Fremde aus allen Weltgegenden Leben geben, durch ihren Pferdehandel, an 500 Stück in jeder Messe, ihre Wechselgeschäfte und durch ihre Universität. So viele Nahrungsquellen haben dort einen Wohlstand erzeugt, welcher sich überall durch Eleganz, Nettigkeit, Schönheit ihrer Gebäude und geschmackvolle Gartenanlagen kund giebt. Unter den Letztern ist der Reichenbachsche Garten in mehrfacher Hinsicht denkwürdig, nicht allein durch die Kunstsinnigkeit und Pracht seiner Anlage, sondern auch durch Poniatowsky’s Denkmal und Reichenbachs Unglück. D. B.

****) Naumburg an der Saale, diese alte nicht unansehnliche Stadt mit ungefähr 1200 Häusern und 8800 Einwohner, liegt in der angenehmsten Gegend unweit des Einflusses der Unstrut in die Saale. D. B.




Vor zwanzig Monaten war ich hier, um dem höchstseligen Herzog Carl Wilhelm Ferdinand die Trauerbotschaft von dem Ableben des Erbprinzen zu überbringen; damals ahnte ich noch nicht, welche Masse von namenlosen Leiden der unglückliche Krieg über diese von der Natur und vom Menschenfleiße so reich ausgestattete Gegend bringen würde, so wie auch jetzt nicht, daß Preußen 5 Jahr später durch innere moralische Kraft sich wieder erheben, wieder groß und mächtig werden und selbst diese Provinz von Sachsen abgetreten erhalten würde.

Ueber die Saalbrücke fuhr ich von Naumburg weiter den Kösener Berg hinauf, mitten über das ewig denkwürdige Schlachtfeld von Auerstädt und traf in dem Dorfe Auerstädt ein, welches am Tage der Schlacht durch Plünderung und Feuersbrunst viel gelitten hatte.
Welche Empfindungen knüpften sich an den Anblick dieser verhängnißvollen Gegenden. Dort, nach Jena zu, ragte die Höhe des Landgrafenberges empor, auf welchem Napoleon die letzte Nacht vor der Schlacht den Angriffsplan entworfen hatte, dort öffnen sich die Schluchten des Mühlthals und der unheilsvolle Paß bei Kösen, welchen Napoleon in der Nacht vom 13ten auf den 14ten Oct. 1806 durch seine Sappeurs für das schwere Geschütz wegsam machen ließ und — wie man sagt — durch eignes Beispiel zu der anstrengenden Arbeit, die festgefahrnen Kanonen aus den Felsen der Hohlwege loszuhauen, anfeuerte. Da hinüber liegt Klosewitz, wo Tauenzien geschlagen wurde, dort Vierzehnheiligen, wo Ney’s Vorrücken aus der Reserve in die Schlachtlinie Hohenlohe’s Niederlage entschied, und dort liegt Tauchnitz, in dessen Nähe unser edler Herzog fiel. Ich fragte den Postillon nach der Stelle; aber er wußte es nicht, und mir ist es lieb, daß er sie nicht nachweisen konnte; mich würde die Wehmuth übermannt haben. Hinweg also über das Blutgefilde, auf welchem Deutschlands Freiheit unterging, um nach einem Jahrzehnd neu verjüngt wieder aufzuerstehen.

Ich frühstückte in demselben Posthause zu Auerstädt, in welchem der König von Preußen die Nacht vor der Schlacht zugebracht hatte.

Dann fuhr ich sogleich weiter bis Weimar, wo ich um 11 Uhr Mittags im Gasthofe zum Erbprinzen abstieg.

Weimar *) ist ein an sich unansehnlicher Ort, mit unregelmäßigen Straßen und Plätzen und vielen alten nichts weniger als großen Häusern. Allein höchst merkwürdig ist diese Residenz hochgebildeter kunstsinniger Fürsten, weil dort die Musen in den berühmtesten Dichtern Deutschlands ihre Heimath gefunden hatten. Herder, Schiller, Wieland sind nicht mehr, wohl aber lebt Göthe noch, der hochgefeierte Dichtergreis, der vielseitigste von Allen, die je wahrhaft gedichtet haben, wenn auch bei seltner Genialität nicht frei von Schwächen, welche besonders in seinen späteren Produktionen sichtbar werden.

Die Lage von Weimar ist überaus reizend durch die den Horizont ringsum begrenzenden Berge und waldigen Höhen. Indem man nach Weimar hinunter fährt, erblickt man in weiter Ferne die Thürme von Jena. Das Großherzogl. Schloß ist nach dem Brande neu wieder aufgebauet und wie es sich nicht anders erwarten ließ, einfach aber schön im reinsten Styl der Baukunst. Im Innern ist es vorzüglich geschmackvoll eingerichtet. Der Schloßgarten, ein großer kunstsinnig angelegter Park, gereicht der Residenz zur Zierde. Abends besuchte ich das Theater, welches durch Göthe’s Leitung einst das klassische Vorbild der übrigen Deutschen Bühnen geworden war. Von hier ging eine völlige Reform über dramatische Kunst aus. Es thäte jetzt aber wahrlich wieder Noth, daß einmal wieder so ein Reformer in Deutschland aufstände und den unseeligen Zeitgeschmack am Scheinen verbannte, damit das echte dichterische Seyn wieder Raum gewinnen könnte.

In der Nacht passirte ich Erfurt **), in welcher die alte Susanne — so ist die 275 Centner schwere Glocke, die größeste in Deutschland, getauft — nicht mehr ertönt und noch in dem ehmaligen Benedictinerkloster die Gräber des Grafen von Gleichen mit seinen beiden gleichzeitigen Gemahlinnen zu sehen sind. Am 30sten früh erreichte ich Gotha ***), wo das hoch auf dem Gipfel eines Berges belegne Schloß Friedenstein, umgeben von den lieblichsten Gartenanlagen und die durch Zach berühmt gewordene Sternwarte (der Seeberg), von den ersten Strahlen der Morgensonne beleuchtet, mir entgegen glänzte, und um 7 Uhr kam ich in Eisenach an. Welch ein herrliches fruchtbares und freundliches Land! — Links erheben sich die romantischen Thüringer Berge mit ihren Ruinen alter Ritterburgen, deren Geschichten noch in Volkssagen fortleben, und rechts dehnt sich eine reizende Aue mit dem reichsten Wechsel von Städten und Dörfern, Wäldern, Wiesen und Fruchtfeldern aus. Unter den Thüringer Bergen sieht man von dieser Seite besonders den Inselberg hervorragen. Ein anmuthiges Thal führt von den Höhen hinab nach Erfurt.

Ich bog rechts von der Straße ab, um auf dem Gute Neuenhoff einen alten Freund zu besuchen, den Baron von Riedesel, Sohn des verstorbenen Commandanten zu Braunschweig, dessen Gattin durch die für eine Dame verwegene Reise nach Amerika und die geistvolle Beschreibung derselben berühmt ist.

Die Nacht blieb ich dort und fuhr am 31sten über Berka, Vacha, Hühnefeld, Fulda, und die Nacht durch am 1sten Mai über Schlichtern, Saalmünster, Gelnhausen nach Hanau ****).




*) Weimar an der Ilm zählte 1816 848 Häuser und 7943 Einwohner, die Großherzogl. Bibliothek von 100,000 Bänden ist sehr gut aufgestellt. D. B.

**) Erfurt, diese alte ehemals feste Stadt an der Gera im Thüringischen belegen, hatte im 15ten und 16ten Jahrhundert, als Mittelpunkt des deutschen Handels, an 60,000 Einwohner. Jetzt besitzt sie in 3400 Häusern nur 17,000 Einwohner, ohne die Garnison gerechnet. Ihr Haupterwerbszweig sind Gartengewächse, Wollenmanufacturen und Lederfabriken. Hier war 1803 die merkwürdige Zusammenkunft der Kaiser von Rußland und Frankreich, der Könige von Sachsen und Baiern und vieler Fürsten, bei welcher der Uebermuth des Französischen Siegers die höchste Höhe erreicht hatte. Jetzt ist Erfurt Sitz einer Preußischen Regierung. D. B.

***) Gotha, Hauptstadt des Herzogthums Gotha, liegt an einer Anhöhe der Leine in einer reizenden Gegend, enthält 1340 Häuser und 12000 Einwohner. D. B.

****) Hanau, Hauptstadt in der Churfürstl. Hessischen Provinz Wetterau, zählt in fast 1500 Häusern 12,000 Menschen, unter welchen viele Abkömmlinge der Wallonen, Niederländer und Juden sind. Die vormaligen Festungswerke sind geschleift und bilden jetzt angenehme Spaziergänge. Die Stadt hat bedeutende Fabriken, unter welchen die von goldnen Bijouteriewaaren durch die Vollkommenheit ihrer Arbeit sich auszeichnen. D. B.




Die Gewässer des Mains und der Kinzig beleben die mit zahllosen Gartengewachsen angebaute Sandfläche, in welcher Hanau liegt, und die waldigen Höhen des Svessart geben der ebnen Gegend einen malerischen Hintergrund. Die Altstadt ist krumm und winkelig, wie alle alten Städte Deutschlands. Desto schöner ist die Neustadt, in welcher sechs schnurgrade Straßen von acht ähnlichen rechtwinklich durchschnitten werden und in der Mitte einen schöben Marktplatz bilden.

Daß sich auf einer so beschleunigten, oft von nächtlichem Dunkel begleiteten Reise nicht viel beobachten läßt, liegt am Tage.

In Hanau waren die sonst gut erhaltenen Festungswerke demolirt, und es wird dadurch bei seiner ohnehin freundlichen Lage sehr an Reizen gewinnen.

In Frankfurt a. M. *) blieb ich die Nacht und fuhr am 2ten früh Morgens weiter nach Darmstadt.

Eben im Begriff wieder weiter zu reisen, erfuhr ich zufällig, daß der Herzog hier sei. Ich begab mich sogleich zu Ihm in das Palais des Erbgroßherzogs, wo ich meinen verehrten Herrn und Fürsten nach einem so schweren Verlust für sein schönes Herz zum ersten Male wieder sah.

Tiefbewegt von der Seelengröße und Standhaftigkeit, womit der edle Fürst so schwere Leiden und Prüfungen ertrug, fuhr ich am dritten Juni um 12 Uhr Nachts ab nach Bruchsal, wo ich nach einer fast siebenmonatlichen Reise zu Lande und zur See, am 4ten des Mittags bei geliebten Freunden wieder eintraf.




*) Siehe die erste Reise. D. B.