Die Schrecken des russischen Winters

Aber im Winter ist es auch dem daran Gewöhnten unheimlich. Alles wird von einer weißen Hülle bedeckt, die manchmal zwei Arschin dick ist. Und nun fährt man bei brennendem Frostwetter übers Feld, gleichsam über die unendlichen Schneemassen des Eismeeres hin. Dass hier Menschen vorbeikommen, merkt man nur an den Baumzweigen oder Strohwischen, die an beiden Seiten des Weges in der Erde stecken, um diesen zu kennzeichnen. Etwas gelb, und auch das nur dann, wenn kein frischer Schnee fällt, schimmert der schmale Fahrweg, so breit wie der Schlitten. Man kann nur mit einem Pferde fahren. Wenn man mit zwei Pferden fahren will, muss man das zweite an langen, langen Strangriemen dem ersten vorausspannen. Der Kutscher treibt das Tier mit einer großen Knute an und muntert es fortwährend mit seiner Stimme auf. Die Rufe des Kutschers, der wehmütige Klang des Glöckleins . . . und sonst kein Ton, außer dem Heulen des Windes und dem Knirschen des Schnees unter den Kufen des Schlittens. Und so geht es stundenlang.

Wie viele Menschenleben fallen dieser Winterkälte in Russland zum Opfer! Wie viele Menschen finden ihre ewige Ruhe unter dieser schneeweißen Decke! Der Bauer, der in der Fastnachtswoche betrunken von seinen Verwandten aus dem Nachbardorfe zurückkehrt, und Bürschchen, die drei Werst weit nach der Schule zu laufen haben, und der Pope, der ausgefahren ist, um einem Sterbenden das heilige Abendmahl zu reichen, und ein Arbeiter, den der grausame Herr trotz des Schneesturmes nach der Post geschickt, und die Hebamme, die zu einer Gebärenden geeilt ist . . .


Ist es der Kultur möglich, solche Strecken zu bewältigen? Wie viele Werst Eisenbahn brauchen wir im Vergleich mit dem Westen? Und ist es barfüßigen Kindern leicht, einige Werst nach der Schule zu laufen? Und war es schwer für unsere an der Spitze Russlands stehenden Zerstörer jeglicher Bildung, das Volk in Finsternis zu halten? Und wenn — trotz alledem — die Freiheitsidee ins Dorf gedrungen ist, ist das nicht ein Wunder? Ist es erstaunlich, dass sie sich manchmal in roher Weise äußert? Nein, das Leben Russlands ist von dem Westeuropas völlig verschieden.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das russische Dorf