Mündung der Aar

Die vereinten Waldbäche Wutach, Steinach und Schwarzach, die jetzt dem Rheine zurauschen (der Name des erstem, wütendes Wasser, spricht ihren gemeinsamen Charakter schön aus), verstärken den Rhein noch, eh er sich bei dem obersten Koblenz, das aber nur ein bescheidenes Dorf ist, mit einem gefährlichen Nebenbuhler, dem Aarstrom, messen muss. Schon oben nannten wir die Aar den herrschenden Strom der deutschen Schweiz, erst kurz vor ihrer Begegnung mit dem Rhein zog sie bei der alten Vindonissa die Reuss und die Limmat an sich, selbst zwei mächtige Ströme, die ihr Flussgebiet wie ihr Gewässer bedeutend vermehrten. So verstärkt tritt sie dem Rhein mutig entgegen, sie glaubt sich des Sieges gewiss, denn sie übertrifft ihren Gegner nicht unbeträchtlich an Größe. Aber dennoch erliegt sie, wie der Riese dem Helden erliegt, der ungestümere Rhein reißt sie aus ihrer Bahn mit sich fort. Vergebens widersteht sie der überlegenen männlichen Kraft, endlich muss sie sich ergeben, seine Umarmungen erwiedern, sich ganz in ihm verlieren. Sie waren für einander bestimmt, wie zwei Nachbarskinder, die früh zusammen spielten, sich dann getrennt vergassen, nun mit veränderten Gesinnungen wieder zusammengeführt, sich erst verkennen und hassen, dann plötzlich verständigen und auf ewig verbinden. Denn auch die Aar entsprang, unweit der Hauptquelle des Vorderrheins, auf dem Gotthart.

Es mag allerdings verwundern, dass der aus dem Zusammen rinnen der Aar und des Rheins hervorgehende Fluss nicht den Namen der Aar, welche das meiste Wasser beisteuert, sondern den des Rheins empfängt; doch erklärt sich dies einfach genug aus dem Umstände, dass der Rhein seinen westlich gerichteten Lauf nach dem Zuflusse der Aar ruhig in gleicher Richtung fortsetzt, während die bis dahin nördlich strömenden Gewässer der Aar von dem Rhein auf seine Bahn fortgezogen werden. Man braucht also nicht zu der Hypothese zu greifen, dass der Rhein einst durch den Wallenstädter- und Zürchersee geflossen, und so durch die Limmat verstärkt, der Reuss und Aar bei Windisch begegnend, beiden noch unvereinigten Flüssen an Wassermasse überlegen gewesen sei.


Durch die Aar empfängt der Rhein die Abflüsse sämtlicher noch von ihm selbst nicht durchflossenen Schweizerseen, mit einziger Ausnahme des Genfersees, der jedoch auch mit der Aar, wiewohl nur in schwacher, Verbindung steht. Nachdem er die Aar aufgenommen hat, beläuft sich die Zahl der Gletscher, die ihm zollen, auf 370. Ehe er die Schweiz verlässt, hat er fast alle ihre Wasserschätze an sich gerissen.

Wir vermeiden es absichtlich einen Blick in das herrliche Aartal zu werfen, weil die erinnerungsreichen Gegenstände, die sich hier zunächst darbieten, uns zu weit abführen würden. Dort ragen die sorgfältig erhaltenen Trümmer der alten Habsburg, wo die Wiege des österreichischen Kaiserhauses stand; nicht weit davon Königsfelden, wo der blutige Mord an Kaiser Albrecht durch seinen Neffen, jenen Johannes Parricida, geschah, und des Ermordeten Tochter, die Königin Agnes, nachdem sie mehr als tausend unschuldige Opfer der Blutrache geschlachtet hatte, das Kloster stiftete, in dem sie selbst vergebens den verwirkten Frieden der Seele suchte. Wem klingen hier nicht Bruder Berchtolds Worte in den Ohren: ,,Frau, es ist ein schlechter Gottesdienst, wer unschuldiges Blut vergießt, und aus dem Raub Klöster stiftet; Gott hat Gefallen an Gütigkeit und Erbarmung.“ Statt dieser Dinge, die man in jedem Geschichtsbuche nachlesen kann, gedenken wir einer erst neulich durch ein Gedicht Abraham Emanuel Fröhlichs bekannt gewordenen Sage. Zwischen den Mündungen der Reuss und Limmat in die Aar, und der Aar in den Rhein, liegen auf dem Geissberge die Trümmer des Bessersteins, von dem man wenig mehr weiß als den Namen und den seines Erbauers, der von Viligen hieß. Als der Bau vollbracht war, berief er seine Söhne und Freunde zu einem festlichen Mahl, mit welchem er die Einweihung der Burg zu begehen gedachte. Als sie erschienen, zeigte er ihnen mit der Selbstgefälligkeit, die man Bauherrn gern zu Gute hält, die herrliche Lage der Veste, deutete hinab in die Täler, wo seine eigenen Leute und seine Schutzbefohlenen wohnten.

Und noch mehr in all die weiten
Herrlichkeiten
Von dem Rhein zum Wetterhorn.
,,Selig,“ sagt er, ,,der mit Milde
Schirmt und segnet die Gefilde!“

Thorheit ist dies Wort den Söhnen;
,,Ja,'entgegnen sie mit Höhnen,
,,Diesen Bau, wir woll'n ihn loben:
Mag das Volk da unten toben,
Ihn ersteigt nicht die Gefahr;
Und hier zeigt sich in der Weite
Jede Beute:
Und hinunter stürzt der Aar!
Heerd und Hirten woll'n wir jagen
Und was tragen Schilf und Wagen.“

Doch der Vater spricht: ,,Die Veste
Baut' ich nicht zum Räuberneste !“
Statt zu sitzen nuu zum Mahle,
Ruft er seinem Volk im Tale:
„Reißt den künft'gen Zwinger ein!“
Zweimal braucht ers nicht zu sagen.
Abgetragen
Und zerschlagen ward der Stein.
Nur die Mauer hat gehalten,
Jetzt der Denkstein jenes Alten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das malerische und romantische Deutschland