Peterhof (4)

Die Sommerpaläste der kaiserlichen Familie, hier sowohl als in der Residenz, tragen alle den Charakter großartiger fürstlicher Pracht wie die Kraft eines Willens an sich, dem sich überall die Natur des rauen Nordens selbst unterwerfen musste. Das kaiserliche Lustschloss Peterhof ist etwa 26 Werst oder Kilometer von Petersburg entfernt, mit dem es durch eine Eisenbahn und durch Dampfschiffe in Verbindung steht. Es ist eine der vollendetsten Nachahmungen von Versailles. Obgleich der ursprüngliche Bau Peters des Großen durch Kaiserin Elisabeth erweitert und unter Katharina II. abermals vergrößert worden, so erreicht es doch nicht ganz die Größe seines Vorbildes. In einer Beziehung jedoch steht es zweifelsohne weit über der Schöpfung Ludwigs XIV., indem es durch seine erhöhte Lage am Strande des Meeres die Anwendung kräftiger Terrassierungen im vollsten Maße gestattete und der unvergleichliche Blick auf die zu seinen Füßen liegende offene See ihm einen Vorzug einräumt, welcher von keinem andern derartigen Schloss streitig gemacht werden kann.

Prachtvoll sind die Gärten und der Park mit seinen Wasserkünsten, die jene von Versailles an Großartigkeit übertreffen. Man muss die Illumination von Schloss und Park am ersten Juli gesehen haben, wenn man sich die Idee eines verzauberten Schlosses aus „Tausend und einer Nacht" verwirklichen will. Die Simsonfontaine schleudert ihren mächtigen Strahl hoch in die Luft und das Lichtmeer, das sie umgibt und unter den rauschenden Spielwässern hervorblitzt und funkelt, mit welchen die ganze Terrasse von oben bis unten übersäet ist, und die alle springen und in Feuergarben herabfallen, verwandelt die dunkeln, hohen Baume in geisterhafte, wie verzauberte Gestalten eines Feenmärchens.—

Der weit in das Hügelland der Duderhof'schen Berge hineinreichende Park ist eine unregelmäßige englische Anlage (nur die Meerseite ist im altfranzösischen Stile), welche im Wagen zu durchfahren man fast zwei Stunden braucht. An einem traulichen, versteckten Orte des Lustwäldchens liegt ein freundliches Landhaus, „Mon plaisir" genannt. Hierher liebte die edle Kaiserin Elisabeth sich zurückzuziehen, sich ihren Träumereien zu überlassen; hier verlebte sie mit ihrem leider zu früh in Taganrog verstorbenen Gemahl, dem ritterlichen Alexander I., von dem sie bei seinem Tode nach Petersburg an seine Mutter schrieb: „Notre ange est au ciel", schöne, friedliche Tage, bis Napoleon ganz Europa durch seinen unersättlichen Ehrgeiz in Aufruhr versetzte, schließlich auch Russland in den Krieg gegen ihn hineinzog, aber erst im Kreml zu Moskau und dann an den Ufern der Beresina die ernste Warnung und Lehre erhielt: der Mensch versuche die Götter nicht! — Von hier antwortete auch Alexander jenem Eroberer, der an ihn 1812 vom Kreml aus die Aufforderung hatte ergehen lassen, — jetzt, da er und das französische Heer die alte Zarenstadt Moskau eingenommen hätten, doch über den Frieden mit ihm zu unterhandeln, — jene ewig denkwürdigen Worte: „Für mich beginnt erst jetzt der Krieg; mein Wahlspruch ist: Sieg oder Untergang; Napoleon oder ich! Zusammen aber können wir nicht leben!"




Doch, an jener anderen Stelle unweit der See liegt versteckt noch ein bescheidenes hölzernes Häuschen, vormals ein Lieblingsaufenthalt Peters des Großen. Von hier aus ergötzte er sich an dem Anblick seiner jungen, rasch wachsenden Flotte an der gegenüberliegenden Kotlin-Insel, auf welcher er, den Schweden die Einfahrt in die Newa abzusperren, die Festung Kronschlot (Kronstadt) angelegt hatte. Hier muss ihm „das Fenster, das er seinem Reiche nach Europa hin öffnen wolle", besonders lebhaft vorgeschwebt haben. Dem heutigen, verwöhnten europäischen Auge erscheint die mehr als bescheidene häusliche Einrichtung des Zimmermanns von Saardam, des großen Reformators des europäischen Ostens, charakteristisch und überraschend.

Im Schloss selbst muss ich eines interessanten Saales erwähnen, der eine Gemäldegalerie von über 300 Porträts junger hübscher russischer Mädchen enthält. Katharina II. legte diese Sammlung an. Die Mädchen sind in Nationalkostüme und man muss den erfinderischen Geist des Malers bewundern, der allen diesen Bildern verschiedene Stellung und verschiedenen Ausdruck zu geben wusste: die eine, über einen Stuhl gelehnt, scheint einem Liebesantrag zu horchen, eine zweite stickt fleißig, eine dritte blickt schelmisch hinter einem Vorhang hervor, wieder eine schlummert sanft hingestreckt, eine andere kämmt ihr langes, reiches Haar, ja eine sogar beißt in einen Apfel — und so gibt es hundertfache, immer neue Variationen. Es ist dies eine Sammlung, die eben so selten als einzig in ihrer Art und für Physiognomen und Ethnographen wahrhaft unschätzbar ist.

Eine schöne Sommernacht am Meeresufer bei Peterhof hat einen ganz eigenartigen Reiz, da die Nächte in jenen nordischen Regionen fast Tageshelle haben; alle Gegenstände erscheinen in einer ganz eigentümlichen Beleuchtung, welche dem Lichte während einer totalen Sonnenfinsternis sehr ähnlich sind; kaum ist der letzte Schimmer des fliehenden Lichts im Westen verschwunden, so erscheint bereits die erste Dämmerung wieder im Osten. Für Reisende aus dem Ausland, namentlich aus südlicheren Gegenden, haben diese gar nicht endenwollenden Tage anfangs etwas Unheimliches; man gewöhnt sich erst langsam daran, sich bei Tage schlafen legen zu müssen.

Neun Werst von Peterhof, gleichfalls am Meeresufer, liegt Oranienbaum, die Sommerwohnung der verstorbenen Großfürstin Helene, jener geistreichen, kunstsinnigen Frau, deren Palast der Sammelplatz aller hervorragenden Geister, Staatsmänner, Künstler und Gelehrten war. Das kaiserliche Schloss stammt gleichfalls noch aus der Zeit Peters des Großen und wurde 1715 vom Fürsten Mentschikow gebaut. Die prächtigen Gärten Oranienbaums liegen teils oben auf der Höhe, von wo aus sich dem Auge eine schöne Aussicht auf den Golf bietet, teils unten hart am Meere.

Von diesen Orten, Oranienbaum und Peterhof, zieht sich eine Reihe von Palästen und Villen bis zur Stadt hin. Nach der zwölften Werst gelangen wir bei dem herrlichen Lustschloss Strelna und dem Sergjew'schen Kloster auf die lebhafteste und befahrenste Küstenstraße im ganzen Petersburger Weichbilde. Auf diesem Wege nach der Stadt liegt sieben Werst von derselben entfernt ein großes Gebäude, das mit feiner Umgebung, seinen großen Gärten und Wäldchen, der Villa eines reichen Besitzers gleicht — doch, ist das Äußere auch freundlich und gefällig, so ist das Innere dafür desto trauriger — es ist das Irrenhaus! „Das Haus auf der siebenten Werst" — unter diesem Namen ist es in ganz Petersburg bekannt. Wenn Jemand ungereimte Sachen spricht, so sagt man: „Der muss auf die siebente Werst geschickt werden."

Ehe wir nun durch die nach altrömischem Muster erbaute Triumphpforte, welche Kaiser Alexander, als er siegreich aus Paris zurückkehrte, errichten ließ, in die prächtige kaiserliche Residenzstadt selbst eintreten, durchschreiten wir die gleichfalls mit Villen bebauten Gartenanlagen des Schlosses Katharinenhof, welches Peter der Große zum Andenken an einen 1711 über die Schweden erfochtenen Sieg erbaut hatte. Hier findet am 1. Mai, freilich etwas früh im Jahre für diese so nördlich liegende Gegend, die berühmte erste Spazierfahrt — eine Art Longchamp-Promenade — statt, an welcher sich sogar die ganze kaiserliche Familie beteiligt. In mehreren Reihen fahren die prächtigsten Equipagen, die reich geputzte vornehme Welt, der Adel und der wohlhabende Kaufmannsstand, „la haute finance", wie der Adel die höhere Kaufmannswelt zu nennen beliebt, langsam hintereinander her, um zu sehen und gesehen zu werden, oft freilich noch tief in Pelze gehüllt. Der Kaiser und sein Gefolge erscheinen meist zu Pferde.


Zar Peter der Grosse

Zar Peter der Grosse

Alexander I. Kaiser von Russland

Alexander I. Kaiser von Russland

Katharina II (1729-1796) Genannt Katharina die Große, Kaiserin von Russland

Katharina II (1729-1796) Genannt Katharina die Große, Kaiserin von Russland

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