Kronstadt (3)

Kronstadt ist der eigentliche Hafen von Petersburg; hier befindet sich die Baltische Flotte, deren große Schiffe nicht bis Petersburg hinab können; hier auch liegen die mächtigen Ost- und Westindienfahrer, die ihre Ladungen in Lichterschiffen nach der Hauptstadt hinabsenden; hier ist das Hauptzollamt, an welchem alle von seewärts ankommenden Dampf- und Segelschiffe anlegen müssen. So ist natürlich ein buntes Leben in diesem Hafen und selbst der Leser, der manch anderen großen Hafen besucht hat, dürfte sich doch überrascht finden durch das ihm hier zuerst aufstoßende neue, russische Element. Dasselbe besteht meist in Schiffern, langbärtigen Kaufmannsdienern und Kutschern mit ihren nationalen offenen pritschenartigen Fuhrwerken, den sogenannten Droschken, die aber mit unseren deutschen keine Spur von Ähnlichkeit haben. Der Kutscher begrüßt den Reisenden mit einigen Brocken Französisch, Deutsch oder Englisch: „God damn. mussio", „Wohin Sie wollen?" redet uns ein alter grinsender, bärtiger, ziemlich unsauberer Fuhrmann an, mustert uns vom Kopf bis zum Fuß, um womöglich erst unsere Nationalität festzustellen und uns dann in der benötigten Sprache seinen Wortreichtum auszukramen, diesem zufolge aber auch eine höhere Fuhrtaxe herauszulocken. Die Stadt und Festung Kronstadt zählte 1873 etwa 50.000 Einwohner, zu welcher Zahl alle die vielen Arbeiter, Matrosen, Soldaten, Kaufleute, Engländer, Deutsche und Russen zu zählen sind, welche die Stadt den Sommer über beleben; im Winter mag die Zahl wohl kaum die Hälfte betragen. Es ist erstaunlich, welche mühselige Arbeiten hier ausgeführt wurden, um diese ungeheuren Befestigungen vor den feindlichen Wellen emporzurichten. Hunderte von Millionen Rubeln und viele Taufende von Menschenleben habe diese Werften, Docks, Pulvermagazine und Bastionen im Laufe der Jahrhunderte verschlungen. Der Kaufmannshafen, der mehrere Tausende von Schiffen aufnehmen kann, ist der interessanteste. Das Wasser des Meerbusens ist hier fast vollkommen süß und nur bei Weststürmen etwas gesalzen; die Kais der großen Kanäle aus finnländischen Granitblöcken wurden noch von Kaiser Nikolaus I. gebaut.



Die Straßen der Stadt sind regelmäßig und breit; sie erinnern an den Teil Petersburgs, den man Wassili-Ostrow (Wilhelms-Insel) nennt. Wie in jeder anderen russischen Stadt findet man hier eine Menge griechisch-russischer Kirchen mit ihren bekannten zwiebelförmigen silbernen, goldenen, blauen und roten Kuppeln, auch eine lutherisch-deutsche, eine katholische und eine englische Kirche, Kaufläden (Gostinnoj-dwor), die an die asiatischen Bazars erinnern, Hospitäler usw. Selbst einen Sommergarten besitzt Kronstadt; derselbe ist aber nicht von Bedeutung.

Der allgemeine Eindruck, den diese Festen, diese Mauern, diese Granitblöcke, dieser kahle Sandboden auf uns machten, ist ein höchst trauriger, entmutigender — zeigt er uns doch nur, wie der Mensch sich gegen den Menschen waffnet und schützt, ihn als seinen Feind betrachtet, den er durch jedes Mittel der Kriegskunst zu vernichten sich für berechtigt hält. Wir atmen erst wieder frei auf, wenn uns das Dampfboot aufnimmt, das uns nach dem gegenüberliegenden Peterhof bringen soll. Nachdem wir uns bequem auf dem Verdeck eingerichtet haben, lenken sich die Blicke nach dem Ufer, um wahrhaft überrascht zu werden. Es ist, als ob auf den Wink einer wohltätigen Fee ein Vorhang sich gehoben und wir mitten hinein in ein Zaubermärchen versetzt wären. Rings um uns her eben noch Alles kahl, düster, traurig; jetzt vor uns Alles blühend, lachend, schattig; dort eine Wüste, hier die Oase, aber die Oase der Dichter mit ihren Rosen, Quellen und Wässern, ihren kühlen Lauben und schattigen Hainen. Nichts fehlt, als die Palmen des Orients: doch wir sind ja im Norden und die Gärten tragen, wie wir beim Landen bemerken, den Charakter desselben, also düsteres Nadelholz, Birken und Weiden.

St. Petersburg ist im Sommer wie verödet; es ist dies wohl zu begreifen. In einer Stadt, wo der Winter fast acht Monate lang dauert, wo man während dieser langen Zeit zwischen doppelten und dreifachen Türen und doppelten Fenstern wie eingemauert lebt, da ist es natürlich, dass man mit den ersten milden Tagen aufs Land eilt, reine Luft zu schöpfen und sich im heiteren Sonnenschein zu wärmen. So sind Peterhof, Zarskoje-Sselo, Pawlowsky und die Inseln rings um die Stadt mit den Villen (hier Datschen genannt, nach dem russischen „datscha“, das Landhaus) der Städter wie übersäet.