Das Marsfeld (14)
Gehen wir jetzt weiter, den Newakai hinauf, so sehen wir vor uns die große breite, 746 Meter lange, auf 23 Brückenschiffen (Pontons) ruhende Troitzky- (Dreieinigkeits-) Brücke, in deren Nähe das Marsfeld liegt, wo man jährlich am 1. Mai — der sogenannten Maiparade — 60.000 Mann der kaiserlichen Garde manövrieren sehen kann. Die eine Seite dieses Platzes wird von dem schönen, schattenreichen alten Sommergarten begrenzt, während an der entgegengesetzten Seite sich der Garten und Palast des verstorbenen Großfürsten Michael befindet. An der Newaseite steht, gewissermaßen eine Fortsetzung des Winterpalastes, der sogenannte Marmorpalast des Großfürsten Konstantin und das Standbild des Feldmarschalls Fürsten Suwarow, des Besiegers der Türken und Erstürmers Warschaus zur Zeit der Kaiserin Katharina II. Für seinen Feldzug gegen das revolutionäre Frankreich in Italien erhielt der Fürst noch den Namen „Italisky" (von Italien), der auch auf seine Nachkommen übergegangen ist.
Sein Rückzug durch die Schweiz und seine heldenmütigen Kämpfe gegen den französischen General Massena, der im Kanton Glarus mit 60.000 Franzosen den nur 20.000 Mann starken Russen den Weg nicht versperren konnte, ist weltbekannt, gleichwie des alten Feldherrn närrische Eigentümlichkeiten, lakonische Antworten und Siegesberichte.
Das nach der Newaseite den Sommergarten abschließende Gitter soll von einer so vorzüglichen Sauberkeit der Arbeit und bedeutenden Länge sein, dass ein englischer Sonderling, wie erzählt wird, nur deshalb nach Petersburg gekommen ist, um es zu betrachten, und nachdem er es angestaunt und sein ,,wonderful" ausgerufen, nach seinem Old-England zurückkehrte, ohne sonst noch etwas Weiteres von der Residenz zu betrachten. In der einen Ecke des Gartens steht noch das kleine, niedrige Häuschen, das Peter der Große hier bewohnte; es scheint sich seiner Kleinheit inmitten der anderen großen Paläste zu schämen und ist ein Zeuge der Einfachheit seiner Zeit. Ein gewöhnlicher Bürger wohnt heutzutage besser, hat bessere Möbel und hundertmal mehr Bequemlichkeit in seiner Einrichtung, als jener große Monarch damals.
Eine alte Sitte, die sogenannte „Brautschau", die am zweiten Pfingsttag im Sommergarten stattfand, kommt mehr und mehr aus der Mode. Es versammelten sich hier alle jungen Kaufmannstöchter und -Söhne — diese um zu beschauen, jene — an den Blumenbeeten in einer Reihe aufgestellt — um sich beschauen zu lassen; hinter ihnen standen die Mütter, alle in größtem Putze und mit Brillanten und Geschmeide übersäet. Nun ging die junge russische Kaufmannschaft auf und ab und die Heiratslustigen suchten sich eine Braut aus. Die Verhandlungen wurden durch eine Sswacha, d. h. Heiratsvermittlerin, eingeleitet und geschäftsweise betrieben. Diese Sonderbarkeit hat sich bis auf den heutigen Tag erhalten und erst in letzter Zeit vermindert, so dass, wenngleich auch jetzt am zweiten Pfingsttage noch viele hübsche geputzte junge Mädchen und junge Männer in den Sommergarten kommen und sich manche Heirat hier anspinnen mag, doch Alles lange nicht mehr so förmlich, steif und altmodisch ist als sonst.
Nichts kann reizender sein als eine Bootfahrt in einer schönen Sommernacht auf der Newa. Die Sonne eilt in milderen Zonen rasch ihrem Untergang zu und lässt nur einen nach und nach verschwindenden rötlichen Saum am Horizont zurück, der auch bald in Dunkel übergeht. Hier bleibt dieser Tagesschimmer lange, lange noch über der Erde schwebend und sie erhellend zurück; nur schwer und ungern scheint er sich von ihr zu trennen. Die von einem roten Wolkenschleier umflossene Sonnenscheibe steigt wie ein Feuerball über die düsteren Wälder am Horizont hinab, und ihre goldenen Strahlen, die von den Spiegelscheiben der Paläste zurückgestrahlt werden, machen den Zuschauer an eine große Feuersbrunst glauben.
Große Ströme haben gewöhnlich ein tiefes Bette und steile Ufer, die ihnen einen wilden Anblick geben. Die Newa fließt mitten durch die Stadt, ihre klaren Wasser benetzen den Rasen der Inseln, die sie umspülen, während sie in der ganzen Stadt durch die endlos langen Granitkais in ihrem Bette wie eingeschlossen dahinzieht; ähnliche Granitwände rahmen auch die drei großen Kanäle ein, von welchen wir nirgends in der Welt ähnliche gesehen haben.
Tausende von Fahrzeugen jeder Art durchschneiden das Wasser in allen Richtungen. Von weitem sieht man die Schiffe aller Nationen, die mit vollen Segeln sich nähern und Anker werfen. Sie bringen in die Polargegenden die Früchte der heißen Zone und alle sonstigen Erzeugnisse der Erde.
Auf unserer Bootfahrt, die von zwei sonnverbrannten kräftigen Ruderern in russischen roten Hemden geleitet wird, begegnen wir von Zeit zu Zeit eleganten Nachen und Segelboten, langsam die Wellen durchstreichend. Die Ruderer stimmen bald eines jener klagenden russischen Nationallieder an, das die Seele durch seine Molltöne wehmütig stimmt, bald jodeln sie eine eigentümliche, lustig gellende Volksmelodie. In unserer Nähe führt eine buntverzierte lange Barke eine Hochzeit reicher Kaufmannskinder den Fluss hinab. Der mit goldenen Franzen besäumte rote Baldachin bedeckt das junge Paar und ihre Eltern. Eine Musikbande, zwischen den Ruderern verteilt, lässt ihre munteren Weisen weit über das Wasser hin ertönen.
Die Isaakskirche.
Diese Musik, bei welcher jeder Musiker nur einen einzigen Ton spielt, mit dem er immer zur rechten Zeit einfällt, ist nur allein in Russland gebräuchlich, und dürfte vielleicht das einzige Neue im Volke fein; ein Herr von Naryschkin soll sie erdacht haben.
Je weiter wir uns entfernten, desto stiller wurde es um uns her; der Gesang der Ruderer, das Geräusch des Stadtlebens verhallte. Die Sonne war soeben hinter dem Horizont verschwunden; glänzend schimmernde Wolken verbreiteten ein mildes, sanftes Licht rings um uns her, ein trauliches Halbdunkel, welches ich sonst nirgends gefunden und welches man gesehen haben muss. Licht und Finsternis scheinen sich zu vermischen und ineinander überzugehen, um jenen durchsichtigen Schleier zu bilden, der jetzt die Landschaft umhüllt.
Leider ist die schöne Jahreszeit in Petersburg nur sehr kurz und vergeht rasch. Schon im August bedeckt sich der Himmel mit grauen Wolken, die Sonne zeigt sich seltener, der Wind wird frischer, heftiger; die Dämmerung, welche sonst die ganze Nacht durch dauerte, verschwindet und macht den düsteren, unfreundlichen Nächten Raum; im September schon beginnen dann oft leichte Nachtfröste, die Abende und Morgen sind kühl und feucht, starker Tau und Nebel steigen empor und schweben über der Erde und dem Wasser; die Laternen, welche am ersten Mai verschwunden waren, verkünden wieder die ersten dunkeln Nächte.
Die gemischte Bevölkerung zweier Erdteile mit ihren hervorragendsten Physiognomien, in ihrer auffallenden, oft sehr malerischen Nationaltracht, in welcher alle Europäer weit den Asiaten, namentlich den kaukasischen Bergvölkern, Lesghiern, Georgiern, Tscherkessen usw. nachstehen, ist hier versammelt; ihre fremdartig an das europäische Ohr klingenden Sprachlaute berühren uns nicht minder eigentümlich. Auch die riesigen öffentlichen kaiserlichen Bibliotheken, Museen, Akademien und höheren Zivil- sowohl als Militäranstalten, deren es eine unendliche Menge gibt, bieten ein höchst wertvolles und reiches Ganze von Hilfsmitteln zur Erweckung der Wissbegier und Pflege geistiger Kultur und Wissenschaft dar.
Bei uns werden die Bauplätze in neuester Zeit mehr als je nach dem Zollstabe berechnet. Wenn auch in Petersburg, besonders seit den letzten Jahren, diese — namentlich in der Mitte der Stadt selbst — teurer, die Mieten viel höher geworden als vor 10 Jahren noch, so ist doch die kaiserliche Residenz nicht, wie überhaupt Alles im ganzen Lande, auf so kleine Bienenzellen angewiesen, wie die meisten deutschen Städte in ihren Straßen, Häusern und Gärten neben denselben. Die 80 Quadratwerst, die Petersburg für sich einnahm, erlaubten ihm, sich weniger im Raume zu beschränken. Die Straßen, sind breit, regelmäßig und geradlinig angelegt, die Plätze groß, das Terrain eben, sodass sich nirgends ein Gebäude über das andere erhebt; das Auge findet keinen Anhaltspunkt in dieser Unzahl von Palästen.
Sein Rückzug durch die Schweiz und seine heldenmütigen Kämpfe gegen den französischen General Massena, der im Kanton Glarus mit 60.000 Franzosen den nur 20.000 Mann starken Russen den Weg nicht versperren konnte, ist weltbekannt, gleichwie des alten Feldherrn närrische Eigentümlichkeiten, lakonische Antworten und Siegesberichte.
Das nach der Newaseite den Sommergarten abschließende Gitter soll von einer so vorzüglichen Sauberkeit der Arbeit und bedeutenden Länge sein, dass ein englischer Sonderling, wie erzählt wird, nur deshalb nach Petersburg gekommen ist, um es zu betrachten, und nachdem er es angestaunt und sein ,,wonderful" ausgerufen, nach seinem Old-England zurückkehrte, ohne sonst noch etwas Weiteres von der Residenz zu betrachten. In der einen Ecke des Gartens steht noch das kleine, niedrige Häuschen, das Peter der Große hier bewohnte; es scheint sich seiner Kleinheit inmitten der anderen großen Paläste zu schämen und ist ein Zeuge der Einfachheit seiner Zeit. Ein gewöhnlicher Bürger wohnt heutzutage besser, hat bessere Möbel und hundertmal mehr Bequemlichkeit in seiner Einrichtung, als jener große Monarch damals.
Eine alte Sitte, die sogenannte „Brautschau", die am zweiten Pfingsttag im Sommergarten stattfand, kommt mehr und mehr aus der Mode. Es versammelten sich hier alle jungen Kaufmannstöchter und -Söhne — diese um zu beschauen, jene — an den Blumenbeeten in einer Reihe aufgestellt — um sich beschauen zu lassen; hinter ihnen standen die Mütter, alle in größtem Putze und mit Brillanten und Geschmeide übersäet. Nun ging die junge russische Kaufmannschaft auf und ab und die Heiratslustigen suchten sich eine Braut aus. Die Verhandlungen wurden durch eine Sswacha, d. h. Heiratsvermittlerin, eingeleitet und geschäftsweise betrieben. Diese Sonderbarkeit hat sich bis auf den heutigen Tag erhalten und erst in letzter Zeit vermindert, so dass, wenngleich auch jetzt am zweiten Pfingsttage noch viele hübsche geputzte junge Mädchen und junge Männer in den Sommergarten kommen und sich manche Heirat hier anspinnen mag, doch Alles lange nicht mehr so förmlich, steif und altmodisch ist als sonst.
Nichts kann reizender sein als eine Bootfahrt in einer schönen Sommernacht auf der Newa. Die Sonne eilt in milderen Zonen rasch ihrem Untergang zu und lässt nur einen nach und nach verschwindenden rötlichen Saum am Horizont zurück, der auch bald in Dunkel übergeht. Hier bleibt dieser Tagesschimmer lange, lange noch über der Erde schwebend und sie erhellend zurück; nur schwer und ungern scheint er sich von ihr zu trennen. Die von einem roten Wolkenschleier umflossene Sonnenscheibe steigt wie ein Feuerball über die düsteren Wälder am Horizont hinab, und ihre goldenen Strahlen, die von den Spiegelscheiben der Paläste zurückgestrahlt werden, machen den Zuschauer an eine große Feuersbrunst glauben.
Große Ströme haben gewöhnlich ein tiefes Bette und steile Ufer, die ihnen einen wilden Anblick geben. Die Newa fließt mitten durch die Stadt, ihre klaren Wasser benetzen den Rasen der Inseln, die sie umspülen, während sie in der ganzen Stadt durch die endlos langen Granitkais in ihrem Bette wie eingeschlossen dahinzieht; ähnliche Granitwände rahmen auch die drei großen Kanäle ein, von welchen wir nirgends in der Welt ähnliche gesehen haben.
Tausende von Fahrzeugen jeder Art durchschneiden das Wasser in allen Richtungen. Von weitem sieht man die Schiffe aller Nationen, die mit vollen Segeln sich nähern und Anker werfen. Sie bringen in die Polargegenden die Früchte der heißen Zone und alle sonstigen Erzeugnisse der Erde.
Auf unserer Bootfahrt, die von zwei sonnverbrannten kräftigen Ruderern in russischen roten Hemden geleitet wird, begegnen wir von Zeit zu Zeit eleganten Nachen und Segelboten, langsam die Wellen durchstreichend. Die Ruderer stimmen bald eines jener klagenden russischen Nationallieder an, das die Seele durch seine Molltöne wehmütig stimmt, bald jodeln sie eine eigentümliche, lustig gellende Volksmelodie. In unserer Nähe führt eine buntverzierte lange Barke eine Hochzeit reicher Kaufmannskinder den Fluss hinab. Der mit goldenen Franzen besäumte rote Baldachin bedeckt das junge Paar und ihre Eltern. Eine Musikbande, zwischen den Ruderern verteilt, lässt ihre munteren Weisen weit über das Wasser hin ertönen.
Die Isaakskirche.
Diese Musik, bei welcher jeder Musiker nur einen einzigen Ton spielt, mit dem er immer zur rechten Zeit einfällt, ist nur allein in Russland gebräuchlich, und dürfte vielleicht das einzige Neue im Volke fein; ein Herr von Naryschkin soll sie erdacht haben.
Je weiter wir uns entfernten, desto stiller wurde es um uns her; der Gesang der Ruderer, das Geräusch des Stadtlebens verhallte. Die Sonne war soeben hinter dem Horizont verschwunden; glänzend schimmernde Wolken verbreiteten ein mildes, sanftes Licht rings um uns her, ein trauliches Halbdunkel, welches ich sonst nirgends gefunden und welches man gesehen haben muss. Licht und Finsternis scheinen sich zu vermischen und ineinander überzugehen, um jenen durchsichtigen Schleier zu bilden, der jetzt die Landschaft umhüllt.
Leider ist die schöne Jahreszeit in Petersburg nur sehr kurz und vergeht rasch. Schon im August bedeckt sich der Himmel mit grauen Wolken, die Sonne zeigt sich seltener, der Wind wird frischer, heftiger; die Dämmerung, welche sonst die ganze Nacht durch dauerte, verschwindet und macht den düsteren, unfreundlichen Nächten Raum; im September schon beginnen dann oft leichte Nachtfröste, die Abende und Morgen sind kühl und feucht, starker Tau und Nebel steigen empor und schweben über der Erde und dem Wasser; die Laternen, welche am ersten Mai verschwunden waren, verkünden wieder die ersten dunkeln Nächte.
Die gemischte Bevölkerung zweier Erdteile mit ihren hervorragendsten Physiognomien, in ihrer auffallenden, oft sehr malerischen Nationaltracht, in welcher alle Europäer weit den Asiaten, namentlich den kaukasischen Bergvölkern, Lesghiern, Georgiern, Tscherkessen usw. nachstehen, ist hier versammelt; ihre fremdartig an das europäische Ohr klingenden Sprachlaute berühren uns nicht minder eigentümlich. Auch die riesigen öffentlichen kaiserlichen Bibliotheken, Museen, Akademien und höheren Zivil- sowohl als Militäranstalten, deren es eine unendliche Menge gibt, bieten ein höchst wertvolles und reiches Ganze von Hilfsmitteln zur Erweckung der Wissbegier und Pflege geistiger Kultur und Wissenschaft dar.
Bei uns werden die Bauplätze in neuester Zeit mehr als je nach dem Zollstabe berechnet. Wenn auch in Petersburg, besonders seit den letzten Jahren, diese — namentlich in der Mitte der Stadt selbst — teurer, die Mieten viel höher geworden als vor 10 Jahren noch, so ist doch die kaiserliche Residenz nicht, wie überhaupt Alles im ganzen Lande, auf so kleine Bienenzellen angewiesen, wie die meisten deutschen Städte in ihren Straßen, Häusern und Gärten neben denselben. Die 80 Quadratwerst, die Petersburg für sich einnahm, erlaubten ihm, sich weniger im Raume zu beschränken. Die Straßen, sind breit, regelmäßig und geradlinig angelegt, die Plätze groß, das Terrain eben, sodass sich nirgends ein Gebäude über das andere erhebt; das Auge findet keinen Anhaltspunkt in dieser Unzahl von Palästen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das heutige Russland. Band I. Das Russische Reich in Europa.