Der Totentanz der Arawaaks

Die Indianer in Nord- und Südamerika haben mehr oder weniger zum Teil scheußliche, zum Teil barbarische Zeremonien, das Andenken ihrer Verstorbenen zu ehren. Wer viele Beschreibungen von Reisen in fremden Weltteilen gelesen hat, wird sich viele dergleichen Szenen ins Gedächtnis rufen können, jedoch erhalten wir immer noch Nachrichten von einzelnen Völkerschaften, die man früher nicht gekannt hatte. So war auch der Reisende Richard Schomburgk Zeuge von einer solchen scheußlichen Totenszremonie bei den Arawaaks, einer Völkerschaft in Britisch-Guiana, die er mit Recht als einen blutigen Totentanz bezeichnet. Ist nämlich in einer Familie Jemand gestorben — ein Mann — so legt man ihn in einen hohlen Baum oder seinen Kahn, und begräbt ihn so in seiner Hütte. Das Feld, auf welchem er die Cassada, eine mehlhaltige Wurzel, baute, wird jedoch gleichsam für seine Rechnung bestellt; die Wurzel soll nämlich zu Paiwari, ein berauschendes Getränk, benutzt werden, und so wie die Wurzel dazu tauglich ist, setzt man den Tag des „Totentanzes“ an. Alle Freunde und Bekannte des Verstorbenen werden eingeladen. So wie der Tag des grausamen Festes anbricht, stellen sich alle Bewohner des Dorfes auf, jeder mit einer Peitsche, aus einer zähen Pflanze geflochten; vor der Hütte warten sie jedes Ankommenden und empfangen ihn mit Hieben aus Leibeskräften, welche auf die Wade, nicht darüber, nicht darunter fallen dürfen. Je volkreicher das Dorf, desto länger die Reihe, welche der Kommende passieren muss, und zwar langsam, bedächtig, ein Bein ums andere vorsetzend. So schreibt es das point d’honneur vor. Dafür hat er dann die Freiheit, sich, hat er die Doppelreihe passiert, den Übrigen anschließen zu dürfen und Jeden, der später kommt, ebenso freundlich zu empfangen. Der Paiwari geht inzwischen von Mund zu Mund und lässt es vergessen, wie die Waden geschwollen oder ganze Stücke herausgerissen sind; denn Mancher liegt, ehe er wieder gehen kann, nachher wochenlang in seiner Hängematte; es bleibt nämlich nicht einmal bei diesem Peitschen. Sind Alle beisammen, so beginnt ein allgemeines Peitschenkonzert, wo Jeder dem Andern Hieb um Hieb zu vergelten sucht, bis endlich der Schluss des Totentanzes stattfindet, der aber nicht minder eigentümlich ist. Alle stellen sich in Prozession auf und es werden drei Figuren vorausgetragen; eine stellt einen Kranich, die andern zwei Menschengestalten vor. Unter einförmigen Klagegesängen schreitet man um die Hütte des Todes. Ist auch Dies vorbei, so stürzen einige Männer mit Messern auf die Übrigen los, entreißen ihnen die bluttriefenden Peitschen, zerschneiden sie in Stücke und werfen sie in eine während des Gesanges vor der Hütte ausgehöhlte Grube, indem noch die Waffen, die Hausgeräte und die drei Figuren dazu getan werden. Jetzt ist es vorbei; man denkt nicht mehr an den Verstorbenen, der Schmerzen und Blut genug gekostet hat! „Nun warum tut ihr denn nur Das?“ fragte Schomburgk nachher die Indianer. Sie aber antworteten so weise, wie Hans und Kunz oft auf unserm Dorfe: „Ei das wissen wir nicht; ’s ist aber immer so bei uns gewesen! Unsere Großväter haben’s auch schon so gemacht!“ Man sollte freilich glauben, dass bei uns Hans und Kunz vernünftiger wäre; allein er bleibt oft gerade da, wo sein Großvater gestanden hat!