Zwölftes Kapitel. - Erich zog am Morgen seine Hauptmanns-Uniform an, denn Clodwig hatte ...

Erich zog am Morgen seine Hauptmanns-Uniform an, denn Clodwig hatte ihm dies angerathen; auch ein Pferd hatte er ihm zu Gebote gestellt.

Das Antlitz Clodwigs glättete sich, als er den schönen stattlichen Mann, den die Uniform gut kleidete, in den Gartensaal eintreten sah.


Bella hatte sich entschuldigen lassen, daß sie nicht zum Frühstück komme; sie sage Erich Lebewohl bis auf Wiedersehen.

Clodwig überreichte Erich einen Brief, den er Herrn Sonnenkamp übergeben solle; er setzte aber dringend hinzu, daß er nicht abschließen möge, bevor sie sich wiedergesehen.

Wie eine Mutter ihrem in die Fremde ziehenden Sohne, so suchte Clodwig seinem jungen Freunde noch allerlei Anweisungen zu geben. Erich sagte, wie es ihm so eigen zu Muthe; ohne zu wissen, ob er bei Herrn Sonnenkamp eintreten könne und dieser ihn wünsche, denke er an den Knaben, als wäre er bereits sein Zögling.

»Ich kenne den Knaben wenig,« sagte Clodwig, »ich weiß nur, daß er sehr schön ist. Und Sie sind gewiß auch der Ansicht, daß es durchaus verkehrt ist, einer jungen Seele große Grundsätze zu geben, die die Lebensrichtung bestimmen sollen, bevor diese junge Seele das Material des Lebens hat und seine Strömungen kennt.«

»Gewiß,« entgegnete Erich. »Das ist gerade so, wie wenn man in uncultivirten oder halb civilisirten Ländern Eisenbahnen baute, bevor Straßen gebaut sind, die die Zufuhr der landwirthschaftlichen und industriellen Producte vermitteln. Der Krankheitsgrund der modernen Menschheit liegt, wie mein Vater oft gesagt hat, darin, daß man dem Kinde dogmatisch die Gesetze der Weltregierung einflößt; das ist ein auf den Schein gestellter Luxus, der unfruchtbar ist, weil er eine Vorstufe überspringt.«

Endlich war es Zeit zum Aufbruch.

Clodwig sagte, daß er Erich noch ein Stück Weges begleite. Erich nahm das Pferd am Zügel. Und wie sie nun neben einander herschritten, betrachtete der alte Herr seinen jungen Freund oft mit liebevoll sorgendem Blicke. Er empfahl ihm nochmals, jede Zuträgerei über Herrn Sonnenkamp entschieden abzulehnen; Herr Sonnenkamp lasse vielleicht manches Gerede bestehen, weil er entweder zu tugendhaft sei, um sich darum zu kümmern, oder weil vielleicht Thatsachen sein Leben bezeichnen, die er gern durch falsche Gerüchte verdeckt wisse. Auffällig sei allerdings, daß Herr Sonnenkamp, obwol ein geborner Deutscher, noch nie einen Verwandten bei sich gesehen habe. Es sei indeß wahrscheinlich, daß er, von geringer Herkunft, seinen Verwandten unter der Bedingung Gutes thue, daß sie jeden Verkehr mit ihm vermeiden. Der Major Graßler habe einmal Aehnliches mitgetheilt.

»Noch Eins,« sagte Clodwig und hielt still. »Sagen Sie Herrn Sonnenkamp nichts davon, daß Sie eine kurze Zeit sich der Leitung der Sträflinge gewidmet haben. Ich will damit keinerlei Makel auf Herrn Sonnenkamp werfen; aber viele Menschen haben eine Scheu vor Männern solchen Berufs.«

Erich dankte; er sah das innerste Bestreben dieses Mannes, ihm seinen Lebensweg zu ebnen. Man ging still weiter.

»Hier will ich umkehren,« sagte endlich Clodwig; »erlauben Sie mir nur noch eine Warnung.«

»Eine Warnung?«

»Ist vielleicht nicht das rechte Wort . . . Wer im Leben etwas Anderes sucht als Nutzen, Vergnügen und Ehre, der wird Vielen, die von solcher Bevorzugtheit keine Ahnung haben, exaltirt erscheinen; die Welt kann nicht gerecht sein gegen solche Menschen, sie muß sie verdammen, weil sie ihr eigenes Bestreben von ihnen verdammt sieht. Sie werden Ihr Lebenlang, wenn Sie sich treu bleiben, ein Martyrium zu tragen haben; tragen Sie es im Stolz Ihres Bewußtseins und wissen Sie, daß ein neuer alter Freund Sie erkennt und mit Ihnen fortlebt.«

Rasch legte der alte Herr seine Hände auf beide Schultern Erichs, küßte ihn, und mit großer Hast wendete er sich und ging davon. Er schaute nicht mehr zurück.

Erich stieg auf und ritt davon. Als er um die Waldecke bog, wendete er sich noch einmal. Er sah Clodwig stille stehen . . .

Bella hatte vom Balcon aus, wo man den ganzen Weg überschauen konnte, den Beiden nachgesehen; jetzt ging sie ihrem Gatten entgegen, und sie war nicht wenig betroffen, als sie in dessen Antlitz sah. Es war eine Bewegung darin, die sie noch nicht gesehen hatte.

Bella glaubte etwas sagen zu müssen und sie pries das Glück des jungen Sonnenkamp, solch einen Führer zu bekommen.

»Mich schmerzt es, daß er in dieses Haus soll.«

»Und doch hast Du ihn ebenfalls empfohlen?«

»Ja, das ist's eben. Es rächt sich früher oder später, was man mit halber Wahrheit oder mit Widerspruch in der Seele unternimmt. Ich habe mich nun doch Herrn Sonnenkamp näher gestellt und will es eigentlich nicht.«

Clodwig schien nicht aufhören zu können, von Erich zu sprechen, und indem er jetzt Alles zurückrief, staunte er, was er in so kurzer Zeit von ihm vernommen.

Bella that, als ob sie ihn hörte, sie hörte ihn aber kaum; sie lächelte in sich hinein über den alten Diplomaten, der noch immer etwas unbegreiflich Kindliches, ja fast Kindisches hatte. Sie warf einmal den Kopf stolz zurück, da sie ihrer standhaften Tugend inne wurde, die sich mit Kraft selbst gegen ihren Gatten wehrte, der ihr einen so reich ausgestatteten jungen Mann so nahe bringen wollte.

Unterdeß war Erich im Walde dahingeritten voll frischer Belebung.

Bei einer Waldbiegung hielt er an und nahm den offenen Brief Clodwigs aus der Tasche. Er las:

Ein Nachbargruß nach Villa Eden zu Herrn Sonnenkamp.

Hätte mir das Glück einen Sohn beschieden, ich würde ihm mit ruhiger Zuversicht diesen Mann als Erzieher geben.

Schloß Wolfsgarten, den 4. Mai 186*.

Clodwig Graf von Wolfsgarten.

Erich gab seinem Pferde die Sporen und ritt lustig durch den grünenden, singenden Wald.

Als er durch das Städtchen kam, sah er am Fenster des Gerichtsgebäudes hinter blühendem Goldlack einen rosigen blondhaarigen Mädchenkopf; das Mädchen zog sich zurück, als Erich von ferne grüßte.

Weiter ritt Erich nun im Thale den Strom entlang. Er war so voll heitern Muthes, daß ihm seit langer Zeit zum ersten Mal wiederum Lieder auf die Lippen kamen; er ließ sie nicht laut werden, aber er sang sie sich in der Seele.

Plötzlich hielt er an.

Wie wär's, wenn der ungezählte Millionär, zu dem ich reite, der Onkel Alphons wäre?

Muthig griff das Pferd aus, seine dunkle Mähne flatterte; der Reiter nahm die Mütze ab und ließ den frischen Luftstrom seine heiße Stirne kühlen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Landhaus am Rhein, Band 1