Elftes Kapitel. - Bella ging und Clodwig sah auf Erich, als begrüßte er ihn aufs Neue. ...

Bella ging und Clodwig sah auf Erich, als begrüßte er ihn aufs Neue.

Nur einem arglosen Blicke konnte die Veränderung entgehen, die im Benehmen Clodwigs lag; er hatte in Anwesenheit Bella's eine Befangenheit und Aengstlichkeit, als hätte er etwas zu hüten, das nicht verletzt werden dürfe.


Bella kam indeß bald wieder, den Papagei auf der Hand tragend und ihn streichelnd. Sie ging im Zimmer auf und ab und wendete sich oft zurück, da Erich erzählte, daß er heute landeinwärts gegangen sei und schon viele Menschen gesprochen habe.

Clodwig verbreitete sich über seine Lieblingsansicht, daß sich in Physiognomie und Charakter der Einwohner noch Spuren der römischen Ansiedler zeigen. Bella schien unwillig, dies wiederum hören zu müssen; sie warf mit übermüthiger Laune dazwischen:

»Wenn man sich vom Rhein abwendet, so hat man – wenigstens habe Ich das Gefühl, daß Jemand, wahrscheinlich Vater Rhein, mir nachsieht, ja, als riefe er: Sieh Dich doch um!«

»Wir Männer haben nicht immer das Gefühl, gesehen zu werden,« entgegnete Clodwig in einem Tone, der scherzhaft klang, aber doch an den Ernst streifte. Er bat Erich, die Thonvase, ein Geschenk, das der Landrichter gestern überbracht hatte, nach ihrer Zeit zu bestimmen. Erich, der frisch aus der Wissenschaft kam, konnte das mit Leichtigkeit, und als man in das anstoßende Gemach ging, das mit bunten, verschiedenartigen Ausgrabungen angefüllt war, zeigte er sich bewandert in allen einschlagenden Verhältnissen.

»Sie sind ein guter Lehrer,« sagte Bella, »und es muß eine Lust sein, sich von Ihnen unterrichten zu lassen. Ja, viele Menschen geben nur widerwillig Belehrungen, Andere, um dabei glänzend zu erscheinen; Sie aber belehren wie ein freundlicher Wohlthäter, der sich freut, eine Gabe reichen zu können, noch mehr aber, daß sie dem Empfänger wohlthut, und Sie geben Alles so, daß man nicht nur überzeugt ist, Sie verstehen die Sache, man glaubt auch, man verstehe selbst etwas davon.«

Clodwig sah staunend auf; ganz dasselbe Wort hatte er noch gestern Abend vom Vater Erichs gebraucht, indem er dessen gedachte, daß seine einzige kleine Schrift unter der uneigennützigsten Beihilfe des Professor Dournay zu Stande gekommen war.

Die beiden Männer gingen mit einander auf die Zimmer Erichs. Hier übergab Erich dem Grafen ein Exemplar seiner Doctorabhandlung und jetzt erst fiel ihm auf, wie seltsam sich das fügte. Er hatte Untersuchungen angestellt über die apokryphe Schrift Plato's: »Ueber den Reichthum,« und nun sollte er gerade berufen sein, die Erziehung im Reichthum zu leiten.

Auf den Wunsch Clodwigs las Erich die lateinisch geschriebene Abhandlung deutsch vor.

Clodwig knüpfte die Betrachtung daran, daß es wohlgethan wäre, geschichtlich und psychologisch darzuthun, wie der Reichthum auf die Frauen wirke; das ließe sich freilich nur abstract aber nicht bildlich darstellen wie Zartsinn und Kraft. Er wies auf die Medusa und Victoria hin, die er hier einander gegenüber gestellt. Die Wissenschaft werde allerdings seine Betrachtung nicht gelten lassen. Die Medusa sei ihm die Erscheinung der Alles verzehrenden Leidenschaftlichkeit, die, wenn sie der irrende Mensch sehe, ihn vor seinem eigenen Selbst erstarren mache. Es sei sehr bedeutungsvoll, daß die Alten das äußerste seelische Chaos im Weibe dargestellt hätten, denn die zur Liebe geschaffene schöne Erscheinung, die zu Bosheit und Zerstörungslust geworden, sei gerade in der Gestalt des Weibes um so krasser. Die Rauch'sche Victoria dagegen erscheine ihm als Verkörperung eines hochsittlichen modernen Seelenzustandes.

Auf die Victoria deutend rief er:

»Dieses Antlitz gleicht wunderbar –« er vollendete den Satz nicht, sondern ging stotternd in einen anderen über und fuhr fort: »Das ist nicht jene Siegesgöttin, die stolz und erhaben den Kranz auf der schimmernden Stirn trägt; das ist die Darstellung des Sieges, der innerlich darum trauert, daß er über einen Gegner siegen mußte. Ja, noch mehr, diese Victoria ist mir die Göttin des Sieges über sich selbst, der immerdar der höchste Sieg ist.«

Als ob er fürchte, noch mehr zu sagen und vielleicht an Jenes zu rühren, das nicht verletzt werden sollte, entfernte sich Clodwig fast unvermittelt mit einer kurzen Entschuldigung. Er ging zu Bella und sagte ihr, wie er sich freue, noch mit dem nachfolgenden Geschlecht in verständnißvollen Zusammenhang treten zu können.

»Diese neue Jugend,« sagte er, »ist anders als wir waren, sie schwankt nicht mehr zwischen den beiden Polen Begeisterung und Verzweiflung; es ist vielmehr eine intellectuelle Begeisterung in ihr, und ich glaube, sie wird mehr durchführen als wir. Ich bin glücklich, daß ich nicht schon zu alt bin, um noch diese, ich möchte sagen, zur Eisenbahn geborne Jugend verstehen zu können. Ich bewundere und liebe unsre Gegenwart. Noch zu keiner Zeit wußte Jeder in seinem Berufe so bestimmt, was er will und soll, als die heutige Welt; so in aller Wissenschaft und in allem Leben.«

Bella hörte ihren Gatten geduldig an. Als er jetzt inne hielt, fragte sie:

»Und was willst Du nun damit?«

Sich sammelnd erwiderte Clodwig, wie er wünschen möchte, einen Mann so reiner Sinnesart wie Erich bei sich zu behalten.

»Ich bin in der Lage,« sagte er, »diesem jungen Manne für Jahre ein freies Asyl bei mir zu geben. Und warum soll ich es nicht?«

Bella antwortete nicht gerades Weges, sie entgegnete nur:

»Auch ich finde, er hat etwas Gehobenes in seinem Wesen, er gibt viel und gern und hat etwas geistig Förderndes.«

»Und warum soll er nun nicht für Jahre bei uns bleiben?«

»Weil wir allein bleiben wollen. Clodwig, laß uns allein bleiben. Es ist mein Wunsch, daß auch mein Bruder uns bald wieder verlasse.«

Sie hatte, während sie sprach, ihre Hand auf Clodwigs Arm gelegt; jetzt faßte sie seine Hand und streichelte sie.

Clodwig ging gebückten Hauptes davon.

Zum Mittag erschien Bella schön geschmückt, mit einer einzigen Rose im Haar. Sie wußte Erich in seinen heiligsten Gefühlen wohlthuend zu berühren, denn sie erzählte, wie glücklich sie sich stets im Elternhause Erichs gefühlt habe. Das war ein Haus, in dem nie ein unedles Wort laut wurde; die Mutter sei wie eine Priesterin, die immer ein ideales Flämmchen auf dem Hausaltar pflegte.

Am Nachmittag fuhr man in die Landschaft hinaus; Bella war schweigsam auf der Ausfahrt. Man besuchte ein ehemaliges römisches Lager. Bella saß auf einer untergebreiteten Decke unter einem Baum allein, während die Männer umherstreiften.

Als man am Abend bei der Lampe versammelt war, erschien Bella wiederum als eine Andere; sie hatte sich heute zum dritten Mal anders gekleidet und war von überraschender Belebtheit. Sie wollte dem neuen Günstling ihres Mannes nicht in falschem Licht oder gar als das nichtssagende Anhängsel erscheinen; Erich sollte erkennen, wer sie ist. Sie ist nicht nur die Gattin Clodwigs, sondern auch und vor Allem Bella von Prancken.

Kaum hatte Clodwig den Wunsch ausgesprochen, daß sie spielen möge, so war sie sofort bereit. Die hastige Art, wie sie die klimpernden und raschelnden Armspangen abstreifte, die Erich sofort ihr aus der Hand nahm und auf den Marmortisch unter dem Spiegel legte; die Weise, wie sie die beiden, gleich flatternden Schwingen erhobenen Hände in der Luft bewegte und dann in die Tasten des Claviers fuhr, wie ein Schwimmer, der in seinem Element ist . . . Alles das zeigte, daß sie entschlossen war, nicht in zweiter Linie zu stehen. Noch nie, seit sie die Frau Clodwigs war, hatte Bella im Beisein eines Dritten so gespielt; sie hatte stets nur Clodwig allein ihr meisterhaftes Clavierspiel hören lassen. Heute vollführte sie das mit einer Lust und Meisterschaft, daß selbst Clodwig, der jede Einzelheit ihrer Spielweise kannte, neu erstaunt und entzückt war.

Nach hoher Beglückung im Umgange mit edlen Menschen und weitem Ausblick in die freie Natur ist der Seele nichts gegeben, als ein Ausklingen und Vertönen der Empfindung im unbegrenzten, uferlosen Aether der Musik. Da baut sich ein Reich wachen Träumens, unendlichen Empfindens auf, das über das Wort des Mundes und den Blick des Auges hinaus, aus einem räthselhaft tiefen Urgrunde des Menschengeistes sich aufthut; das ist die reine Phantasie ohne bestimmte Empfindung und ohne begrenzten Gedanken, nichts als rhythmisches Wellenwogen der Töne.

Zur Ueberraschung der beiden Männer erhob sich Bella plötzlich und sagte gute Nacht. Sie gab zuerst Clodwig, dann auch Erich die Hand, dann gab sie nochmals Clodwig die Hand und verschwand schnell.

Nur noch kurze Zeit blieb Clodwig bei seinem Gastfreunde, dann verabschiedete auch er sich.

Wie taumelnd ging Erich auf sein Zimmer. Wie reich ist die Welt, welch ein Tag war dies, von der Morgenstunde im thauigen Walde an bis jetzt. Und Menschenglück ist eine Wahrheit! Hier sind zwei Menschen zu Ruhe und Glückseligkeit gekommen, wie man solche in der wirklichen Welt kaum denkbar erachtet.

Aus dem unbewußten Denken an das reiche Haus, in das er eintreten wollte, und aus dem bewußten Denken an das vollerfüllte Dasein der Menschen hier, stellte sich ihm die Frage: Ist das schöne Leben, die Erfüllung der Seele im freien Ausblick in die Natur und dann wiederum die freie Sättigung an allem Schönen in Wissenschaft und Kunst nicht dem Reichthum allein möglich, der Befreiung von aller Sorge und Noth, der Erlösung von aller Arbeit um das gemeine Bedürfniß?

Als er mit dem Licht in der Hand in den Erkersaal eintrat, stand er erschreckt vor dem Bilde der Medusa, das ihn mit offenem Munde starren Blickes so gewaltig und zermalmend anschaute.

Was ist das? Woher hat dies Bild plötzlich diese Aehnlichkeit? Hat Clodwig eine Ahnung davon? Und es ist doch so schreckend.

Und jetzt, es ist wie das Spiel eines Dämons . . . auch der gerade Gegensatz, auch die Victoria hat Aehnlichkeit mit Bella, wenn sie still und ruhig, sanft und bescheiden den Kopf neigt.

Hat Clodwig eine Ahnung von diesem wunderbaren Spiel des Gegensatzes, und hat er doch nicht Alles gesagt, da er heute am Morgen seine Ketzerei bekannte?

Die Pulsadern in den Schläfen Erichs schlugen heftig.

Er löschte das Licht und sah noch lange hinaus in die dunkle Nacht.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Landhaus am Rhein, Band 1