Von der „Himmelstadt“ nach Zeitun

Die Stadt Singui (Su - tschéu - fu am Kanal) dehnt sich 20 Meilen im Umfang aus und der Einwohner sind so viele, dass die Stadt ein Gegenstand gerechten Staunens ist. Sie erzeugen und verarbeiten eine Menge Seide für den Handel wie für sich, denn sie kleiden sich alle in Seide und sind zu Handel und Gewerbe geschickt, ausgezeichnet durch Fleiß und Erfindungsgabe. Auch gibt es unter ihnen viele geschickte Ärzte, gelehrte Männer und Magier. Der Rhabarber wächst in der Nähe der Stadt so häufig, dass man 40 Pfund frischer Wurzeln für einen venetianischen Groschen kauft.

Eine Tagereise weiter liegt die eben so reiche Handelsstadt Vagin, drei Tagereisen weiter die prächtige Stadt Quin-sai (oder Quinsai, jetzt Hangtschéu-fu), d. i. die Himmelsstadt, die Hauptstadt des Kreises Tschekiang. Ihren Namen hat sie wegen ihrer Größe und Schönheit, der Kurzweil, Freude und der Menge Ergötzlichkeiten, welche sie darbietet, wohl verdient. Marco verweilte hier öfter und zeichnete sorgfältig auf, was er beobachtete. Nach der gemeinen Schätzung sollte diese Stadt 100 Meilen im Umfang haben, das sind wahrscheinlich chinesische Li, 8 — 3 ital. Meilen. Unser Gewährsmann bewunderte die breiten Straßen dieser vielgerühmten Stadt, ihre Kanäle und Marktplätze, deren zehn von außerordentlicher Größe waren. Neben den Kanälen laufen die Straßen, so dass Barken und Wagen neben einander hinfahren. Die Zahl der großen und kleinen Brücken soll sich auf 12.000 belaufen: diejenigen, welche über die Hauptkanäle geschlagen sind und die vornehmsten Straßen verbinden, haben so hohe und kunstreiche Bogen, dass unter ihnen die Schiffe mit ihren Masten durchfahren. Die Hauptmarktplätze sind alle viereckig, an jeder Seite 1/2 Meile lang, auf der einen Seite von der Hauptstraße, die 40 Schritte breit die Stadt von einem Ende bis zum andern durchschneidet, auf der andern vom Hauptkanal, dessen Marktseite mit steinernen Warenhäusern bebaut ist, begrenzt. Jeder Marktplatz ist vier Meilen von dem nächsten entfernt und drei Tage in der Woche von 40—50.000 Menschen aufgesucht, von Wild, Geflügel, Fischen, Schlachtvieh, Kräutern und Früchten zu jeder Jahreszeit im höchsten Überfluss angefüllt.


Jeder Marktplatz ist mit hohen Wohngebäuden umgeben, die in den unteren Teilen Kaufläden enthalten, und von allen Richtungen münden hierher die Straßen aus, in denen es nirgends an kalten und warmen Bädern mit stets bereiter Dienerschaft fehlt, denn Männer und Frauen sind von Kindheit gewohnt, täglich, besonders vor der Mahlzeit, in kaltem Wasser zu baden. In vielen Straßen, sowie an den Märkten, wohnen Ärzte und Astrologen, die auch im Schreiben, Lesen und in anderen Künsten Unterricht erteilen. Auf zwei entgegenstehenden Seiten der Plätze stehen die großen Gebäude der Beamten, die jede Klage sogleich schlichten und über die Wachen auf den Brücken und Plätzen die Aufsicht führen. An den Hauptstraßen rechts und links erheben sich Paläste und Häuser mit Gärten, daneben die Wohnungen und Buden der Handwerker, und stündlich drängt sich hier die Menge der Menschen, die ihrem Berufe nachgehen und mit Karren und Barken Straßen, Märkte und Kanäle bedecken. Der tägliche Bedarf an Pfeffer allein beläuft sich nach den Aussagen der Zollbeamten auf 43 Lasten, jede zu 243 Pfd. Als Zahlmittel gilt hier nur das Papiergeld. Nach altem Gesetz ergreift jeder Sohn das Handwerk des Vaters, doch arbeiten die reichen Meister nicht selbst, sondern stolzieren wie vornehme Männer einher, köstlich mit Seide und Juwelenschmuck angetan. Ihre Häuser sind schön gebaut, außen mit Schnitzwerk, innen mit kostbaren Gemälden und phantastischem Ornament geschmückt.

Die Einwohner sind verweichlicht und gänzlich unbekannt mit der Führung der Waffen: Tumult und Rauferei gehört zu den unerhörten Vorkommnissen. Gegen Fremde sind die Leute herzlich und gastfrei, stets zu Rat und Beistand auch in Handels-Angelegenheiten bereit. — Lustkähne und Gondeln, die 10—20 Personen fassen, mit breitem Boden und 15—20 Schritte lang, ausgestattet mit sauberen Tischen und Bänken und einer für die bessere Gesellschaft bestimmten Kajüte, von deren flachem Dache die Schiffer mit langen Stangen die Barke leiten, bedecken in Menge den See. Alles ist mit bunten Farben und Figuren bemalt, auf beiden Seiten der Fahrzeuge ist eine Reihe von Luken und Fenstern angebracht, während in den Kajüten vorzüglich Gesellschaften beim Mahl sitzen und sich an dem Wechsel der Bilder, die an ihnen vorübergleiten, ergötzen. Dieser Genuss auf dem Wasser übertrifft jeden andern, denn die Stadt mit ihren zahllosen Palästen, die Ufer mit ihren Tempeln, Klöstern, Villen, Gärten und mächtigen Bäumen, die Menge der beständig vorüberschwebenden Gondeln bieten dem trunkenen Auge einen ewigen Wechsel. Nach dem vollendeten Tagewerk denken die Einwohner an nichts als an Lustpartien mit ihren Frauen und Geliebten, entweder auf diesen Barken oder indem sie auf Wagen die Straßen durcheilen. Alle Straßen sind nach chinesischer Weise mit Kieseln und Backsteinen gepflastert, eben so auch alle Hochstraßen dieser Provinz.

Die Hauptstraße hat auf jeder Seite ein zehn Schritte breites Pflaster, in der Mitte aber Sand, durch welchen gewölbte Rinnen das Regenwasser in die Kanäle ableiten. Auf diesem Sande fahren die langgebauten Wagen auf und ab. Sie sind bedeckt, mit Vorhängen und Kissen von Seide versehen, und fassen sechs Personen. In langen Reihen sieht man sie in jeder Stunde durch die Stadt fahren, um Gesellschaften und Familien für den Rest des Tages noch in schattige Gärten zu bringen. — In allen Straßen erheben sich turmartige steinerne Gebäude, wohin die Einwohner ihre Habe flüchten, wenn Feuersbrunst entsteht, denn die Häuser sind meistens von Holz. Auf den Hauptbrücken steht ein Wachthaus mit zehn Mann, die ein lautschallendes Instrument von Holz und ein anderes von Metall, sowie eine Wasseruhr haben, um mit jenen die Stunden anzuschlagen, welche diese zeigt. Des Nachts durchziehen Wächter die Straßen, denn zu einer bestimmten Stunde muss alles Feuer und alles Licht ausgelöscht sein und Niemand darf sich mehr auf den Straßen sehen lassen. Stoßen sie auf einen Arbeitsunfähigen, einen Kranken, so schaffen sie ihn in ein Hospital, deren mehrere in jedem Stadtteile auf das Freigebigste ausgestattet sind. Bricht Feuer aus, so schlagen sie Lärm, worauf alle Wächter herbeieilen und löschen: die Mobiliare der Betroffenen transportieren sie in die steinernen Rettungshäuser oder auf Barken und Niemand als der Eigentümer der Güter darf dabei verweilen. In gewissen Zwischenräumen sind auf den Straßen kleine Hügel errichtet, mit hölzernen Häuschen und Schallbecken darin, durch welche man bei Aufruhr alle Truppen in und bei der Stadt sogleich zusammenruft.

Der Großkhan teilte die wichtige Provinz Manji in neun Teile, deren Statthalter wie alle übrigen Beamten alle drei Jahre im Amte wechseln. Einer von ihnen residiert in Quinsai und hat unter sich mehr als 140 Städte, im Ganzen aber hat Manji gegen 1.200 gewerb- und volkreiche Orte. In jedem liegt, je nach der Größe der Stadt, eine Besatzung, die meistens aus Eingeborenen anderer Provinzen besteht, denn die Tataren sind nur berittene Kriegsleute. Der größte Teil der städtischen Einkünfte wird auf die Besatzungen verwendet. Quinsai allein hat 30.000 Mann, und die geringste Besatzung besteht aus 1.000 Mann. — Der Palast des früheren Königs Fansur umfasst einen Raum von zehn Meilen und ist in drei Teile geteilt. Zu dem mittelsten führt ein hohes Portal: prächtige Kolonnaden mit breiten Terrassen, die auf Pfeilerreihen ruhen, glänzend von Azur und Gold, laufen ringsum. Dem Eingang gegenüber steht eine Säulenhalle mit vergoldeten Pfeilern und Dach, im Innern mit Gemälden aus der Geschichte der früheren Könige. Hinter dieser Halle leitet ein Durchgang in der Mauer zum innersten Hof, der einem großen Kloster mit Zelten und Säulenportikus gleicht und die Gemächer des Königs und der Königin enthält. Ein bedeckter Korridor, mit Eingängen zu Zellenhöfen an den Seiten, führt von hier bis zum See, und jeder Hof hat 50 Räumlichkeiten, Wohnungen der tausend jungen Frauen, welche dem König aufwarten. Überall erblickte man liebliche Anlagen, Gärten und Haine mit Wild aller Art, wo sich der König mit seinen Frauen an der Jagd erlustigte, doch durfte keine andere männliche Person dabei sein. Nach dem Jagen badeten die Frauen im See und schwammen lustig umher, während der König ihnen zusah. Jetzt residiert der Statthalter in diesem Palast, doch die Zellenhöfe sind verfallen, Park und Garten verödet.

Die Stadt beherbergt etwa 1.600.000 Familien, besitzt jedoch nur eine nestorianische Kirche. Jeder Familienvater heftet einen Zettel über die Tür seines Hauses mit dem Namen aller Familienglieder und Diener und der Zahl seiner Pferde: stirbt ein Hauseinwohner, so wird der Name ausgestrichen, ebenso auch jedes neugeborene Kind sogleich eingetragen. Diese Ordnung gilt durch ganz Kataia und Manji. Auch die Inhaber der Gasthöfe tragen die Namen Aller, die bei ihnen wohnen, in ein Buch ein, sowie die Stunde der Ankunft und Abfahrt, und senden täglich eine Abschrift davon den Magistratsvorständen. Die Einkünfte des Großkhans aus Quinsai und den dazu gehörenden Städten sind ganz außerordentlich bedeutend. Vom Salz allein, dem ergiebigsten Artikel, betragen sie 80 Tomans Gold (Toman = 10.000), d. i. 6.400.000 Dukaten, denn eine erstaunliche Menge Salz wird zwischen hier und dem Meere gewonnen. Zucker, Gewürze, Wein und das aus Reis bereitete Getränk zählen drei Prozent, eben so viel die 12 vornehmsten Handwerke und die Kaufleute von allen Gütern: zehn Prozent dagegen von dem, was sie über See einführen. Drei Prozent zahlen weiterhin alle übrigen Erzeugnisse des Landes ohne Unterschied, so dass die Einkünfte mit Ausnahme des Salzes 16.800.000 Dukaten betragen. Viele Tagereisen rings um Quinsai gleicht auch das Land einer immer weiter sich aus dehnenden einzigen Stadt, so dicht bevölkert und reich bebaut ist Alles. Nach Südosten liegen die Städte Ta-pin-zu, Uguiu, Gengui, Zengian und Gieza, alle bevölkert, handel- und gewerbreich und der Gerichtsbarkeit Quinsay's unterworfen. (Alle diese Namen sind jetzt nicht mehr aufzufinden.)

Von Gieza aus gelangt man in die Provinz Kon-cha (Fukian oder Fokien) mit der Hauptstadt Fu-giu (Fut-schéu-fu), ein prächtiges Land mit Hügeln und Tälern, Städten und Dörfern, mit Überfluss an Allem, was zum Leben gehört, reich an Ingwer, Galgant und Gewürzen aller Art. Die Einwohner aber sind ein wildes Geschlecht, ja sie verschmähen Menschenfleisch nicht, malen ihr Gesicht, wenn sie in die Schlacht ziehen, mit Azur, und wen sie erschlagen, dessen Blut trinken sie. In dieser Provinz liegen die Städte Que-lin-hu (vielleicht Kieningfu) und Unguen, von wo viel Zucker nach Kambalu an den Hof des Großkhans geschickt wird. Von Fu-giu bis zum Meer durchströmt der Fluß (Niao-tungkiang oder Ming genannt) wieder reich bebaute Landschaften und hat in seiner Mündung die Hafenstadt Zaitun (Tschiuen-tschéu-fu), berühmt durch die vielen Schiffe, die hier aus- und eingehen, und durch die ungeheure Menge Pfeffer und anderer Gewürze, die hierher gebracht wird. Die Menge der stets hier weilenden Kaufleute und aufgehäuften Waren ist staunenswert, denn der Hafen gilt als einer der größten und bequemsten der Welt. Feine Erzeugnisse der Gewerbe, Pfeffer, Aloe, Sandelholz, Spezereien bilden die Hauptartikel der Ausfuhr. Die Abgaben, welche davon zu entrichten sind, betragen fast die Hälfte der Ladung und doch kehren dieselben Kaufleute immer und immer wieder, so groß ist der Gewinn. Die Einwohner des köstlichen Landes sind friedfertig und üppiger Ruhe ergeben, berühmt in der Kunst des Tätowierens, so dass hierher Viele aus den inneren Teilen Indiens kommen, um sich mit der Nadel den Leib punktieren zu lassen.