Siebenter Abschnitt. - Aquila wollte wieder mit Fragen über ihn herfallen; aber mit der Hand schlug der ...

Aquila wollte wieder mit Fragen über ihn herfallen; aber mit der Hand schlug der Soldat durch die Luft, als sollte er es lassen, als wäre jede Frage ein körperlicher Schmerz. »Die Stimme –« und wie er schnaufend und gurgelnd das Wort wiederholte, war es, als klänge aus den ungefügen Lauten der süße Ton einer Frauenstimme heraus, ein ferner, verhallender Ton, wie das Gezwitscher eines Vogels, der sich in Lüften verliert.

»Darauf sprach sie,« fuhr er endlich fort, »ich sehe Dich an, weil ich so begierig gewesen bin, zu wissen, wie der aussehen würde, der mir das Paradies aufschließt.«


»Das Paradies,« sagte Aquila, indem er die Hände ineinander drückte und seine Frau ansah.

»Das Paradies,« wiederholte Priscilla.

»Und weil ich sie nicht verstand,« berichtete der Soldat weiter, »fragte ich sie: ›was ist das, wovon Du sprichst?‹«

»Darauf sagte sie: ›Das ist ein Garten, so wundervoll, wie Du nie einen gesehen hast und nie sehen wirst auf Erden. Da sind ewig grüne Wiesen und schattige Bäume und niemals ist Winter dort und niemals Sonnenbrand und Hitze. Und wenn man tausend Jahre wandert und tausend und abertausend dazu, nie kommt man an das Ende von dem Garten. Und in dem Garten sind Wesen, wie Du sie nie gesehen hast, wie Jünglinge anzuschauen, mit weißen Flügeln an den Schultern, mit großen, weißen Flügeln – und die fliegen hin und fliegen her, bald einzeln und dann wieder in Scharen, so wie die Tauben.‹

»Das alles sprach sie, und weil ich es nicht verstand, meinte ich, sie träumte, und die Angst vor dem Tode hätte ihr den Geist verstört. Aber als ich wieder die Augen zu ihr erhob, und sie mich ansah, da erkannte ich, daß sie klar bei Sinnen war, und darum fragte ich sie: ›Wo ist denn der Garten, von dem Du sagst?‹

»Darauf beugte sie den Kopf zurück, so weit sie es an dem Pfahl vermochte und blickte hinauf; da war eben der Abendstern am Himmel aufgegangen. Und sie sagte: ›er ist dort oben. Siehst Du, jetzt ist nur ein Stern erst zu sehen, bald aber werden mehr kommen und immer mehr und endlich unzählige; dann wird es ein Flimmern und Leuchten sein. Und über all' den unzähligen Sternen und all' dem Flimmern und Leuchten, da ist der Garten, von dem ich Dir gesagt habe. Und sobald ich gestorben sein werde hier unten, werden die Engel kommen, von dort oben, wie ein Schwarm, so werden sie kommen und werden mich an den Händen nehmen und mit mir hinauffliegen, und heut' abend noch werde ich bei ihnen sein in dem schönen herrlichen Garten.‹«

Wieder schwieg der Soldat eine Zeit lang; dann nahm er das kleine Kreuz, das ihm aus der Hand gefallen war, und das Priscilla an sich genommen hatte, aus deren Händen.

»Und nun hatten sie ihr die Arme angebunden,« fuhr er fort, indem er wieder mit dem Finger am Querbalken des Kreuzes entlang glitt – »so. Und als sie so sprach, da regte sie ihre Arme; und die waren so weiß, und es sah aus, als wären es zwei weiße Flügel an ihren Schultern, und es sah aus, als würde sie davon fliegen und hinauf, so wie sie stand – und von da an – habe ich nicht anders gekonnt – ich habe sie ansehen müssen, immerfort, bis zu dem Augenblick – da –«

Das Haupt sank ihm herab, jählings, als hätte der Nacken die Kraft verloren, es zu tragen, bis herab auf die Arme, die auf den Knien lagen, so daß er ganz zusammengekrümmt saß; und der zusammengekrümmte mächtige Körper schüttelte sich, das Haupt warf sich auf den Armen hin und her, daß das blonde Haar nach rechts und nach links flog, und aus der zusammengewirrten Masse drang ein Stöhnen hervor, ein Grollen und Schlucken und Schluchzen, daß er den beiden Alten, die ihm zusahen, wie ein Tier aus dem Urwald erschien, dem ein Spieß in die Weichen gejagt worden ist, und das ächzend an der Wunde verendet.

Es dauerte lange, bis er wieder zu sich kam.

»Und weil sie nun so fröhlichen Tones sprach, während sie doch alles gehört hatte, was der Centurio zu mir gesagt, und all' die schrecklichen Vorbereitungen sah, und weil ich das alles nicht begreifen konnte und alles mir so wunderbar erschien, da sagte ich zu ihr: ›Fürchtest Du Dich denn nicht vor dem, was Dir geschehen soll?«

»Und darauf« – der Soldat riß die Augen weit auf und sah erst Aquila, dann Priscilla mit langsamem Blick an, als wollte er sie zu Zeugen nehmen für das, was er jetzt sagen würde – »und darauf – hat sie gelacht.«

»Sie hat gelacht,« wiederholte Aquila in atemlosem Staunen, indem er wieder auf Priscilla blickte. Diese wiegte schweigend und in stummer Bewunderung das Haupt.

»Ja,« fuhr der Erzähler fort, »aber nicht laut; so – ich weiß nicht, wie ich's beschreiben soll, – ein Kichern etwa – wie wenn jemand aus seinem Innern lacht, weil er fröhlich in seinem Herzen ist. Und darauf sagte sie zu mir: ›Ach, wenn Du wüßtest, mein Bruder, wie selig mein Herz ist, dann würdest Du begreifen, warum ich mich nicht fürchte. Denn in einer Stunde, siehst Du, werde ich nun bei Dem sein, nach dem meine Seele verlangt hat, so lange ich lebe.‹

»Und weil ich sie wieder nicht verstand, fragte ich sie: ›Wer ist das, von dem Du sprichst?‹

»Da nickte sie mir zu und sagte: ›Das ist ja der Herr des Gartens, von dem ich Dir erzählt habe, der das große Wunder in die Welt gebracht hat, daß die Menschen nicht mehr tot bleiben, wenn sie gestorben sind, sondern wieder auferstehen. Hast Du von Christus noch nichts gehört?‹

»Und weil ich von ihm noch nichts gehört hatte, schüttelte ich das Haupt.

»Da beugte sie sich zu mir nieder, so weit als sie es in den Stricken vermochte, in denen sie gebunden war, und so, daß ich ihren Hauch auf meinem Gesicht spürte, und daß ihre Augen ganz dicht über meinen Augen waren, so nah war mir ihr Gesicht – so nah – und dann flüsterte sie zu mir: ›Ach, Du mein Bruder, wenn Du doch thun wolltest, wie ich Dir sage; was für ein glückseliger Mensch Du werden würdest mit einem Male. Geh' doch hin, wenn ich gestorben sein werde, da, wo Aquila wohnt, der Teppichweber, draußen an der Appischen Straße, am vierten Meilenstein, und sag' ihm, daß Claudia Dich zu ihm schickt, und daß er Dir sagen soll von Christus und Dich taufen und Dich aufnehmen soll in unsere Gemeinschaft, damit Du auch so glücklich wirst, wie wir Anderen es sind.«

Mit einem erstickten Schrei fiel Aquila über den Soldaten her; beide Arme schlang er um seinen Hals, und er drückte die Lippen auf seinen blonden Scheitel.

»Mein Bruder!« rief er, »mein Bruder!«

Priscilla hatte sich vor dem Soldaten niedergekniet und streichelte ihm die Hände, und es dauerte eine geraume Zeit, bis der Ansturm von Zärtlichkeit sich so weit gemäßigt hatte, daß jener fortfahren konnte.

»Und weil sie mich nun immer Bruder nannte, und ich das nicht verstand, so sagte ich zu ihr: ›Du bist eine vornehme Frau und ich nur ein armer Soldat und nicht einmal ein Römer, und Du nennst mich Deinen Bruder?‹

»Und da lachte sie wieder, so wie sie vorher gelacht hatte, und sagte: ›Du bist mein Bruder, und ich bin Deine Schwester; die Menschen haben alle einen einzigen Vater, und der wohnt da oben in dem herrlichen Garten. Und weil wir das wissen, wir Christianer, und diese Römer es nicht wissen, darum eben sind wir ja so viel, viel glücklicher als sie. Denn wenn wir auf der Straße aneinander vorübergehen, siehst Du, dann winken wir uns mit den Augen zu, und einer sagt zum andern, ohne daß er ein Wort zu sprechen braucht: Ich liebe Dich. Und wo wir auch gehen und stehen, überall und immerdar ist ein Singen und Klingen um uns her, wie eine leise, liebliche Musik. Und das kommt daher, siehst Du, weil diese Römer denken, die Luft rings um die Menschen her sei leer und tot, und weil sie das nicht ist; sondern sie ist erfüllt von Tausenden und Abertausenden und unzähligen Geistern, die immerfort um uns sind und mit uns sind und leise zu uns sprechen, und die wir nur nicht sehen können, solange wir noch diesen Leib an uns tragen. Und sobald wir aber diesen Leib von uns gethan haben, dann mit einem Male sehen wir sie und fühlen sie und sehen und gewahren, wie reich die Welt Gottes eigentlich ist, wie wundervoll, wie herrlich!‹

»Und als sie so sprach, da regte sie wieder die Arme, und es sah aus, als ob sie die Arme ausbreiten wollte, und um meinen Hals legen wollte, und wie ich ihre Augen sah, die so in meine Augen blickten, und ihre Stimme hörte, die so lieblich klang wie ich nie etwas gehört hatte zuvor – da war mir plötzlich, als ob ich zum erstenmal das alles verstand, was sie mir sagte, und als ob alles rings um mich her ganz anders aussah, als es ausgesehen hatte zuvor, und da sagte ich zu ihr: ›Wenn ich zu Aquila gehe und ein Christianer werde wie Du, werde ich dann auch in den Garten kommen, dahin Du nun gehst?‹

»Und da nickte sie und lachte, und ihre Glieder zuckten am Pfahl, und sie sagte ›ja, ja! ja!‹

»Und wenn ich dann komme,« habe ich weiter gefragt, »wirst Du mich dann wiedererkennen da oben und Dich nicht abwenden von mir?«

»Und darauf that sie, wie sie eben gethan hatte, und sagte: ›An der Pforte des Gartens will ich warten, bis daß Du kommst. Und wenn Du kommst, will ich Dir entgegenfliegen und Dich an der Hand nehmen und hineinführen in den Garten. – Wirst Du bald kommen? Bald?‹

»Da habe ich die Arme um sie thun wollen, aber wegen der Dornen, die um sie her waren, konnte ich es nicht, und ich habe gesagt: ›Ich will zu Dir kommen, ich will zu Dir kommen, sobald als ich kann, und ich will nie von Dir hinweggehen, sondern sein, wo Du bist, ewig! ewig!‹

»Und als wir so zu einander sprachen, da entstand plötzlich ein Lärm rings um uns her, und ich hörte, wie sie vom untern Ende des Gartens riefen: ›Zündet an! zündet an!‹

»Und es schien, daß sie schon öfters so gerufen hatten, und nur wir hatten nicht darauf geachtet, denn rechts und links von uns an den Pfählen loderte es schon auf von Flammen; und dann fingen die Römer, die hüben und drüben hinter den Pfählen standen und zuschauten, zu schreien an, wie brüllende Tiere; und die Christianer an den brennenden Pfählen warfen die Köpfe zurück und riefen etwas zum Himmel hinauf – ich weiß nicht, was es war, aber es war immer ein und dasselbe Wort, und sie riefen es alle. Und es war ein Getöse, wie ich es nie vernommen hatte irgendwann, und da kam auch der Cäsar in den Garten gefahren auf seinem Wagen, der ganz von Gold war, und acht weiße Rosse davor.

»Und als ich nun so stand und wie betäubt war in meinem Kopf, da rief sie mir vom Pfahle zu: ›Mein Bruder, Du mußt anzünden! Zünde an!‹

»Und da gedachte ich an das, was mir der Centurio gesagt hatte, – und ich wollte die Fackel hineinstoßen in die Dornen – und da – konnte ich es nicht.

»Und inzwischen war der Wagen des Cäsar schon ganz nah' gekommen, beinah bis zu uns heran; da rief sie noch einmal und sagte: ›Eile Dich, mein Bruder, warum eilst Du nicht? Hörst Du nicht, wie meine Brüder Hosiannah rufen? Siehst Du nicht, wie sie hinauffliegen? Soll ich ausgeschlossen bleiben aus dem Garten? Ich allein?‹

»Und da wandte ich das Haupt ab, damit ich sie nicht mehr sah – und nahm die Fackel – und stieß sie in die Dornen, ihr zu Füßen, wie der Centurio es mich gewiesen hatte – und kaum, da ich so gethan, da schlug auch das Feuer auf, und die fressende Glut warf sich über ihre Füße und leckte wie eine Zunge bis zu ihren Knieen hinauf – und da hörte ich – hinter mir –,« der Soldat saß mit starr aufgerecktem Oberleibe; seine Arme waren ausgestreckt, seine Hände zu Fäusten gekrampft; seine Augen gingen rollend in ihren Höhlen.

»Da hörte ich – hinter mir – wie wenn ein Glas zerspringt – solch' ein leiser Ton – solch' ein schriller Ton – und als ich mich umwandte, da sah ich sie – und ihr Haupt war zurückgesunken – ihre Augen geschlossen – ihre Glieder flogen am Pfahl und wanden sich in den Stricken – und von der Stirn rann ihr der tödliche Schweiß. Und als ich das sah, und sah, wie schrecklich das war, was sie erlitt, da sprang ich mit meinen Füßen in die brennenden Dornen hinein und trat sie in die Erde und stampfte das Feuer nieder, bis keine Flamme mehr war und kein Funke, der ihr weh thun konnte, und mit meinen Händen riß ich die Dornen herab, die um sie waren. Und als ich so that, da kam sie wieder zu sich und schlug die Augen auf und sagte: Ach, was thust Du, mein Bruder? Warum lassest Du mich nicht sterben und hingehen zu ihm, der meiner wartet dort droben?‹

»Und weil nun keine Dornen mehr waren zwischen ihr und mir, so that ich meinen Arm um sie her und hielt sie in meinem Arm, und ihr Haupt sank herab zu mir, daß ich es fühlte auf meiner Brust – und hier hat es gelegen –«

Mit der linken Hand griff der Soldat an seine rechte Achsel und preßte seine Hand auf eine Stelle seiner Brust unterhalb der Achsel.

»Hier hat ihr Haupt gelegen – an der Stelle!

»Und ich sagte zu ihr: ›,Sei ruhig, Du sollst auch sterben, denn ich sehe wohl, daß es nicht anders sein kann, aber nicht durch Feuer sollst Du sterben und in so gräßlicher Qual, sondern durch meine Hand. Denn bei uns zu Lande ist es ein edler Tod, wenn man von eines Mannes Händen durch das Schwert stirbt. Und so sollst Du sterben; denn Du bist ein edles Weib, und ich liebe Dich, ich liebe Dich, wie ich nie einen Menschen geliebt habe und lieben werde hinfort. Und darum, weil Du den heiligen Christus liebst, will ich ihn lieben so wie Du, und ich will ein Christianer werden und zu Dir kommen in den Garten.‹

»Und derweilen ich so sprach, hatte ich mit der Linken das Schwert hervorgezogen, das ich an der Seite trug; und wie ihr Haupt an meiner Schulter lag und ihr Gesicht an meinem Gesicht, habe ich mit meinem Munde ihren Mund geküßt und zu ihr gesprochen: ›Fahre wohl, Claudia, bis wir uns wiedersehen; wirst Du warten, daß ich komme?‹

»Und da hat sie mich noch einmal angesehen – mit den Augen hat sie mich angesehen – mit den Augen – und hat gesagt: ›Claudia wird warten.‹

»Und darauf habe ich die Spitze meines Schwertes wider ihre Brust erhoben, gerade dahin, wo ich wußte, daß ihr Herz in der Brust war, und weil keine Hülle darüber war und nichts, was dem Schwerte widerstand, so drang es mit einem Stoße mitten in ihr Herz, und sie hat noch einmal in meinem Arme gezuckt – und dann – mit einem Seufzer – war sie dahin.«

Der Soldat war während des letzten Teiles seiner Erzählung vom Schemel aufgesprungen; hoch aufgerichtet stand er; von den Lippen, die anfangs so unbehilflich gestammelt hatten, gingen die Worte wie ein rasender Sturm; nicht zu Aquila hatte er gesprochen, nicht zu Priscilla, seine starrenden Augen gingen über die beiden hinweg, hinaus – wohin? In die Welt hinaus, in die geheimnisvolle, wunderbare Welt, von der sie ihm geplaudert und gesagt hatte, wie wundervoll sie wäre, wie herrlich und reich.

Jetzt aber, als das letzte Wort heraus war, das »sie war dahin«, brach er plötzlich wie ein gefällter Baum zu Boden, die Arme auf den Schemel geworfen, das Haupt in die Arme gedrückt. Und so lag er und sah nicht, wie die beiden Alten sich mit stummen Blicken über ihn hinweg verständigten, und hörte nicht, wie sie leise hinausgingen in die Nebenkammer und von da zurückkehrten, ein Gefäß in den Händen, mit Wasser gefüllt. Und erst, als er fühlte, wie sich das Haar auf seinem Scheitel feuchtete, hob er das Haupt und blickte auf.

Aquila stand neben ihm. Mit der Hand die er in das geweihte Wasser getaucht hatte, zeichnete er ihm das Kreuz auf Haupt und Stirn; dazu murmelte er die Gebete, die gesprochen wurden, wenn ein Täufling Aufnahme in der Christianer-Gemeinde fand.

Schweigend ließ der Soldat ihn gewähren. Die drei Menschen waren so in ihr Thun versenkt, daß sie das Geräusch von Schritten und das Gemurmel von Stimmen nicht hörten, die sich dem Hause näherten. Erst als die Thür mit einem Schlage von draußen aufgestoßen wurde, fuhren sie empor.

In der Thür standen drei römische Prätorianer-Soldaten.

Ob es das wundersame Schauspiel war, was sie verblüffte, oder ob in den Augen des germanischen Riesen, der noch immer knieend am Schemel lag und sie mit stummen, drohenden Blicken musterte, etwas war, das sie warnte – die Römer blieben am Eingange stehen, einer über die Schultern des andern blickend.

Endlich trat derjenige, der zuvorderst von den Dreien stand, einen Schritt näher.

»Bist Du Aquila, der Christianer?«

Der Alte verneigte sich.

»Der bin ich.«

»Und das Weib da? Deine Frau? Auch Christianerin?«

Aquila schwieg und wandte die Augen auf Priscilla, als wollte er ihr selbst die Antwort überlassen.

»Auch Christianerin,« erwiderte sie in leiser Ergebung.

»Also macht Euch fertig – Ihr müßt mit,« sagte der Prätorianer.

Jetzt aber richtete sich der blonde Mann hinter dem Schemel auf. Er that es langsam, aber in der langsamen Bewegung war etwas Gefährliches, beinah Unheimliches.

»Laß den alten Mann in Frieden,« sagte er zu dem Prätorianer, »und die Frau. Sie haben Euch nichts zu Leide gethan. Was Ihr von den Christianern erzählt, daß sie das Feuer angezündet haben sollen, das ist alles nicht wahr; das habt Ihr erdacht und erlogen – Ihr – Römer Ihr.«

In seiner Stimme war ein dumpfes Grollen, so etwa wie das tiefe Knurren eines Wächterhundes, der den Eindringling zur Vorsicht mahnt.

Der Prätorianer sah ihn mit einem kurzen Blick von der Seite an; es schien ihm das beste, den unbequemen Menschen nicht weiter zu beachten.

»Vorwärts,« sagte er, indem er die Hand nach Aquila ausstreckte – in demselben Augenblick aber flog er gegen die Wand des Zimmers, daß ihm der Panzer krachte und seine linke Wange, die an die Wand geschlagen war, weiß vom Kalk wurde.

Der blonde Riese stand vor ihm. Seine Glieder reckten sich; er sah noch riesenhafter aus als vorher.

»Hast Du nicht gehört, was ich Dir gesagt habe, daß Du den alten Mann in Frieden lassen sollst?«

Mit einem wütenden Aufschrei wandte sich der Römer gegen ihn; er unterlief ihn, schlang beide Arme um seinen Leib, und es begann zwischen den Beiden ein Ringkampf auf Tod und Leben.

Er dauerte indessen nur wenige Sekunden, denn plötzlich erdröhnte ein Schlag, wie wenn der Fleischhauer mit der Keule Knochen und Fleisch zermalmt – von der Faust des Riesen ins Genick getroffen, taumelte der Prätorianer und rollte bewußtlos an den Boden.

Jetzt kamen die beiden Andern, die wie erstarrt gestanden hatten, zur Besinnung. Mit gellendem Schimpfen fuhren sie gegen den Germanen los.

»Was fällt Dir ein, Du Hund, der an die Kette gehört? Nimmst Du Partei für die Christianer?«

Sie rissen die Schwerter heraus.

Beim Anblick des nackten Stahls aber wachte der Berserker in ihm auf. Er sprang einen Schritt zurück, riß das lange, schmale Schwert aus der Scheide und schwang es wirbelnd um sein Haupt.

»Christianus sum,« brüllte er, daß es bis auf die Straße hinaus erscholl. Einen neuen Schlachtruf hatte er gefunden; seine Augen unterliefen mit Blut; aus dem verzerrten Gesicht leuchtete eine unbändige Wildheit.

»Rache für Claudia! Jetzt kommt das Sterben an Euch!«

Ein Wehgeheul folgte dem Wort; ein zweiter Prätorianer wälzte sich am Boden. Das Schwert des Germanen hatte ihn zwischen Achsel und Hals getroffen, so daß der Arm herabhing.

Im Augenblick aber, als er den Streich führte, hatte der Dritte ihn von der Seite angelaufen, und unter dem Panzer, der sich in die Höhe geschoben, rannte er ihm die Klinge bis an das Heft in den Leib.

Ein Fußtritt, der den Prätorianer bis auf die Schwelle der Thür schleuderte, war die Antwort auf den meuchlerischen Stoß, dann brach der Riese dröhnend zur Erde, während der Römer, sinnlos vor Entsetzen, zum Hause hinauslief und draußen verschwand.

In Aquila's Schoß ruhte das blonde Haupt des Sterbenden; seine Augen waren geschlossen, und wie das strömende Blut aus der breiten Wunde ging, verlor sich die Wildheit, die sein Gesicht verzerrt hatte, und die Züge des Gesichts traten wieder hervor, so wie sie gewesen waren, aber noch edler beinah, noch schöner und beinah kindlich. Priscilla kniete zu seiner Rechten und hielt die mächtige Hand, die jetzt so matt und langsam erkaltend in ihren schwachen Händen lag.

Endlich schlug er die Augen auf.

»Es rauscht,« – sagte er – »es rauscht.« Die beiden alten Leute gaben keinen Laut von sich; eine ehrfürchtige Scheu hielt sie ab, die Bilder zu stören, die vor seiner scheidenden Seele aufgingen. Liebliche Bilder schienen es zu sein, denn in seinen Augen war ein leuchtender, wie aus der Tiefe seines Wesens quillender Glanz.

»Von den Flügeln,« sagte er mit lallender Zunge, »an ihren Schultern – weiße Flügel – große – weiße –«

Dann sah man, wie ein Bestreben über ihn kam, sich aufzurichten, jemandem entgegen, der ihm entgegen kam, unsichtbar allen und sichtbar nur für ihn – aber das Haupt vermochte sich nicht mehr zu erheben, die Arme waren zu schwach geworden, sich auszubreiten und zu umfangen – nur die Lippen regten sich noch stammelnd und flüsterten den geliebten Namen – »Claudia« –

Der gewaltige Leib reckte sich; dann lag er ruhig und still, und um das erstarrende Antlitz spielte ein Lächeln, wunderbar, unergründlich, geheimnisvoll – hatte sie Wort gehalten? War sie ihm entgegengekommen, und wandelten sie nun, Hand in Hand da, wo kein Winter mehr war, kein Sonnenbrand und keine Hitze, in dem schönen, dem herrlichen Garten?

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Claudia's Garten - Eine Legende