Erste Fortsetzung

Die russische Kavallerie ist die erste auf der Welt. Mögen Nachrichten, deren Quelle uns gar zu gut bekannt ist, uns aus Paris immer sagen, dass die Kosaken elende Reiter sind, die Welt hat bereits ihre Kräfte kennen gelernt und doch sind sie nichts gegen den Kern dieser Waffe, die furchtbaren Ulanen, Husaren, Dragoner, Kürassiere. Ein russischer Kavallerist ist mit seinem Pferde gleichsam eins. Er sitzt, er schläft, er isst auf demselben mit einer Sicherheit, die in Erstaunen setzt. Von Jugend auf mit der Natur seines Tieres bekannt, ist ihm die Wildheit desselben nicht fürchterlich und der Mut eines solchen nur ein Mittel mehr, sein Anprallen auf feindliche Infanterie desto fürchterlicher zu machen. Man sieht bei der russischen Kavallerie nie das oft lächerliche Missverhältnis, das man bei der französischen wahrnimmt, ich meine die natürliche Schwäche und Kleinheit des normannischen Pferdes noch mehr durch die Länge und Schwere seines bepanzerten Reiters ins Licht gesetzt. Mich jammerte oft eines Teils der armen Geschöpfe, die solche schweren Massen tragen mussten, anderen Teils aber suchte ich vergebens nach der Möglichkeit eines glücklichen Erfolgs, wenn von solchen Reitern mit solchen Pferden ein kräftiger Stoß gegen Infanterie unternommen werden soll. Die Folge von diesen natürlichen Vorzügen der Kavallerie dort und ihrer schlechten Beschaffenheit hier fallen ins Auge. Wir haben im vorigen Jahre die französische Kavallerie nach Norden ziehen sehen. Jedes zehnte Pferd war lahm, dürr wie eine Katze, gedrückt, geschunden, alle nur beschaffen, dass man wohl einsah, sie würden kaum die Ufer des Niemens, geschweige der Moskwa erreichen. Jedem Regiment folgte ein großer Train maroder Pferde. Jetzt sahen wir nun nach dem schrecklichen Winterfeldzug die russische Kavallerie, die Entfernung, der zurückgelegte Weg war derselbe. Aber in welch Erstaunen versetzten uns ihre Pferde. Es war, als ob sie erst aus dem Gestüt kämen. Ihnen folgten auch leere Pferde nach, jedoch nicht gedrückte, lahme, sondern solche, deren Besitzer krank sein mochten, oder die als eine Remonte für zukünftige Fälle aufbewahrt waren. Jedes Land hat seine besonderen Gaben aus den Händen der Natur empfangen. Eine derselben in Russlands weiten Ebenen sind eben die dauerhaftesten herrlichen Pferde, die weder von der Hitze, noch von der Kälte aufgerieben werden, nicht mit dem Glockenschlag gefüttert werden dürfen, nicht bei jedem kühlen Lüftchen verschlagen, die im Kampf mit Wölfen erstarkt sind und allenfalls durch die breitesten Ströme setzen.
Hierbei eine Anekdote von

                    Suwarow in Italien.


Der alte Krieger kam an, als das österreichische Heer vom feindlichen nur durch die Brenta getrennt war. Nicht gewohnt, müßig zu stehen, und den Feind in Ruhe zu lassen polterte er gewaltig gegen den österreichischen Feldherrn, dass so wenig geschehen war. Dieser entschuldigte sich mit dem Mangel einer Brücke, deren Pontons erwartet würden. „Was Brücke, was Brücke!“ erwiderte der tapfere Italiker. „Ich will Euch zeigen was Brücke ist. Kosaken vor!“ Ein Regiment der letzteren musste herbei sprengen. Er zeigte auf die feindlichen Vorposten. - „Perod! Perod! Stupa, Stupai!“ *) kommandierte er! - - -
*) Vorwärts, vorwärts, marsch, marsch

Und im Angesicht des Feindes plumpte das Regiment in die Brenta ein und schnaubend arbeiteten sich die Rosse nach dem anderen Ufer hinüber. Die feindlichen Wachen waren über das unerhörte Wagstück erstaunt, dann ergriffen sie die Flucht und schon den Tag darauf war das ganze Ufer vom Feinde gereinigt.

Man wirft dem russischen Soldaten gemeiniglich Grausamkeit, Barbarei vor, man behauptet, er sei nur durch den Stock, die Peitsche in Mannszucht zu erhalten. Wir könnten sagen, wie vermöchten Krieger, die mit Kindern selbst zum Kinde werden, grausam zu sein? Wie können dies Menschen, die noch so in dem Naturzustande sind? Die den letzten Bissen mit den Armen teilen? Allein alle solche Gemeinsätze beweisen nichts, und darum sei hier in der Kürze die Sache näher untersucht!

Der eben gerügte Vorwurf stammt ursprünglich wohl aus den polnischen und türkischen Kriegen her. Noch in neuere Zeiten fällt Okzakows und Ismaels, Pragas Eroberung und überall stoßen wir dabei auf Szenen, die das Gefühl empören, aber den Grund der Erklärung in sich selbst tragen. Es ist zunächst hier Nationalhass, gegenseitig erregte und dadurch wachsende Erbitterung. Wie kann der russische Krieger gegen die Türken Schonung zeigen, die dem verwundeten Kameraden den Kopf abschneiden, den gesunden Gefangenen in Ketten auf die Galeere schmieden? Wie konnte er gegen Polen Mitleid hegen, die in der Charwoche meuchelmörderisch jeden Russen in Warschau unter Igelström erwürgten, die selbst die sich freiwillig ergebenden Soldaten umbrachten? Hier floss Blut für Blut, hier ward dem Gemordeten ein Opfer der Rache gebracht. Alle Kriege, wo Nationalhass ins Spiel kommt, werden mit Erbitterung geführt, die außerdem fremd sind. Welche Schändlichkeiten sind im Revolutionskriege zwischen den Emigranten und Neufranken, den englischen, österreichischen und französischen Truppen vorgefallen! Die Menschheit schaudert. Alles, was man einem Tatar vorwerfen könnte, bleibt hier gegen diese Auftritte zurück. Was gehen wir aber in dieselben ein? denken wir doch nur an 1809! Wie wüteten hier die Bayern und Tiroler gegeneinander? Denken wir an Spanien, wie diese, sonst so gute, bigott-katholische, aber eben darum an sich um so mitleidigere Nation, ihre Gefangenen behandelt, und – auch im Gegenteil wieder behandelt ward und wird. Nehmt solche Motive weg und der russische Krieger weiß weniger von Exzessen, von Rohheit und Barbarei, als irgend ein anderer, als selbst der Deutsche! Man erinnere sich der

      Eroberung von Schweidnitz im sieben-jährigen Kriege.

Schweidnitz wurde durch Sturm und Überrumpelung halb von österreichischen, halb von russischen Truppen eingenommen. Der Tag des jüngsten Gerichts schien für seine unglücklichen Bewohner angebrochen zu sein. Das Schwert wütete in den Straßen, als der Tag anbrach. Nichts wurde verschont, alles geplündert, gemisshandelt, von den Kroaten, Panduren, den Österreichern überhaupt. Die Russen dagegen? Ihre braven Grenadiere, die dabei das meiste getan, die meisten Kameraden verloren hatten, setzten sich, er zählt Archenholz, in der kalten Nacht auf ihre Tornister und bewachten den mit ihrem Blut benetzten Wall, ohne von fern nur Miene zu machen, das Beispiel der Ungarn und Deutschen nachzuahmen.

Glaubt man etwa, die sogenannten wilden asiatischen Völker, Kalmücken, Kirgiesen, Tataren, Baschkieren, würden vorzüglich als grausam anzuerkennen sein?

Insofern der Sohn der Natur, der Halbwilde, das, was ihm als Feind geschildert wird, nur zu vernichten strebt, und er zu wenig Politik kennt, um einen Unterschied zwischen einem solchen, der ihm in der Steppe Untergang droht, und einem armen Gaskonier, zu machen, der durch die Konskription gezwungen ist, 400 Meilen zu marschieren, um sich dann von ihm mit der Lanze niederstechen zu lassen, mag das allerdings bisweilen der Fall sein. Jeder unserer gemeinen Krieger weiß recht sehr gut, dass er und der gegenüberstehende Feind nur seine Pflicht erfüllt, nur ein Opfer der Befehle seines Monarchen ist, nur fürs Vaterland, für die Vergrößerung, Erhaltung, Befreiung seines Staates kämpft. Er mordet was ihm vorkommt. Aber wenn die Wut des Kampfes verraucht ist, dann schonet er des Verwundeten, des Gefangenen. Mehr oder weniger deutlich regt sich in ihm der Gedanke, dass hier keine persönliche Feindschaft obwaltet. Darin liegt das, was wir den Krieg menschlich führen nennen; dazu gehört aber schon ein etwas höherer Grad von Bildung, der zunächst bei jenen roheren Völkerschaften teils an sich nicht existiert, teils aber nicht einmal existieren kann. Wenn nämlich rohe Völker kriegen, so geschieht es zunächst um Erhaltung des Lebenswillen; sie wollen einander Herden, Weiden, Quellen abnehmen. Nur die Vernichtung der einen Partei kann die Erhaltung der anderen begründen. Jetzt sind diese Bewohner der fernen Steppe mit berufen, europäische Staatsverhältnisse entscheiden zu helfen. Kann es, da sie nichts davon verstehen, auf eine andere Art geschehen? Es scheint der grellste Widerspruch und ist doch eine ausgemachte Wahrheit, dass sie gerade die gutmütigsten, mitleidigsten, zufriedensten Krieger sind. Bei dem Einzuge, das

                    ein Kalmückenregiment in Guben

hielt, wurde es, wie überall der Russe willkommen ist, mit einem tausendstimmigen Hurrah begrüßt. Jeder Kalmücke dankte durch gutmütiges Lächeln. Endlich zeigten viele durch Gebärden das Bedürfnis zu trinken an. Alles beeiferte sich Krüge herbeizubringen, sie mit Wasser zu füllen und ihnen auf die Pferde zu reichen. Wer mit der größten Freundlichkeit dankte, das waren die gutmütigen, zufriedenen, genügsamen - Kalmücken.

                    Noch einige Anekdoten der Art.

1. Als im vorigen Kriege zwischen Frankreich und Russland die Franzosen einmal über Hals und über Kopf im Januar über Braunsberg retirieren mussten, wurde von den Baschkiren ein junges Weibchen aufgefangen. Sie sträubte sich und weinte und schrie, so sehr die furchtbaren Krieger sich auch mit Gebärden und unverständlichen Worten bemühten, sie zu beruhigen. Endlich brachten sie sie zum Kosaken-Hetmann, dem biedern Platow. Sein erstes war, sie mit einem Detachement und einem Trompeter, den Franzosen nachzusenden.

2. Bei einer ähnlichen sogenannten rückgängigen Bewegung der Franzosen, geriet ein ostpreußisches Städtchen in Flammen. Die leichten Truppen der Russen dringen ein. Händeringend, Tod und Himmel um Hilfe anflehend, steht ein Mädchen im zweiten Gestock eines Hauses, dessen Treppe bereits brennt. Ein Baschkire sieht es. Sein Pferd im Fluge anhalten, die Lanze durch den Zügel in die Erde stoßen, die Treppen hinaufeilen, das Mädchen in seine Kutte verhüllt mit zwei Sätzen herunterholen und dann in Sicherheit bringen, war das Werk eines Augenblicks.

3. Bekanntermaßen fand zwischen Selim II. und Paul I. eine Allianz statt, so dass die türkische und russische Flotte gemeinschaftlich im Archipolagus kreuzte und die griechischen Inseln, die in den Händen der Franzosen waren, nach und nach einnahm. Die Türken ließen sich dabei schreckliche Grausamkeiten zu schulden kommen. Nicht leicht wurde ein Gefangener geschont, da den Arnauten für jeden Kopf ein Dukaten ausgeworfen war. Da sah man denn rührende Szenen des Mitleids, das die russischen Matrosen und Seesoldaten übten. Mancher gab den letzten Kopeken hin, um einem unglücklichen Franzosen das Leben zu retten. Viele taten zusammen, wenn es nicht hinreichte, den Dukaten zusammenzubringen, den der blutgierige Albanese verlangte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Charakterzüge und Anekdoten russischer Krieger