Charakterzüge und Anekdoten russischer Krieger

Ein Beitrag zur Zeitgeschichte
Autor: Becker, Gottfried Wilhelm Dr. med. (1778-1854) Arzt und populärwissenschaftlicher Schriftsteller, Erscheinungsjahr: 1813
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Russland, Kosaken, Krieg, Krieger, Hetman, Kosakenpferd
Zu empfehlende Schriften:

Ein deutsches Wort zu deutschen Bürgern gesprochen. – gr. 8 Preis 2Gr.
Über die russischen Soldaten und wie man es anzufangen hat, dass man mit ihnen gut auskommt. Ein Hilfsbuch bei russischer Einquartierung. gr. 8. Preis 2 Gr.
Der sorgsame und erfahrene Hausvater bei Einquartierungen in Kriegszeiten und bei Durchmärschen. Ein Ratgeber wie man sich gegen Freund und Feind, so wie bei andern Vorfällen in Kriegszeiten zu benehmen hat. gr. 8. Preis 2 Gr.

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Die Zauberrute des Schicksals hat mitten unter uns Tausende von russischen Kriegern versetzt. Vor weniger als zwölf Monaten marschierten auf allen Straßen unzählige Truppen von den verschiedensten Völkern Europas, den eisigen Norden zu bekämpfen, jetzt steigt der nordische Riese nach dem warmen Süden, Deutschland vom fremden westlichen Einfluss frei zu machen, dem Handel freies Leben, den Völkern alten Mut, dem Geiste neuen Schwung und die Erlaubnis zum Denken, Reden, Schreiben zu geben. Heil ihm, Heil uns! Wer sollte nicht den bärtigen Helden gern dankbar die Hand schütteln, die es so gut mit uns meinen, die Blut und Leben für uns zu opfern bereit sind!

Die folgenden Blätter haben keine andere Bestimmung, als meine Landsleute mit dem Geist und Charakter dieser neuen Freunde und Bundesgenossen, – denn das werden sie doch wohl jedem echten Deutschen sein, der es mit sich und dem Vaterland ehrlich meint – bekannt zu machen. Aber nicht in einer trockenen Abhandlung soll dies geschehen. Sie würde nur für den Gelehrten anziehend sein, dem großen Publikum dagegen ziemlich gleichgültig bleiben. Nein, ich will im Gegenteil mehr in Zügen, die aus dem Leben aufgegriffen sind, in denen sich die Natur ungeschmückt und wahr zeigt, ihr Leben, ihre Denkungsweise, ihre Liebe zur Menschheit, zum Vaterlande, zu ihrem erhabenen Monarchen auf eine Art zu entwickeln suchen, die ebenso unterhaltend, als wahr ist.

Wir haben im Allgemeinen in Deutschland von der russischen Nation noch sehr unbekannte Begriffe, wie können sie geläuterter in Hinsicht seines Heeres sein? - Die steten „einseitigen, falschen und unrichtigen Nachrichten, die durch die gewöhnlichen Tagblätter in ganz Deutschland darüber verbreitet wurden, die Sorgfalt, mit der man seit Jahr und Tag alles unterdrückte, was nur von fern den Charakter des russischen Kriegers der Wahrheit gemäß entwickelte, wobei man soweit ging, dass deshalb ein seit 15 Jahren bestehendes Blatt, der Verkündiger, in Nürnberg, wegen eines einzigen Aufsatzes der Art, der unterm 25. Jul. des vorigen Jahres erschien, auf Veranlassung des französischen Hofes aufhören musste, haben zu jenem Irrtum, jener mangelhaften Vorstellung nicht wenig beigetragen. Ich glaube daher, dass diese kleine Sammlung nicht besser, als gerade durch eine richtigere Schilderung des russischen Soldaten eingeleitet werden kann. Sie wird uns auf die einfachste Art Veranlassung geben, so manchen Zug mit einzuweben, der außerdem minder frappant, ganz isoliert da stehen würde.

Keine Nation ist überhaupt mehr zum Kriege geschaffen, als gerade die Russische. Vor 80 Jahren bereits behauptete das der berühmte Algarotti, vor 80 Jahren; zu einer Zeit also, wo Peter der Große eben erst eine russische Armee geschaffen hatte, bei der er nach einander den Tambour, Soldaten, Korporal, Leutnant und so durch alle Grade begleitete! Was soll man jetzt darüber also ein Wort verlieren, um jenen Ausspruch zu rechtfertigen? Wahr ist es, der Grad der Kultur ist bei dem gemeinen Russen nicht so groß, wie bei dem Deutschen, es ist noch lange keine 200 Jahr, da der Russe überhaupt den lächerlichsten Aberglauben hegte. Wie weit er ging, möge die wahre Anekdote vom

          Wundarzt und seinem Skelett in - Moskau

zeigen. Der Gegenstand davon hatte sich kurz vorher zugetragen, ehe Olearius nach Moskau als Hollsteinischer Gesandter dahin kam. Ein Wundarzt hatte ein Skelett an der Wand seines Zimmers hängen. Eines Abends stehen die Fenster auf, er spielt die Laute und singt. Die Wache der Strelitzen macht die Runde und horcht dem Spiele, dem Gesang, aber – sie sieht auch, dass sich das Skelett an der Wand bewegt und kaum ist der erste Schreck vorbei, als sie im Kreml rapportiert: der Deutsche Doktor mache Musik und lasse die Toten darnach tanzen. Man schickt eine neue Patrouille; Sie sieht und hört dasselbe. Dass die Zugluft die leicht zusammengefügten Knochen bewege, fällt weder ihr noch ihren Kammeraden ein. Wohl aber muss der Wundarzt ein Zauberer sein, sein Skelett jenseits des Moskwaflusses verbrennt sehn und Gott danken, mit bloßer Verweisung davon zu kommen.

Ist auch der gemeine Russe jetzt minder abergläubisch, so fehlt doch noch viel daran, dass er nicht manches glauben sollte, was den übrigen Europäern, selbst in den niedrigsten Ständen, lächerlich vorkommt, und insofern ist er allerdings auch, wie es scheinen möchte, minder für einen Stand geschickt, wo der Verstand, die Intelligenz seit 20 Jahren so eine wichtige Rolle spielt, nachdem die vortrefflichsten Heere nur darum geschlagen wurden, weil man den gemeinen Soldaten bloß für eine Maschine nahm, die ohne Kopf, ohne Willen, nur dem Impuls, dem Befehl des eigentlichen Obern gehorchen wollte. - - - Aber gerade in diesem Punkt sehn wir nun einen allerdings scheinbaren Widerspruch. Der nämliche gemeine Russe, der Bedenken trägt, am Fastentage Fleisch zu essen, der weder lesen, noch schreiben kann, der hinter dem Pflug herging, ohne viel mehr, als sein Zugtier von dem, was in der Welt vorging zu wissen, hat einen natürlichen Mutterwitz, eine Biegsamkeit, sich, wird er zum Regiment geschickt, in die neue Lebensweise zu werfen, die in Erstaunen setzt. Peter der Große schuf, dem Tapfersten aller seiner Zeitgenossen Karl XII. gegenüber, ein Heer, das am Ende die Schweden aufs Haupt schlug, wie hätte es seinen Nachfolgerinnen, seinem jetzigen Urenkel schwer werden können, dies Heer mit neuen Truppen zu ergänzen? Die Zeitungen und deren Nachbeter spotteten der Landwehr, die in Reih und Glied in den Schlachten bei Borodino, bei Mosaisk eintraten, als ob sie geringeren Wert hätten, denn die neuen Cohorten Frankreichs,als ob sich nicht die eigne Bildsamkeit des Russen zum Soldaten eben darin zeigte, dass diese Truppen schon jetzt, unter den Kosaken namentlich, gleich den ältesten, ihr Pferd zu tummeln, ihre Lanze zu führen, ihren Säbel zu schwingen verstehen! Der Russe putzt und schniegelt gern an sich herum. Er hat das, was Gefallsucht heißen kann, im hohen Grade. Darum schickt er sich, vom Pflug weggenommen, gern in den neuen Staat, in die Uniform. Er weint, wenn er zum Regiment geht, von Vater und Mutter Abschied nimmt, aber er weint späterhin noch mehr, wenn er es wegen Alter oder Wunden verlassen muss. Ehrgeiz, dem gemeinen Menschen sonst selten bekannt, ist ihm nichts weniger als Fremd. Die Medaille, die ihn nach einer Schlacht schmückt, wo Alexanders Bildnis darauf steht, würde er um keinen Preis hingeben.

Unter allen Soldaten sieht, oben mitgeteilten Gründen zufolge, der russische daher am vortrefflichsten aus. Die Donischen Kosaken, z. B., die russischen Ulanen, die russischen Husaren, ich wüsste nicht, welches Militär ihnen in guter Haltung, Schönheit, den Preis streitig machen könnte! Man sehe nur den russischen Infanteristen. Wie einfach ist der Schnitt seiner Uniform, wie herrlich sticht der grüne Rock gegen die roten Aufschläge ab. Wie sicher, schreitet er in seinen Stiefeln einher!

Die russische Armee hat stets Stiefeln getragen, mit Ausnahme der kurzen Zeit, wo Peter III. das damalige steife Montierungssystem der Preußen annahm. Stiefeln ist die Nationalfußbekleidung in seit ewigen Zeiten. Nirgends wurden Stiefeln von jeher so gut gemacht, so schön, so bequem, als dorten. Niemand wusste das besser, als Peter der Große. Die Anekdote des Freimütigen

                    Groß im Kleinen.

beweißt dies am besten. *)

*) August vorigen Jahres.

Peter war Feldherr, Krieger, Staatsmann, wie es zu einer Zeit kein europäischer Monarch war. Er hatte die wichtigsten Angelegenheiten täglich in so großer Menge zu besorgen, dass er gewiss bei Versäumnis der minder wichtigen die triftigste Entschuldigung auf seiner Seite gehabt hätte. Allein mit seinem Willen wurde nichts übersehen, seinen Augen entgingen selbst Kleinigkeiten nicht. Als er nach Finnland einrückte, sah er, dass das Schuhwerk der dortigen Bauern ganz erbärmlich gearbeitet war, dass sie sich dadurch häufige Krankheiten zugezogen, und auch viel, viel zu unwissend waren, es fester zu machen. Kaum hatte er es bemerkt, als er in Novogorod und Kasan, wo die besten Schuhmacher Russlands sind, sogleich eine Menge derselben in Requisition setzte. Sie mussten solange in Finnland bleiben, bis sie dem dringenden Bedürfnis derselben vor jetzt abgeholfen und für die Zukunft durch Bildung guter Schuhmacher gesorgt hatten.

Der Russe ist so froh, so gutmütig, wie jeder, von einer zu weit getriebenen Kultur nicht verdorbene Mensch. Er singt und spielt und scherzt und lacht und tut in einem Tage des Guten mehr, als mancher in zehn Jahren. Kommt er ins Quartier, so wird er mit den Kindern seines Wirts, fast selbst zum Kinde. Da

                    die Russen in Leipzig

einrückten, so sah man nichts gewöhnlicheres, als dass die bärtigen Kosaken die Kinder auf ihre Pferde setzten, sie herzten, küssten, von einem Arm auf den andern gehen ließen, sie mit ihrem Sauerkraut halbtot fütterten. Ein Mädchen von 12 Jahren floh vor dem bei ihren Eltern einquartierten bärtigen Offizier, - wäre sie 16 Jahr alt gewesen, würde sie wohl minder Furcht gehabt haben. – „O,“ lief er ihr nach und bat und flehte sie um Verzeihung. „Russ ist gut, nix tut, nix tut!“

Der russische Soldat hat wenig Bedürfnisse. Brot, Grütze, Sauerkraut, Hering, Zwiebel, Knoblauch, Öl, kann allenfalls das ganze Jahr, nebst einem Glase Branntwein seinem Magen genügen. Geht es nicht anders, so fastet er auch wohl, Suwarow liebte gar sehr

                          die Fasttage.

Wenn der Magazinvorsteher rapportierte, dass es bald Mühe kosten werde, die Truppen zu unterhalten, so ließ er sogleich alle Wochen einen Fasttag zu Ehren dieses oder jenes Heiligen anzeigen. Er gewann damit an Zeit und ersparte an Vorräten.

Zum Kriege passt der Russe auch darum vortrefflich, weil er der Unerschrockenste, der Gehorsamste ist, weil er eher stirbt, als seinen Posten verlässt, und sich bei gefährlichen Lagen durch seinen natürlichen Mutterwitz leicht heraus zu helfen weiß.

Mit seinem Hurrahgeschrei fliegt der Kosak auf den Feind los, mag er stehen, wo er will, so zahlreich sein wie er will. Eine hierhergehörige Anekdote wird die Keckheit, den Mut der russischen Krieger am besten, schildern.

Als die Russen in Leipzig einzogen, baten sich vier Kosaken die Erlaubnis aus, nach – reuten und ihrer – die Hand küssen zu dürfen. Der Kommandant widerriet es ihnen; er sagte ihnen, wie sie nicht vor Feinden dort sicher wären. Doch sie ließen nicht nach, machten den Ritt von 11 Meilen glücklich hin und brachten noch einen feindlichen Kurier, der ihnen unterwegs begegnet war, mit seinem Wagen, Geschirr, seinen Depeschen als Gefangenen ein.

Ein einziger Kosak ritt mutig bis einige Meilen vor Magdeburg und erhielt vom Chef eine Handvoll Dukaten zum Lohn für seine Kühnheit.

Auch eine Anekdote davon,

          Wie der Russe alles tut, was ihm befohlen wird.

Im Türkenkriege springen häufig einzelne Spahis heran und necken die Vorposten, fordern sie zum Kampf heraus, fliehen, wenn sie sich von überlegener Kraft angegriffen sehen oder hauen die nieder, die ihnen nicht gewachsen sind. Ihre herrlichen Pferde bürgen für die Flucht, ihre scharfen Damaszener für das Niedersäbeln. Im letzten eben beendigten Türkenkriege neckte denn auch ein Spahi die Vorposten. Manchen hatte er schon niedergesäbelt, der es mit ihm aufgenommen hatte. Jetzt tummelte er sich mit seinem Pferd wieder herum.

„Kosak!“ rief der Kommandant einem auf seinem Pferde huckenden Krieger dieses Volks zu.
Der Kosak sprengte heran.
„Du reitest auf den Spahi zu.“
„Gut!“
„Du bringst mir seinen Kopf!“
„Gut!“
„Aber gleich!“
„Gleich!“

Und im Nu sprang er auf den Spahi hin und tummelte sich mit ihm herum, und so verächtlich der herrlich berittene Türke auch immer auf den schlecht berittenen Kosaken herabsah, so parierte dieser doch jeden Hieb so kräftig aus und wusste die seinigen so treffend zu führen, dass der Spahi mit abgehauener Nase gern Reißaus nehmen wollte. Aber damit war noch nicht genug getan. Er sollte ja den Kopf des Spahis mitbringen, und nun setzte er ihm solange nach, bis die Lanze dem Türken das Garaus gemacht hatte, der Kopf ohne weiteres abgeschnitten und zum Kommandanten gebracht werden konnte. Er bekam hier 10 Dukaten.

Zar Peter der Grosse

Zar Peter der Grosse

Abchasen - kaukasisches Bergvolk

Abchasen - kaukasisches Bergvolk

Baumposten der Kosaken in Ostpreußen

Baumposten der Kosaken in Ostpreußen

Kosaken beim Beutemachen 1913

Kosaken beim Beutemachen 1913

Tarantaß - Russlands Postkutsche

Tarantaß - Russlands Postkutsche

Garde Tscherkesse

Garde Tscherkesse

Kaukasier mit Frau

Kaukasier mit Frau

Kaukasische Garden

Kaukasische Garden

Kosaken beim Flussübergang

Kosaken beim Flussübergang

Kosaken-Überfall auf ein Dorf

Kosaken-Überfall auf ein Dorf

Kosaken-Patroille

Kosaken-Patroille

Kosaken und Tscherkessen

Kosaken und Tscherkessen

Kosakenangriff

Kosakenangriff

Kosaken-Regiment beim Angriff

Kosaken-Regiment beim Angriff

Kuban Kosaken

Kuban Kosaken

Mingerelier

Mingerelier

Plünderer

Plünderer

Plündernde Kosaken

Plündernde Kosaken

Quartienahme

Quartienahme

Russenlager bei Tilsit

Russenlager bei Tilsit

Raubzug

Raubzug

Tscherkesse

Tscherkesse

Tschetschenze

Tschetschenze

Verfolgung von Kosaken

Verfolgung von Kosaken

Kosaken

Kosaken