Danzig, die Hanse und Skandinavien

Der skandinavische Norden befand sich in den Zeiten Weinreichs noch vollständig in den Banden der hanseatischen Handelspolitik. Bei schwacher Teilnahme der Eingeborenen und Außenhansen versah der deutsche Kaufmann fast ausschließlich die Märkte aller drei Reiche im Groß- und Einzelhandel mit den Erzeugnissen der Fremde; während er in Dänemark als Gast sein gewinnreiches Gewerbe betrieb, in den Handelsstädten Schwedens aber als ansässiger Bürger einen Hauptteil der städtischen Bevölkerung selbst bildete, hielt er in Norwegen nötigenfalls auch mit Gewalt der Waffen von der Faktorei in Bergen aus, aus welcher die hanseatischen Kolonisten eine kleine selbständige Republik gestaltet hatten, die Neigungen der Eingeborenen in harten Fesseln. Auch die Danziger Kaufleute zogen aus diesen Verhältnissen ansehnliche Vorteile. Wie schon die Hafengeldrechnungen der Jahre 1474- 1476 ersehen lassen, standen jene mit allen bedeutenderen Handelsstädten Schwedens, von Abo und den finnischen Scären über Süderkoping bis nach Kalmar hinunter, am meisten mit Stockholm und Gothland, in Verbindung; in Dänemark beteiligten sie sich vornehmlich in den den Preußen zugehörigen Vitten (Fischerlagern) bei Falsterbo und auf der Insel Amack an dem Fange und der Zubereitung der Heringe; im norwegischen Reiche endlich ging 1479 der Danziger Kaufmann Ludwig Wispendorf seinen Landsleuten mit dem Beispiele voran, ohne auf das dem Kontor zu Bergen darauf zustehende Monopol zu achten, unmittelbaren Verkehr mit Island anzuknüpfen, und unsere Chronik lehrt, dass er 1486 noch fortgesetzt ward. Wie anlockend dieser Handel auch sein mochte, so konnte die Stadt doch nur hoffen, durch eine sehr umsichtige Politik die Ihren vor den schweren Gefahren, die sie hier bedrohten, zu bewahren.

Wenn nämlich in den Skandinaviern die Neigung zum gewerblichen Leben noch nicht erwacht war, so waren sie dagegen noch ganz wie in der heidnischen Zeit von der Lust am Wikinger-Treiben erfüllt; zum Seeraube neigten sich alle Klassen der Bevölkerung teils aus innerem Triebe, teils aus Not. Zunächst die Fürsten. Die Könige des oldenburgischen Hauses, die seit 1449 über diese Reiche regierten, namentlich die beiden ersten, Christian I.. (1449-1481) und Johann I. (1481-1512), erkannten gar wohl das Schimpfliche ihrer Abhängigkeit von den deutschen Kaufleuten; wir hören in unserer Chronik, wie nachdrücklich Johann I. 1491 die Könige von England und Schottland zur gemeinsamen Abschüttelung dieses Joches aufforderte. Aber sie erkannten zugleich auch ihre Ohnmacht; sie waren arm, hatten spärliche Einkünfte, ihre Güter waren teilweise den Hanseaten verpfändet; kaum blieb ihnen ein anderes Mittel den verhassten Fremden einigen Vorteil abzugewinnen, als die Benutzung ihrer Lage an der See. Da sie während dieser Periode fast fortwährend im Kriegszustande gegen England und Schweden sind, so gibt das ihren Zöllnern und Amtsleuten willkommene Gelegenheit die hanseatischen Schiffe zu durchsuchen und, sobald in ihnen feindliches Eigentum vorgefunden wird, wegzunehmen. Die Freibeuter („Auslieger“), welche sie gegen die Feinde aussenden, nehmen es in der Auswahl ihrer Beute nicht zu genau, und, sobald sie ein hanseatisches Schiff aufgebracht und die Ladung unter sich verteilt haben, ist, auch wenn die Dänen ihren Irrtum eingestehen, an Ersatz selten zu denken. Die Aussicht auf reiche Beute lockte ferner in diese viel befahrenen engen Gewässer die kühnsten und frechsten Seeräuber herbei, welche teils unmittelbar in die Dienste des Königs genommen wurden, teils unter geheimer Begünstigung seiner Amtsleute auf eigne Gefahr ihr Gewerbe betrieben. Unter König Johann I. vornehmlich wird dieses Raubgesindel für die nordischen Kaufleute eine schwere Plage. Einer der gefährlichsten, Dirk Penig, bekleidet 1484 nebenbei auch das Amt eines Vogtes auf Island; Peter Horst, der 1486 bis in die Bucht von Hela eindringt, wird 1487 von seinen eigenen Reedern in Kopenhagen erschlagen; andere, wie Vincenz Stólle, Dove Lutke, Bartold Busch u. a., geben dadurch, dass sie aus Hansastädten stammen, den von ihnen beraubten Außenhansen den Vorwand, von der ganzen Hansa Repressalien zu nehmen. Um 1491 ist die Küste von Holland, namentlich der Hafen von Marstrand und das Schloss Kongself, der Sammelpunkt dieser Räuber; Hinrich Krumdik, königlicher Hauptmann auf Bahnsen, hegt sie hier zu seinem und des Königs Vorteil; treiben’s jene, wie z. B. 1491 die beiden Brüder Honighusen, so arg, dass die Lübecker zur Abwehr Friedensschiffe gegen Dänemark ausrüsten, so lässt König Johann den Räubern ihre Beute abnehmen, gestattet ihnen aber nichts destoweniger in Bahusen günstigere Zeiten abzuwarten.


Die Schwäche der königlichen Macht, die so kläglicher Mittel zu ihrer Erhaltung bedurfte, stammte vornehmlich aus der Allgewalt, welche der Adel damals in allen Reichen der kalmarischen Union ausübte. Schweden hatte sich seit 1470 tatsächlich von dem Unionskönige losgerissen und alle Versuche, dasselbe durch Gewalt oder durch Unterhandlungen wiederzugewinnen, waren, wenigstens bis 1497, völlig fruchtlos; der schwedische Reichsverweser Sten Sture aber, den vornehmlich die Zuneigung der Bürger und Bauern an die Spitze der Regierung gerufen hatte, konnte sich nur dadurch behaupten, dass er den mächtigen Adelsfamilien ihre volle Selbständigkeit ließ. Unter diesen adligen Herren spielten damals die 9 Brüder Axelsson aus der Familie Thott eine gewichtige Rolle. Im Besitze der wichtigsten Küstenlandschaften — Oloff und Erich waren Statthalter von Finnland, Iwar verwaltete Gothland — und über eine starke Seemacht gebietend, die sie zum Handel und Kriege gebrauchten, waren sie um so gefürchteter, da sie als nahe Verwandte des gegenwärtigen Regenten Sten Sture und des verstorbenen Königs Carl Knutson auch im Inneren Schwedens einen mächtigen Anhang hatten. Die Neigung dieser Herren bei der allgemeinen Zerrüttung sich mit gestrandetem oder gekapertem Gute zu bereichern, fand gegen Danzig selbst den Schein einer äußern Berechtigung. König Carl Knutson nämlich hatte während der sieben Jahre (1457-1464), die er als Flüchtling in Danzig zubrachte, dieser Stadt 15.000 Mk. vorgestreckt, für welche ihm das Amt Putzig als Pfandgut übergeben worden war. Da er nun dieses Besitztum im Kampfe mit dem deutschen Orden verlor, die Stadt aber dasselbe später unter schweren Kriegskosten zurückeroberte, so glaubte diese weder zur Zurückgabe des Pfandes noch der Pfandsumme verpflichtet zu sein. Iwar Axelsson aber, Gemahl der Tochter Carl Knutsons, Magdalena, betrachtete sich als den Erben der Ansprüche seines Schwiegervaters und trat mit denselben jedes mal hervor, wenn es galt, seine gegen Danziger verübten Gewalttätigkeiten zu rechtfertigen.

Auch in Dänemark und Norwegen, wo die Unionskönige allgemeine Anerkennung fanden, genoss der Adel durch die Verfassung ein hinlänglich ausgedehntes Maß von Selbständigkeit, um nach dem Vorbilde des Königs, von dem Meere in der weitesten Ausdehnung Gewinn zu ziehen. Die Verwandten des Königs gingen mit dem verderblichsten Beispiel voran. König Christian I. hatte, als ihm 1460 Schleswig und Holstein zu Teil wurden, seinen Brüdern Gerhard und Moritz ihre Ansprüche auf jene Länder mit 400.000 Gulden und einem Drittel von Oldenburg abgekauft. Da er aber nicht im Stande war die versprochene Summe zu bezahlen, so hielten sich jene schadlos, indem sie teils von Zeit zu Zeit das dänische Gebiet plünderten, teils auf der See allen mit Dänemark befreundeten Nationen nachstellten. Bekannt sind hauptsächlich die Raubzüge des „Junker Gert“. Wir erfahren aber aus Weinreich, wie auch der Sohn des Grafen Moritz, J??ob, 1484 an der norwegischen Küste sein Korsaren-Geschäft etablierte und nur sein frühzeitiger Tod die Handelswelt von dieser Gefahr befreite. Als König Johann 1490 mit seinem Bruder Friedrich Schleswig und Holstein teilte, schickte der neue Regent alsbald einen Seehauptmann Hartwich Geist aus und „derselbige nahm, wen er übermochte, er wäre, wo er her wolle“. Wie sehr der übrige Adel an diesem Gewerbe Gefallen fand, zeigt Weinreichs Bericht von der Fehde, welche Axel Oluffs und Frau Margaretha, angeblich um ihren Vater Oluff Nielssen zu rächen, der 1455 in einem Aufstand der Deutschen in Bergen erschlagen worden war, 1488 gegen die gesamte Hansa eröffneten, in der sie derselben durch ausgeschickte Korsaren so lange beschwerlich fielen, bis sie 1491 durch eine Geldzahlung befriedigt wurden.

Genötigt auf die Abwehr dieser so mannichfaltigen Übel zu sinnen, schlugen die Hanseaten verschiedene Wege ein. Lübeck und die mit ihm enger verbundenen Städte betrachteten die königliche Macht in Skandinavien als die ihren Interessen gefährlichste und gingen darauf aus, sie teils durch Unterstützung des widerspenstigen Adels, teils durch unmittelbaren Angriff zu schwächen. Als König Johann I. bei seinem Regierungsantritt (1481) die Bestätigung der hanseatischen Privilegien hinausschiebt und wenig geneigt ist den Korsaren seinen Schutz zu entziehen, dringt Lübeck sogleich auf Krieg, schließt mit den Schweden engere Verbindung, gebraucht schon 1488 gegen Dänemark Repressalien und beharrt seitdem in feindlicher Stellung gegen dasselbe. Danzig dagegen, teils aus Rücksicht auf den mit dem dänischen Königshause befreundeten König von Polen, vornehmlich aber aus Besorgnis vor den feindlichen Drohungen Iwar Axelsz, kam den öfters seiner Hilfe bedürftigen dänischen Herrschern bereitwillig entgegen und rechnete um dieser ihnen gewährten Vorteile willen auf besondere Berücksichtigung seiner Interessen. Schon als Christian I. 1471 bei seinem Versuche Schweden wiederzugewinnen durch die Niederlage auf dem Brunkeberge zur Flucht auf seine Flotte genötigt wird, sucht ein Teil dieser Schiffe im Danziger Hafen Zuflucht, fand hier aber anfangs mancherlei Anfechtung, da hanseatische Kaufleute nicht nur mehrere Schiffe, sondern auch viele unter den in ihnen befindlichen Gütern als ihr durch Kaper geraubtes Eigentum in Anspruch nahmen; aber die Danziger Regierung ließ den Dänen ihren Schutz angedeihen, betrieb die Ausbesserung und Ausrüstung ihrer Flotte, wofür König Christian nach glücklich zurückgelegter Rückfahrt derselben (Frühjahr 1472) der Stadt seine dankbare Gesinnung durch Wort und Tat zu erkennen gab. Auch unter König Johann I. wurde diese Friedenspolitik den kriegerischen Gelüsten Lübecks gegenüber beharrlich und mit dem besten Erfolge fortgesetzt. Es konnte freilich der Stadt nichts Erwünschteres begegnen, als dass Ywar Axelsz 1485 sich mit seinem bisherigen Freunde Sten Sture entzweite und ein Krieg in Schweden ausbrach, in dessen Verfolge Ywar seine Insel Gothland an den König von Dänemark abtrat und sich in den Privatstand zurückzog. Von der Furcht vor diesem Gegner befreit, enthielt sich die Danziger Regierung darauf jeder Einmischung in die zwischen Lübeck und Dänemark ausgebrochene Fehde, so wie sie in den Kämpfen Dänemarks gegen Schweden ihren Kaufleuten den unmittelbaren Verkehr mit Schweden untersagte, und genoss daraus den Vorteil, dass König Johann, wie der Schriftwechsel zeigt, gegen die Wünsche und Vorstellungen Danzigs bei allen eintretenden Handelsstörungen sich nachgiebig und gefällig erwies. —
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Caspar Weinreichs Danziger Chronik - Einführung