Vorwort.

Nachfolgende Blätter sollen hauptsächlich dazu dienen, in kurzen Umrissen eine Uebersicht von einem Lande zu geben, das in den letzten acht bis zehn Jahren die außerordentlichsten Fortschritte gemacht hat, und dessen Aufschwung (durch Beseitigung aller frühern Hemmnisse) noch von sehr Wenigen gekannt, und in den neuesten goographischen Werken entweder noch gar nicht, oder doch nur höchst mangelhaft geschildert und angedeutet ist.

Von den blühenden Städten: Toronto, Hamilton, London, Ottawa, Bell Ewart etc., von den neuen, großartigen Schienenwegen und prachtvollen Eisenbahnbrücken, von dem lebhaften Dampfschiff-Verkehr auf dem St. Lorenzo und den Seen, und von dem reich angebauten Kornlande zwischen dem Erie- und dem Huron-See, wußte man bisher so viel wie nichts. Erst durch die zwei großen industriellen Weltausstellungen in London und Paris (1851-1855), wohin auch Canada Proben seiner Bodenerzeugnisse schickte und besonders durch das neueste Werk von Kohl (Reisen in Canada. Stuttgart 1856), mehr aber noch durch das so eben erschienene Adreßbuch und topographische Lexicon von Canada, „Directory of Canada for 1857-1858, corrected up to November 1857, with a Map. Montreal (1858)“ wurde man auf dieses Land aufmerksam, und überzeugte sich, daß es etwas mehr, als blos Bauholz, daß es auch, und in noch grösserer Menge,* vortrefflichen Weizen und andere Produkte liefert, und in ganz Kurzem in volkswirthschaftlicher Hinsicht einen Rang einnehmen wird, von dem man sich bis jetzt in Deutschland (und selbst in England) nichts träumen lässt. Auch Steinkohlen, Eisen, Kupfer und andere Mineralien ruhen noch in seinem Schoße, und warten nur auf den Fleiß und Verstand der Bewohner, sie auszubeuten.


Das Werk von Kohl zeichnet sich durch die scharfe Beobachtung und klare Darstellung des berühmten Reisenden aus, der das Gesehene und Erlebte auf das Getreueste wiedergibt, überhaupt Land und Menschen auf das Anschaulichste schildert, nur zuweilen etwas allzu umständlich in der Erzählung von Gesprächen und Unterhaltungen, die er mit den Bewohnern des Landes gehabt. Auch ist zu bedauern, daß Kohl den ausgedehnten Länderstrich des westlichen Canada’s, zwischen Toronto und Detroit, mit seinen reichen Fluren und emporblühenden Städten, nicht besucht hat.

Ganz Canada umfassend und mit zahlreichen statistischen (amtlichen) Angaben versehen, ist das obenerwähnte „Canada-Directory for 1857-1858,“ das auf 1544 enggedruckten Seiten, gr. 8° (Preis 5 Dollars), eine Masse der werthvolsten Mittheilungen, Regierungsverordnungen etc. und zugleich eine ausführliche Karte mit dem Eisenbahnnetze, bis zum Schlosse 1857, enthält. Das neueste und interessanteste aus diesen beiden Werken zur nähern Kenntnis des deutschen und auch des englischen Publikums zu bringen, habe ich mir zur besondern Aufgabe gemacht. Ein anderes in Canada im Jahre 1857 erschienenes kleines Schriftchen von blos 16 Seiten unter dem Titel „Canada, a brief outline of her geograr phical Position, productions, climate, capabilities, educational and municipal institutions etc., published by anthority Toronto, Ganada West 1857,“ ist mehr für Auswanderer geschrieben, enthält aber ebenfalls mehrere schätzbare Notizen, sowie dies auch der Fall ist bei dem zur Zeit der Pariser Industrie-Ausstellung in Paris gedruckten Werkchen: „Esquisse sur Canada, consideré sous le point de vue économiste, par J. C. Taché, membre du Parlament canadien & commissaire du Canada à l’exposition universelle. Paris 1855.“

In Betreff der Eisenbahnen hat wohl kein anderes Land in so kurzer Zeit ähnliches geleistet. Vor 1851 besaß Canada noch keinen einzigen Schienenweg, und im November 1857 waren schon über 1.500 engl. Meilen im Betrieb und über 500 engl. Meilen im Bau.

Welche Energie und Kosten man darauf verwendet, beweist die noch in Errichtung begriffene Victoria-Brücke (eiserne Rohrbrücke) über den breiten St. Lorenzostrom zu Montreal, die nach ihrer Vollendung die Staunenswertheste Brücke in ganz Nordamerika, ja vielleicht in der Welt, werden wird. (S. Brücken.)

Auch der elektrische Telegraph ist bereits in Canada über 3.500 engl. Meilen weit in Thätigkeit, womit nun der zwischen Neufundland und Irland glücklich gelegte unterseeische Telegraph in Verbindung tritt, dessen Wichtigkeit für Canada nicht zu verkennen ist.

Zur regelmäßigen Verbindung und als directe Verkehrslinie zwischen England und Canada, dienen vier eiserne Dampfer, die im Sommer zwischen Liverpool und Montreal, im Winter zwischen Liverpool und Portland (wohin auch jetzt der neue Riesendampfer Leviathan bestimmt ist) fahren, und zugleich das Brieffelleisen (Mail) befördern.

Mit jedem Jahre erhält Canada frischen Zuwachs seiner Bevölkerung. Die stärkste Zahl der Einwanderer war im Jahr 1847 (nahe an 100,000 Köpfe). Auch für Durchwanderer nach dem fernen Westen der Vereinigten Staaten ist, seit Vollendung der großen Eisenbahn von Quebec bis zum Huron-See, Canada der kürzeste, angenehmste und billigste Weg.

Ueberblickt man alle Vortheile, welche Ca1iada darbietet, so gelangt man zur Ueberzeugung daß dieses Land noch eine große und schöne Zukunft hat.
Frankfurt a. M., im August 1858.
Heinrich Meidinger.