Bruegel

Bekannt für seine Darstellungen des bäuerlichen Lebens
Autor: Pfister, Kurt (1895-1951), Erscheinungsjahr: 1921
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Bruegel, Malerei, bäuerliches Leben, Flandern
Ungefähr alles, was wir vom Leben und Werden des alten Pieter Bruegel wissen, hat Carel van Mander, beiläufig fünfundzwanzig Jahre nach des Meisters Tode, in seinem Malerbuch aufgezeichnet. (Das Dokument ist, seiner historischen und psychologischen Bedeutsamkeit halber, am Ende dieses Buches abgedruckt.)
Nach diesem Bericht wurde der Künstler in einem Dorf Brueghel bei Breda geboren, ging bei Pieter Koeck van Aalst in die Lehre und arbeitete dann bei dem Stichverleger Hieronymus Cock. Reisen nach Frankreich und Italien folgen. Der Alpenübergang wird erregendes Erlebnis. Bruegel kehrt nach Antwerpen zurück, verheiratet sich mit der Tochter des Pieter Koeck und siedelt mit ihr nach Brüssel über. Zwei Söhne überleben den Vater.

Damit ist ungefähr alles Tatsächliche gesagt. Anzumerken sind noch einige Daten. Bruegel wurde zwischen den Jahren 1525 und 1530 geboren; die Italienfahrt fällt ins Jahr 1553. Er stirbt in Brüssel im Jahre 1569 und wird daselbst in Notre Dame de la Chapelle beigesetzt. Die heute noch erhaltene Grabinschrift lautet:

      Petro Breugelio
      Exactissimae Industriae,
      Artis Venustissimae
      Pictori
      Quem Ipsa Rerum Parens Natura Laudet
      Peritissimi Artifices Suspicicant,
      Aemuli Feusta Imitantur.
      Item Mariae Coucke Ejus Conjuge,
      Joannes Breugelius Parentibus Optimis
      Pio Affertu Posuit
      Obiit Ille Anno MDLXIX
      Haec MDLXXVIII
      David Teniers Jue. Ex Haeredibus
      Renovavit A° MDCLXXVI

Die Zusammenstellung des Werkes hat keine besonderen Schwierigkeiten, da es sich zum überwiegenden Teil seit langem in öffentlichem Besitz befindet — fürstliche Liebhaber, zumal Rudolf II., haben schon früh Bruegelsche Bilder gesammelt — , auch deshalb nicht, weil Bruegels Handschrift Fälschungen nicht begünstigt. Schon die Kopien der Söhne unterscheiden sich unschwer. Bastelaer und Georges de Loo haben in ihrem Werk, das die wissenschaftliche Grundlegung der Bruegelforschung bedeutet, das Oeuvre zusammengestellt.1) Das Ergebnis, das seither nur in geringen Einzelheiten sich verschob: über hundert Handzeichnungen; gegen dreihundert Stiche nach Vorlagezeichnungen; vierunddreißig Gemälde, von denen sich sechzehn in Wien befinden. Vieles mag verloren gegangen sein. Schon Carel van Mander, dem gewiss nicht mehr alles zugänglich war, bringt in seiner Aufzählung eine Anzahl Bilder, die wir nicht mehr kennen.

1) Eine weitere für wissenschaftliche Zwecke unentbehrliche Arbeit hat Romdahl im, Jahrbuch des Allerhöchsten Kaiserhauses' (25. Jahrgang) veröffentlicht. Um das künstlerische Problem haben sich Wilhelm Hausenstein und Max Friedländer bemüht, jener von der soziologischen, dieser von der stilästhetischen Seite her.

Bruegels Schaffen setzt, etwa im Jahre 1552, mit Entwürfen für Stiche ein. Da diese Blätter fast ausschließlich die erste Hälfte seines Schaffens, das insgesamt weniger als zwei Jahrzehnte umspannt, erschöpfen, liegt es auf der Hand, dass diese Hervorbringung ein organisches Teil seiner Arbeit bedeutet. Die Feststellung behauptet sich, gleichgültig wie man den schöpferischen Trieb dieser Blätter wertet.

Dass hier nicht der Schwerpunkt des Werkes liegt, bedarf auch heute noch der Bekräftigung. Der Anlass des Entstehens ist nicht ohne Belang. Bruegel mag im Jahre 1551, nach seiner Lehrzeit bei Pieter Koeck, zu dem Verleger Hieronymus Cock gekommen sein, der einige Jahre zuvor in Antwerpen einen Verlag für Herausgabe von Stichen begründet hatte. Für ihn schuf Bruegel zahlreiche Vorlagezeichnungen. Es ist kaum zu bezweifeln — der Vorgang wiederholt sich immer wieder in der Geschichte der Kunst — , dass der geschäftstüchtige Verleger auf die Produktion des jungen Anfängers einen erheblichen Druck ausübte, der sich jedenfalls nicht nur in der Wahl des Themas, sondern wohl auch in der Art der Auffassung äußert. Aus der heroischen Geste einiger frühen landschaftlichen Blätter Bruegels spricht unzweideutig die Wirkung von Stichen, die Cock kurze Zeit zuvor in seinem Verlag hatte erscheinen lassen. Die Inangriffnahme ganzer Zyklen, der Tugenden, der Laster, wird auf Cocks Initiative zurückzuführen sein, der anscheinend einen sicheren Instinkt für das besaß, was Publikum und Zeit forderten.

Was schwerer wiegt — denn schließlich kann auch eine nur halbwegs mögliche Aufgabe den Künstler schöpferisch befruchten — , ist die Frage, inwieweit solche Aufgaben an Interesse und Teilnahme des Künstlers rührten. Davon wird noch zu reden sein. Man darf jedenfalls nicht übersehen, dass hier im Grunde eine durchaus originale Hervorbringung nicht vorliegt. Ganze Kompositionen mögen heute nicht mehr bekannten Arbeiten anderer Meister, die Bruegel auf Cocks Wunsch für den Stich vorbereitete, entnommen sein, jedenfalls einzelne Szenen. Dass Bosch oft buchstäbliches Vorbild war, lässt sich nachweisen. Zahlreiche Arbeiten liegen nur in Stichübertragung vor; und es steht außer Zweifel, der Vergleich mit Entwürfen, soweit solche vorhanden sind, bestätigt es immer wieder, dass bei diesem Übertragungsakt, ob nun der Stecher ein mehr oder weniger geschickter Handwerker war, jegliche feinere Differenzierung, gerade das, was den Reiz künstlerischer Handschrift ausmacht, verloren ging. Aber auch die erhaltenen Vorlagezeichnungen entbehren letzte ursprüngliche Frische und schöpferische Lebendigkeit. Als hätte der Gedanke an die Umformung, die dann später ein anderer vollbringen wird, die Hand des Zeichnenden gelähmt, seine sprudelnde Formphantasie gehemmt, ihn zu trockener, akademischer Linienführung genötigt, damit die Hand des nachfahrend Graphierenden nicht strauchele.

Der Einwand war auszusprechen. Er trifft dennoch nicht das Wesentliche. Es ist nicht möglich, spätmittelalterliche Hervorbringung aus der Gesichtslinie moderner Ästhetik zu werten. Diese Blätter zumal, deren Eigenart in ihrer Aktualität liegt. Jede Zeit wirft Manifeste ihrer sozialen und wirtschaftlichen Tagesmeinung, in irgendwelche Form gebracht, ans Ufer, und es sind das wahrlich nicht ihre gleichgültigsten, wenn auch ihre vergänglichsten Erzeugnisse. Aus der Begeisterung der Stunde heraus geboren, verströmen sie wieder in sie und haben damit ihre Mission erfüllt. Schon dem Enkel erscheinen sie als Kuriosität, da er zu der Gegenständlichkeit, in der ihr Sinn vorzüglich ruhte, keinerlei Verhältnis mehr hat. Ein Jahrhundert vor Bruegel waren es die Armenbibeln gewesen, die in sinnfällig drastischer Darstellung den Volksmassen den Sinn des Daseins deuteten und lösten. Fünfzig Jahre später hatte Dürer in der Geheimen Offenbarung die Ängste der Menschheit hinausgeschrieen. Die Zeit ist nun derber, wirklicher, erdhafter geworden. Und wenn Bruegel zur Menge spricht, bedient er sich nicht mehr oder doch nur sehr selten des biblischen Gleichnisses. In den Zyklen der Laster und Tugenden geißelt er, höchst wirkungsvoller Laienprediger, die Laster der Zeit und mahnt zur Tugend.

In anderen Blättern verspottet er Schule und Heilwissenschaft, in anderen kämpft er gegen die kapitalistischen Tendenzen der Zeit, in anderen ergreift er das Wort zu politischen Tagesfragen.

Immer brennt in diesen Blättern, die mehr Dokumente denn Bekenntnisse sind, die Not der Zeit. Pest und Hunger fällt in die Städte, Krieg und Tod ziehen durch das Land, und die Seele des einzelnen wird von wunderlich zwiespältigen Zweifeln und Begierden gepeinigt.

Die Stiche mögen von Hand zu Hand gegangen sein, wie heute etwa Zeitung und Flugblatt. Zeitgenossen berichten gelegentlich von der Zustimmung, die sie fanden; die übrigens auch durch zahlreiche Wiederholungen und Nachahmungen bezeugt wird.

Es versteht sich von selbst, dass solche Wirkung nicht im stofflichen Anlaß ihren alleinigen Grund hat. Was Bruegels Art, die Dinge wiederzugeben, von der seiner Zeitgenossen unterscheidet und ihm allgemeine Geltung gibt, ist die reich quellende Fülle der phantastischen Erfindung, die schlagende Drastik der Erzählung. Trotz der Menge der Begebenheiten, die das einzelne Blatt aufrollt, wird jedes Geschehnis mit epischer Ruhe und Klarheit ausgebreitet, die Allegorie volkstümlich gedeutet. Manche dieser Blätter, der Esel in der Schule oder der von Affen geplünderte Kaufmann, wachsen in eindrücklichen Einzelformen und in dem stürzenden Fluss der Gesamtbewegung in eine fast monumentale Dimension.

Trotzdem — und damit kehrt der Zweifel an der schließlichen Geltung dieser Arbeiten mit eindringenderer Begründung wieder — erscheint es fraglich, ob solche Erlebnisse, die Diablerien zumal, Bruegel tiefer bewegten. Oder ob er hier nur modischer Strömung, sei es aus eigenem Antrieb oder auf des Verlegers Veranlassung, nachgab. Wie etwa heutige Künstler vielfach der modischen Laune, religiöse Themen zu malen, folgen. Die Frage ist : Sind diese Blätter Dokumente, sachlich berichtende Niederschrift der Zeitstimmung, oder sind sie mehr — notwendige Bekenntnisse des Künstlers? Ein Wort Carel van Manders verdichtet den Verdacht. Er liebte es, wird da erzählt, seine Freunde durch Grusel- und Spukgeschichten zu erschrecken. Bruegel dachte also doch wohl, wenn vielleicht auch nicht ironisch, so doch jedenfalls skeptisch über diese Dinge. Dazu stimmt es durchaus, wenn man sieht, mit welch seelischer Gelassenheit, kühl beobachtender Gleichgültigkeit er im Grunde selbst den grausigsten Höllenszenen und Spukgeschichten gegenübersteht. Welche Verschmitztheit, welche Überlegenheit bei allem Aufwand der Phantasie er dem Stoff gegenüber aufbringt. Welchen Eifer er auf die rationalistische Durchführung der Einzelheiten wendet. Wie fast harmlos Geschichten aussehen, die der unheimliche Bosch mit der angstvoll bohrenden Ergriffenheit seiner Seele und seiner Generation zum Bersten füllte.

Es bleibt dann ein Erlebnis von bestürzender Eindrücklichkeit, zu sehen, wie innig ergriffen Bruegel die Landschaft empfindet. Welch banale Enge kunsttheoretischer Anschauung, die Gleichgültigkeit des Bildthemas behauptet. Sie ist vielleicht in dem Sinn vorhanden, dass an sich in dem Stilleben ebensogut wie in dem Kruzifixus ein Stück Welt verwirklicht werden kann. Wenngleich eine Generation, der die religiöse Darstellung selbstverständliches Gleichnis der Schöpfung bedeutete, auf dem Boden gemeinschaftlicher Kultur stehend, gewiss mit ungleich mehr durchschlagender Kraft, mit gesteigertem Pathos gearbeitet hat als wir, die vereinzelt strebend und kämpfend die beste Kraft schon an die Bemühung um Verständigung von Mensch zu Mensch wenden. Was wichtiger ist, was gerade stofflichen Hinweis rechtfertigt und fordert, ist die Einsicht, dass der Schaffende zumeist auf einen bestimmten gegenständlichen Kreis, sei es Landschaft, sei es Bildnis, unter dem Zwang der Zeit oder der persönlichen Veranlagung mit besonderer Intensität sich einstellt. Der eine dieser Kreise ist für Bruegel die Landschaft; ein zweiter: der Bauer.

Schon eines der frühesten Blättchen, 1553 in Rom entstanden, wo im Hintergrund eines landschaftlichen Prospektes Merkur die Psyche zum Himmel hebt, ist Zeugnis dieser Liebe zur Natur. Durch den panoramatischen Aufbau hindurch wirkt einheitliche Anschauung als bindende Kraft, die den angelnden Fischer, Hütten und Bäume, das Schiff, den Fluss, das Kastell, die Geschichte, die sich ganz unscheinbar in der Ferne begibt, zugleich durchströmt.

In der kleinen Zeichnung einer Hütte der Münchener Graphischen Sammlung ist köstliche Fülle und Weichheit, obschon die Hand nur ganz flüchtig die Umrisse abtastet.

Das Stärkste geben natürlich jene landschaftlichen Eindrücke, die ohne Rücksicht auf irgendwelche technische und kompositionelle Zwecke entstanden sind. Seltsames Erlebnis! Man meint zu fühlen, wie ein Krampf, der die Hand bisher im Bann eines bestimmten Schemas gebannt hielt, sich löst und vermittels des Gefühls, nicht des bewusst formenden Intellektes der optische Eindruck unmittelbar zur Linie gerinnt. Waldige Bergtäler tun sich auf, Bergriesen, Erinnerung an die Alpenfahrt, türmen sich, Ebenen strömen ins Weite, sanft unterbrochen von kuppelig gebogenen Bäumchen, kegligen Kirchtürmen und welligen Hütten. Wolkenmassen ballen sich über der Erde, oder aber in kühler feierlicher Ruhe spannt sich unendlicher Himmel.

Diese Blätter berühren sich mit den frühen landschaftlichen Eingebungen Dürers und den unendlichen Ebenen Rembrandts. Mehr noch: die Landschaftszeichnung des Louvre von 1562, wo der Sonnenball Strahlenbündel von sich schleudert, greift — wunderbares Zeugnis der Einheitlichkeit der Vision im Ablauf eines halben Jahrtausends trotz polarer Verschiedenheit der Temperamente und des Kunstwollens — zum Sämann. van Goghs hin, der zwischen den Ährenfeldern, die Sonnenglut zu brodelndem Fluten schmolz, einherschreitet.

Innerhalb der einzelnen Jahre des Schaffens wird kaum ein Anderswerden fühlbar. Die Linienführung bleibt im Grunde unverändert: zahllose Punkte und Strichlein, die, je nach Ballung oder Lockerung, Wölbung oder flächige Weite verwirklichen. Nur dass im Lauf der Jahre aus der flimmernd bewegten Erscheinung festere Umrisse treten; die Punkte verdichten sich zu kleinen Strichen, die Linien werden bestimmter, breiter und entschiedener begrenzt. Die Entwicklung erscheint seltsam genug, da sie der anderer Künstler, die zur Auflösung der Form streben, zu widerstreiten scheint. Sie geht aber parallel mit psychischer Wandlung: Bruegels Naturanschauung wendet sich langsam aus dem Unbegrenzten, wenn man will, Allgöttlichen ins Erdhafte, Menschliche; vom schweifenden Gefühl zur ruhigen, starken, innigen Bewusstheit des irdischen Daseins.

Nach jahrelanger zeichnerischer Arbeit greift Bruegel ganz unvermittelt, wie es scheint, zum Pinsel.

Wir wissen keinen äußeren Anlass. Vielleicht stürzte über ihn eines Tages mit elementarer Gewalt die Einsicht, dass, was da lebt und ist, die grauweißen winterlichen Dorfdächer, die roten Wämser der Musikanten bei den Hochzeitsschmäusen, der schwangere Himmel der Februartage eine Übertragung in das nüchterne Schwarzweiß des Stiches oder selbst in die brauntonige Zeichnung schwer erträgt. Vielleicht reizte ihn irgendwelches malerisches Erlebnis — in der Welthandelsstadt Antwerpen strömte die Kunst vieler Länder und Städte zusammen. Jedenfalls hat man bei diesen ersten Bildern nicht den Eindruck, dass sie auf Bestellungen zurückgehen; sie entfernen sich auch viel zu sehr von dem üblichen Schema, wie es die Aertsen, Beukelaar, Valkenborch geben.

Das malerische Schaffen setzt kurz vor 1560 mit sittenbildlichen Themen ein. Da sind die Sprichwörterbilder (in Berlin und Brüssel), in denen die Unsinnigkeit des täglichen Tuns in bitterer brutaler Drastik versinnlicht ist.

Der Triumph des Todes, die tolle Margarete: Zeugnisse der Zeitnöte, Dokumente der entsetzlichen Heimsuchung des unglücklichen flamischen Landes durch Krieg, Hunger, Tod und Pest. Und als metaphysisches Gegenstück der Brüsseler Engelsturz: Ausbruch chaotischer Seelenängste, die Bruegel mit Skepsis und Wollust zugleich einatmet.

Der Kampf des Faschings mit der Fastenzeit: ein erster, noch fast harmloser Versuch, den furchtbaren Zwiespalt von Welt und Kirche, Jenseits und Diesseits, im ironischen Gleichnis des Fastnachtstreibens zu bewältigen.

Die Kinderspiele: liebliche Idylle, heitere Naivität kindlichen Seins unvergleichlich spiegelnd.

Wiederum ein satirisches Dokument zur Zeitgeschichte: das Kopenhagener Bild, wo die beiden abgemagerten Gesichter in die fettgepolsterte Mönchsbacke einbeißen.

Es folgen biblische Szenen. Man kann keinesfalls von religiösen Bildern Bruegels reden. Die anderen vor ihm, von Eyck an bis auf Bosch, hatten hierarchische feierliche Melodien angestimmt. Noch Bosch wurde durch Höllenängste zum Dogma gedrängt. Was Bruegel an den alten Geschichten anzieht, ist der epische, der legendäre Ton. Was ihn daneben reizt, ist die Möglichkeit, durch das Privileg des frommen Themas geschützt, zeitgenössisches Kolorit von Zensur und Inquisition unbehindert aufzutragen. Wenn er den Zug der Kreuztragung in gewaltiger elliptischer Kurve aufrollt, so ist es der Zug eines unglücklichen Delinquenten zur Hinrichtung. Die kaiserliche Fahne an der Spitze, spanische Reiterei, der Henkerskarren. Gewiß: in der Mitte des Zuges schleppt ein Mann ein Kreuz; aber dies ist nur Geschehen, wie sich anderes auch sonst ereignet: Simon von Cyrene wird durch Soldaten gewaltsam von seinem Weib gerissen, Kinder gehen ihren Spielen nach, Neugierige gaffen, Vögel flattern, und die Landschaft dehnt sich grenzenlos. (Fremdartig wirkt in dem Bild — vorn rechts— die pathetische Klage der Maria und ihrer Frauen; kein Zweifel, dass Bruegel diese Szene einem älteren Meister, vielleicht Bosch, entlehnt hat.)

Oder der Turmbau von Babel, wo das ungeheuerliche phantastische Bauwerk die Bildgrenzen zu sprengen droht. Welch heidnische Eingebung im Jahrhundert fanatischer Orthodoxie: wahrhaftig nicht das ist es, dass Gott die Sprache der Baumeister verwirren muss, damit ihr Werk nicht in den Himmel wachse; vielmehr die Idee solchen Werkes ist zu gigantisch, als dass Menschenhände es vollenden könnten. Hier ist Thema: nicht (wie in der Bibel) Gottes Machtspruch, vielmehr die Tragik des menschlichen Wollens, dem wohl ein Ziel, aber keine Vollendung gegeben ist.

Die Volkszählung (in Brüssel) und der Kindermord (in Wien) werden Anlass des Bekenntnisses zur heimatlichen Erde. Die Geschehnisse haben sich zur Winterszeit ereignet; was lag näher, zumal einer Generation, die anfing, rationalistisch zu grübeln, als sie in die winterliche Landschaft eines brabantischen Dorfes einzubetten. Es kommt ein anderes hinzu: auch das Geschehen ist von erschütternder Aktualität. (Ein Kindermord mit vielen der Wirklichkeit entnommenen Szenen, sagt gelassen Carel van Mander in seiner Aufzählung der Bruegelschen Bilder.) Wie oft mag es in jenen Tagen erbitterter Religionsverfolgung sich ereignet haben, dass entmenschte Soldateska nächtlicherweile in ein stilles Dorf eindrang, brandschatzte und mordete. Hier geschieht das Ungeheuerliche vor deinen Augen und scheint doch fern wie alte Legende: Menschengewimmel, die wilden Mordszenen vorne und dahinter stille schneebedeckte Dorfdächer und ein fahler nächtlicher Himmel.

Der Kreis der Bauernbilder — Bauernhochzeit, Bauerntanz, Vogeldieb, tanzender Bauer — bleibt wohl Bruegels persönlichstes Bekenntnis. Auch die Zeitgenossen haben das empfunden. Man höre Carel van Mander: „Es machte Bruegel großes Vergnügen, die Art der Bauern im Essen, Trinken, Tanzen, Springen, Freien und anderen spaßhaften Dingen zu beobachten, lauter Momente, die er sehr hübsch und komisch mit der Farbe wiederzugeben verstand, und zwar sowohl mit Wasser wie mit Ölfarbe. Denn mit beiden wusste er sehr gut umzugehen.“ In seinem innersten Wesen mag sich der Meister bäuerlicher Art blutsverwandt gefühlt haben. Der Vater war sicher Bauer. Man glaubt es gern, wenn erzählt wird, Bruegel sei mit seinem Freund und Gönner Hans Franckert oft über Land gegangen, wenn Kirmes war oder eine Hochzeit stattfand. „Sie kamen dann in Bauerntracht verkleidet und brachten Geschenke wie die andern auch, unter dem Vorgeben, sie gehörten zur Verwandtschaft der Braut oder des Bräutigams.“ Zahlreiche Studien nach Bauern (naer het leven — nach dem Leben, pflegte er hinzuzuschreiben) bestätigen die Überlieferung. Von diesen Bauernbildern wird noch zu reden sein. Bezeichnend ist übrigens die Einstellung der Zeitgenossen. Spaßhaft, hübsch, komisch lauten die Attribute des Biographen. (Drollig, sagt der moderne Beschauer, wenn er vor den Bildern im Wiener Hofmuseum steht.)

In den letzten Jahren des Lebens ist Bruegel zur reinen Landschaft gekommen. Es ist, als löschte kühler Regen die geschwängerte Atmosphäre. Als löste sich ungeheuerliche Spannung, entsetzlicher Krampf in wohltätiger Entladung. Breit und feierlich strömt die Pastorale.

Februar: dunkle graugrüne Atmosphäre. Fahles Zwielicht. Aber schon steigen die Säfte aus der Wurzel zur Krone.

Sommer: klarer, sonniger Tag. Alles quillt über in Fruchtbarkeit. Die Bauern ziehen zur Ernte. Einer schleift die Sense. Andere beladen den Heuwagen. Alles ist Sonne und Fülle.

Herbst: gelbgrünes Land von schweren dunklen Wolken belastet. Die Ernte ist vorüber. Die Bauern treiben das Vieh nach Hause. Das Laub fällt von den Bäumen. Bald wird Winter sein.

Winter: unterm fahlgrünen Himmel dehnt sich schneebedecktes Land. Felder, Seen, Wald, Häuser. Vorn die Jäger, die mit den Hunden zur Jagd ziehen. Ein rotes Feuerchen, an dem sich einige wärmen. Unten die Schlittschuhläufer inmitten der Felder und Dörfer.

Nicht Zeit, nicht Ort hängt mehr an diesen Dingen. Alles ist malerische Fläche geworden, auch das erzählende Beiwerk. Dies ist nicht Sommerlandschaft und Winterbild. Vielmehr: Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Kreis der Jahreszeiten wird Hymnus der Schöpfung.

Es ist doch wohl so, dass die Arbeit des Schaffenden mit zwangsläufiger Notwendigkeit geschieht. Ihm selber mag es oftmals scheinen, als strauchle er und irre vom Weg ab. Aber könnte er, zur Vollendung gelangt, den gegangenen Weg überschauen, würde ihm vielleicht bange werden angesichts der nachtwandlerischen Sicherheit, mit der er voranschritt.

Dies gilt nicht nur für den seelischen Antrieb, sondern in gleichem Maß auch für die formalen Entscheidungen.

Bezeichnend ist der Ausgangspunkt Bruegels, wie er durch die frühen Gemälde, die Kinderspiele, das Berliner Sprichwörterbild, den Triumph des Todes, Kampf zwischen Fasching und Fasten festgelegt ist. Aus dem erzählenden Vielerlei , dem epischen Nebeneinander, spricht deutlich der graphische Charakter. Ein Bild wie die Kinderspiele steht in Aufbau und Gliederung den Tugenddarstellungen der Stiche nicht fern.

Man kann natürlich nicht sagen, diese frühen Stücke seien Kunstgewerbe. Dazu lebt in ihnen, in Einzelheit und Gesamtbau, zuviel malerische Spannung. Trotzdem: das gleichheitliche Vielerlei kann bisweilen als Ornament, als Gobelin, als kolorierter Bilderbogen erscheinen.

Die Tendenz geht auf rhythmische Gliederung der Massen und farbige Vereinfachung der Fläche. Zunächst wird für die auseinanderstrebenden Dinge ein Schwerpunkt geschaffen, der sie festigt. In dem Babelturmbild ist es die schwerfällige Masse des Turmes. In dem Sturz des Paulus die Ballung der Menschen, inmitten derer der Fall geschieht. Im Kindermord die Häusergruppen, die gepanzerte Schar im Hintergrund.

Dabei bleibt es nicht. Das Gewimmel der Menschen schichtet sich in wenige starke Akzente. Sei es ein einzelner, der die Tafel beherrscht, wie die Figur des aus der Welt sich zurückziehenden Einsiedlers, des Vogeldiebes, des vor dem Wolf fliehenden Hirten, des tanzenden Bauern. Oder aber Gruppen weniger Menschen, einige Paare in rhythmischer Bewegung: Schlaraffenland, Blindenbild, Bauernhochzeit, Bauerntanz.

Daneben läuft die Entwicklung vom farbigen Vielerlei zu malerischer Bindung. Den Ausgangspunkt bildet wieder das bunte Mosaik der Kinderspiele. Am Ende steht die einheitliche Strömung der großen Landschaften der Jahreszeiten. Den Schritt zur völligen Auflösung des Umrisses hat Bruegel freilich nicht getan. Er blieb einer folgenden Generation, der Generation Brouwers, vorbehalten.

ES sind diese drei in den letzten Jahren des Lebens entstandenen Bilder, in denen die vielfältig strömenden Kräfte und Triebe Bruegels verschmelzen: Die Blinden; Der Sturz des Ikarus; Die Elster auf dem Galgen.

Jähe Klage erfüllt die friedliche Landschaft. Am Rand des stillen Dorfes mit dem kegligen Kirchturm geschieht das Entsetzliche. Schon ist der vorderste der Blinden hinabgestürzt, und in kurzem wird gleiches Schicksal die Gefährten treffen. Alle fasst bleiche Angst vor dem Furchtbaren, was da kommen wird; nur wissen sie nicht, was es ist. Aber es nützt auch nicht, dagegen anzukämpfen: mit schonungsloser Gewalt wird es jeden überwältigen. Wie Fleisch und Blut gewordenes Schicksal stürzt die Diagonale der Gestalten quer durch das Bild.

Hier ist Thema die unerbittliche Tragik des menschlichen Daseins. Und wahrlich: kein Drama der Antike, nicht der kolonische Ödipus, nicht der Mythos vom Prometheus haben sie eindringlicher gestaltet. Anders gefügt, und doch im Grunde in einem gleichen pessimistischen Weltgefühl wurzelnd, jene Tafel, auf der sich das Schicksal des kühnen Ikarus in kaum beachteter Gleichgültigkeit erfüllt. (Trotz technischer Bedenken soll unbedingt an der Echtheit des Bildes festgehalten werden.) Da ist ein pflügender Bauer, ein Hirt mit Schafen, Schiffe, Meer, Felsen. Und irgendwo vorne im Meer, kaum sichtbar, in weißer Fleck. Gebein eines Sinkenden. Wie winzig, kaum kenntlich ist die Tragödie, die hier zu Ende geht. Wirbelndes Atom im Ungeheuern Kreisschwung der Sphären. Dann — die Elster auf dem Galgen — ist alles frei und weit und still geworden. Es dehnt sich unendliches Land. Felder, Bäume und Häuser, Flüsse mit Schiffen. Felsen. Tief unten im Grunde Mühle und Rad. Drüben am Fuß der Feste das Dorf mit Kirche und Häusern, Im Mittelgrund Gottesacker und Galgen. Und benachbart im Walde die lustige Bauerngesellschaft, von der sich einige in ungeschlachtem Tanzrhythmus drehen.

Andere mögen ohne Bitterkeit, mit bejahendem Herzen und starkem Vertrauen das Leben empfinden und gestalten. Nicht so Bruegel. Wenn er lebte, wenn er schuf, so geschah es nicht ohne Zwiespalt und mannigfache Belastung.

Sein Name bedeutet Schnittpunkt vieler Kreuzungen. Bedeutet Wende der Zeiten. Dieser Mann wird nicht vom starken Strom selbstverständlicher Entwicklungen getragen. Er steht vereinzelt, zögernd am Scheideweg, derweilen die Geburtswehen neuer Zeit unter furchtbaren Krämpfen geschehen.

Dies ist Wende vom Mittelalter zu neuer Zeit. Und das Gleichnis ist wahrlich nicht niedrig gegriffen, wenn man es in der religiösen Bewegung versinnlicht sieht.

Mittelalter: die durch die katholische Kirche verbürgte Gemeinschaft. Neuzeit: Verselbständigung und Vereinzelung des Individuums.

Die Jahre, in denen Bruegel schuf, bedeuten für die spanischen Niederlande Grundlegung und Durchstoß neuer Idee. Erbitterter Kampf entbrennt nicht weniger um die Erhaltung der spanischen Herrschaft wie um den alten Glauben. Granvella regiert. Alba, der Diktator, kommt. Allenthalben predigten trotz schärfster Verbote und blutiger Unterdrückung die Verkündiger der neuen Lehre. Philipps IL Religionsplakate wurden mit den Mitteln der Inquisition rücksichtslos durchgeführt. Antwerpen, wo Bruegel lange Jahre lebte, stand im Mittelpunkt der neuen Bewegung. Hier lebten (nach Granvellas Meinung) mehr Ketzer als in Genf. Ein Bericht besagt, dass sich hier oft mehr als 15.000 Menschen zu kalvinistischen Predigten zusammenfanden. Hier konnte nicht einmal Margaretas, der Statthalterin, Verordnung gegen die Predigt der Neuerer verkündigt werden. Hier brach mit tobender Gewalt der Bildersturm los. Hier organisierte sich der Widerstand der kalvinistischen Konsistorien gegen den spanischen Glaubenszwang.

Wie Bruegel im Herzen zu der neuen Bewegung stand, wissen wir nicht. Er war zu vorsichtig, um sich eindeutig festzulegen. Er hat kein Bild im Geist des mittelalterlichen Glaubens geschaffen. (Die Gruppe der klagenden Frauen auf der Wiener Kreuztragung und die Wiener Anbetung der Könige weichen so gänzlich von seiner Art, die Dinge zu sehen und zu formen, ab, dass man mit Recht die Übernahme eines fremden Kompositionsschemas angenommen hat.) Eine Erklärung gibt vielleicht die Bemerkung Carel van Manders, der erzählt, Bruegel habe eine Menge fein und sauber gezeichneter, mit Inschriften versehener Satiren, die zum Teil allzu bissig und spottgetränkt waren, als er todkrank darniederlag, von seiner Frau verbrennen lassen; entweder weil er sie bereute, oder weil er befürchtete, dass ihr Unannehmlichkeiten daraus erwachsen könnten.

Aber es ist auch nicht so, als ob sein Werk von den Ideen der neuen Lehre erfüllt wäre, wie etwa die eine Generation zuvor entstandenen Apostel Dürers. Er konnte nicht mehr zum Alten zurück und vermochte nicht zum Neuen durchzustoßen. So wird er, Opfer der Zeitwende, zum zweifelnden Skeptiker.

Da das Tiefste, was ihn bewegt, Ehrfurcht ist, kann ihm Zweifel allein nicht genügen. Zwiespalt und Glaube verschmelzen in ein Weltgefühl, das zugleich Pessimismus und Pantheismus ist, sofern man gewillt ist, die Begriffe losgelöst von philosophischer Dogmatik als Ausdruck menschlichen Gefühls zu begreifen. Als einmalig und allumfassend empfindet er menschliches Sein; und dabei doch nur als Atom im kreisenden Wirbel des chaotischen Kosmos.

Es kann sein, dass hier seit der Tragödie der Griechen zum ersten Male wieder das Problem des Schicksals als Angelpunkt der Weltbetrachtung bestimmt worden ist. Dem um ein Menschenalter vorangegangenen Grünewald stand gewiss, ungeachtet mannigfacher Anfechtung, immer die Vorsehung als ruhender und ordnender Punkt im Weltgeschehen fest. Und ein Jahrhundert später gelangte Rembrandt zu eindeutigem Weltbegriff, der das Göttliche als Gleichnis des kosmischen Geschehens anerkannte. Bruegel überfiel die Einsicht in den Ablauf des Weltalls wie Naturgewalt; er glaubte und zweifelte im gleichen Augenblick.

Auch der Form prägt die Wende der Zeiten ihr Mal auf. Der Weg geht von Jan van Eyck zu Rembrandt oder, wenn man ein Bruegel gemäßeres Format nennen will, zu Brouwer. Von der Klassik zum Barock. Von der ruhigen gefestigten zur aufgelösten zertrümmerten Form. Bruegel ist Übergang. Er hat nicht mehr die Ruhe und Eindeutigkeit der Alten und doch auch noch nicht die unaufhaltsam strömende Bewegung des Barock. Er begrenzt die Körper durch feste Umrisse, entwirft einen klaren Bildaufbau und trägt, wie die frühmittelalterlichen Miniatoren, ungebrochene Farben, reines Blau, reines Rot, reines Gelb nebeneinander auf. Und zugleich ballt er die Massen und gliedert sie rhythmisch, wie das Raffael und Dürer nicht kannten. Das Gefüge seiner Farbenanordnung ist lebhaft erregt, fleckig. Und mit zunehmender Bestimmtheit seines Weltbegriffes wird die rhythmische Bewegung seines Bildaufbaues immer fließender, die farbige Stimmung flächiger und einheitlicher. Das Mosaik fängt an zu schwingen, und fast verbinden sich die einzelnen Steinchen und Streifen zu strömender Bewegung.

Gegen Zersetzung und Problematik durch Zeitschicksal wirkt das Erlebnis der brabantischen Heimat als stärkstes Gegengewicht. Hier findet Bruegel Ruhe. Hier wurzeln seine tiefsten Kräfte. Immer lebt, ganz im Gegensatz zu den italienisch empfindenden Zeitgenossen, eine große Liebe zur Erde in diesem Werk. In den frühen Handzeichnungen, in den Gemälden vom Anfang der sechziger Jahre, die sich oft, als wollte das vorn treibende menschliche Leben Beruhigung finden, in eine Landschaft öffnen; eine sanft gewellte grüne Ebene etwa oder ein kleines verschlafenes Dorf, aus dem ein spitziger Kirchturm ragt. Zu stärkstem bejahendem ungebrochenem Bekenntnis wächst dies innige Naturgefühl in den Landschaften der Jahreszeiten.

Boschs Vorbild mag es vornehmlich gewesen sein, das diese Liebe zur Heimat stärkte und festigte. Hier ist sein Einfluss gewiss schwerwiegender gewesen als in den Diablerien. Als Bruegel, 1553, nach Italien reiste, stand er schon so sicher, dass ihm die italienische Kunst nicht, wie den meisten der Zeitgenossen, den Romanisten, zur Krise werden konnte. In einem tiefen und wesentlichen Sinn hat freilich wohl auch Italien befreiend und lösend auf ihn gewirkt; Farbe und Aufbau der venezianischen Landschaftsmalerei haben ihm, wie Dürer, wertvolle Anregungen gegeben.

Der Bauer, der diese Scholle bewohnt, der Bauer Bruegels, ist mit zweideutigem Triebleben belastet: Mischung dumpfer animalischer Gier, tierischer Begierde, geschlechtlichen Triebs mit grübelnder, fast verzweifelnder Skepsis. Als packte ihn wie das Gerippe auf mittelalterlichen Totentanzbildern mitten in den Freuden des Lebens, beim Fressen, Saufen und Huren die grässliche Angst vor den jenseitigen Dingen. Der Grund des Bechers schmeckt bitter. Alle Lust ist Eitelkeit.

Hier klaffen Gegensätze. Zu Rubens, der ohne Skrupel genießt; aber auch zu Brouwer, der wohl die Dumpfheit, das Triebhafte, aber nicht jenen Zwiespalt der Triebe kennt. Man hat gesagt, dies sei der flamische Bauer. Das ist gewiss richtig, aber es ist nicht alles. Die Mischung von Wollust und Sünde ist tragische Verwirrung des mittelalterlichen Menschen, der an der Schwelle neuer Dinge steht. Dieser Dualismus ist das schmerzliche und tiefsinnige Erbteil, das die katholische Kirche dem Menschen mit auf seinen irdischen Weg gibt. Vielleicht unbewusstes Schicksal des flamischen Bauern jener Tage; jedenfalls bewusste Belastung des Menschen Bruegel.

DIE Anekdoten Carel van Manders vermögen den Sinn dieses Lebens nicht zu deuten. Darum ist hier (neben anderem) versucht worden, aus dem Werk Einsicht in den Menschen zu gewinnen. Der Versuch gibt freilich nur ahnende Umrisse. Wenn schon die Schöpfung, die sichtbare, formgewordene, in vielfältiger Ausstrahlung und Brechung schillernd, anderen anders sich offenbart: um wie viel mehr steht der Mensch, dessen Händen in dunkler unbegreiflicher Stunde der Empfängnis das Werk als eine von vielen Möglichkeiten entströmt, im unfasslichen Schatten. Und jeder vermag von ihm nur das, was in ihm schon selber ruht, zu greifen.

Wenigen mag er nahe und Freund gewesen sein, im tiefsten einsam und allen fremd. Die Not der Menschheit jener Tage hat sicher schwer auf ihm gelastet; aber am schwersten hat er gewiss unter dem dunklen Zwiespalt der eigenen Seele gelitten.

Den körperlichen Umriss seiner Gestalt gibt vielleicht eine „Maler und Kenner“ bezeichnete Zeichnung der Albertina aus den letzten Lebensjahren: ein mageres Gesicht, scharfe tiefgegrabene Züge, langes, ein wenig verwildertes Haar an Kinn und Hinterkopf, eine breite Stirn, tiefliegende ungewöhnlich große Augen, die Unterlippe vorgeschoben, der Blick prüfend und grübelnd, der Ausdruck nicht ohne Bitterkeit, aber doch stark und ungebrochen.

Dass denen, die heute leben, Bruegel nahesteht, hat keinerlei stofflichen Anlass. Was kümmert uns Diablerie und Bauernhochzeit? Uns ergreift das Bekenntnis seelischer Zwiespältigkeit. Auch wir glauben und glauben nicht. Leben und zweifeln am Leben. Riesig wölbt sich auch über uns kristallener Himmel, und irgendwo in armseliger Nichtigkeit erfüllt sich, gleich dem des Ikarus, mein Schicksal und das deine. Auch heute und immer ist Wende der Zeiten.

Denn wahrlich : hinter der Erscheinung steht das Gleichnis. Und Gleichnis ist hier nicht Gott, sondern Erde und Mensch. Wie Choral vieler Glocken strömt Unendlichkeit des Landes und dumpfe Gebärde der Menschen. Nicht Vorsehung stützt unser Leben, sondern Schicksal lauert unfassbar an jeglicher Kurve des Weges.

Dieses Werk ist kein Kredo. Auch nicht Zweifel schlechthin. Aber Bekenntnis und Frage, die, immer angstvoll, immer unbefriedigt in das chaotische Dunkel stürzt.

000 Pieter Bruegel der Ältere. Nach dem Kupferstich von Aegid Sadeler.

000 Pieter Bruegel der Ältere. Nach dem Kupferstich von Aegid Sadeler.

001. Schiff. Kupferstich nach Bruegel von Frans Huys. 1565

001. Schiff. Kupferstich nach Bruegel von Frans Huys. 1565

002. Der Sommer. Kupferstich nach Bruegel (Postum). Vorlagezeichnung von 1558

002. Der Sommer. Kupferstich nach Bruegel (Postum). Vorlagezeichnung von 1558

003. Flusslandschaft. Federzeichnung mit Tinte von Bruegel. 1552. Paris, Louvre

003. Flusslandschaft. Federzeichnung mit Tinte von Bruegel. 1552. Paris, Louvre

004. Der hinterlistige Vogelfänger. Kupferstich nach Bruegel von Hieronymus Cock

004. Der hinterlistige Vogelfänger. Kupferstich nach Bruegel von Hieronymus Cock

005. Große Alpenlandschaft. Kupferstich nach Bruegel von Hieronymus Cock

005. Große Alpenlandschaft. Kupferstich nach Bruegel von Hieronymus Cock

006. Hasenjagd. Originalradierung von Bruegel. 1566

006. Hasenjagd. Originalradierung von Bruegel. 1566

007. Teufel. Federzeichnung des 16. Jahrhunderts. München, Graphische Sammlung

007. Teufel. Federzeichnung des 16. Jahrhunderts. München, Graphische Sammlung

008. Die Vorhölle. Kupferstich nach Bruegel von Peter van der Heyden. 1561

008. Die Vorhölle. Kupferstich nach Bruegel von Peter van der Heyden. 1561

009. Die „dulle Griete“. Gemälde Bruegel. Um 1564. Antwerpen, Sammlung Mayer van den Bergh

009. Die „dulle Griete“. Gemälde Bruegel. Um 1564. Antwerpen, Sammlung Mayer van den Bergh

010. Der Triumph des Todes. Gemälde von Bruegel. Um 1564. Madrid, Prado

010. Der Triumph des Todes. Gemälde von Bruegel. Um 1564. Madrid, Prado

011. Die großen Fische fressen die kleinen. Kupferstich des Peter van der Heyden nach einer Zeichnung von Bruegel, die nach einem Gemälde von Bosch gemacht wurde. 1557

011. Die großen Fische fressen die kleinen. Kupferstich des Peter van der Heyden nach einer Zeichnung von Bruegel, die nach einem Gemälde von Bosch gemacht wurde. 1557

012. Allegorie der Geduld. Kupferstich nach Bruegel von Peter van der Heyden. 1557

012. Allegorie der Geduld. Kupferstich nach Bruegel von Peter van der Heyden. 1557

013. Desidia, Allegorie der Faulheit. Handzeichnung von Bruegel. 1557. Wien, Albertina

013. Desidia, Allegorie der Faulheit. Handzeichnung von Bruegel. 1557. Wien, Albertina

014. Allegorie der Wollust. Kupferstich nach Bruegel von Peter van der Heyden. 1558

014. Allegorie der Wollust. Kupferstich nach Bruegel von Peter van der Heyden. 1558

015. Der Krämer wird von den Affen geplündert. Kupferstich nach Bruegel von Peter van der Heyden. 1557

015. Der Krämer wird von den Affen geplündert. Kupferstich nach Bruegel von Peter van der Heyden. 1557

016. Der Goldmacher. Kupferstich nach Bruegel von Peter van der Heyden. Um 1559

016. Der Goldmacher. Kupferstich nach Bruegel von Peter van der Heyden. Um 1559

017. Der Krieg zwischen den Kassenschränken und den Sparbüchsen. Kupferstich nach Bruegel von Peter van der Heyden. 1563

017. Der Krieg zwischen den Kassenschränken und den Sparbüchsen. Kupferstich nach Bruegel von Peter van der Heyden. 1563

018. Jeder sucht seinen Profit. Kupferstich nach Bruegel von Peter van der Heyden

018. Jeder sucht seinen Profit. Kupferstich nach Bruegel von Peter van der Heyden

019. Das Ferkel muss in den Kofen. Kupferstich nach Bruegel von J. Wierix. 1568

019. Das Ferkel muss in den Kofen. Kupferstich nach Bruegel von J. Wierix. 1568

020. Küchenszene. Federzeichnung mit Tusche von Bruegel nach einer Vorlage von Hieronymus Bosch. Wien, Albertina

020. Küchenszene. Federzeichnung mit Tusche von Bruegel nach einer Vorlage von Hieronymus Bosch. Wien, Albertina

021. Die magere Küche. Kupferstich nach Bruegel von Peter van der Heyden. 1563

021. Die magere Küche. Kupferstich nach Bruegel von Peter van der Heyden. 1563

022. Die fette Küche. Kupferstich nach Bruegel von Peter van der Heyden. 1563

022. Die fette Küche. Kupferstich nach Bruegel von Peter van der Heyden. 1563

023. Das Schlaraffenland. Gemälde von Bruegel. 1567. München, Alte Pinakothek

023. Das Schlaraffenland. Gemälde von Bruegel. 1567. München, Alte Pinakothek

024. Der Krieg der Mageren gegen den Dicken. Gemäldeskizze von Bruegel. Um 1559. Kopenhagen, Kgl. Galerie

024. Der Krieg der Mageren gegen den Dicken. Gemäldeskizze von Bruegel. Um 1559. Kopenhagen, Kgl. Galerie

025. Grotesker Baum (nach Bosch) in einer Landschaft. Federzeichnung mit Tusche. (Vielleicht von Herri met de Bles.) Wien, Albertina

025. Grotesker Baum (nach Bosch) in einer Landschaft. Federzeichnung mit Tusche. (Vielleicht von Herri met de Bles.) Wien, Albertina

026. Die Kreuzschleppung. Gemälde von Bruegel. Tempera. 1564. Wien, ehemaliges Hofmuseum

026. Die Kreuzschleppung. Gemälde von Bruegel. Tempera. 1564. Wien, ehemaliges Hofmuseum

027. Die Predigt des Täufers in der Wüste. Kopie nach Bruegel von Peter II Bruegel. 1620. Wien, Galerie Liechtenstein

027. Die Predigt des Täufers in der Wüste. Kopie nach Bruegel von Peter II Bruegel. 1620. Wien, Galerie Liechtenstein

028. Der Kindermord zu Bethlehem. Gemälde von Bruegel. Tempera. Um 1566. Wien, ehemaliges Hofmuseum

028. Der Kindermord zu Bethlehem. Gemälde von Bruegel. Tempera. Um 1566. Wien, ehemaliges Hofmuseum

029. Die Bekehrung Sauls. Gemälde von Bruegel. Tempera. 1567. Wien, ehemaliges Hofmuseum

029. Die Bekehrung Sauls. Gemälde von Bruegel. Tempera. 1567. Wien, ehemaliges Hofmuseum

030. Eislauf vor dem Georgstore zu Antwerpen. Kupferstich nach Bruegel von Frans Huys. 1553

030. Eislauf vor dem Georgstore zu Antwerpen. Kupferstich nach Bruegel von Frans Huys. 1553

031. Kinderspiele. Gemälde von Bruegel. Tempera. 1560. Wien, ehemaliges Hofmuseum

031. Kinderspiele. Gemälde von Bruegel. Tempera. 1560. Wien, ehemaliges Hofmuseum

032. Das Turnier zwischen dem Fasching und dem Fasten. Gemälde von Bruegel. Tempera. 1559. Wien, ehemaliges Hofmuseum

032. Das Turnier zwischen dem Fasching und dem Fasten. Gemälde von Bruegel. Tempera. 1559. Wien, ehemaliges Hofmuseum

033. Krüppel. Gemälde von Bruegel. Tempera. 1568. Paris, Louvre

033. Krüppel. Gemälde von Bruegel. Tempera. 1568. Paris, Louvre

034. Das Martinsfest. Kupferstich nach Bruegel von N. Gaspard

034. Das Martinsfest. Kupferstich nach Bruegel von N. Gaspard

035. Brabantische Landschaft. Kupferstich nach Bruegel von Cornelis Cort. 1559

035. Brabantische Landschaft. Kupferstich nach Bruegel von Cornelis Cort. 1559