An Marie Exner - Zürich, den 20. August 1874

Schönste Fräulein Exner!
Verehrteste Anwesende!

Endlich kann ich von meiner neu angetretenen Arbeit ein bißchen verschnaufen, um etwas Nachricht über mein ferneres Schicksal aufzusetzen.


Das erste Abenteuer nach meiner Abreise von Brixlegg war ein Floh vom Hund Haxel, der in meinem rechten Strumpf herumkroch und mich dort unaufhörlich kitzelte. Glücklicherweise war es ein Hebräer, denn er hörte, da es Freitag war, genau mit Sonnenuntergang auf. Nun stand aber zwischen Kufstein und Rosenheim der Zug fast eine Stunde still, so daß ich erst nach elf Uhr in München ankam. Im Hotel Detzer mit einem anderen Reisenden eintretend, wurden wir treppauf in unsere Zimmer geführt, vier, fünf, sechs Treppen, so daß ich kaum mehr schnaufen konnte; endlich wurde der Gefährte in ein Kämmerchen gestoßen, ich aber noch eine Treppe hoher kommandiert, mußte dort unter dem Dach durchkriechen und nun gings eine Hintertreppe wieder hinunter, fünf, sechs, sieben Treppen, bis auf den ersten Stock, wo ich ein schönes großes, wohlausgestattetes Zimmer erhielt und atemlos in einen Fauteuil sank. Ich erhielt nun die Aufklärung, daß man mir vor den anderen Fremden nicht diesen Vorzug habe einräumen dürfen, mich aber noch wohl gekannt und wegen meiner Artigkeit und guten Sitten noch günstig im Gedächtnis bewahrt habe. Seht Ihr, so bin ich angeschrieben im Hotel Detzer! ...

Dann fand ich in München am sechsten oder siebenten Tag das Markenkästchen in meinem Überzieher, nachdem ich denselben auf der Eisenbahn und in München nach allen Richtungen herumgeworfen, verkehrt auf dem Arm getragen usw.; es ist also gern bei mir geblieben und steht deshalb jetzt auf meinem Schreibtisch ...

Nun fließt mein Leben wieder vergnüglich dahin, abwechselnd in holder Leidenschaft und stiller Beschaulichkeit, womit ich verbleibe

Ihr und Euer dankbarer
G. Keller.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe