Hottingen, den 21. Oktober 1847.

Verehrteste Frau!

Am letzten Samstag mißbrauchte ich Ihre Güte, der Fräulein Luise Rieter einen Brief zukommen zu lassen, dessen Inhalt Ihnen vielleicht bekannt ist, da Fräulein Rieter Sie in ihrer Antwort ihre mütterliche Freundin nennt ...


Sie fragen mich wohl, wie ich denn dazu gekommen sei, jenen freien und maßlosen Brief zu schreiben? Da ich in Ihrem Hause mir die Tölpelei habe zuschulden kommen lassen, so erlauben Sie mir gewiß noch einige Worte darüber, obwohl diese Zeilen sich schon nur zu sehr angehäuft haben; Sie können ja, wenn Sie dieselben gütig aufnehmen wollen, dazu beitragen, daß ich die unselige Leidenschaft mit Besonnenheit vergesse und begrabe, und dies liegt wenigstens in einem äußern Interesse Ihrer jungen Freundin. Wenn man mich hingegen nicht hören will und ich das letzte Wort unbarmherzig verschlucken muß, so bin ich noch auf Wochen hinaus zerstört und elend, und überdies sind mir alle Kreise, die im entferntesten an den Ihrigen grenzen, sogar die Schulzische Wohnung, verschlossen. Ich hatte die Nacht schlaflos zugebracht und befand mich am Morgen sogar körperlich unwohl, das Herz war mir fortwährend wie zugeschnürt und der Kopf heiß. Auch der demütigste Mensch glaubt und hofft innerlich immer mehr, als er auszusprechen wagt, und ich bin keiner von den demütigsten, vielmehr habe ich manchmal einen recht sündlichen Hochmut in mir zu bändigen. Ich erging mich an jenem Morgen in den glühendsten Hoffnungen, ich spann einen Roman um den andern aus, und mitten in meinem Rausche erinnerte ich mich gehört zu haben, daß sie heute abreisen und ich sie also auf lange Zeit, vielleicht für immer, aus den Augen verlieren würde. Eine tiefe Angst kam über mich und so entstand der Brief, während meine Gedanken bei ihr waren, schrieb meine Hand die ungeschliffenen Worte. Ich habe lange schon vorausgesehen, daß es mir einst so gehen würde, darum habe ich mich bei den zwei andern Mädchen, die ich in meinem Leben schon liebte, so gesträubt, etwas zu sagen, und es war mein gesunder Takt. Indessen ist der Schlag, der mich aus meinem Himmel warf, nur wohltätig für mich. Eine Menge Eitelkeiten und Oberflächlichkeiten habe ich in diesen bittern Tagen abgelegt und die Erschütterung hat mich aus einem heillosen Schlendrian herausgerissen. Es liegt etwas so unerklärlich Heiliges und Seliges in der Liebe, sie macht so nobel und lauter, daß in demjenigen, der fruchtlos und unglücklich liebt, etwas Unwahres und Unrechtes sein muß, sei es was es wolle, und dieses in mir aufzufinden, ist jetzt eine Beschäftigung für mich, die mich zugleich hebt und beunruhigt. Sie sehen, verehrte Frau, daß ich die Sache schon ziemlich objektiv ansehen kann und ich müßte lügen, wenn ich nicht sagte, daß ich mich bereits auf der Besserung befinde. Im schönen Mai erschien mir Luise Rieter, im Herbst entschwand sie mir für immer und ich kann wohl in jeder Beziehung und ohne alle Ausnahme sagen, daß es trotz allem Leid der schönste Sommer und der lieblichste Traum meines Lebens gewesen ist und ich hoffe, denselben recht lang in ruhiger Seele festzuhalten; aber es wäre kindisch und unvernünftig von mir, im voraus zu behaupten, daß er sich niemals verwischen werde.

Genehmigen Sie, hochverehrte Frau! wenn Sie meine vertrauensvollen Worte nicht mit Ungeduld gelesen haben, die Versicherung meiner innigsten Dankbarkeit, in jedem Falle aber meiner tiefsten und wahrsten Ehrerbietung.

Ihr ergebenster
Gottf. K.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe