München, den 18. Mai 1840.

Liebe Mutter!

Endlich bin ich angekommen in dem gelobten Lande. Nachdem ich den Paß erhalten hatte, führte mich Müller in einer Chaise nach Konstanz, wo ich aber wegen neuer Unannehmlichkeiten mit dem Gepäck vier Tage warten mußte. Sonntags vor acht Tagen fuhren wir endlich, Steffen und ich, mit dem Dampfschiff nach Lindau oder wollten vielmehr nur; denn in Rorschach zerbrach die Maschine, und wir mußten dort wieder übernachten; indessen lud uns ein katholischer Kaplan zum Essen ein. Von Lindau aus fuhren wir mit einer Retourkutsche für neun Gulden bis nach München, mußten aber mehr übernachten als mit der Post, so dass es am Ende beinahe gleich herauskam, nur dass ich für die Effekten nichts zahlen mußte. So bin ich denn hier angekommen und, nachdem ich drei Tage im Gasthof logierte, im nämlichen Zimmer, welches Müller bewohnte, einquartiert.


Es ist mitten in der Stadt und ganz bequem mit Sofa, gutem Bett, Kommode und zwei Tischen; die Stühle sind gepolstert; dennoch kostet es nur vier Gulden Zürichgeld, wobei mir noch die Stiefel und Kleider geputzt werden. Steffen hat ein kleines Dachstübchen in einer abgelegenen Gegend für den gleichen Preis, die meisten Zimmer kosten sonst sechs, sieben bis acht Gulden monatlich ... Ich befinde mich sehr wohl hier. Man kann über die Straße gehen, ohne dass man von allen Seiten begafft und für stolz ausgeschrieen wird. Kein Mensch achtet auf den andern; alles geht bunt durcheinander. Kommt man aber mit den Leuten in Berührung, so sind sie höflich und gefällig, nur die Weibsbilder von der bürgerlichen Klasse sind ungemein roh. Sie fluchen und schimpfen wie bei uns die Stallknechte und sitzen alle Abend in der Kneipe und saufen Bier. Sogar die nobelsten Damen gehen ins Kaffeehaus und trinken da - nicht Kaffee, sondern so zum Spaß eine Maß Bier bis zwei ...

Die Reise und alle Ausgaben (ich mußte Staffelei, Leinwand, Farben usf. kaufen) haben mich mehr gekostet, als ich glaubte, z. B. mußte ich für die Aufenthaltskarte einen halben Gulden bezahlen, einen Gulden ins Krankenhaus für ein halbes Jahr, und so noch vieles; die Reisenden werden fürchterlich ausgesogen allenthalben. Jetzt habe ich mich aber eingerichtet und werde von nun an Hausen. Ich nehme gar nichts zu mir bis zum Mittagessen, obgleich ich im Anfang manchmal noch Hunger bekomme. Dann gehe ich ins Speisehaus und bekomme für sieben Kreuzer (etwa 4½ Schillinge) Suppe, Fleisch und Gemüse, nach Verlangen zugerichtet; mit Bier kostet es zehn Kreuzer. Manchmal esse ich zu Nacht und manchmal nicht. Ich bin schon mit vielen Künstlern bekannt geworden und habe gesehen, daß selbst die mittelmäßigen sich gut durchbringen ... - Ich grüße Regula tausendmal und verbleibe Euer Sohn und Bruder

Gottfried Keller.

Gott sei mit Euch! - Laß doch meine Briefe nicht so herumliegen, wie gewöhnlich! Was das Geld betrifft, so mache, daß Du es bald schickst, oder sonst einrichtest, denn in zwei Wochen gehe ich aufs Land, und da möchte ich es vorher gesichert wissen. Es tut mir leid, daß Du so viel Mühe hast.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe