München, den 19. Oktober 1840.

Liebe Mutter!

Daß Ihr zu Hause mich für fähig gehalten habt, eine Krankheit zu erlügen, um Geld zu erhalten, war mir eben keine große Erquickung, da ich eben damals, als ich den Brief erhielt, kaum noch auf den Beinen stehen konnte. Ich lag vier ganze Wochen im Bett und bekam nichts als Fleischbrühe und Wasser zu saufen, so daß Dein Traum ziemlich erfüllt war; denn ich war so abgemagert und schwach, als ich wieder ausgehen konnte, daß ich vor mir selbst erschrak, als ich in den Spiegel schaute. - Doch werde ich in Zukunft nichts mehr von dergleichen Sachen schreiben, es mag mir gehen, wie es will, da man zu allem Elend noch glaubt, ich lüge. Was das viele Geldbrauchen betrifft, so weiß ich am besten, für was ich es ausgebe; auf jeden Fall nicht fürs Lumpen. Auch gehe ich nicht mit Lumpen, sondern einzig und allein mit Hegi von Zürich, welcher mein bester Freund hier ist, und wir sitzen meistens ganz allein beieinander. Du wirst Dich wahrscheinlich wundern, daß die letzten vier Louisdor bereits wieder gebraucht sind, wenn Du nicht bedenkst, daß ich dem Doktor 16 Gulden, dem Apotheker 8 Gulden, der Magd, welche alle Nächte bei mir gewacht und mich sonst gut gepflegt hat, einen Taler und obendrein den Mietzins bezahlen mußte. Dazu mußte ich, als ich wieder essen und ausgehen durfte, feinere und kräftigere Speisen nehmen und eine Zeit lang Rheinwein trinken, um wieder zu Kräften zu kommen. Auch schaffte ich mir ein Flanellleibchen, Unterhosen und Überschuhe an, weil das Wetter hier immer naß und kalt ist und ich mich vorzüglich auf den Winter warm halten muß. Du wirst mir vielleicht indessen auch wieder nicht glauben, daß der Doktor an meinem Aufkommen gezweifelt hat. Du wirst aus allem also einsehen, daß ich das übrige Geld noch brauche; weil ich wenigstens zwei Monat Zeit haben muß, um etwas zu machen, das ich verkaufen kann. Nachher trage keine Sorge mehr für mich! Was Deine Meinung im vorletzten Briefe betrifft, daß ich nämlich wieder nach Haus kommen sollte, so traust Du mir da nicht viel Charakter zu. Die Leute würden ein schönes Gelächter haben. Ich habe einmal meine Bahn angetreten und werde sie auch vollenden, und müßte ich Katzen fressen in München. Fischer ist schon über zwei Wochen hier. Wir müssen nächstens Holz kaufen, denn es ist abscheulich kalt; und was mich betrifft, so muß ich den ganzen Tag essen, so ausgehungert bin ich durch die Krankheit worden.


Grüße alle!

Dein Sohn
Gottfried Keller.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe