Samstag, den 25. Dezember.

Samstag, den 25. Dezember

Als ich gestern über die Rue de la paix ging, begegnete ich einem Trupp Nationalgarden, Trommel voraus, die auf einer Bahre die lorbeerbekränzte Büste des Königs trugen, ich weiß nicht wohin, wahrscheinlich in eine Wachtstube. Lustig Volk, die Franzosen; den ganzen Tag Komödie. – Jetzt macht die Schuljugend der Regierung wieder viel zu schaffen, und ich habe meine herzliche Schadenfreude daran. Die Schulen haben in dem Aufstande dieser Tage zur Herstellung der Ruhe sehr viel beigetragen. Nun hat vorgestern die Kammer den Schulen feierlichsten Dank votiert. Diese aber haben gestern abend in einer Zeitung Proklamationen drucken lassen, worin sie höhnisch der Kammer sagen: Euren Dank begehren wir nicht, gebt uns die Freiheit, die ihr uns versprochen, la liberté qu'on nous marchande maintenant et que nous avons payée comptant au mois de juillet. O wie recht haben sie! Ihr in Deutschland braucht gar nicht so stolz zu sein, wir haben hier so dumme Leute als dort auch. Hier sagen sie auch, die Franzosen sind noch nicht reif zu mehr Freiheit, als sie jetzt besitzen, das müsse der Zukunft überlassen bleiben. Und so bleiben sie nun stehen; bis die Zukunft im Galopp herkömmt und sie umwirft, statt wenn sie der Zukunft entgegengegangen wären, alles friedlich wäre geordnet worden. Ganz gewiß, Frankreich wird früher oder später noch eine Revolution erleiden. Es ist der Fluch der Menschen, daß sie nie freiwillig vernünftig werden, man muß sie mit der Peitsche dazu treiben. Es ist zum Verzweifeln, daß Lafayette, der einzige, der es aufrichtig mit der Freiheit meint, einen so schwachen Charakter hat. Er, wenn er wollte, könnte alles durchsetzen. Er brauchte nur zu drohen, er würde das Kommando der Nationalgarde aufgeben und sich zurückziehen, wenn man den Franzosen nicht gebe, was man ihnen versprochen, und der König, die Minister und die Kammer müßten nachgeben.


Der König von Bayern glaubt wahrscheinlich, weil er so viel gereimt hat in seinem Leben, dürfte er sich auch Ungereimtes erlauben. Der Liesching, den ich viel kenne, ist der fünfte Schriftsteller, der seit kurzem auf so schnöde Weise von München verjagt worden. „Vorderhand als unpassend ausgewiesen“, ist sehr schön gesagt. Der deutschen Despotie werden vor Altersschwäche die Glieder steif. Dieses Betragen der bayrischen Regierung ist so ganz über die Maßen dumm, so ganz ungewöhnlich verkehrt, daß ich denken möchte, es steckt unter der Dummheit eine Art Superklugheit; daß sie nämlich unter dem Scheine des Einverständnisses mit der jetzt völlig toll gewordenen Bundesversammlung ihre eigenen Pläne verfolgt. Anders kann ich mir es nicht erklären. Aber vielleicht irre ich mich auch; es gibt nichts Genialischeres als der Blödsinn einer deutschen Regierung, er ist gar nicht zu berechnen.

Was mir an der polnischen Revolution am besten gefällt, ist, daß man in Warschau den Chef der geheimen Polizei gehenkt hat und daß man die Liste aller Polizeispione drucken läßt. Das wird, hoffe ich, den Spionen anderer Länder zur Warnung dienen. Diese geheime Polizei gibt einer despotischen Regierung weit mehr Sicherheit, als es ihre Soldaten tun, und ohne sie wäre die Freiheit schon in manchem andern Lande festgestellt. Die geheime Polizei hat in Warschau täglich 6000 Gulden gekostet. Diese Notizen und andere Papiere, die sich auf die Polizei beziehen, hat man in Konstantins Schlosse gefunden. Dreißig junge Leute von der Kadettenschule drangen in das Schloß. Die Hälfte davon ist geblieben. Drei Generale wurden im Vorzimmer Konstantins getötet. Dieser rettete sich mit Mühe. Die Verschwornen begegneten Konstantins Frau, vor der sie sich sehr artig verneigten und sagten, mit ihr hätten sie nichts zu schaffen, sie suchten nur ihren Mann. Ich fürchte aber, den armen Polen wird es schlecht gehen. Der Kaiser Nikolaus zieht ihnen mit Macht entgegen, und ich weiß nicht, wie sie widerstehen können. Doch verlasse ich mich auf Gott. – – – Gemütsbewegung! nein. Das ist nicht wie früher, wo wir in einer schweren Kutsche saßen und mit der guten Sache langsam fortrollten, gestoßen wurden, langsam den Berg hinaufschleichen mußten, auch manchmal umgeworfen wurden – jetzt trägt uns ein großes Schiff schlafend über das Meer, und der Wind treibt schnell. Kein Staub, kein Rütteln, keine Müdigkeit. Stürme können kommen, Klippen; aber das macht mich erst recht munter. Die kleinen Zänkereien, das weibische Keifen des Schicksals, nur das konnte mir Gemütsbewegung geben. Die Tyrannei kann uns noch einmal besiegen; aber dann wird es doch im offnen Kampfe geschehen, nachdem wir uns gewehrt haben. Uns wie Hunde prügeln und an die Kette legen, damit ist es aus. Nur nicht wehrlos fallen. Ich bin sehr ruhig und schwimme vergnügt wie ein ungesalzener Hering im Weltmeer herum.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe aus Paris.