Freitag, den 1. Oktober

Freitag, den 1. Oktober

– Cotta will hier in Paris eine Zeitung herausgeben, wie mir eben D. erzählte, an den er sich vorläufig deswegen gewendet. Wenn es nur zur Ausführung kömmt – es wäre himmlisch. Hundert deutsche Minister würden darüber verrückt werden. Was könnte dieser Mann mit seinem Reichtume, seiner Tätigkeit, seinem Geschäftskreise und seinen Verbindungen nicht alles wirken, wenn er wollte! Er allein versteht es, wie man die furchtsamen Federn beherzt macht und die verborgensten Schubladen der Geheimniskrämer öffnet. Wenn ich an die Zensur denke, möchte ich mit dem Kopfe an die Wand rennen. Es ist zum Verzweifeln. Die Preßfreiheit ist noch nicht der Sieg, noch nicht einmal der Kampf, sie ist erst die Bewaffnung; wie kann man aber siegen ohne Kampf, wie kämpfen ohne Waffen? Das ist der Zirkel, der einen toll macht. Wir müssen uns mit nackten Fäusten, wie wilde Tiere mit den Zähnen, wehren. Freiwillig gibt man uns nie die Preßfreiheit. Ich möchte unsern Fürsten und ihren Ratgebern nicht unrecht tun, ich möchte nicht behaupten, daß bei allen und überall der böse Wille, alle Mißbräuche, welche durch die Presse offenkundig würden, fortzusetzen, schuld an der hartnäckigen Verweigerung der Preßfreiheit sei; das nicht. Wenn sie regierten wie die Engel im Himmel und auch der anspruchsvollste Bürger nichts zu klagen fände: sie würden doch Preßfreiheit versagen. Ich weiß nicht – sie haben eine Eulennatur, sie können das Tageslicht nicht ertragen; sie sind wie Gespenster, die zerfließen, sobald der Hahn kräht.


– Die Frankfurter Bürgerschaft wäre ja rein toll, wenn sie dem Senate die Anwerbung von Schweizertruppen bewilligte. Das gäbe nur eine Leibwache für die Bundesversammlung, und die steckt gewiß hinter dem Plane.

– Merkwürdig sind die Hanauer Geschichten! Wer hätte das erwartet? Kann sich die Freiheit in der Nähe von Frankfurt bewegen? Es gibt irgendwo einen See von so giftiger Ausdünstung, daß alle Vögel, die darüber fliegen, gleich tot herabfallen. So erzählt man, aber ich glaube es nicht.

– Es hat sich hier seit einiger Zeit eine religiöse Gesellschaft gebildet, welche die Lehren des St.-Simon zu verbreiten sucht. Ich habe früher nie etwas von diesem Simon gehört. Es werden Sonntags Predigten gehalten. Wie man mir erzählt, soll gleiche Verteilung der Güter eine der Grundlehren sein. Die Gesellschaft zählt schon viele Anhänger, und der Sohn meines Bankiers gehört zu den eifrigsten Mitgliedern. Wenn ich Geld bei ihm hole und ich ihm einen Wechsel anbiete, wird er mir gewiß sagen: das ist ja gar nicht nötig, sein Geld sei auch das meinige. Ich freue mich sehr darauf.

Gestern habe ich die Giraffe gesehen, die in einem Gehege frei umhergeht. Ein erhabenes Tier, das aber doch viel Lächerliches hat; eine tölpelhafte Majestät. Man muß oft lange warten, bis es ihr gefällig ist, die Beine aufzuheben und sich in Bewegung zu setzen. Gewöhnlich steht sie still, an Bäumen oder an der Mauer eines dort befindlichen Gebäudes und benagt die obersten Zweige oder das Dach. Das Tier sieht sehr metaphysisch aus, lebt mit dem größten Teile seines Wesens in der Luft und scheint die Erde nur zu berühren, um sie verächtlich mit Füßen zu treten. In dem nämlichen Gehege befanden sich auch noch andere Tiere, melancholische Büffel und sonstige. Zuweilen gingen diese unter dem Bauche der Giraffe weg, und dann sah es aus wie Schiffe, die unter einem Brückenbogen hinfuhren.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe aus Paris.