Achter Brief. - Paris, den 28. September 1830. - Es ist gräßlich, es ist zu gräßlich, was in Brüssel geschieht! Was Paris im Juli gesehen, war Tändelei dagegen. ...

Achter Brief. - Paris, den 28. September 1830

Es ist gräßlich, es ist zu gräßlich, was in Brüssel geschieht! Was Paris im Juli gesehen, war Tändelei dagegen. Man könnte rasend werden über die Niederträchtigkeit der Fürsten. Und der König von Holland ist noch einer der bessern. Männer erwürgen, weil sie sich nicht länger wie Schulbuben wollen behandeln lassen, über den Köpfen ihrer wehrlosen Weiber und Kinder die Dächer mit vergiftetem Feuer, mit Congrevischen Raketen anzünden – das ist die väterliche Liebe der Väter des Volkes, so tun sie sie kund! Ein Brüsseler Zeitungsschreiber fragt: „Wie viele Leichen braucht denn eigentlich ein König, damit er mit Behaglichkeit in seine Hauptstadt einziehe?“ Unglückseliger Spötter! Wie viele Leichen braucht ihr denn, bis es euch unbehaglich wird, und ihr die Geduld verliert mit euren Unterdrückern? Sie machen es noch lange nicht arg genug. Ich habe kein Mitleid mit den Belgiern, mit keinem Volke. Tu l'as voulu, tu l'as voulu, George Dandin! Der Prophet Samuel hat sie schon vor dreitausend Jahren gewarnt. Sie haben nicht hören wollen, sie mögen fühlen.


Gestern habe ich zum ersten Male unsern König gesehen – unsern König, den wir gemacht haben. Es wird sich zeigen, ob wir geschickter sind als Gott, der die frühern Könige gemacht hat, wie Kunstkenner behaupten.

Er zeigte sich auf einer offenen Galerie im Palais Royal und wurde vom Volke mit wahrer Herzlichkeit begrüßt. Sie lachten ihn an, ließen ihn hochleben, und es schien mir alles aus der innersten Seele zu kommen. Ich stimmte mit ein. Man liebt gern, wenn es einem nicht gar zu sauer gemacht wird.

Soeben erfahre ich, in Gera wäre eine Revolution ausgebrochen. Dem D., der mir diese freudige Nachricht brachte, habe ich zum Lohne ein Beefsteak holen lassen. Habe ich sie endlich einmal, die Fürsten Reuß, Greiz, Schleiz, und wie sie sonst heißen! Ist der Tag der Rache endlich erschienen! Schon dreißig Jahre gedenke ich es ihnen. Wie haben sie mich in meiner Jugend gequält mit der verworrenen Geographie ihrer Länderlein und den Verzweigungen ihrer Familie! Das war ein Linienwerk wie in der flachen Hand; man mußte eine Zigeunerin sein, um daraus klug zu werden. Die Familienhäupter heißen alle Heinrich, und sich voneinander zu unterscheiden, sind sie numeriert. Der eine heißt Heinrich XVIII., der andere Heinrich LX., der dritte Heinrich LXIII., der vierte Heinrich LXX. Das Einmaleins geht nicht weiter, und das sollten wir armen Kinder alle auswendig lernen für die nächste Osterprüfung. Ich lernte damals lieber die Geographie von Ägypten, wo gerade Buonaparte durchzog. Wenn mein sanfter Lehrer, Doktor Schapper, mich in den Pyramiden ertappte, sagte er mit feiner Kindbetterinstimme: „Das ist auch nützlich; aber mit der vaterländischen Geographie muß man den Grund legen.“ Nun schwöre ich es Ihnen bei der heiligen Ignoranz, daß wenn ich jetzt auf der Stelle nach Kairo reisen müßte, ich ganz genau den Weg wüßte, den ich zu nehmen; wenn aber nach dem Lande Reuß, müßte ich erst hinüber und herüber im Postbuche nachschlagen. In welchem Teile von Deutschland Gera liegt, oben, unten, rechts, links – ich weiß es wahrhaftig nicht. Aber so viel weiß ich, daß man Gera mit allen seinen Einwohnern in die Richelieustraße stellen könnte. Jetzt stellen Sie sich vor, daß diese kleine Stadt zwei oder gar drei Fürsten hat, die sie gemeinschaftlich beherrschen. Ist es da ein Wunder, wenn es zur Revolution gekommen? Es ist schon mit einem Fürsten nicht auszuhalten. Der Doktor Schapper hat aber einen guten vaterländischen Grund in mir gelegt! Er wird sich freuen, wenn er es erfährt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe aus Paris.