Zweiundvierzigster Brief. - Paris, den 2ten Junius 1830. - Kein Volk ist so wenig kosmopolitisch als die Franzosen, und doch bilden sie sich das Gegentheil ein, ...

Zweiundvierzigster Brief. - Paris, den 2ten Junius 1830,
Kein Volk ist so wenig kosmopolitisch als die Franzosen, und doch bilden sie sich das Gegentheil ein, sofern ihnen eben Frankreich als die Welt und alles darüber hinaus meist als gering und verkehrt erscheint. Freilich, wenn ich mir hier den Hals rauh gesprochen habe, um die Trefflichkeit unserer Einrichtungen zu beweisen, und die all zu keusche Berliner Polizei verbietet eine Pariser Karikatur der kurzen Röcke halber, so habe ich Mühe und Arbeit verloren, und mit diesem unüberwindlichen ridicule wird alle meine Weisheit in Thorheit verwandelt.




Gewinnt man die Taglioni für Berlin, so mögen die meisten anderen Tänzerinnen nur von vorn anfangen zu lernen; denn alle ihre Kunststücke sind gering und unnatürlich, gegen den Anstand, die Grazie und die schwebende Leichtigkeit dieses Mädchens. Sie erweckt wieder den verschwundenen Glauben, das Tanzen sey auch eine ächte Kunst. — Wenn plötzliche Liebe nur als Zauberei zu betrachten und erklärlich ist, so muß die L. die beste Julie seyn; denn mit den gewöhnlichen fünf Sinnen, ja mit sechsen, brächte man das Wunder nicht zu Stande. Wunderliche Welt! Einmal heißt's, nur ein „grines" Frauenzimmer von sechzehn Jahren könne die Julie spielen und alle Kunst sey entbehrlich und hinderlich, und dann riskirt es wiederum eine, die im Sommernachtstraum der Schönheit noch eine Rolle übernehmen könnte. An der G. ihrer Nase wollten superfeine Kenner etwas abfeilen; wie müßte man da an der armen L. raspeln und hobeln, firnissen und glätten! —





Am 31sten Mai gab der Herzog von Orleans dem Könige von Neapel ein großes Fest in seinem mit dem sogenannten Palais royal zusammenhängenden Palaste, oder eigentlich im Palais royal selbst. Als ich um halb acht Uhr hinging, fand ich die Menschenmenge schon so groß und unbequem, daß ich vorzog erst das Theatre français zu besuchen. Um halb zwölf Uhr, als ich herauskam, war in den Gängen, welche vom Theater zum Palais royal führen, das Gedränge noch lebensgefährlich und ich dankte Gott, als ich den Garten erreicht hatte. Aber auch hier war Kopf an Kopf, und erst als Viele nach Hause gingen, und Platz zum Gehen und Sehen sich wiederfand, bekam das Ganze einen reizenden und, trotz aller Mängel der Ausführung, feenartigen Charakter. Das eigentliche Palais war bis zum Dache mit unzähligen Lampen erleuchtet und vor demselben standen allerhand Gerüste auf gleiche Weise bekleidet. Die altern und neuern Galerien des kleinen Hofes, und die Säulen auf der neuen Galerie, welche den Hof vom Garten trennt, zeigten sich nicht minder hell, und Lampenguirlanden von allen Farben waren von einer Säule zur andern gezogen und warfen ein buntes Licht auf die dazwischenstehenden Blumen. Im Garten standen Lampen rings um die Grasplätze, und die sechs Reihen Bäume waren ebenfalls damit verbunden und geschmückt. Der Springbrunnen in der Mitte, stärker als gewöhnlich, gab silberhelle Gegensätze zu den andern Lichtern und Farben, und der halbe Mond schien (eine bedeutende Zugabe zur Erhöhung der Mannigfaltigkeit) hell und freundlich in die Bäume, Blumen und Bogengänge hinein. Vom Café de la paix aus betrachtet, nahm sich das Ganze am besten aus; es war eine in Wirklichkeit versetzte Scene aus tausend und einer Nacht, oder erinnert an die eine Dekoration in Armide, zu der man freilich das Beste hinzufantasiren mußte. — Ohne Unordnung sollte es indeß nicht abgehen. Als ich in den Garten trat, sah ich in der Mitte ungeheuren Dampf, Funkensprühen, in die Höhe schlagende Flammen und Dinge durch die Luft hin und her fliegen, die ich nicht erkennen konnte, die aber weißlichen Vögeln ähnlich erschienen. Ich erstaunte, daß man ein Feuerwerk so gefährlicher Art an dieser Stelle zu geben wage. Was war es! Nichtsnutziges Gesindel hatte erst dies und das nach dem stark beleuchteten Apoll von Belvedere geworfen, und als daraus natürlich ein Brand hervorging, nicht abgelassen, sondern aufgehäufte Stühle ergriffen, die durch die Luft flogen und das Übel schnell so mehrten, daß Ernst dagegen gebraucht werden mußte. — So ist die ansteckende Reizbarkeit und Trunkenheit der Menge: das Heitere und Witzige verwandelt sich mit unglaublicher Schnelligkeit in das Wilde und Freche, und ich begreife, wie ohne Plan und Vorsatz das einzelne Wort eines oder einiger Führer, die Massen gegen die Bastille und die Tuilerien führen konnten. So viel sich auch in den Ansichten und Verhältnissen geändert hat, die Mittel zu ähnlichen Erscheinungen sind noch zur Hand und der Grundcharakter von Paris im Guten wie im Bösen wohl keineswegs von Grund aus, sondern nur zum Theil durch die Macht ächter Grundsätze umgestaltet. Die Fehden der Burgundionen und Armagnaks, die Ligue und die Bluthochzeit, die Baricaden 1588 und 1648 und die Revolution, zeigen dasselbe furchtbare, unheilige Element, welches sich jedes Mal für ächte Lebenswärme ausgab, und doch so oft nur sinnlose Fieberhitze war. — Neben aller Heiterkeit des Festes hatte es für mich etwas sehr Tragisches, wenn ich bedachte, wie diese Bourboniden im Anlaste zu denen stehen, die draußen umherwandelten. Lampenlicht genug, aber kein Sonnenschein, und die Lust, am Lampenlichte noch größeren Brand, wohl des Palastes selbst zu entzünden. Wenn ruhige Männer überlegen: ob die Bourboniden sich erhalten können, wenn viele ihre Entfernung, wo nicht für ein Glück, doch für ein nothwendiges Übel halten, wohin würde die Menge gerathen, wenn sie jemals wieder in Tätigkeit käme! Und drinnen wird gelacht, geschmeichelt, getanzt, als sey ein Hochzeitmahl; während die Scheidung zwischen Herrschern und Volk täglich weiter um sich greift, und jeder gern die Fackeln ergriffe, um das abgelebte, impotente Geschlecht zum Lande hinauszuleuchten, oder doch das Palais royal wirklich in ein königliches zu verwandeln. Ich habe Gelegenheit gehabt, eifrige Männer von der rechten Seite zu sprechen. Es ist sehr irrig zu glauben, daß sie zur Abschaffung der Charte die Hände bieten würden. Nach Aufhebung vieler frühern Bürgschaften (z. B. der Parlamente, Landstände, Communalordnungen) mit einem Worte alles Corporativen, bleibt sie, trotz aller Mängel, die einzige formale Schutzwehr gegen Despotie. Eben so wenig glauben jene Männer daß der König, ohne die Kammern, ein neues Wahlgesetz geben und durchsetzen könne. Endlich will die Aristokratie (obgleich keineswegs so einflußreich und tief begründet wie die englische) sich nicht ihrer neuen Rechte berauben, und aus zufälligen Einfluß bei Hofe zurückbringen lassen. Freilich spricht mancher von der rechten Seite keineswegs seine eigentliche Meinung auf der Rednerbühne scharf und bestimmt aus, damit er nicht bei Prinzen und Ministern anstoße; doch ist dies nicht härter zu rügen, als wenn die Liberalen, um der Journale und der Popularität willen, etwas neben der Wahrheit hergehen. Es ist sehr zweifelhaft, ob die Minister in der neuen Kammer auch nur hundert Stimmen für sich haben werden. Bedenke ich dies Alles, und wie den Häuptern weder Macht, noch Geld, noch Geist zur Seite steht, so halte ich es für ganz unmöglich daß sie ihre Stellen länger als bis zum Herbste behalten können, und begreife nicht wie viele kluge Männer so große Furcht vor Gewaltstreichen (ohne Gewalt) haben können. Aber freilich: Eigensinn, Leidenschaft, Dummheit kennt kein Gesetz und keine Regel; es ist unmöglich zu errathen oder zu berechnen, was sie thun oder versuchen werden. Und macht man einen Versuch, kann die andere Partei auch die Mäßigung vergessen, wo dann kein gutes Ende vorherzusehen ist. Wird das Budget nicht bewilligt, so fallen alle Papiere zweifelsohne in ganz anderem Maaße als bis jetzt, und die Regierung kommt zu völligem Stillstand; denn es ist ganz unsinnig, mit gesetzwidriger Execution Geld von Hunderttausenden beitreiben zu wollen. - Daß die Dinge so übel stehen, ist wesentlich Schuld der Regierung und des Königs. Zur Anstellung so unpopulairer Männer, zum Ergreifen so verhaßter Maaßregeln war kein genügender Grund vorhanden. Die Contrerevolution, in dem Sinn wie sie die Congreganisten wollen, taugt so wenig als die frühere Revolution, und es ist dumm, oder boshaft, oder beides zugleich, die jetzigen Liberalen mit denen von 1790, Constant mit Sieyes auf eine Linie zu stellen. — Doch steckt vielen selbst der gescheutern Liberalen noch die Negativität der Richtung überhaupt, mit etwas Napoleonismus versetzt, im Leibe. Jene, sofern sie das Positive, Reale, Gegebene, Geachtete, ihren allgemeinen Abstraktionen über Verfassung, Verwaltung, Kirche, Wissenschaft u. s. w. gegenüber, eben nicht achten, ihm den Werth absprechen und Alles auf ihr Bett des Prokrustes werfen möchten. Und diese Ansicht ist (so sehr sie sonst Napoleon hassen) doch in zwei wichtigen Punkten mit dem kaiserlichen Despotismus geschwängert: erstens, sofern sie die schlechte, tyrannische Verwaltung, das willkürliche An- und Absetzen der Beamten u. s. w. aus ganz oberflächlichen Gründen für nothwendig erklären, d. h. sie möchten für den Fall, daß sie ans Ruder kommen diese Erbschaft des alten Despotismus gern an sich nehmen. Zweitens, in Beziehung auf andere Staaten, wo ihnen Einrichtungen, Gränzen, Friedensschlüsse, Herrscherfamilien immer nur provisorisch erscheinen. Trotz aller schönen Redensarten und Deckmäntel läuft dies auf hochmüthige Habgier hinaus, wonach andere Völker gar nichts besseres thun könnten, als sich in der französischen Streckanstalt die Glieder brechen und nach Willkür heilen zu lassen. Freilich dauern menschliche Einrichtungen nicht ewig, aber aus Grundsatz alles für provisorisch erklären, um ein angeblich Allervollkommenstes zusammenzubacken, ist frech und thöricht zugleich. Weil sie hier seit vierzig Jahren vierzigerlei Herrscher gehabt haben und ihre Königsfamilie gern nach Monomotapa versetzen möchten, weil sie heut so oft zerstörten, was sie gestern bauten, finden viele es hier unbegreiflich daß andere Völker noch nicht so à la hauteur sind, ihrem Beispiele folgen zu wollen. Alle Veränderungen, die seit tausend Jahren in Europa vorgegangen sind, machen die Landkarte nicht so kunterbunt, als was diesen Leuten durch den Kopf und glatt über die Zunge fährt. Gut, daß dem sonst so milden — , als er in diesen Trab gerathen, ein preußischer Stecken zwischen die Beine gesteckt ward, um zu der Einsicht zu kommen, die Weisheit der Welteinrichter aus den hiesigen Soireen würde nicht geringern Widerstand finden, als die Napoleon's, der doch im Vergleich mit ihnen ein Riese war.




Ich sah vorgestern zum zweiten Male Le mariage d’amour und getraue mich das Verdammungsurtheil, was Manche darüber aussprechen, nach dem Maaßstabe zu widerlegen, der bei solchen Stücken allein passend ist. Freilich wenn nur, Was ihr wollt, oder der Sommernachtstraum Lustspiele sind, wird so ziemlich allen übrigen das Lebenslicht ausgeblasen. Bemerke ich aber, welche Bücklinge die eine Partei vor Henry III und Hernani macht, wie die zweite nach dem Scharfrichter von Saardam und der Sündfluh läuft, so sehe ich nicht ab warum die Vermählung eines Grafen mit einer Grisette nicht auch einmal auf die Bühne kommen darf? Würde das Stück schlecht gespielt, möchten die Mängel allerdings schärfer heraustreten; die Darstellung ist aber so meisterhaft, daß selbst Schlechteres noch einen großen Genuß gewähren könnte. — Als die junge Gräfinn fühlt, daß sie ihre ehemaligen Freundinnen nicht mehr versteht, daß ihr diese gering erscheinen; als sie gleichzeitig der höhern Welt fremd bleibt, von dieser verspottet wird, und dem tröstenden Freunde gegenüber endlich in die Worte ausbricht: non, je ne suis plus égale à personne! es that eine wahrhaft großartige, tieferschütternde Wirkung. Ja, es ist eben so furchtbar, so entsetzlich, nirgends auf Erden seines Gleichen zu finden, als es furchtbar und entsetzlich ist, keinen Gott über sich zu glauben. Ich hatte noch nie so deutlich gefühlt was die wahre, ächte, unentbehrliche Gleichheit sey, als in dem Augenblicke, wo die Brocard jene Worte mit dem Ausdrucke des gerechtesten, tiefsten Schmerzes aussprach. Nach dem Mariage d’amour, folgte der Lügner von Corneille. Ein berühmter Name, doch ist das Ganze kein Ganzes, eben weil es nur an dem vereinzelten Faden des Lügens zusammengehalten werden soll; die lange Reihe der willkürlichen Scenen thut keine Wirkung. Von vis comica endlich ist fast nirgends eine Spur.