Tegel , den 7. September 1830.

Ihr am 31. v. M. abgegangener Brief hat mir, liebe Charlotte, sehr viel Freude gemacht, weil er in einer ruhigen, wirklich erfreulichen Stimmung geschrieben ist. Ich danke Ihnen sehr dafür. Ich lebe nun wieder ganz in meinen alten Gewohnheiten. Mein Befinden ist sehr erwünscht, und ich wüßte nicht, worüber ich zu klagen hätte. Wenn Sie aber von meiner kräftigen Gesundheit reden, so bedarf es doch einer Einschränkung. Meine Gesundheit ist gut, weil sie mich nicht leiden macht, und vorzüglich, weil ich sie durch die Regelmäßigkeit meines Lebens erhalte und befördere, übrigens sieht man mir das Alter viel mehr an als anderen Menschen von gleichen Jahren, und ich bin auch weniger rüstig, als es meinem und einem weit höheren Alter gemäß ist. Auch abwesend können Sie das an meiner Handschrift sehen, deren Ungleichheit und Mangel an Festigkeit garnicht von den Augen, sondern allein von der Hand herkommt. Das ist allerdings Folge der Jahre, aber daß es so früh und so plötzlich gekommen ist, ist allein Folge des Todes meiner Frau. Wenn man, wie es mein Fall war, so verheiratet war, wie man es einzig sein konnte und sein mußte, so ist die Trennung dieses Bandes nicht der bloß geänderte Zustand, sondern ein durchaus neuer. Ich klage nicht, ich weine nicht, der Tod einer Person, und noch dazu in höheren Jahren, ist ein natürliches, ein menschliches, ein unabänderliches Ereignis; ich suche nicht Hilfe oder Trost – denn der Kummer, der nach Hilfe oder Trost verlangt, ist nicht der höchste und kommt nicht aus dem Tiefsten des Herzens. Ich bin auch garnicht unglücklich, ich bin vielmehr auf die einzige Art glücklich und zufrieden, auf die ich es sein kann, aber ich bin anders als sonst, ich hänge mit dem Menschen und der Welt nur insofern zusammen, als ich Ideen daraus schöpfe, oder als ich durch äußerliches Wirken nützen kann, sonst habe ich keinen anderen Wunsch, als allein zu sein. Jede Störung meiner Einsamkeit, jeder, auch nur Stunden dauernde Besuch ist mir höchst unangenehm, wenn ich auch den Menschen, die mich besuchen, gut bin. Ich tue nichts dazu und suche nichts darin, es hat aber seit einem Jahre sehr zugenommen, und ich schließe daraus, daß es nicht vergehen wird. Sie können denken, daß ich in Berlin, wo ich so lange lebte, unter vielen Bekannten einige Männer und Frauen der engsten Vertraulichkeit habe. Ich pflegte sie wöchentlich, auch öfter zu sehen. Seit dem unglücklichen Verluste habe ich sie kaum drei- oder viermal gesehen. Sie fühlen und begreifen mich, und eine natürliche Diskretion hält sie ab, mich ohne ausdrückliche Einladung zu besuchen. Ich lade aber niemand ein, sondern überlasse das meinen Kindern. Ist jemand bei ihnen, so brauche ich nicht länger dabei zu sein, als ich Lust habe. Ich erzähle Ihnen das, weil Sie gern einen Begriff meines Zustandes haben. Mit meinen Augen geht es aber nicht schlimmer. Besser kann es natürlich auch nicht gehen. Vielmehr, da man in allen Dingen klar sehen muß, sage ich mir, daß die Schwäche mit den Jahren auch zunehmen muß, und daß leicht eine Zeit kommen kann, wo ich das Lesen und Schreiben ganz aufgeben werde. Bei Licht stelle ich es schon sehr ein. Ich sitze oft abends allein zwei bis drei Stunden, ohne scheinbar etwas zu tun. Ich kann aber nicht sagen, daß diese Zeit mir unnütz und noch weniger unangenehm verstriche. Das Träumen in Bildern und Erinnerungen hat etwas sehr Süßes, und strengt man sich an, ernsthafter und in gewisser Folge zu denken, so nützt es für die Arbeit des folgenden Tages. Ich ziehe dies einsame Sitzen einem Gespräch weit vor. Oft indes und in den früheren Abendstunden lasse ich mir vorlesen. – Heute war ein selten schöner Tag, eine milde, angenehme Luft, kein Wind, ein reiner, blauer, schöner Himmel, aber sehr herbstlich ist es bei uns schon, ich weiß nicht, ob auch bei Ihnen. Das Laub ist schon so gelb, und wenn man eine ganze Allee hinunter sieht, bemerkt man auch, daß die Bäume nicht mehr die Blätterfülle wie im Sommer haben. Es ist unglaublich, wie schnell die Zeit hingeht. Eine Woche, ein Monat sind vorbei, und ehe man sich umsieht, das ganze Jahr. Es scheint garnicht der Mühe wert, eine so alte und allgemein anerkannte Sache noch zu wiederholen. Allein mir ist es wirklich, als wäre mir diese Empfindung nie sonst in gleichem Grade lebendig gewesen. Es mag daher kommen, daß ich die Zeit mehr nach Arbeit als nach sonst einer Ausfüllung messe, und da ist mir immer die Zeit, in der etwas zustande kommen soll, unzureichend zu demjenigen, was man darin erwartet. Kein Tag bringt ganz hervor, was er soll, und aus diesen Lücken der einzelnen Tage entsteht ein großes Defizit im ganzen. Ich habe darum den Winter nicht so ganz ungern, weil man doch, selbst in meiner, das ganze Jahr hindurch sehr ruhigen, mußevollen und freien Lage, immer im Winter mehr und angestrengter arbeitet.

Sie erwähnen der neuesten unruhigen Auftritte. Seit Sie schrieben, haben sich diese sehr vervielfältigt und sind sogar in unsere Nähe gekommen. Es ist schmerzlich mit anzusehen, wie Leidenschaft, wilde Roheit und Übermut den Frieden bedrohen, dessen man so lange genoß. Indes wird sich auch das wieder beruhigen. Die Dinge der Welt sind in ewigem Steigen und Fallen und in unaufhörlichem Wechsel, und dieser Wechsel muß Gottes Wille sein, da er weder der Macht noch der Weisheit die Kraft verliehen hat, ihn aufzuhalten und ihn zum Stillstand zu bringen. Die große Lehre ist auch hier, daß man seine Kräfte in solchen Zeiten doppelt anstrengen muß, um seine Pflicht zu erfüllen und das Rechte zu tun, daß man aber für sein Glück und seine innere Ruhe andere Dinge suchen muß, die ewig unentreißbar sind.


Leben Sie recht wohl, erhalten sie sich heiter und seien Sie meiner aufrichtigen und unveränderlichen Teilnahme versichert. H.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe an eine Freundin