Zweite Fortsetzung

Sein Geld, welches natürlich in klingender Münze bestand, sowie die Brieftasche verwahrte der Kärrner in einer langen Geldkatze, die er unter dem Kittel um den Bauch geschnallt trug und auch in der Nacht auf der Streu umbehielt, während er in der linken Hosentasche ein ledernes Geldbeutelchen verbarg, um die kleineren Ausgaben am Tage zu decken. Aus der rechten Hosentasche aber blinkte, so oft der Kittel aufgehoben wurde, ein mit Silber ausgelegtes Besteck Messer und Gabel hervor, dessen sich der Kärrner beim Einnehmen der „Mundportion" stets bediente. Ein Ranzen nahm alles Übrige auf, was dem Kärrner auf der Reise notwendig war: einige Hemden und Strümpfe, Pfriemen, Nadel und Riemzeug, Papier, Geld und das später zu besprechende Reisehandbuch, das Frühstück, ein in hölzerner Büchse verwahrtes Glas Bergöl oder sogenannten stinkenden Balsam, von Lausitzern auf der Leipziger Messe gekauft für den Fall, dass ein Pferd verschlagen sollte; in späterer Zeit auch ein Gläschen Salzunger Tropfen, die dem Kärrner im Erkrankungsfalle als Universalmittel galten „und urgut waren"; selbst die Geldkatze musste im Ranzen ein Plätzchen finden, wenn der Kärrner sich unwohl fühlte, denn in diesem Falle wurde der Ranzen dem Wirt zum Aufbewahren übergeben. Das! Beschlagzeug endlich — Hammer, Zange, Nägel und Hufeisen enthaltend — wurde in einem besonderen ledernen Beutel verwahrt.

Unsere älteren Leser werden aus eigener Erfahrung wissen, wie grundlos, namentlich in etwas abgelegenen Gegenden, noch vor wenigen Jahrzehnten Straßen und Wege waren, so grundlos, dass der Kärrner täglich nur wenige Meilen, oft selbst nur wenige Stunden zurücklegen konnte. Ja, es kam gar oft vor, dass er erst am späten Abend den nächsten Krug oder das nächste Dorf zu erreichen vermochte. Deshalb war es wohlbegründete Sitte, beim Ausfahren am Morgen einen Laib Brot und eine Flasche Schnaps mitzunehmen, womit der Kärrner nicht nur sich selbst, sondern auch die Pferde stärken konnte. Auf ein Pferd wurden drei, im Sommer auch wohl vier Schiffspfunde Gut gerechnet, sodass ein mit drei Pferden bespannter Karren mit 9—12 Schiffspfunden oder mit 27—36 Zentnern beladen wurde, über welche sich das grobleinene, grauweiße Plantuch legte. Auf fortwährende Unterstützung durch sogenannte Vorreiter, wie dies beim späteren großen Frachtfuhrwerk der Fall war, wurde nicht gerechnet. „Vorspanne" — dies war die Bezeichnung zur Zeit der Kärrner — wurde nur an hohen steilen Bergen begehrt, und auch selbst da wurden nie mehr als zwei Pferde verlangt. Die Kärrner halfen einander selbst; deshalb fuhren immer mehrere zusammen aus. In Gegenden, wo ganz besonders schlechte Wege zu passieren waren, sah man oft eine Reihe von 10—20 Karren hintereinander angefahren kommen. Man denke sich z. B. jenen berüchtigten Hohlweg zwischen Witzelrode und dem hessischen Barchfeld im Werragrunde; hier war im Herbst und Frühjahre der Schlamm des rotlettigen Bodens in solcher Höhe vorhanden, dass neben der langen Reihe des Enzfuhrwerkes häufig noch eine Wildbahn zur Seite angelegt werden musste, welche durch Heftzügel mit den eigentlichen Karrenpferden in Verbindung gesetzt wurde und auf der schmalen, erhöhten Seite des Hohlweges ging. Da waren oft dreißig Pferde nötig, um einen mit 40 Zentnern beladenen Karren durchzubringen. Wie hätte hier ein einzelner Mann fortkommen können! — Manchen Tag wurde trotz aller Vorsicht zwei bis drei Mal umgeworfen, weshalb der Kärrner außer Hacke und Beil stets auch die Winde mit sich führen musste. Hierzu kamen die Plackereien durch die Geleitsreiter, welche, wenn sie die Angaben des Geleitsscheines mit den Colli des Wagens nicht in Übereinstimmung vermuteten, das Recht hatten, zu verlangen, dass auf offener Straße abgeladen wurde. An jedem Tor wurde Brücken- und Pflasterzoll verlangt, bei den damaligen vielen kleinen Reichsgebieten oft jeden Tag Geleitsgeld erhoben.


Die bestimmte Lieferzeit musste bei Verlust der Fracht eingehalten werden; denn die Messe stand vor der Thür, oder das Schiff, welches die Güter weiterbefördern sollte, ging am festgesetzten Tage ab. Da mochten Wetter und Wind noch so fürchterlich wüten, — der Kärrner musste weiterzukommen suchen. Bei so vielen Hindernissen der verschiedensten Art — wollen wir uns wundern, wenn so mancher Kärrner das Fluchen lernte? — Was das Wetter anlangte, so musste es schon schlimm kommen, ehe der Kärrner sich beschwerte. Die Gewohnheit hatte ihn abgehärtet; zudem stammten die bei weitem meisten Kärrner aus Gebirgsgegenden, wo ein kräftiger Menschenschlag von Haus aus wohnte, welcher mit der Rauheit des Klimas und den Wechselfällen des Wetters von Kindheit an vertraut war. Wir werden weiter unten wahrnehmen, wie die berühmtesten Kärrner- und Fuhrmannsorte meist in Seitentälern der Gebirge zu suchen sind, am Harze, am Thüringer Walde, im Fichtelgebirge, am Abhang der Pfälzer und westfälischen Gebirge etc. Alle diese Gegenden boten dem Kärrner, wenn er daheim blieb, ebenso zu wenig Beschäftigung, wie zu wenig Unterhalt; denn der Gebirgsboden gewährte nur kümmerliche Ernten, und die Bauerngüter in Gebirgsgegenden sind immer von geringem Komplex. In alter Zeit war der Verdienst des Kärrners auch durchaus nicht gering anzuschlagen; daher denn auch die Tatsache, dass das Kärrnergeschäft durch viele Generationen in einer und derselben Familie forterbte. Von Lüneburg nach Nürnberg wurden vor hundert Jahren für das Schiffspfund (à drei Zentner) 36 Thaler Fracht gezahlt, während noch zu Anfang dieses Jahrhunderts von Lüneburg bis Nürnberg 19 Thaler, von Lüneburg bis Coburg 14—15 Thaler pro Schiffspfund die Regel waren.

Als ständigen Begleiter auf seinen Kreuz- und Querzügen im Innern Deutschlands sowie auf den weiteren Touren nach Dänemark, Ost- und Westpreußen, nach Polen, nach Ungarn und den Donaufürstentümern, wie auch nach Tirol hatte jeder Kärrner ein Büchlein bei sich, welches seit alter Zeit ohne Angabe der Jahreszahl in Waldenburg gedruckt wurde und den Titel führte: „Der getreue Gefährte und Helfer". Es zerfiel in zwei Abteilungen oder in den geistlichen und den weltlichen Teil. Jener enthielt eine Sammlung von Gebeten, wie sie die verschiedenen Lagen des Fuhrmannslebens erforderten, dazu als Anhang eine Reihe von Gesangbuchsliedern, unter welchen die Rubrik „Reiselieder" natürlich ganz besonders vertreten war. Es ist mir von hochbetagten ehemaligen Fuhrleuten, welche in ihrer Jugend noch als Kärrner fuhren, vielfach bezeugt, dass frühmorgens in jedem Fuhrmannsgasthof, ehe die Morgensuppe und in späterer Zeit der Kaffee eingenommen wurde, aus diesem „getreuen Gefährten" ein Lied gesungen und hierauf von dein ältesten der anwesenden Kärrner oder Fuhrleute ein Morgensegen aus demselben Büchlein laut vorgebetet wurde. Die Alten hielten streng darauf, dass ihre Söhne und Knechte an dieser Morgenandacht Teil nahmen. Auch ist mir aus sicherer Quelle die Mitteilung geworden, dass der Kärrner in älterer Zeit, sobald er eine große Reise unternahm, die vielleicht durch die Ungunst der Jahreszeit oder wegen zufällig größerer öffentlicher Unsicherheit mit besonderen Gefahren verbunden war, bei dem Pfarrherrn seiner Parochie um eine öffentliche Fürbitte am nächsten Sonntage seines Vorhabens wegen bat. Ein solches Bedürfnis mag dem Kärrner um so näher gelegen haben, als Jahr aus Jahr ein gar viele Unglücksfälle „auf der Straße" sich ereigneten. Kam er dann wohlerhalten von der Reise zurück, dann schlich sein Weib an einem der nächsten Abende freudestrahlend ins Pfarrhaus, um zu melden, dass „Er" glücklich heimgekehrt sei, indem sie ihre Mitteilung durch einen handgreiflichen Beweis zu stützen suchte, der bald in einem Fässchen Kieler Sprotten, bald in frischen Austern oder in einer Büchse Kaviar, bald auch in einem Säckchen Sago oder Reis und dergleichen Dingen bestand.

Der weltliche Teil des „getreuen Gefährten" enthielt „allerhand nützliche Nachrichten und brauchbare Kupfer", z. B. Zinstafeln, Einnahme- und Ausgabetafeln, Münz-, Maß- und Gewichtsvergleichungen, „allerlei nützliche Erinnerungen für Reisende", namentlich auch ein Verzeichnis; der dem Kärrner nötigsten Wörter und Redensarten in spanischer, französischer, italienischer, schwedischer, polnischer, ungarischer und türkischer Sprache. Von besonders praktischer Bedeutung scheint mir für den Fuhrmann der sogenannte „Wegweiser" in dem Büchlein gewesen zu sein, welcher alle nur erdenklichen Reiserouten in Deutschland und den angrenzenden Ländern in der Weise aufführt, dass nicht nur die einzelnen Orte, in welchen sich Fuhrmannsgasthöfe befanden, der Reihe nach verzeichnet stehen, sondern auch die Entfernung derselben von einander nach Meilen für jede einzelne Route genau angegeben ist. Auch ein Bericht über das Postwesen ist beigegeben, aus welchem wir beiläufig erwähnen, dass man zu Ende vorigen Jahrhunderts für eine Person zahlte: von Hamburg nach Leipzig 8 Thlr. 12 gGr., von Hamburg nach Nürnberg samt freier Kost 20 Thlr., von Hamburg nach Erfurt ohne Kost 9 Thlr., mit Kost 12 Thlr., von Hamburg nach Berlin im Sommer und Winter 6 Thlr. 9 gGr. — Außer dem Kalender bot der „getreue Gefährte" auch eine Abhandlung über die Frage: „Was ist ein Wechsel?" Ferner finden wir in diesem jetzt äußerst seltenen Büchlein ein Verzeichnis der Brücken über die hauptsächlichsten Flüsse Deutschlands, aus welchem wir beispielsweise entnehmen, dass dazumal über die Donau 25, über den Main 13, über die Elbe 12, über den Rhein, den Neckar und die Isar je 8, über die Weser 7 und über die Mosel 4 Brücken führten.