Sechste Fortsetzung

Das erste Eilfuhrwerk in Deutschland betrieb der Rosswirt Leupold aus Schlüchtern bei Offenbach. Seine Wagen gingen regelmäßig zwischen Offenbach und Naumburg, wo Bühler ein Eilfuhrwerk nach Berlin unterhielt, während Trebitz aus Eisenberg im Altenburgischen ein regelmäßiges Eilfuhrwerk zwischen Berlin und Königsberg leitete. Brabant aus Grobstedt hat noch zur Zeit der Eisenbahnen ein Eilfuhrwerk mit vier Wagen zwischen Berlin und Leipzig betrieben. Zwischen Nürnberg und Leipzig bestand das seiner Zeit berühmte Bauer'sche Eilfuhrwerk, welches ebenfalls Tag und Nacht ununterbrochen unter dreimaligem Pferdewechsel im Gang war und die Tour von 36 Meilen in drei Tagen zurücklegte. Auch von Offenbach ging ein Eilfuhrwerk nach Leipzig, welches von Lorei, Enters und Hohmann aus Fulda unterhalten wurde, während Mühlhäuser aus einem Dorfe bei Stuttgart zwischen Stuttgart und Leipzig ein Eilfuhrwerk betrieb. —

Während das Fuhrmannswesen draußen auf der Straße der älteren Zeit gegenüber eine förmliche Umwandlung erfahren hatte, blieb doch das Wirtshausleben des Fuhrmannes immer noch das alte. Sobald die Pferde am Nachmittage oder Abende in den Stall gebracht, getränkt und mit dem ersten Futter versehen waren, die Fuhrleute auch altem Brauche gemäß sich „fein säuberlich gewaschen", setzte man sich an den Tisch, um das Deichselbrot einzunehmen. Es bestand dasselbe unter gewissenhafter Beobachtung der Reihenfolge seit alter Zeit aus Schnaps, Bier, Butter, Käse und Brot, sowie Kaffee mit Semmeln. Später ging es an die eigentliche Abendmahlzeit, die aus Suppe und verschiedenen Braten, je nach der Jahreszeit auch aus Wildpret und Fisch zusammengesetzt ward. Beim Abfahren am andern Morgen bekam jeder Fuhrmann ein tüchtiges Frühstück mit, welches eine gute Portion Fleisch enthielt, um sich damit den Tag über zu beköstigen.


Das Füttern der Pferde besorgte der Fuhrmann stets selber. Vor neun Uhr Abends wurde nicht leicht abgefüttert. In der Nacht verwandelte sich die große Wirtsstube in eine große Streu, auf welcher ausgestreckt der Fuhrmann sich in seine „Kotze", eine starke wollene Wiener Decke, wickelte. Am Morgen musste der Hausknecht um zwei Uhr wecken, damit gegen vier Uhr eingespannt werden konnte. War der Kaffee genossen, so nahm der Wirt die Kreide in die Hand, um nach alter Weise die Zeche auf den Tisch zu schreiben. Auch hier wurde die alte Reihenfolge der einzelnen Posten streng eingehalten, so dass zuerst der Hafer, dann das Heu, dann die Vorreiter, hierauf die Mundportion und schließlich das Wachgeld in Anrechnung gebracht wurde. Für die Mundportion des Mannes, d. h. für Alles, was er vom Deichselbrot an bis zum Morgenkaffee, das mitgegebene Frühstück mit eingerechnet, aß und trank, wurden 6 gGr. gerechnet. Der Gewinn des Wirtes war im obersten Posten, also bei der Berechnung des Hafers zu suchen. Es wurde nämlich der kleine Hümben oder das kleine Haferachtel verabreicht, das große Achtel aber in Anrechnung gebracht. Das Wachgeld betrug für den Wagen zwei gGr. Als Trinkgeld für die Magd, welche die Stiefeln zu reinigen hatte, gab der Fuhrmann einen Groschen, welcher in einen vom Wirt mit der Kreide gezeichneten Ring zu legen war und deshalb der Lochgroschen genannt wurde.

*) Zu den Gräfenthaler Fuhrleuten gehörte unter Anderen der in der Fuhrmannswelt von ganz Deutschland allgemein bekannte Fuhrmann Dietz, welcher, da er unverheiratet blieb, einmal sieben Jahre lang nicht in die Heimat zurückkehrte, sondern auf allen nur möglichen Straßen Deutschlands und der Nachbarländer sein Fuhrwerk trieb, bis die Eisenbahnen ihn, wie so viele Andere nötigten, sich in unfreiwillige Muße als Rentier zurückzuziehen. Seinen vielen Bekannten in allen Gegenden Deutschlands diene hiermit zur Nachricht, dass sich derselbe wohl befindet.

Als Ziffern bei der Berechnung dienten folgende Zeichen: 0, X, V und I. Jede Null bedeutete einen Thaler, X war gleich 10 Gr., V gleich 5 Gr., wahrend der einfache I einen Groschen bedeutete, so dass z. B., den Thaler zu 36 damaligen Hannöverschen Groschen angenommen — folgende Reihe
                        0 0 V I I X I V I I X 0 I I I I
die Summe von 4 Thlr. 3 Gr. ausmachte. Hieraus ersehen wir, dass die Null, wenn auch vorn hingeschrieben, dennoch gleich einem Thaler war. — In Ladestädten, wo der Fuhrmann oft mehrere Tage, manchmal bei besonderen Krisen auch wohl mehrere Wochen „aufliegen" musste, kamen die Knechte am Tage gar nicht in die Stube. Sie erhielten zwei gute Groschen sogenanntes Krippengeld, womit sie sich am Tage selbst beköstigten. —

Es lässt sich nicht verkennen, dass im Laufe der Zeit das Fuhrmannswesen in den Fuhrleuten einen scharf ausgeprägten Stand herausgebildet hatte, der seine Besonderheiten und Eigentümlichkeiten eifersüchtig festhielt, was bei der durch die Art seines Berufes gebotenen Notwendigkeit, immer nur mit Kollegen zu verkehren, auch nicht schwer halten konnte. Waren doch die Fuhrleute in recht eigentlichem Sinne des Wortes „fahrendes Volk"; darum haben sie sich auch, wie einst Studenten und Handwerksburschen, wo sie sich auch treffen mochten, mit „Du" angeredet und als zu einer und derselben großen Familie gehörend einander betrachtet, ja in Notfällen willig gegenseitig Unterstützung gewährt. Es kann uns deshalb nicht Wunder nehmen, wenn sich nach und nach auch gewisse Schattenseiten beim Fuhrmannswesen entwickelten. Hierher gehört die fast zum Sprichwort gewordene Fuhrmannsgrobheit sowie der Fuhrmannsstolz.

Dass der Fuhrmann in früherer Zeit das Fluchen leicht lernen konnte, haben wir weiter oben schon angedeutet. Auch die Zeit der Chausseen bot für den Fuhrmann noch gar viele Hindernisse und Schwierigkeiten, wie z. B. niedrige Stadttore, bei welchen abgeladen werden musste, oder welche der Fuhrmann — wie in Rodach bei Coburg — auf seine Kosten auszugraben und dann wieder pflastern zu lassen hatte; auch an anderen Quälereien, wie beim Plombieren und auf den Steuerämtern, und an naseweiser Behandlung von Seiten junger Kommis, denen noch der erste Flaum um das Kinn spielte, hat es nicht gefehlt. Alle Unbilden des Tages jedoch glich das zuvorkommende Benehmen des Wirtes und der Wirtin am Abend aus. Auf der anderen Seite lässt sich nicht verkennen, dass ein Fuhrherr, der gleichzeitig eine Reihe Wagen auf der Straße gehen hatte, in seinem Geschäfte auch ein hübsches Kapital repräsentierte; dazu kam, dass der Fuhrherr mit seinem Vermögen für die rechtzeitige und in guter Beschaffenheit geschehene Überlieferung der Güter einstehen musste, — ein Umstand, der das Selbstbewusstsein desselben natürlich erhöhte. Doch verstand es der Fuhrmann auch, in Zeiten und an Orten, wo große Konkurrenz um die Frachtgüter statt hatte, in bescheidener Weise den Kaufherrn um Fracht zu bitten, wobei übrigens schon in alter Zeit „Spendage" geübt wurde, wie dieselbe später auch bei den Eisenbahnen sich notwendig machte, wenn ein Botenfuhrwerk Fracht bekommen wollte. Schaffner und Aufläder aber haben auch in früherer Zeit schon in jeder Stadt die Quelle angeben können, wo das beste Bier und der beste Wein verschenkt wurden, und ließen dem Fuhrmann gegenüber das Sprichwort auf sich anwenden: „Wer gut schmiert, fährt gut." — Eines aber scheint mir noch ganz besondere Beachtung zu verdienen: das große Vertrauen in die Ehrlichkeit und Rechtlichkeit des Fuhrmannsstandes. Der Fuhrmann wurde erst beim Schreiben der Frachtbriefe nach seinem Namen und Heimatorte gefragt. Nach seinen sonstigen Verhältnissen erkundigte man sich nicht. Ich meine, es läge ein schönes Stück deutscher Treue und deutscher Redlichkeit im ehemaligen Fuhrmannswesen vor uns.

Wo sich aber Arbeit mit Treue und Redlichkeit paart und frisches reges Wesen am Abend der Ruhe und fröhlicher kameradschaftlicher Geselligkeit weicht, da muss auch das Lied treue Pflege finden, ja es muss das Volkslied naturgemäß aus solchem Boden hervortreiben. Hätte man in unfern gelehrten Kreisen das Fuhrmannsleben auch nur einigermaßen gekannt, so würden unsere Literatur-Historiker nicht nur Bergmanns-, Schiffer-, Hirten- und Jägerlieder aus dem Volksmunde geschöpft, sondern auch dem Fuhrmannsliede nachgespürt und — ich darf es versichern — eine schöne Ernte gehalten haben. Die Fuhrleute haben viele Ballen Makulatur von Leipzig nach Stuttgart und von Stuttgart nach Leipzig geschleppt; — schon daraus hätten die gelehrten Herren Veranlassung nehmen sollen, die literarische und ästhetische Seite des Fuhrmannslebens nicht stiefmütterlich zu behandeln oder vielmehr vornehm gänzlich zu ignorieren. Als eine kleine Probe des Fuhrmannsliedes mögen die nachstehenden Verse dienen:

        Ich stand auf hohem Berge,
        Schaute hin und schaute her;
        Und da kam ein lustiger Fuhrmann
        Im Tale gefahren daher.

        Seine Peitsche tuet schnalzen,*)
        Sein Wagen rauscht wie Papier,
        Und ein Fuhrmann ist mir lieber,
        Als von Andern drei und vier.

        Ach Tochter, liebe Tochter,
        Was hast Du in Deinem, Sinn,
        Das; Du Dein junges Leben
        Dem Fuhrmann gibst dahin?

        Abends gehen sie spät schlafen,
        Sind des Morgens frühe auf;
        Und dann Haben sie der Plage
        Den ganzen Tag vollauf.

        Ach Mutter, liebe Mutter,
        Ich bin ja dazu bereit;
        Denn die Landkutscher und die Fuhrleut'
        Sein brave, kreuzbrave Leut'.

        Denn sie haben ein reines Herze,
        Und dabei ein ruhigs Blut;
        Darum bin ich ihm auf immer
        Und auf ewig, auf ewig so gut!


*) In Süddeutschland gleich „klatschen".

Die einzeln gelegenen großen Fuhrmannsgasthöfe an den ehemaligen Haupt-Handelsstraßen haben sich in Einsiedeleien verwandelt und stehen verödet; gar mancher von ihnen ist nahe daran, zur Ruine zu werden, und auf den einst so belebten Straßen wächst jetzt Gras. Wohl hat sich manche Faust geballt, als die ersten Eisenbahnzüge vorüberbrausten, und unwillkürlich schwang sich unter Verwünschungen manche Peitsche, wenn das Dampfross an Solchen pfeilschnell vorübereilte, welche, der neueren Zeit trotzend, noch einige Jahre mühsam neben dem Schienenwege mit schweren Verlusten in ihrem alten Fuhrmannsberufe beharrten.

Wie es aber den Schiffer auch im schon vorgerückten Alter immer von Neuem lockt, noch eine letzte Seereise zu unternehmen, so steigt auch in der Seele des ehemaligen Fuhrmannes gar oft der Wunsch auf, noch einmal die alten Straßen zu ziehen, die vielen alten Bekannten zu grüßen und auf kurze Zeit im Geiste das entschwundene Glück des ehemaligen großen Frachtfuhrwesens an sich vorüberziehen zu lassen. An warmen hellen Sommerabenden sitzen wir Jüngeren dann am Weiher des Dorfes und lauschen den Erzählungen der Alten vom entschwundenen Fuhrmannsglück, und in manches Greisen Auge erglänzt dabei im Mondschein eine stille Träne. — August Topf.