Volksschau

Nachdem wir uns im Marktleben im allgemeinen orientiert haben, treten wir auf die Seite und wenden uns an irgend einen Ladenbesitzer, um in Ruhe und Muße das Treiben der Menschen in Markt und Straße anzuschauen. Der Mann lädt uns freundlich ein, sich zu ihm auf die Ladenbank zu setzen, beeilt sich, dem Gaste aus der nahen Kaffeeschenke eine Erquickung holen zu lassen, und bietet uns seinen Schibuk an. Mann an Mann zieht an unsern musternden Augen vorüber, unsere Gedanken beginnen traumhaft zu werden, wandeln ja alle die Gestalten, für die wir in unserer Jugendzeit, als wir die arabischen Märchen von Tausend und eine Nacht lasen, schwärmten, leibhaftig vor uns dahin. Da ist ja der Entdecker der Räuberhöhle Ali Baba, der alte Schuhflicker Baba Mustafa, der Kaufmann Ali Chuge, der sein Geld in Oliven versteckt, da der glückliche Aladin, der die Wunderlampe fand, da sind sie alle, die Hassan, die Hossen, die Ibrahim, die Ahmed.

Mehr als zehn Jahrhunderte sind seit Harun er Raschid vorübergerauscht, Manches ist in der großen Welt anders geworden, kein mächtiger Chalif herrscht mehr über die Gläubigen, das Volk aber ist, soweit es die arabische Sprache redet und den Islam bekennt, in Sprache, Tracht und Gewohnheiten nicht merklich von dem Vorbild seiner Ahnen abgewichen. Ja wir gehen noch weiter: entkleiden wir den gemeinen oberägyptischen Mann aus dem Volke seines jetzigen Überzugs (Blouse, Turban), streifen wir ihm den allerdings dicken Islams-, beziehungsweise Christenfirnis ab, und berauben ihn der Pfeife, des Kaffees und des Bartes, so steht er vor uns als echtes Landeskind von Kemi: dieselben schlanken und doch kräftigen Glieder, die breite Brust, derselbe Gesichtstypus mit breiten Wangen, ausgesprochenen Lippen, weiten Nasenflügeln, Mandelaugen, auch derselbe geschorene harte Kopf, trotz aller Schicksalsschläge wohl im Grund dasselbe angestammte Wesen, endlich eine Menge einzelner Sitten und Gebräuche aus der großen Pharaonenzeit, die teils direkt durch Tradition sich fortgepflanzt, teils indirekt mittels des Judentums in dem Islam sich eingebürgert haben.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Bilder Oberägypten, der Wüste und dem Roten Meere