Über die Gruppierung der französischen Streitkräfte im Beginne des Krieges, und die Absicht, die ihr zu Grunde lag

Wenn man von der Gruppierung der Streitkräfte in der ersten Feldzugsperiode sprechen soll, für welche die dem Operationsplane zu Grunde liegende Idee maßgebend gewesen war, wird es unbedingt nötig sein, auch die Ereignisse vor dem Beginne der Feindseligkeiten, welche in dem allgemeinen Entwürfe berücksichtigt sein mussten, einer kurzen Betrachtung zu unterziehen, um in den Ursachen, welche eine bestimmte Wirkung äußern sollten, bis auf den letzten Grund zurückzugehen, die Absichten beurteilen zu können, welche die französische Armee an des Feindes Grenze führten und die Umstände, unter denen dies geschah.

Vor Allem handelte es sich für Napoleon um die Aufbietung einer möglichst bedeutenden Kraft und deren rasche Konzentrierung; er musste nämlich, mit Rücksicht auf die Zeit, die eigenen Rüstungen früher beendet haben, als der Gegner, um sich die Initiative mit allen ihren Vorteilen zu wahren. Bedingungen dafür sind: eine zweckmäßige Heeresverfassung, ein früher Beginn der Kriegsrüstungen, die Täuschung des Gegners darüber im Interesse des Zeitgewinnes, endlich die Gunst der räumlichen und Kommunikations-Verhältnisse.


Von nicht geringem Einfluss auf die Dauer der Rüstungen wird immer der Raum sein, da in Bezug auf dieselben stets derjenige Staat im Vorteile sein wird, der bei gleicher Bevölkerungsziffer einen kleineren Umfang hat, weil dieser seine Kräfte schneller sammeln kann, als jener, dem sie auf einem weiten Raume verteilt sind.

Diese Bemerkung, die im Jahre 1812 volle Geltung hatte, wird heutzutage durch die Schienenwege, welche die räumlichen Entfernungen so wesentlich verringern, beträchtlich modifiziert, und es werden nunmehr bei Beurteilung der Überlegenheit, im Sinne der eben berührten Verhältnisse nicht allein der Raum, sondern auch die Mittel in Betracht zu ziehen sein, denselben nach gewissen Richtungen zu durchschreiten. Die schnelle Sammlung von Armeen hängt also bedeutend von diesen und anderen Anstalten ab, die zu ihrer Durchführung vorhanden sind; aber die räumliche Ausdehnung des Landes wird bei sonst gleichen Umständen stets auf Seite des größeren Staates ungünstig einwirken.

So wesentlich es ist, begünstigt durch den kleineren Raum und die besseren Verkehrsmittel, früher als der Gegner konzentriert zu sein, so handelt es sich doch auch um die Entfernung, welche zwei sich bekriegende Staaten von einander scheidet. Ist diese sehr bedeutend, so bedarf es langer Märsche, sie zurückzulegen. Der große Zeitaufwand, den diese erfordern, raubt aber dem Angreifer ganz oder teilweise jene wesentlichen Vorteile, welche ihm aus der frühen Konzentration seiner Streitkräfte über den noch nicht kriegsbereiten Gegner erwuchsen und verschafft dagegen diesem die Möglichkeit, auch seinerseits sich zu sammeln und vollkommen gerüstet dem Angriffe zu begegnen.

Zeit ist Raum, besonders im Kriege. Will daher der Angreifer die Früchte des frühen Beginnes seiner Rüstungen, der frühen Konzentrierung seiner Massen, überhaupt des großen Vorsprunges an kostbarer Zeit ernten, den er dem Gegner abgewonnen, so muss er jene ungünstige Entfernung, die ihn von seinem Gegner scheidet, abzukürzen wissen. Und dazu ist die Diplomatie berufen.

Wie es ihre Sache ist, alle die mannigfachen Vorbereitungen zum Kriege in des Geheimnisses undurchdringlichen Schleier zu hüllen, den ahnungslosen Gegner in trügerische Sicherheit zu wiegen, so muss sie auch jene Länder, welche die künftigen Feinde trennen, durch Verträge an die Sache des Angreifers zu fesseln, durch Conventionen seinen Heeren zu erschließen suchen; sie muss dem Angreifer Bundesgenossen werben, dem Gegner entziehen; Unentschlossene muss sie gewinnen. Gefährliche zu Neutralen machen, mit einem Worte dem Angreifer die Möglichkeit schaffen, zur höchsten Kraftentfaltung zu gelangen.

Durch ihre Tätigkeit also, durch List, Intriguen, falsche Vorspiegelungen und geheime Vorbereitungen, muss der Angreifer sich die Initiative zu sichern, und große Erfolge anzubahnen wissen; denn nur durch die Anwendung solcher Mittel und durch die Geschicklichkeit seiner Diplomatie kann es ihm gelingen, gleich im Beginne des Krieges mit einer eminent überlegenen Macht aufzutreten, zu einer Zeit, da der Gegner noch nicht all das an Streitkräften zusammengebracht hat, was er bei gegönnter längerer Frist noch verfügbar hätte machen können, ja vielleicht noch bevor derselbe seine Kriegsrüstungen überhaupt beendet hat.

Mit geringer, oder ohne jede Aussicht auf Erfolg sieht dieser sich dann von Hause aus zur Passivität verdammt und genötigt, vom Angreifer das Gesetz anzunehmen.

In den verschiedenen Phasen, welche die Kriegsvorbereitungen Napoleons durchmachten , sehen wir ihn bei fortwährenden Friedensbeteuerungen seine Rüstungen schon im Januar und Februar 1811 beginnen, als ihm eine gütliche Austragung der entstandenen Differenzen unmöglich schien.

Er sammelt in Danzig große Vorräte an und verstärkt dessen Besatzung bedeutend; in Deutschland hat er Davoust mit ansehnlicher Macht seit 1809, am Rhein und in Holland alte Truppen; die Rheinbundfürsten weiset er zur Aufstellung verstärkter Kontingente an; den Vice-König von Italien, die italienische Armee in Kriegsbereitschaft zwischen Mailand und Verona zu konzentrieren; er zieht Garderegimenter und die Weichsel-Legion aus Spanien, und hofft so, 400.000 Mann an der Weichsel zu versammeln, dabei 100.000 Mann an der Elbe und 130 Depot-Bataillone im Innern als Reserve zu haben.

Im September 1811 waren die Rüstungen beendet; doch war es schon zu spät, um noch im selben Jahre den Krieg zu beginnen. Nun folgten Versuche, die Schuld des Konfliktes Russland aufzubürden, bei fortwährenden Beteuerungen der Friedensliebe, um bis zum nächsten Sommer Zeit zu gewinnen; gleichzeitig jedoch macht sich die Absicht Napoleons bemerkbar, seine Kräfte an die Oder und Weichsel unbemerkt vorzuschieben, um sowohl durch langsame Märsche die Truppen zu schonen, als auch die Russen zu hindern, Polen und Ostpreußen zu okkupieren und die Vorräte dieser Länder zu beseitigen.

Die diplomatische Tätigkeit Napoleons äußerte sich jetzt in dem Bestreben, Russland zu isolieren, für sich selbst aber Bundesgenossen zu gewinnen, was ihm nur bei Österreich und Preußen gelang, während Schweden mit Russland ein Bündnis schloss, die Türkei neutral blieb. Zum Schlüsse endlich, bevor der erste Schuss fiel, mussten diplomatische Manöver, in denen Napoleon unerschöpflich war, den Ausbruch des Krieges bis zum Sommer hinausschieben, da er Willens war, den Feldzug erst zu beginnen, wenn er auf Gräser, Kräuter und Saaten als Grünfutter für die Tiere der Armee rechnen konnte.

Unter allerlei Vorwänden wurden im Laufe des Monats April 1812 die französischen Corps an die Oder vorgeschoben, während die Polen sich bei Warschau, die Österreicher bei Lemberg sammelten.

Unter diesen Umständen vollendete die französische Armee Ende Mai ihren ersten strategischen Aufmarsch an der Weichsel zwischen Pulawy und Danzig u. z. standen:

das 1. Corps bei Elbing, die Preußen gegen den Niemen vorgeschoben,
das 2. Corps bei Danzig,
das 3. Corps bei Thorn,
das 4. und 6. Corps bei Plotzk,
das 5., 7. und 8. Corps bei Pulawy und Warschau,
die Garden in Posen und
die Österreicher bei Lemberg, womit zugleich eine Drohung gegen Volhynien ausgeübt wurde.

Durch diese breite Front hatte sich Napoleon das Täuschungsmoment gewahrt, das stets einen notwendigen Teil des strategischen Aufmarsches bilden soll; er bedrohte gleichzeitig viele Punkte, hielt die Russen in Ungewissheit über die Richtung, welche er einzuschlagen die Absicht hatte und konnte hoffen, sie dadurch auch in ihrer ausgedehnten Aufstellung, mithin in einer strategischen Situation zu erhalten, die seinen Plänen entsprach.

Nach diesen beabsichtigte er, die Russen strategisch zu durchbrechen, südlich der Pinski'schen Sümpfe nichts zu detachieren und seine Operationen nach dem Hauptobjekte Moskau vorzutreiben.

Wenn nun die Absicht zu durchbrechen vorhanden war, was bei der 46 Meilen ausgedehnten, Napoleon wohl bekannten Aufstellung der Russen auch ganz natürlich scheint; so fragt es sich, ob der Punkt Kowno für den Einbruch der Hauptmasse in diese Front auch der geeigneteste war. Bei Feststellung des Operations-Entwurfes wird man, in Berücksichtigung von Kraft und Raum, nach der Stärke der feindlichen Armee und ihrer Verteilung forschen müssen, indem ihre Niederwerfung den Zweck des Krieges ausmachte.

Schon Anfang Juni 1812 hatte Napoleon die approximative Stärke seiner Gegner und ihre Gliederung in drei große Gruppen, von denen zwei im nördlichen, eine im südlichen Räume standen, erfahren.

Berichte von zuverlässigen Personen, brachten volle Klarheit über die Details der Aufstellung; er wusste somit die Russen auf einer großen Front verteilt, er wusste speziell den Raum zwischen Lida und Wolkowysk völlig offen, indem die dazwischen eingeschobenen Kosakenschwärme die Trennung zwischen den beiden nördlichen Gruppen nicht aufhoben, sondern nur zur schnelleren Benachrichtigung dienen konnten, von einer dadurch erlangten Verbindung im Sinne gemeinsamen Wirkens daher nicht die Rede sein konnte.

Eine solche Aufstellung musste auch einen minder klar sehenden Feldherrn zum Durchbruche einladen, einer Form des Angriffs, der sich Napoleon schon oftmals mit Vorliebe zu seinen glänzenden Erfolgen bedient hatte.

Wie die Sachlage war, brauchte er nur vom mittleren Niemen aus (Strecke Kowno Grodno) über Minsk gegen den Raum vorzudringen, der in der Gegend Witebsk-Orzsa so zu sagen das Einbruchstor nach dem Herzen Russlands bezeichnet, um die Trennung der beiden russischen Gruppen gewiss zu erhalten und sie in derselben mit Übermacht entscheidend zu schlagen.

Die schon lange währenden Befestigungsarbeiten an der Düna bei Dünaburg und Drissa mussten Napoleon aufmerksam gemacht haben, dass man die Absicht hatte, sich daselbst zu halten. Aus den Beziehungen dieser Linie zu den Hauptrichtungen wurde die Tendenz, Petersburg zu schützen, ausgesprochen, was der Idee Napoleons, bezüglich der durchzuführenden Trennung und seines Hauptobjektes Moskau, Vorschub leistete, indem die Russen mit ungünstigem Rückzugsverhältnisse den Rücken dem unfruchtbaren Norden zuwendeten und ihm den reichen Süden überließen.

Wollte aber Napoleon durchbrechen, hoffte er überdies, die nördlichste Gruppe auch in sich noch unvereinigt zu finden und dadurch vorteilhafte Verhältnisse für den Kampf zu erlangen; so schien es geboten, den ersten Schritt, den Niemen-Übergang, möglichst nahe an dem Zentrum des Gegners auszuführen, wozu sich nach der Laufrichtung dieses Flusses und dessen Beziehungen zum nächsten strategisch und politisch wichtigsten Punkte, Wilna, die Gegend von Kowno am besten eignete.

Von Kowno bis Wilna ist es näher, als aus der Gegend von Lida und von Keidany dahin; hielten also die Russen bei Wilna im Interesse der Sammlung Stand, so konnte Napoleon mit Recht hoffen, sie zu schlagen, bevor ihre beiden Flügel-Corps zur Stelle waren. Während dieser Zeit konnte die besprochene Vorrückung eines starken Heeresteiles auf Minsk erfolgen, um als Riegel gegen Bagration zu dienen; der ost-westliche Lauf des oberen Niemen (oberhalb Grodno) gab einem solchen Unternehmen eine wesentliche Unterstützung; die bei Kowno mündende schiffbare Wilia bot noch überdies, während der ersten Bewegungen, der linken Flanke Schutz und zugleich den Vorteil einer leichteren Verpflegung durch den Wassertransport der Verpflegungsvorräte.

Endlich waren bei Kowno auch die taktischen Verhältnisse (das linke Ufer beherrschend) dem Übergange günstig.

Es wurde schon an früherer Stelle bemerkt, dass es für Napoleon vor Ausbruch des Krieges von Interesse war, möglichst viel Zeit zu gewinnen, u. z. sowohl um alle nötigen Vorbereitungen ungestört beenden zu können, als auch um seine Heeresmassen allmählich an die russische Grenze vorzuschieben; wir sagen allmählich, aber doch zeitgerecht, um etwaige, dem befreundeten Lande und der Förderung des ganzen Unternehmens nachteilige Gegenmaßregeln der Russen, wie sie auch in deren Plan gelegen, zu vereiteln.

Mit dem Beginne des Krieges selbst wechselte der Zeitwert; der Raum wurde ein Freund der Russen, ein Feind der Franzosen, wäre aber bei seiner großen Ausdehnung ein Feind der ersteren geblieben, wenn die Entscheidung im Beginne des Krieges, wie vorauszusehen war, zu ihrem Nachteile fiel.

Schnelle Entscheidung musste daher Napoleons Hauptabsicht, sein Grundgedanke bei Gruppierung seiner Streitkräfte und Anordnung der ersten Operationen die Führung eines entscheidenden Schlages gleich im Beginne des Feldzuges sein: denn jeder Schritt tiefer ins Land verringerte die Aussichten auf Erfolg, brachte ihm zum mindesten keine Vorteile, den Russen aber neue Kräfte.

Mit Rücksicht auf Kraft, Zeit und Raum waren somit folgende Grundbedingungen für das Verfahren Napoleons gegeben:

Übergang mit der Hauptmasse bei Kowno, rasches Vordringen, um bald die Entscheidung zu finden;

Durchbrechen der ausgedehnten russischen Aufstellung; Abdrängen der nördlichen russischen Gruppe nordwärts, wohin sie zu gravitieren schien;

Auseinanderhalten der beiden Gruppen durch Vortreiben eines Keils über Minsk gegen den Dniepr, entscheidendes Schlagen der beiden Gegner, so lange sie getrennt; Hauptobjekt Moskau, Zwischenobjekte Wilna, Smolensk.

Die Gruppierung seiner Kräfte sollte nun diesen Grundbedingungen entsprechen:

Am Tage vor dem Übergang (23. Juni 1812) bildet die französische Armee drei große Gruppen und zwei Flügelcorps:

die Hauptmasse über 190.000 Mann, zur Führung der Hauptschläge bestimmt, um Kowno;

die 2. Gruppe unter Eugen, über 70.000 Mann, 4 — 6 Märsche zurück bei Kalvarya und Suwalki;

die 3. Gruppe unter Jerome, etwa 80.000 Mann, noch weiter rechts rückwärts bei Novgorod und Pultusk;

die Flügelcorps:

rechts Schwarzenberg 34.000 Mann bei Siedlce;

links Macdonald 32.000 Mann bei Tilsit.

In dieser Kräfteverteilung sehen wir die Hauptmasse an dem vorgeschobensten Punkte am Niemen bestimmt, einzubrechen und die Trennung zu erzeugen; die beiden andern großen Massen im Staffelverhältnis dahinter, zur Unterstützung, zur Abwehr nach der Flanke, — endlich um die südliche russische Gruppe länger festzuhalten und sie dadurch um so sicherer abzuschneiden. Macdonald hat einen ähnlichen Zweck, denn wir sehen ihn, obwohl gleichzeitig mit der Hauptmasse übergehend, am 10. Juli erst bei Rossienie.

Immer von dem erwähnten Grundgedanken geleitet, wechselt mit dem Erreichen von Wilna die Gruppierung der Franzosen: die nördliche Gruppe, Murat mit Ney und Oudinot, gegen Barclay ; die südliche, Eugen, Davoust und Jerome, gegen Bagration; Napoleon mit den Garden bei Wilna, um nach jeder Seite sich wenden und den Ausschlag geben zu können; Macdonald im Norden, anfänglich mit der Bestimmung, zur Vernichtung Barclays mitzuwirken, während Schwarzenberg die rechte Flanke gegen Tormassov schützt.

Die Verteilung der Franzosen zielte darauf ab, sich mit ganzer Macht zwischen den Feind einzuschieben und gegen dessen Teile gleichzeitig vernichtende Schläge zu führen.

Das Einschieben sollte durch Davoust vorbereitet werden, dessen Heeresteil geschwächt worden war, um ihn zu größerer Schnelligkeit des Handelns zu befähigen, während er von Bagration noch immer für 70.000 Mann stark (Stärke seines, des 1. Corps) gehalten werden konnte.

In der französischen Kräfteverteilung erblickt man das Bestreben, durch ein Trennen der Russen und ein gleichzeitiges doppeltes Umgehen eines jeden der getrennten Teile, eine vollkommene Entscheidung herbeizuführen.

Das erste Erfordernis, dass jeder der umgehenden Teile dem betreffenden feindlichen mindestens an Stärke gleichkomme, war allseits erfüllt; nur Macdonald war zu schwach, jedoch ohne Nachteil, indem Barclay des Meeres und des an Hilfsmitteln armen Landes halber nicht nach Norden ausweichen konnte; wäre dies dennoch geschehen, so hätte der Erfolg des Durchbruchs nur um so vollständiger ausfallen müssen.

Im Süden sollte Jérôme die lebendige Grenze bilden, bis zu welcher Bagration ausweichen durfte, eine Aufgabe, die jener jedoch seiner Langsamkeit wegen nicht erfüllte.

Dies war die Verteilung der französischen Gruppen; wir sehen dieselbe so angeordnet, dass überall eine Wirkung mit weitaus überlegener Kraft gestattet, ja selbst die Möglichkeit einer rechtzeitigen Gesamtwirkung nicht ausgeschlossen war; die größte Masse und den innigsten Verband finden wir aber in der durch die Verhältnisse, nämlich durch Barclays Stärke, am wichtigsten gewordenen Gruppe, welche in einem späteren Stadium auch die Reserve unter der unmittelbaren Einwirkung Napoleons enthielt.

Die strategische Idee Napoleons, die Russen zu durchbrechen, wurde wiederholt als vollkommen korrekt bezeichnet; die strategische Anlage der Operationen dazu ist mustergültig. Wenn wir jedoch die Durchführung in Betrachtung ziehen, was bei der Beurteilung der Operationen der Teile in den folgenden Kapiteln im Detail geschehen soll, müssen wir mancher Mängel gedenken, welche den beabsichtigten großen Erfolg vereitelten.

Wir finden nämlich den Durchbruch zwar begonnen, aber nicht vollendet. Dieser kann erst dann als gänzlich gelungen bezeichnet werden, wenn die Trennung der feindlichen Streitkräfte erhalten und erweitert ist und diese in ihren Teilen geschlagen sind, wobei es vor Allem darauf ankommt, den entscheidendsten Erfolg über den stärkeren Teil des Gegners zu erlangen. Es wird also das Streben desselben nach Vereinigung während der Durchbruchsoperationen, sowohl durch diese selbst, wie nicht minder durch die Art und Weise zu vereiteln sein, in der man die Kräfte zum Kampfe gelangen lässt; dieser Kampf aber wird stets als der Schlusspunkt betrachtet werden müssen, weil erst durch ihn der Durchbruch zu einem endgültigen und entschiedenen gemacht wird.

Um nun zum Schlagen zu gelangen, welches Streben den Eintritt der zweiten Phase des Durchbruches bezeichnet, wird der Durchbrechende mit seiner Hauptmasse zu einer einfachen Umgehung des inneren Flügels der Hauptkraft des Gegners schreiten und dadurch jene strategisch günstigen Kampfbedingungen erlangen, welche aus den Beziehungen der Kraft zu den Verbindungen entstehen. Der andere Teil des Gegners soll vorläufig bloß beobachtet werden, durch eine Kraft jedoch, welche ausreicht, ihn zu hindern, in die Geschicke des mit dem Entscheidungskampfe bedrohten tätig einzugreifen.

Das Rechtsziehen der Gruppe unter Murat in die Gegend von Polotzk, wo Napoleon zur einfachen Umgehung überzugehen die Absicht hatte, das Herbeiziehen St. Cyrs, Eugens und der Garden ebendahin, bezeichnet den Beginn der erwähnten zweiten Durchbruchsphase, eine Operation, die, wenn Barclay dem ursprünglichen Plane gemäss im Lager von Drissa geblieben wäre, zu dessen Vernichtung führen musste.

Allein wenn dieser seinen Fehler frühzeitig erkannte und, der Vereinigung mit Bagration entgegenstrebend, auf Witebsk auswich, war das direkte Folgen der Franzosen auf Drissa und die Langsamkeit ihrer Bewegung nicht geeignet den Durchbruch zu vollenden.

Der Grundidee entsprechend würde es gewesen sein, wenn Napoleon, welcher die Lage der Russen nach begonnenem Durchbruche genau kannte, energisch auf der Hauptoperationslinie gegen Moskau vorgedrungen wäre, — wozu ihm seine namhafte Überlegenheit das Recht gab, — um in der Gegend Witebsk-Smolensk stehend, in günstige strategische Beziehungen zu Barclay zu gelangen und unter solchen Umständen diesen zum Kampfe zu veranlassen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Betrachtungen über den Krieg im Jahre 1812