Das westfälische Heer. Graf Lerchenfeld.

Lerchenfeld war am 17. Januar 1772 geboren, war dem Vater, kurpfalzbayrischem Kämmerer, wirklichem Geheimrath und Gesandten in Regensburg, im Familienfideikommisse gefolgt, studierte in Ingolstadt die Rechte, trat dann in die Diplomatie, heiratete die Tochter des kurmainzischen Staatsmannes Freiherrn von Groschlag von Diepurg, wurde Kämmerer, Kommandeur des St. Georgs-Ordens, außerordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister in Dresden am 1. Juli 1801 (bis 15. Juli 1807), nun in Cassel. Die Bestallungsurkunde datierte vom 30. April 1808 und setzte sein Gehalt auf 14.000 Gulden fest, auch erhielt er laut königlicher Verfügung vom 5. August 1808 zur Bestreitung des Umzugs nach Cassel noch 3.500 Gulden*), doch traf ihn der Ruf seines Königs am 28. Juli krank in Köfering, er konnte erst am 18. August abreisen und kam am 22. in Cassel an, fand aber den Hof abwesend; König Jérôme war mit dem leitenden Staatsmanne, dem Grafen Fürstenstein, und dem größten Teile des Hofstaates im Bade Nenndorf, die Königin Katharina mit großem Gefolge in Schwaben, und am 25. August ging auch Simeon, der Justizminister, nach Nenndorf. Seit acht Tagen war Morio, der Kriegsminister, von seinem Amte suspendiert und man schrieb diesen Akt „der Unzufriedenheit des Kaisers der Franzosen mit seiner langsamen Organisierung der Truppen des Königs von Westfalen“ zu. „Diese Organisation“, so berichtete Lerchenfeld in seinem ersten Schreiben an Max Joseph**), „nähert sich in Wahrheit keineswegs dem Cadre, der festgesetzt und vom König angenommen worden ist“; das Kontingent sollte nach der Verfassung des Königreichs 25.000 Mann betragen, doch verlangte der Kaiser und König für beide erste Jahre nur die Hälfte und die andere sollte von Frankreich gestellt, von Jérôme besoldet und gekleidet werden***). Man hatte jedoch anstatt 12.500 Mann kaum 5.000 auf den Beinen, in der Militärkasse zeigten sich Zahlungsrückstände, verschiedene Verwaltungszweige wiesen beträchtliche Deficits auf, Cavallerie und Artillerie entsprachen bei weitem nicht der Infanterie. Es fehlte an Geld und an Leuten und man sah es fast als unmöglich an, „dass sich die Schöpfung einer solchen Armee in diesem Königreiche, wie es jetzt sei, ausführen lasse“. Zur Suspension Morios hatte, wie Lerchenfeld meint, eine Revue der im März errichteten Gardes-du-corps geführt, an deren Spitze Morio als Generaloberst stand; Morio hatte bald nach des Königs Abreise nach Nenndorf eine Revue derselben ohne königlichen Befehl abgehalten und Jerome sah hierin eine Anmassung des sonst sehr begünstigten Generals, des Schwagers des Günstlings Fürstenstein; er schickte ihm sofort die Suspensionsverfügung und befahl ihm, sein Portefeuille provisorisch dem Finanzminister Freiherrn von Bülow zu übergeben. Die Gesandten des Königs von Sachsen und des Königs von Holland, Graf zu Schönburg-Penig und Ritter Huygens, waren, als Lerchenfeld in Cassel eintraf, in Nenndorf; er fand in Cassel nur den württembergischen Gesandten Freiherrn von Gemmingen; er fand auch Jollivet, eine Autorität in Finanzsachen, als Kommissär für den Abschluss der Zahlungen der verschiedenen Kontributionen, die mehreren Provinzen des nunmehrigen Königreichs während des letzten Kriegs auferlegt und deren Bezahlung durchaus nicht liquidirt worden, die vielmehr zu einer allgemeinen Landesschuld durch die Vereinigung geworden war, welche sich bei der Ständeversammlung für alle Provinzialschulden ergab; Jollivet war auch mit den Domanialgütern betraut, aus denen sich Napoleon Jahreseinkünfte bis zum Belaufe von sieben Millionen Francs reservierte; er war der ,,ministre de surveillance“.

*) Acta des auswärtigen geheimen Ministerialdepartements. Kasten schwarz 645/16—17. Bayr. Geh. St.-A. Mitteilungen des ersten Präsidenten der Reichsrathskammer, Grafen zu Lerchenfeld, von 1899.
**) Cassel, 25. Aug. 1808 (Orig.) I. Mission ä Cassel. 1808-1810. Lerchenfeld. Rechberg. Rep. No. 1. 571/15. Kasten schwarz. Bayr. Geh. St.-A.
***) Vgl. zu allem: Kleinschmidt, Geschichte des Königreichs Westfalen. (Geschichte der europäischen Staaten.) Gotha 1893.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Bayern und Hessen 1799-1816.